Worte von Delegado Zero auf dem Treffen mit Anhängern der Anderen Kampagne von Mexicali, Baja California
Appell, den Völkermord an den indignen Kiliwas aufzuhalten


Worte von Delegado Zero auf dem Treffen mit Anhängern der Anderen Kampagne von Mexicali, Baja California 20. Oktober 2006

http://enlacezapatista.ezln.org.mx/la-otra-campana/520/

Wir möchten das Wort an Sie richten, um Sie zu bitten eine Arbeit auszuführen, und um mit Ihnen über etwas zu reden, das hier in Baja California passiert, ohne - Ihren Worten nach zu urteilen - von Ihnen wahrgenommen zu werden. Und es wundert mich, dass die Leute das nicht einmal sehen.

Wir möchten Sie bitten, sich als Anhänger der Otra Campaņa zu versammeln, in Ihren Kollektiven, in Ihren Gruppen, in Ihren Organisationen, und zu definieren - nicht in einer Versammlung, sondern in Ihrer eigenen Realität - was für eine Andere Kampagne Sie haben möchten. Und dass Sie sich dann, so wie Sie sich untereinander geeinigt und sich getroffen haben, um uns zu empfangen - wofür wir Ihnen vielmals danken -, dass Sie sich so auch organisieren damit alle Anhänger in Ihrer Zone konsultiert und gefragt werden, was für eine Andere Kampagne sie sich wünschen. Als Individuen, oder als Bürger - wie die Compaņera das sagte - oder als Mitglieder eines Kollektivs, einer Gruppe, Organisation, oder einer sozialen Gruppe.

Wir schlagen vor, dass wir die Zeit von jetzt bis Anfang Dezember dazu nutzen, damit jede einzelne Person über die sechs Punkte eine Entscheidung treffen kann. Und dann werden wir eine allgemeine Consulta im ganzen Land abhalten, nur mit den Anhängern, und können so unser Profil definieren.

Falls Sie beschließen diese Versammlung abzuhalten, wäre es gut, wenn die verschiedenen Anhänger, die sich in dieser organisatorischen Einheit zusammengeschlossen haben, wenn möglich, einige gemeinsame Aufgaben vereinbaren - wie es ein Compaņero hier gerade eben vorgeschlagen hat.

Sehen Sie, Compaņeros und Compaņeras, weniger als eine Stunde von hier gibt es eine indigene Gemeinde, die in kurzer Zeit völlig ausgelöscht sein wird. Und ich spreche nicht von den Cucapás, sondern von den Kiliwas.

Heute Morgen, bei unserer Ankunft für die große Versammlung mit den Compaņeros Rentnern und Pensionären der Eisenbahn, die uns hier empfangen haben, wurden die Compaņeros von der Sicherheit und der Karawane von einigen Reportern der Massenmedien angegriffen. Und laut den Nachrichten soll das so gewesen sein, dass die Mitglieder der Karawane sie angegriffen hätten. Sie [die Reporter] seien angegriffen worden, und haben sich bereits beim Gouverneur beklagt, und der hat gegen die Willkür protestiert, mit der diese Clowns, die da mit Marcos anreisen - das heißt, es gibt schon mehrere von uns - die Arbeit anderer nicht respektierten und die unschuldige Presse angreifen, die in erster Linie von den Fernsehsendern und einigen Radiosendern bezahlt wird. Aber, dass wir glücklicherweise morgen schon wieder abziehen.

Hier ist die schlechte Nachricht, wir werden nämlich zurückkehren. Und das Problem, Compaņeros, das wir hier in dieser Gemeinde gehört haben, die nur weniger als eine Stunde von Ihnen entfernt liegt, und die von keinem der Sprecher hier erwähnt wurde, ist, dass sie dabei ist, aus eigener Entscheidung zu verschwinden. Wir haben hier gehört, dass die Kiliwas einen Todespakt geschlossen haben. Und die Compaņera hier sprach zu uns von den 3000 oder 300.000 oder 30.000 illegalen Einwanderern, aber von den Kiliwas sind nur noch 54 übrig. Nicht einer mehr.

Eine Compaņera Cucapá, die mit uns redete, hat uns gesagt: "Wenn sie uns auslöschen, bleiben von uns noch immer zwei weitere Gruppen übrig, in Mexiko, in Sonora - in Reservaten, wie sie sagt - und eine in den Vereinigten Staaten. Aber von den Kiliwas sind nur noch sie auf der ganzen Welt übrig. Von diesen 54 sprechen nur noch fünf die Kiliwa-Sprache, die anderen nicht mehr. Und der Todespakt besteht darin, dass die Frauen vereinbart haben keine Kiliwas mehr auf die Welt zu bringen. Und wenn der letzte Kiliwa gestorben ist, wird das ganze Volk verschwunden sein.

Und das geschieht hier, ganz in der Nähe. Sie haben diese Entscheidung getroffen, weil das ihre Art ist, gegen den Landraub zu protestieren, den dieser Gouverneur betreibt, der sich darüber aufregt, dass wir ihn seit unserer Ankunft im Tal von San Quintín als einen Ganoven bezeichnet haben. Und der diesen als Polizisten getarnten Porros befohlen hat, unsere Compaņeros zu schlagen und sich dann als Angegriffene auszugeben.

Dieser Gouverneur tut das gleiche, was auch alle anderen Gouverneure der politischen Parteien tun, nämlich den indigenen Völkern das Land wegzunehmen. Sehen Sie, ich habe Ihnen allen zugehört. Wir arbeiten in zapatistischen indigenen Gemeinden in der anderen Ecke des Landes. Und ich insbesondere weiß, dass wenn ein indigenes Volk sagt, dass es etwas tun wird, sie das auch wirklich tun werden. Und wenn das Volk der Kiliwas diesen Todespakt vereinbart hat, werden sie ihn erfüllen.

Und ich weiß nicht, wie die Anarchisten und Libertären, die Kommunisten, die Sozialisten, die zivilen Zapatisten, in der Lage sein werden, damit zu leben. Ich weiß es nicht, weil ich Ihnen zugehört habe, und niemand hat sie erwähnt, obwohl Sie sie heute morgen gesehen haben. Und sie leben hier... wissen Sie, wie lange sie schon hier leben? Seit 9000 Jahren. Lange bevor es das anarchistische "A", oder die Sichel und den Hammer, oder den Sozialismus überhaupt gegeben hat. Und diese Menschen sind Opfer des neoliberalen Kapitalismus, von dem hier so viel gesprochen wurde.

Und wir haben mit den Cucapás geredet, die zu Verbrechern erklärt wurden, weil sie das tun, was sie seit 9000 Jahren getan haben, nämlich zu fischen. Und wenn sie in ihren Booten hinausziehen, um zu fischen, dürfen sie nur eine einzige Fischgattung fischen. Alle anderen Gattungen nicht. Wenn sie auf eine andere Fischgattung stoßen, Compaņeros, greifen die Panzerschiffe und Torpedoboote der Marine sie an, um sie zu versenken, wenn sie nicht anhalten. Und, wenn sie anhalten, nehmen sie ihnen die Boote und den Fang ab.

Und es gibt da eine Compaņera Cucapá, gegen die ein Haftbefehl ausgestellt wurde, wegen sieben Kilo Fisch. Und sie hat 30 ausstehende Haftbefehle, weil sie immer wieder hinausziehen muss, um zu fischen. Hier, nur 40 Minuten von Mexicali entfernt, ohne irgendeine Grenze zu überqueren. Und diese Leute haben Angst davor, was passieren wird, weil die Fischfangsaison nur von Ende Februar bis Mai dauert.

Und sie sehen die großen Schiffe der Fischereikonzerne, die fischen was sie wollen, ohne dass die Torpedoboote der mexikanischen Marine ihnen irgendetwas tun. Und wenn sie selbst mit ihren kleinen Boote zum Fischen hinausziehen müssen, um zu leben, um zu essen, werden sie jedes Mal ins Gefängnis geworfen, oder man nimmt ihnen die Sachen ab, oder sie müssen Geldstrafen zahlen, oder müssen den Beamten bestechen.

Dann, so erzählen sie, kam der Compaņero Alfonso und sagte: "Also, die Andere Kampagne kommt" oder ich weiß nicht was. Und sie sagten: "Sie sollen herkommen, denn vielleicht wird man uns dann sehen und uns zuhören".

Also sind die Compaņeros von der Karawane da hingegangen, und einige von Ihnen auch, und Alfonso war auch da. Und sie waren verzweifelt, weil sie das Gefühl hatten, dass das jetzt das letzte Boot war - da wir gerade von Booten und Fischen sprechen - und wenn dieses Boot abgefahren ist, ohne dass sich etwas ändert, dann werden sie als Kultur verschwinden.

Das heißt, ein ganzes Volk wird ermordet. Es wird auf der Welt keine Kiliwas mehr geben, weil es sie nirgendwo sonst auf dem ganzen Planeten gibt. Und die Cucapás haben sich schon damit abgefunden, dass sie verschwinden werden, aber sie haben die Hoffnung, dass andere von ihnen in Sonora, und in den Vereinigten Staaten bleiben. Bis auch ihnen das gleiche widerfährt.

Und dann man wird sie zu den Völkern und Kulturen hinzuzählen können, die bereits verschwunden sind. Aber - wie Sie das sagen - die Andere Kampagne soll es ja bereits schon geben. Und wie können wir uns vor diesen Menschen hinstellen und ihnen sagen, dass wir uns organisieren wollen, um die Welt zu verändern, wenn wir zulassen, dass dies hier geschieht, ganz in der Nähe.

Wir sind indigene Zapatisten, wir leben in der anderen Ecke des Landes. Wir werden mit ihnen dorthin gehen, um zu verhindern, dass dies geschieht. Wir werden in der Fischfangsaison kommen. Und wir werden hier in ihrer Gemeinde ein Camp aufschlagen, und wir werden Brigaden bilden, um sie beim Fischen zu begleiten. Und wenn sie sie verhaften, werden sie uns mitverhaften müssen. Ich hoffe, dass die Otra in Mexicali, und die Otra in Baja California uns begleiten wird. Und dass uns die Otra auf der Anderen Seite (*) auch begleiten wird. Aber wenn Sie nicht darüber sprechen, und sie sie nicht sehen, wer soll denn sonst sprechen und sie sehen.

Denn all diese Journalisten, die gejammert haben, dass Sie sie geschlagen hätten, wo wir doch alle wissen und gesehen haben, dass sie die Angreifer waren, die sehen sie natürlich nicht. Mehr noch, sie werden dafür bezahlt sie nicht zu sehen, damit sie es verschweigen. Damit der Gouverneur weiterhin sagen kann, dass in Baja California alle Leute zur PAN gehören und gut leben und nichts von alldem passiert, was wir gesehen haben.

Aber die Andere Kampagne bezahlen sie nicht und es ist ihre Pflicht, gegen diese Ungerechtigkeiten zu kämpfen. Ich möchte hier ein Aufruf machen. Wir haben einiges in der Otra Campaņa gelernt und wissen, dass die Anarchisten und Libertären sich mit jeder Bewegung gegen Ungerechtigkeiten verbrüdern und solidarisieren. Ich rufe sie auf, dieses "A" zu ehren und ihren Compaņeros zu Hilfe zu eilen. Und lassen Sie uns zusammen, Ende Februar bis Mai zu ihnen gehen, um gemeinsam mit ihnen zu kämpfen.

Und ich rufe jene auf, die zum Hammer und Sichel der Partei der Kommunisten gehören, ihrer Verpflichtung gegenüber den sozialen Anliegen nachzukommen und das gleiche zu tun. Und auch die Sozialisten. Und die zivilen Zapatisten. Und jene, die keiner anderen Bewegung folgen, außer ihrem eigenen Gewissen und ihrer eigenen Empörung, hierher zu kommen. Dieser Völkermord findet nicht in Chiapas statt, sondern hier, in Baja Califonia, gegen ein indigenes Volk, dass dieses Land mitgestaltet hat.

Wenn es hier Chicanos und mexikanische Compaņeros und Compaņeras von der Anderen Kampagne auf der Anderen Seite gibt, organisieren wir uns ebenfalls und kommen zuhauf. Bilden wir hier ein Schutzschild. Uns wurde erzählt, dass ein Angehöriger der mexikanischen Marine einer indigenen Cucapá - die sich weigerte ihnen ihr Boot zu übergeben - die Mündung seiner Waffe gegen den schwangeren Bauch drückte. Das heißt, dieser /m indigenen Cucapá - wir wissen nicht, ob es ein Mann oder eine Frau sein wird ... eine Frau, weil sie mich ihr schon vorgestellt haben - wurde schon vor seiner Geburt eine Waffe der glorreichen mexikanischen Armee an den Kopf gehalten, bevor er/sie überhaupt zur Welt gekommen ist. Und hier wird das mit keinem Wort erwähnt.

Und wenn es hier nicht erwähnt wird, wer wird es dann tun? Wenn Sie diese Stimme oder dieses Bild nicht erheben, das die Massenmedien nicht beachten, wer wird es dann tun?

Wir denken, wenn wir die Andere Kampagne davon überzeugen können, unser Profil bereits im Dezember zu definieren und im Januar schon unsere Erklärung machen zu können - nicht mehr die Sechste Erklärung, sondern die Erste Erklärung der Anderen Kampagne - werden wir im Februar - Ende Februar - schon in der Lage sein zu kommen und längere Zeit bei Ihnen zu bleiben. Nicht nur ein oder zwei Tage, oder ein paar Stunden, sondern eine lange Zeit mit Ihnen zu verbringen.

Unsere Idee war es, im Südosten anzufangen, weil die Reise dort losging. Aber jetzt sehen wir, dass wir in der entgegengesetzten Ecke anfangen müssen. Das heißt, in Baja Norte oder Baja California, wie Sie das sagen. Und wir werden mit diesem indigenen Volk anfangen, mit den Kiliwas zu sprechen und ihnen zu sagen, was auf den Protestmärschen und bei den Treffen gerufen und auf Plakate geschrieben wird, um ihnen zu zeigen, dass sie nicht allein sind.

Und dass es sich nicht lohnt, so zu sterben, wenn man kämpfend sterben kann. Weil es hier darüber hinaus nicht um den Tod eines einzelnen Menschen geht, sondern um den Tod einer ganzen Kultur. Wenn wir das nicht tun, wie werden wir es uns dann erlauben können, den Gouverneur oder die PAN, oder Calderón, oder Bush zu kritisieren, wenn wir das gleiche tun wie sie, aber aus Unterlassung.

Wir bitten Sie also, nächste Woche oder wann Sie sich treffen werden, zu diesen Aufgaben ein Beschluss zu fassen, und, wenn möglich, den Plan zu entwerfen, wie dies organisiert werden kann. Denn als die Andere Kampagne, die dieser Zone am nächsten ist, werden sie wohl das Los ziehen. Und es wäre sehr schade, dass die Otra in Mexicali auf einer anderen Wellenlänge ist, während die ganze Welt sich 40 Minuten von hier entfernt organisiert.

Denn wir werden Menschen auf der ganzen Welt dazu einladen, herzukommen um diesen Völkermord zu verhindern. Ethnozid wird dies genannt, weil man uns als ethnische Gruppen bezeichnet, aber wir sind Völker. Hier wird ein Volk vernichtet. Und damit die Kiliwas und die Cucapás von Baja California sagen können: irgendjemand muss etwas unternommen haben, denn das was Gestern unvermeidlich schien, ist nicht eingetreten. Das heißt, bevor die Andere Kampagne gekommen ist, um sie zu sehen und ihnen zuzuhören.

Das ist es, was wir Ihnen sagen wollten, Compaņeros und Compaņeras. Wir danken Ihnen aufrichtig für Ihr Wort. Wir denken, dass es uns an vielen anderen Orten in groben Zügen einen Eindruck davon vermitteln kann, was hier geschieht. Wir hoffen, dass die Compaņeros, die in Chiapas, in Quintana Roo, in Yucatán, in Veracruz, und in anderen Teilen der Republik gegen die hohen Strompreise Widerstand leisten, sie hören und sich mit ihnen in Verbindung setzen, um zu versuchen eine landesweite Bewegung zu bilden.

Aber was auch immer passiert, wir werden Ende Februar, Anfang März hierher zurückkehren, und in dieser Gemeinde, im Delta des Rio Colorado bleiben, um zu versuchen, eine Lebensweise zu verteidigen, also das, worum es in der Anderen Kampagne letzten Endes geht: das Leben zu verteidigen, statt den Tod zu erklären. Ich danke Ihnen Compaņeros und Compaņeras.

* * *

(übs. von Dana)

*) Die Andere auf der Anderen Seite (La Otra en la Otra Lada): die Anhänger der Anderen Kampagne jenseits der mexikanischen Grenze, mexikanische MigrantInnen in den Vereinigten Staaten, die sich in der Anderen Kampagne organisieren.