Junge Welt 11.11.2005

Angriffspläne in Chiapas

Studie: Paramilitärs wollen zapatistische Gemeinden attackieren. Auch regierungsnahe Bauernorganisation versucht, Ländereien zu besetzen

Im Süden von Mexiko drohen wieder bewaffnete Auseinandersetzungen. Das regierungsunabhängige Zentrum für politische Analyse, soziale und ökonomische Forschung (CAPISE) mit Sitz in San Cristóbal warnt in einer neuen Studie vor Angriffen paramilitärischer Gruppen auf zapatistische Gemeinden im Bundesstaat Chiapas. Es gebe klare Anzeichen dafür, daß 3 000 Angehörige der paramilitärischen »Organisation zur Verteidigung der indigenen und bäuerlichen Rechte« (OPDDIC) gegen den autonomen Landkreis Olga Isabel mobilisiert werden.

Gründer dieser Gruppe ist mit Pedro Chulín Jiménez ein prominenter Vertreter der Partei der Institutionellen Revolution (PRI), die bis zum Jahr 2000 fast 71 Jahre lang die Regierungen in Mexiko kontrollierte. Nach Einschätzung des CAPISE zielt die neue Strategie der Paramilitärs darauf ab, Ländereien der Zapatisten zu besetzen und ihre unabhängigen Strukturen zu zerschlagen. Konkrete Auseinandersetzungen könnte es um 1 500 Hektar Land geben, die nach Beginn des Aufstandes 1994 von der EZLN besetzt wurden und seitdem unter gemeinschaftlicher Verwaltung stehen. Zuvor hatten Großgrundbesitzer die Ländereien kontrolliert.

Chulín war schon vor der Gründung der OPDDIC im Mai 1998 als Anführer der paramilitärischen Gruppe »Los Chinchulines« aufgefallen. Im April 1998 hatte er einen Angriff auf Taniperla, den Sitz der Verwaltung für den autonomen zapatistischen Landkreis Ricardo Flores Magón, angeführt. Solch ein Szenario könnte sich nun wiederholen. Mitte Oktober ließ Chulín über 100 teils bewaffnete OPDDIC-Mitglieder – von regionalen Polizisten begleitet – vor dem Verwaltungssitz des Landkreises Olga Isabel aufmarschieren. Nur durch die besonnene Reaktion der Zapatisten konnte eine Eskalation verhindert werden.

Die EZLN-Basis wird aber nicht nur aus dem Lager der PRI unter Druck gesetzt. In der Region Morelia im Osten von Chiapas versuchen Angehörige der »Unabhängigen Zentrale der Landarbeiter« (CIOAC), EZLN-Unterstützer von ihren Ländereien zu vertreiben. Teile dieser Organisation stehen der sozialdemokratischen Partei der Demokratischen Revolution (PRD) nahe, die den Gouverneur von Chiapas, Pablo Salazar, politisch unterstützt. In einem Kommuniqué erhob die EZLN Ende Oktober schwere Vorwürfe gegen die CIOAC. Deren Anführer würden »zur Besetzung der von den Zapatisten wiedergewonnenen Ländereien« aufrufen. Die Regierung zahle den Großgrundbesitzern eine Wiedergutmachung, während die CIOAC-Mitglieder neue Besitztitel zugestanden bekämen.

Onésimo Hidalgo, Soziologe und Mitarbeiter des Forschungszentrums CIEPAC, sieht in den Attacken eine »Reaktion der mexikanischen Eliten auf die neue politische Offensive der EZLN«. Im Juni dieses Jahres hatte die Organisation angekündigt, eine landesweite antikapitalistische und außerparlamentarische Linksallianz aufzubauen, »um das Land von unten zu erschüttern und auf den Kopf zu stellen«. Hidalgo befürchtet nun, daß die OPDDIC mit Unterstützung staatlicher Institutionen an Einfluß gewinnt. Im Gespräch mit junge Welt verwies er auf Aussagen von ehemaligen Polizisten, nach denen die OPDDIC mit Polizei und Militär zusammenarbeite.

Luz Kerkeling

Quelle: http://www.jungewelt.de/2005/11-11/006.php


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