Luis Hernández Navarro:

Die neue Regierungsprovokation gegen den Zapatismus


La Jornada vom 10.06.2008

Seit dem Aufstand in Januar 1994 haben die jeweiligen Regierungen versucht die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) mit dem Drogenhandel in Verbindung zu bringen. Keiner ist es jemals gelungen eine solche Verbindung nachzuweisen, aber sie versuchen es immer wieder.

Am 4. Juni 2008 wurde das gleiche alte Spiel noch einmal aufgezogen. Aber dieses Mal ist die Bedrohung größer als in der Vergangenheit. An diesem Tag drangen mehr als 200 Agenten der Bundesarmee, der Generalstaatsanwaltschaft, der Staats- und Bezirkspolizei, die Gesichter mit Tarnfarben beschmiert, in das zapatistische Gebiet von La Garrucha ein, unter dem Vorwand nach Marihuanafelder zu suchen. Hunderte Einwohner der Gemeinden Hermenegildo Galeana und San Alejandro wehrten sie mit Macheten, Stöcken und Schleudern ab.

Die zapatistischen Gemeinden verbieten den Anbau, Handel und Konsum von Drogen. Es ist dort noch nicht einmal erlaubt Alkohol zu trinken oder zu verkaufen. Das ist eine altbekannte Tatsache. Die Rebellenkommandanten haben dieses Gesetz seit Anbeginn des bewaffneten Aufstandes publik gemacht. Diese Maßnahme bleibt unter den zivilen Autoritäten der autonomen Bezirke und der Juntas der Guten Regierung weiterhin in Kraft. Das gleiche kann nicht von den PRIistischen Gemeinden gesagt werden, wo illegale Drogen mit der stillschweigenden Duldung der Polizei angebaut werden.

In einem Kommunique an den damaligen Präsidenten Ernesto Zedillo, vom 19. Februar 1995, ein Tag nach der Militäroffensive, die durch Verrat versuchte, Subcomandante Marcos gefangen zu nehmen, erklärten die Aufständischen: "Wir möchten Ihnen die Wahrheit sagen, falls Sie es noch nicht wissen sollten: die Kriminellen, Terroristen, Drogenhändler sind Sie selbst, die gleichen Leute, die Ihr Regierungskabinett bilden, Ihre eigenen Soldaten, die mit Drogen handeln, die indigene Campesinos zwingen, Marihuana und andere Rauschmittel anzubauen. Haben Sie das noch nicht mitgekriegt, Señor Zedillo? Wir Zapatisten allerdings schon, denn wir leben mit unserer Bevölkerung, der gleichen Bevölkerung, die den Drogenanbau und den Drogenhandel bekämpft hat, den Ihre eigenen Soldaten in den Gebieten, die wir kontrollieren, betrieben haben und es weiterhin tun".

Die unhaltbare Anschuldigung wurde Jahr für Jahr wiederholt. In 2004 schrieb die Tageszeitung Reforma, dass "Soldaten der mexikanischen Armee im Durchschnitt alle zwei Tage zapatistisches Gebiet betreten, um Marihuana- und Mohnfelder zu vernichten, deren Anzahl im vergangenen Jahr beträchtlich gestiegen ist". Nur wenige Tage später wies General Jorge Isaac Jiménez García, Kommandant der Militäroperationen in dieser Zone die Behauptung zurück, dass die Marijuanafelder EZLN-Sympathisanten gehören würden.

Die polizeilich-militärische Provokation gegen die Rebellen vom 4. Juni 2008 ist kein Einzelfall. Sie ist Teil einer lang andauernden Aggression. Die Zusetzungen der Regierung gegen die Aufständischen sind seit dem Regierungsantritt von Gouverneur Juan Sabines in 2006 nicht abgerissen.

Verschiedene regierungstreue Campesinogruppen versuchen sich das Land anzueignen, das von den zapatistischen Unterstützungsbasen seit 1994 besetzt und bearbeitet worden ist. Paramilitärische Gruppen wie die Organisation für die Verteidigung der Indigenen und Campesino Rechte (OPDDIC) setzen den autonomen Bezirke zu. Die Armee hat neue Stellungen bezogen, machte ihre Anwesenheit in der Region spürbar und führte ungewöhnliche Truppenbewegungen mit eindeutig einschüchterndem Charakter durch.

Jaime Martínez Veloz, Vertreter der Regierung von Chiapas in der Kommisison für Frieden und Versöhnung (COCOPA) hat die landwirtschaftliche Dimension der gegenwärtigen anti-zapatistischen Offensive mit sehr klaren Worten umschrieben. "Ich bin davon überzeugt," erklärte er gegenüber der Internationalen Zivilen Kommission für die Beobachtung der Menschenrechte (CCIODH), "dass die mexikanische Regierung, um Campesinos und Indigenas in der Zone gegen die EZLN aufzuhetzen, Landrechte an Menschen vergeben hat, die Land benötigten. Sie hat ihnen jedoch Ejido-Rechte auf das gleiche Land zugesprochen, das von den Zapatisten besetzt wird. Sie hat sie offensichtlich zu Ejidatarios ernannt, um einen Konflikt zu schüren. Im gleichen Gebiet gibt es nun jene, die das Land besetzen, und jene, die die Landrechte dafür haben. Dies geschah schon in den ersten Jahren, in ’95, ’96. Und die Folgen davon werden jetzt spürbar."

Seltsamerweise sind die Verantwortlichen für die Landwirtschafts- und Tourismuspolitik der Juan Sabines Regierung Leute wie Jorge Constantino Kanter, Vertreter der Großgrundbesitzer und Viehbarone, die vom zapatistischen Aufstand betroffen war, oder wie Roberto Albores Gleason, Sohn des ehemaligen Gouverneurs Roberto Albores, welcher unzählige Menschenrechtsverletzungen verübt hat.

Der Einsatz vom 4. Juni wurde an einem Ort ausgeführt, an dem sich nur kurz zuvor Subcomandante Marcos aufgehalten hatte. Scheinbar hat seine Anwesenheit in La Garrucha die Regierungsbehörden in Besorgnis versetzt. Der Sprecher der Rebellengruppe ist seit Monaten nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten, und sein Schweigen macht die Nachrichtendienste nervös. Aber die roten Flaggen, die vor der zunehmenden Unduldsamkeit der Regierung angesichts der friedlichen, zivilen Initiative der Rebellen warnen, wurden schon vor geraumer Zeit aufgezogen. Auf dem Weg zum Ersten Kontinentalen Treffen der Indigenen Völker von Amerika in Vicam, Sonora, vom 11.-14. Oktober 2007, hielten Polizei und militärische Wachposten den Geleitzug der zapatistischen Delegierten auf, und zwangen die indigenen Kommandanten, die am Ereignis teilnehmen sollten, nach Chiapas umzukehren.

Eine kürzlich durchgeführte Meinungsumfrage über die Regierung von Felipe Calderon zeigt, dass neben der breiten öffentlichen Unterstützung der Anti-Drogen-Kampagne, trotz der verstrichenen Jahre 26 % aller Befragten die Zapatisten weiterhin unterstützen. Eine nicht zu verachtende Prozentzahl, unter den gegenwärtigen Umständen.

Die neue Bemühung der Regierung, die EZLN als Komplizen des organisierten Verbrechen hinzustellen, versucht sich die Welle der Anti-Narco Empfindungen zunutze zu machen, um die gegenwärtig positive öffentliche Meinung von den Rebellen zu untergraben und ihnen einen repressiven Schlag zu versetzen. Ein entschiedener Schlag, der sich lange angebahnt hat. Hat die Regierung gerade wirklich so wenige ungelöste Konflikte zur Hand, dass sie einen wieder entfachen muss, den sie seit Jahren nicht zu lösen imstande gewesen ist.

Quelle: http://www.jornada.unam.mx/2008/06/10/index.php?section=opinion&article=023a1pol

übersetzt von Dana