Worte von Delegado Zero in der UAM-Xochimilco, 28. Juni.

Lernen, "wir" zu sagen


Worte von Delegado Zero für den runden Tisch "DIE ANDERE KAMPAGNE", am 28. Juni 2006, in der UAM-Xochimilco

Für den allgemeinen Rahmen, welcher der Anderen Kampagne Sinn und Richtung verleiht, muss man sich der Sechsten Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald zuwenden. Darin sind die Basisdefinitionen enthalten, in welchen Zehntausende Mexikaner/innen eingewilligt haben, die sich der Bemühung eine landesweite Bewegung aufzubauen angeschlossen haben.

Einigen mag es vielleicht übertrieben scheinen, von zehntausenden Befürwortern zu sprechen. Tatsächlich ist diese Zahl noch sehr zurückhaltend. Wenn man berücksichtigt, dass zu unserer Bewegung mehr als 1000 politische und soziale Organisationen, NGO, indigene Völker, Gruppen und Kollektive gehören, könnte man von mindestens mehr als 10,000 Befürworter sprechen, und das auch nur wenn man mit einem Durchschnitt von nur 10 Compas pro Gruppe oder Organisation rechnet (obwohl wir in der EZLN schon ein wenig mehr sind).

Zusätzlich dazu hält die Andere Kampagne eine organisierte Präsenz in allen 32 Bundesstaaten Mexikos. Das ist nicht wenig. Es ist eine Sache überall Präsenz und Sympathien zu haben, aber es ist etwas völlig anderes eine organisierte Präsenz zu haben, das heißt, in der Lage zu sein für ein gemeinsames Ziel zu organisieren, einzuberufen und zu mobilisieren. Die Organisation, die nicht nur auf der Durchreise der Sechsten Kommission durch 21 Bundesstaaten offensichtlich wurde, sondern sich vor allem in den Aktionen manifestiert, die seit dem 4. Mai dieses Jahres in Solidarität und zur Unterstützung unserer Compaņer@s Gefangene von Atenco realisiert worden sind.

Vor einigen Tage stellte ein linker Militanter, der nicht zu den Unterstützern gehört, die organisatorische Realität der Otra in Frage. Dazu muss man verstehen, dass es keiner anderen linken Bewegung in Mexiko jemals zuvor gelungen ist, so viel in so kurzer Zeit, und gegen so viele Widrigkeiten zu erreichen.

Uns Zapatisten interessiert es nicht allzu sehr, ob das von jenen anerkannt wird oder nicht, die uns zwar von der gleichen Seite aus, aber von außerhalb betrachten. Wir haben auch kein Interesse daran unseren Compas in der Otra oder uns selbst irgendetwas vorzumachen. Das ist kein realitätsfremdes Wunschdenken von dem wir hier reden. Irgendjemand bei irgendeinem bundesstaatlichen Treffen deutete an, dass Delegado Zero nur deshalb von einer landesweiten Organisation sprechen könne, weil er sich auf die "aufgebauschten" (seine Worte) Informationen der verschiedenen Koordinationen oder Kommissionen der Otra im ganzen Land verlässt. Wir vertrauen unseren Compas aus der Otra, und haben keinen Grund ihnen nicht zu trauen. Und außerdem nehmen wir nicht nur Bezug auf die Informationen, die wir von den Koordinationen und Kommissionen erhalten, sondern auch auf die Berichte, die in den lokalen Kommunikationsmedien erscheinen, und in der unschätzbaren, beharrlichen Arbeit der alte rnativen Medien, die der Otra angehören oder mit ihr sympathisieren.

Falls es nicht gelungen ist ein nationales Hologramm zu erschaffen, das uns alle täuscht, alle Menschen die in allen Bundesstaaten Mexikos leben, arbeiten und organisiert kämpfen, und sich nicht damit abfinden, was in den Massenmedien vorgeht, und die sich bemühen das untere Mexiko zu sehen und zu hören, haben wir in der Anderen Kampagne eine landesweite Organisation.

Zu diesem Thema, bezüglich was in den Massenmedien gezeigt wird und somit existiert, während das was nicht gezeigt wird nicht existiert, reicht heute das Beispiel von Oaxaca. Noch wenige Tage bevor es in diesem Bundesstaat zu der Explosion der sozialen Bewegung kam, und nicht nur die der Lehrer, wurden weder die Lehrerbewegung noch der Bundesstaat Oaxaca erwähnt, weder in den Nachrichten, noch in den politischen Kolumnen. Überall gab es nur Wahlen und Fußball. Und dennoch geschah was geschehen ist, und geschieht was geschieht.

Die Bewegungen von unten sind in der Realität von oben nicht zu sehen, bis sie dort eben in Erscheinung treten. Das gilt auch für die Otra. Wer nach uns in der Medienwirksamkeit sucht, wird uns dort nicht finden. Wer unten sucht und in den alternativen Medien, wird auf eine Bewegung stoßen, die sich gerade bildet und wächst.

Das soll nicht heißen, wir hätten keine Fehler, Probleme, Ausrutscher, Abstürze und Tiefpunkte. Unsere Arbeit als Sechste Kommission ist es nicht, das was wir sehen zu ignorieren. Als Einberufende haben die Zapatisten nun diese Arbeit und das Privileg, als Referenz- und Verbindungspunkt zu vielen Companer@s zu fungieren, wenn nicht sogar mit der Mehrheit der Unterstützern.

Während unserer Rundreise durch 21 Bundesstaaten, die wir in diesen sechs Monaten besucht haben, wurde die Otra an den Großteil der verschiedenen organisatorischen Arbeitseinheiten übergeben, die sich gebildet haben, und die uns durch ihre Taten, nicht durch die Berichte, bewiesen haben, dass sie existieren, real sind, dass sie arbeiten, aufrufen, organisieren und kämpfen.

Das was wir die Andere Kampagne nennen ist in den Staaten, Regionen und Subregionen, bereits über die Beitrittsphase hinaus, und dazu übergegangen ihre Aktivitäten zu definieren und zu realisieren. In der Zweiten Vollversammlung der Unterstützer, die vom 30. Juni bis zum 1. Juli stattfinden wird, werden wir wahrscheinlich alle in Erfahrung bringen können, welche Fortschritte oder Rückschritte, wenn es welche gab, die Otra an jeden Ort und auf Landesebene gemacht hat.

Aber wie hat diese Bewegung begonnen? Und vor allem, wie konnte sie unter so widrigen Bedingungen organisiert handlungsfähig bleiben? Hier sind einige Antwortversuche:



I. DER ANFANGSPUNKT: DIE SECHSTE ERKLÄRUNG AUS DEM LAKANDONISCHEN URWALD - Die grundsätzlichen Definitionen.

.- Eine andere Form Politik zu betreiben.

Die traditionelle Politik beruht darauf, dass eine Gruppe ihre Prinzipien, ihre Reglementierungen oder Statuten, ihren Programm und ihren Aktionsplan festlegt. Einige legen das sogar schriftlich nieder, auch wenn sie das, wie im Fall der PRD, nur auf Toilettenpapier tun.

Danach widmen sie sich der Rekrutierung oder Heranbildung von Militanten. Es geht hier nicht darum zu urteilen, ob das gut oder schlecht ist. Auf diese Weise wird es und wurde es schon immer gemacht, es gab Erfolge und Fehlschläge. Aber die Andere Kampagne ist diesem Weg nicht gefolgt. Die Otra legte lediglich einige Parameter fest, einige minimale Einigungspunkte (auf die ich gleich näher eingehen werde), darunter auch der, dass alle weitere Definitionen aus der Analyse, Diskussion und Einigung derjenigen hervorgehen muss, die diese Bewegung bilden. Daher hat sie auch noch keine Reglementierungen oder Statute, weder ein festes Programm noch ein Aktionsplan. Die Prinzipien entwickeln sich in den sechs Punkten, die im ganzen Land diskutiert werden: Prinzipien, Merkmale, Struktur, spezifische Bereiche, Allianzpolitik und unmittelbare Aufgaben. Natürlich werden im Verlauf der Entwicklung dieser Definition einige Gruppen und Personen gehen, und andere werden sich anschließen.

Obwohl man denken sollte, dass sich eine Bewegung, die mit so wenigen festen Identitätspunkten begonnen hat, sehr langsam entwickeln müsste, ist dies bei der Otra nicht der Fall gewesen. Wir glauben das dies daran liegen könnte, dass diese wenige feste Punkte ausschlaggebend sind, und sich auf das beste aus der Vergangenheit und Gegenwart des sozialen Kampfes in Mexiko berufen: Das heißt:

.- Der eigene Platz und die eigene Geschichte.

Die Sechste Erklärung geht von der Definition aus, wer wir sind und wo wir und befinden. Jeder und jede einzelne, an jeden Ort, zählen auf und berichten wer sie sind und wo sie sich befinden. Die Otra ist in ihrer ersten Etappe so etwas wie ein Namensaufruf, damit wir einander zuhören. Ein gegenseitiges Kennenlernen, das über den einer Mobilisierung hinausgeht. Es geht nicht darum einer Bewegung zahlenmäßig anzugehören, sondern um eine qualitative Zugehörigkeit. Hier in der Otra, soll jede/r so ein wie sie sind, auf ihre eigene Art, unter ihrem eigenen Anliegen, mit ihrem eigenen Gesicht, Stimme und Geschichte.

Aber dieser Namensaufruf richtet sich nicht an das ganze Land, noch nicht einmal an das ganze untere Mexiko. Nicht alle sind aufgerufen. Es gibt gemeinsame Definitionen, die zwischen diesen verschiedenen Geschichten, die sich voneinander in Zeit und Raum absetzen, die Brücken bilden. Diese Definitionen sind:

-. Antikapitalistisch und links.

Das ist leicht gesagt, repräsentiert aber in diesen Zeiten der verkleideten Kapitulation an Reife und Vernunft, eine wahre Herausforderung an das System. Und das gerade jetzt, wenn der Kapitalismus allmächtiger und allgegenwärtiger scheint denn je, und die radikale linke Bewegung ausgestorben zu sein scheint.

Wir gehen von einer bestimmten Auffassung der nationalen und weltweiten Realität aus. Es gibt da ein System, das kapitalistische, dass sich durch vier Achsen definiert: Raub, Ausbeutung, Verachtung und Repression. Diese vier Elemente sind Teil seines Ursprungs und Vorbedingung seiner Entwicklung. Wir sind nicht alle gleich, und wir sind nicht alle frei. Es gibt Menschen, die alles besitzen, und Menschen, die gar nichts haben, und die ersten besitzen auf Kosten der zweiten. Sein fester und grundsätzlicher Kern beruht auf die Existenz des privaten Besitzes der Produktionsmittel, die sich in den Händen einiger wenigen befinden, die Geld haben, das heißt, die Kapitalisten oder Bourgeoise; und auf die Existenz derjenigen, die nichts anderes besitzen als ihre körperliche und intellektuelle Fähigkeit zu arbeiten, ihre Arbeitskraft, die Arbeiter und Arbeiterinnen auf dem Land und in der Stadt; und auf die Beziehung, die zwischen den einen und den anderen besteht: eine Beziehung der Herrschaft. Nicht nur der Ausbeutung, aber vor allem der Ausbeutung.

Eduaro Galeano, dieser "Fährtenleser" der offenen Adern Lateinamerikas berichtet uns: "Der Pionier. Die Großen Erfindungen der Menschheit: Niemand weiß, wer das Rad erfunden hat, welches Karren und Maschinen zum Laufen bring, aber wir wissen wer das Rad erfunden hat, das die Wirtschaft zum Laufen bringt. Es war Marcus Licinius Crassus, geboren 115 v. Chr. Er fand heraus, dass der Markt vom gegenseitigen Impuls zwischen Angebot und Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen abhängig ist. Um dieses wirtschaftliche Gesetz in die Praxis umzusetzen, gründete er in Rom ein Unternehmen. So wurde das erste private Feuerwehrunternehmen gegründet. Es war ein großer Erfolg. Don Marcus Licinius legte die Brände und stellte dann deren Löschung in Rechnung." (Eduardo Galeano, Bocas del Tiempo, S.255).

Dieses System generiert viel Reichtum, konzentriert ihn aber in wenige Hände.

Er ist verantwortlich für den Raub und die Enteignungen auf dem Land und in der Stadt, für die niedrigen Gehälter und die hohen Preise, für die Landwirtschaftskrise, für den Mangel an würdigen Wohnungen und Sozialdienste, für den Schulmangel, die fehlende ärztliche Versorgung, die schlechte Ernährung, die Auslandsschulden, die Sozialkonflikte, die Kriege, die fehlende Gerechtigkeit, für den Autoritarismus, für den Rassismus gegen die Indigenas, für die Gewalt gegen Frauen, die Verachtung gegen Alte, für die Ablehnung und die Feindseligkeit gegen Homosexuelle, Lesben und Transsexuelle, für die Kriminalisierung der Jugend, für den Mangel an wahre Freiheit, für die manipulierte und betrügerische Information, für die Zerstörung der Kultur und der Geschichte.

Kurzum, das kapitalistische System ist verantwortlich für das Elend des überwiegenden Teils der Bevölkerung unseres Landes. Und auf der ganzen Welt, den der Kapitalismus ist das herrschende System auf den gesamten Planeten.

Diese Charakterisierung beruht nicht auf eine Überzeugung oder eine mehr oder weniger ausgeklügelten Intuition. Sie ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Analyse der historischen Wirklichkeit.

Das bedeutet es antikapitalistisch zu sein. Und links zu sein heißt, über diese Charakterisierung hinauszugehen, das heißt, für die Veränderung dieses Systems zu kämpfen.

Sicher sagen einige, dass man auch links sein kann ohne antikapitalistisch zu sein. Dass die progressiven Bewegungen oder Personen, die gegen die Exzesse und Willkürlichkeiten des Kapitalismus kämpfen auch links sind. Das kann ja stimmen, aber deshalb stellt die Sechste Erklärung ja nicht nur die Anforderung links zu sein, sondern auch antikapitalistisch. Das hießt nicht nur die Exzesse zu mildern, die Kanten zu schleifen, oder das Humanitäre in dem antihumanitären System schlechthin zu suchen.

Es geht darum ihn zu vernichten. Und "etwas anderes" zu tun:

.- Zuhören. Etwas, das die traditionelle Politik definiert ist, dass einer spricht und die anderen zuhören. Sie stimmen zu oder nicht, aber sie hören zu.. In der Otra geht es darum diese Beziehung umzudrehen, dem anderen zuzuhören, seiner Geschichte und seinem Kampf. So lernt man die Identität des anderen, der anderen kennen, und begründet so eine Beziehung des Respekts. Das Zuhören bestätigt die Identität des Sprechers, und bekundet Respekt für den anderen.

Durch das Zuhören wird die Landkarte der landesweiten Widerstandbewegung neu gezeichnet und neue Möglichkeiten gesetzt. Ein linker Militanter, der Mitglied der Karawane war, drückte es, mit mehr oder weniger Worten, so aus: "es ist eine Sache die nationale Realität aus Statistiken zu können, Publikationen und Analysen, und etwas ganz andere ist es sie zu sehen und zu hören, in der eigenen Stimme und Wirklichkeit derer von unten".

Das Wissen, das man aus diesem kollektiven Hören bezieht, lässt uns wissen, dass wir nicht alleine sind, weder im Widerstand, noch im Kampf, noch in den Problemen, noch in den Hoffnungen.

Was die Otra mit einem Hören begonnen hat, ist eine ihrer innovativsten, kreativsten, einfallsreichsten und subversivsten Definitionen, auch innerhalb der gleichen linken Tradition weltweit:

.- Das Nationale Kampfprogramm.

Was wollen wir, und wie werden wir es erreichen? Diese Fragen können in verschiedene Zeiten und Räume beantwortet werden. Normalerweise geschieht das am Anfang einer neuen Organisation oder Bewegung, und zwar im Raum der Initiatoren.

Die Otra hat beschlossen diese Antwort im Verlauf ihrer Entwicklung zu errichten, und in dem Raum jener die sie bilden und an die sie sich richtet.

Die Otra hat beschlossen dies unten, gemeinsam mit jenen von unten zu beantworten, nicht oben mit denen von oben. Und nicht nur in einer sozialen Position, sondern auch in einer Position, die nicht die führende ist oder die Anweisungen gibt. Die Antwort wird überall getroffen, nicht nur von einem einzelnen, oder in einem einzigen Sektor. Es wird nicht in einem bestimmten Raum entschieden, und von dort aus den anderen nach unten verkündet, sondern der Raum in dem die Antworten entschieden werden ist die gesamte Bewegung.

.- Von unten.

Wir entscheiden uns nach unten zu blicken, zu sprechen und zuzuhören, nicht zur Macht, oder zu denjenigen, die sich um sie versammeln. Mit dieser Definition distanzieren wir uns von der traditionellen Politik. Anstatt sich zu mobilisieren um in erster Linie den Dialog mit der Macht zu erwirken, wird eine radikale Veränderung der Beziehung zur Macht angestrebt.

.- Zivil und friedlich.

Das bedarf keiner weiteren Erklärung. Aber es soll gerade aus dem Grund hervorgehoben werden, weil es sich bei den Einberufenden um eine politisch-militärische Organisation handelt. Ich mache nur auf den paradoxen Fakt aufmerksam, dass eine hierarchische und autoritäre Organisation zu einer Bewegung aufruft, die ihr genauer Widerspruch darstellt.

.- Die Teile und das Ganze?

Man muss verstehen, dass die Merkmale, Prinzipien, Strukturen, Kampfweisen, Allianzpolitik und Ziele derer, die sich der Sechsten Erklärung anschließen und der Otra beitreten eine Sache sind, und jene, welche die OTRA selbst definieren, etwas völlig anderes.

.- Die Errichtung und Verteidigung von Räumen.

In der Otra ist nichts gegeben. Wir müssen nicht nur dafür kämpfen, uns ein eigenes Gesicht, eine eigene Stimme und ein eigener Weg zu geben. Wir müssen auch kämpfen, um die Räume der Identitäten zu errichten und zu verteidigen, die normalerweise in den Projekten der Linken ausradiert, oder verachtet oder untergeordnet werden, nicht nur in Mexiko sondern auf der ganzen Welt. Um nur einige davon zu nennen (es gibt sicher viele andere, denn dies ist eine Bewegung, die dazu verurteilt ist zu wachsen):

- Indigene Völker - Frauen - Jugendliche - Andere Lieben - Kinder - Alte

.- Das Disput um die Hegemonie des Ganzen und der einzelnen Räume.

Die Otra soll (und nach unseren Analyse ist sie es) ein Raum der Analyse, der Diskussion und der Debatte sein. Es ist nur natürlich, dass die Ideen die hier zusammenkommen und einen Raum finden um sich auszudrücken, versuchen die Mehrheit zu überzeugen und hegemonisch zu konvertieren.

Aber wir denken, dass dabei vor allen Dingen die räsonierte Exposition der Argumente, ihr aufmerksames und respektvolles Zuhören, und die reiche und kreative Debatte dieser Argumente herrschen sollte. Es geht unserer Meinung nach nicht darum den anderen zu besiegen, sondern die Standpunkte durch verbündete Kampfweisen zu bereichern.

Ein Beispiel ist der Kampf für den Sozialismus. Der Sozialismus ist nicht der einzige Antikapitalismus der Linken. In der Otra gibt es auch noch mindestens den Anarchismus und die libertäre Bewegung. Jene, die sagen, dass die Otra sich insgesamt als sozialistisch definieren müsste, verbergen nicht nur diese Tatsache, sondern auch, dass es ihr spezieller Sozialismus sein muss, der angenommen werden muss (und damit die Differenzen übergehend, die zwischen denen bestehen, die dies fordern). Und grundsätzlich wird dabei vergessen, dass diese Definition unserer Meinung nach beansprucht, von unten zu kommen, durch politische Arbeit, Analyse, Diskussion, Organisation, Definition. Wir haben noch nie gesehen, dass die Anarchisten und Libertären den Anspruch erhoben hätten, dass ihre Überzeugung die ganze Otra definieren sollte.

Wir alle haben in der Otra einen Raum für unsere Denkweisen und Anwendungen gefunden. Und wir gehen davon aus, dass wir auch dabei bleiben werden, solange sie nicht aufhört das zu sein was sie ist, das heißt ein Raum der Zusammenkunft um das kapitalistische System zu konfrontieren.

.- Die Homogenisierung des Ganzen und der Räume.

In den Arbeitsmethoden, den Organisationsformen, in allen Arten Entscheidungen zu treffen und sie zu erfüllen, in den Analysen, der Diskussion und der Erzielung von Beschlüsse, neigt man dazu eine Homogenisierung anzustreben. Dass es Versammlungen geben soll, Consultas, Delegationen, Repräsentation.

Wir gaben gemerkt, dass die Dinge besser laufen, wenn jeder sie auf seine eigene Weise macht, und dass die Otra die Zustimmung aller braucht, die sie bilden, zumindest in den grundsätzlichen Fragen.

.- Die Otra als Schule: die Lehrer und die Schüler.

Wenn die sechste Erklärung in ihrer ursprünglichen Motivation die Bereitschaft der Zapatisten und Zapatistinnen erklärte, die Materie der Würde erneut studieren zu wollen, aber auf nationaler Ebene, erlaubt uns die Entwicklung der Otra, und zwar nicht nur was die Reise der Sechsten Kommission anbetrifft, zu sagen, dass wir bereits Schule und Lehrer haben. Dass es sich dabei um die besten handelt, die irgendeine ehrliche und noble Bewegung nur haben kann: die indigenen Völker, die politischen linken Organisationen, die soziale Bewegung, die NGO, die Kollektiven und Gruppen, die Familien und Einzelpersonen, von unten und links, und um den bestmöglichen Raum: der Himmel und der Boden unseres Landes.



II. DIE GEGENWINDE.-

Seit der Veröffentlichung der Sechsten Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald bis heute, ist unsere Bewegung (und mit "unsere" meine ich die Zugehörigkeit aller Befürworter) gegen widrige Kräfte angetreten. Ich werde diese hier nicht ausführen, da hier nicht der Ort für eine tiefere Analyse ist, daher werde ich sie nur aufzählen:

Der obere Wahlprozess.

Das Schweigen oder die schlechte Information der großen Massenmedien.

Die Verunglimpfung, Verachtung, Feindseligkeit und Verleumdung des meisten progressiven Intellektuellen in Mexiko.

Unsere eigenen Schwierigkeiten eine Bewegung bekannt zu machen und zu erklären, die immer noch dabei ist sich zu definieren.

Die Organisationsformen und Gruppen der nationalen Linken.

Und das natürliche und verständliche Mistrauen unserer Bevölkerung.

Ich weise darauf hin, dass die Kombination all dieser Gegenkräfte jede andere Bewegung behindert oder bereits aufgelöst hätte, aber das ist nicht mit der Otra gelungen. Unter anderem aus dem einfachen Grund, dass ihre Angehörigen im ganzen Land, bereits darin erfahren sind, gegen alle Widrigkeiten zu kämpfen.

Weil wir die Dinge aus eigenem Antrieb so machen, weil es unsere Art, weil wir sind wer wir sind, und weil stehen wo wir stehen: unten und links.

Weil wir ein Murmeln sind, der an Weite, Tiefe, Ton und Lautstärke gewinnt.

Weil wir die Otra sind, das Beste, das dieses Land seit langer Zeit hervorgebracht hat.



III. DIE HERAUSFORDEUNGEN, DIE KOMMEN, ODER DIE SCHRITTE UM ZU ANZUKOMMEN.

Anders als man annehmen könnte, hat das nichts mit der Frage der Wahlen zu tun. Die wird in einigen Tagen vom Horizont völlig verschwunden sein. Das worüber wir reden, sind Herausforderungen auf längere Sicht.

Ich lege sie hier synthetisch dar, unter dem Verständnis, dass es sich dabei um jene handelt, die wir Zapatisten wahrnehmen, und dass es sicher viele andere gibt, die wahrzunehmen und anzugeben sind:

- Die verallgemeinernde Art, in der sich einige wenige versammeln, sich besprechen und auch gegenseitig zuhören. Mit diesem Spiegel generalisieren sie. Bald heißt es dann "die Leute sagen dies, oder denken das". Das heißt, wie wir das sagen, es wird viel Getöse mit wenigen Musikern gemacht. Zum Beispiel: "Die Leute sagen, es sei ein Fehler am 2. Juli zu demonstrieren", oder "die Leute sagen, man müsse Wahlkästen abfackeln", um nur zwei widersprüchliche Beispiele dafür zu nennen, denen man den Sinn von "Leute" anmaßt.

- Das Lokale und das Nationale. - Nicht nur die Verbindung zwischen ihnen, sondern auch der Raum und die Bedeutung von beiden. Die Spannungslinien auf lokaler Ebene beibehalten und auf nationaler weiterführen.

- Das Spezifische und das Allgemeine. - Damit sind die definierende Horizonte und die Ziele und Bestrebungen gemeint, die auf unserem Weg aufkommen werden.

- Analyse, Diskussion und Entscheidungsfindung. - Die Andere sucht immer noch nach der richtigen Art und die Räume um diese Fragen zu behandeln. Wir denken, dass sie vielleicht je nach Situation und Ort unterschiedlich sein werden, aber es muss immer die Beteiligung aller Teilnehmer der Otra gesucht werden.

- Die andere Kultur, die andere Kunst und die andere Kommunikation, sind fundamentale Herausforderung, die kein Verfallsdatum haben.

- Die Routen der Anderen: der Kalender von oben und unten. - Die politische Klasse, die Massenmedien und die Macht als ganzes werden uns immer wieder "Konjunkturen" vorsetzen, und "Definitionen" fordern, die jene von oben angehen und interessieren. Die Otra muss ihren eigenen Kalender konstruieren, der Almanach von unten, der ihrer eigenen Logik, Schritt und Ziele folgt.

- Die Gefangenen von Atenco und im ganzen Land. Vor einigen Tagen erklärte das kameraverliebte Gorillchen, Wilifreo Robledo, seine Polizisten wären mit der Brutalität derer sie sich schuldig gemacht haben vorgegangen, weil sie "Opfer von Stress waren". Ein dermaßen großer Blödsinn verdient kein Kommentar seitens der Progressiven, die versprechen das zu tun, was sie die ganze Zeit zuvor noch nie getan haben: die Vorschläge des "weniger schlechten" Kandidaten kritisch gegenüberzustehen.

Die Erklärungen des militärischen Inszenators in Radio, Presse und Fernsehen, rufen eine andere Geschichte in Erinnerung: "In 1921 riefen die patagonischen Landarbeiter den Streik aus. Die Besitzer der Anwesen riefen den britischen Botschafter, der den argentinischen Präsidenten rief, der die Armee rief. Mit Gewehrschüsse schlug die Armee den Streik nieder und die Streikenden auch. Die Landarbeiter wurden in Massengräber auf den Anwesen geworfen, und als es Scherzeit war, wusste niemand wie man die Schafe, die noch am Leben waren scheren sollte. Hauptmann Pedro Viņas Ibarra leitete den Einsatz auf einem der Anwesen. Ein halbes Jahrhundert später, als der Hauptmann bereits ein pensionierter Oberst war, unterhielt sich Osvaldo Bayer mit ihm. Er kriegte die offizielle Geschichte zu hören. "Oh, ja," erinnerte sich der Offizier "das Anita Anwesen. Diese Schlacht." Bayer wollte wissen, wieso diese Schlacht mit 600 tote Landarbeiter und keinen einzigen toten, verwundeten ode r auch nur verletzten Soldaten geendet hatte. Und der bewaffnete Arm der Ordnung erklärte liebenswürdig: "Der Wind. Wir standen in Windrichtung. Deshalb flogen unsere Kugeln gerade. Ihre Schüsse gegen den Wind trafen alle daneben." (ibid. S. 251)

Die Otra muss nicht nur weiterhin die Freiheit und Gerechtigkeit für die Gefangenen von Atenco fordern, sondern die Mobilisierungen mit diesem Ziel höher ansetzen. Und darüber hinaus müssen wir die landesweite Organisation voranbringen, die sich speziell für die Freiheit aller politischen Gefangenen, die unversehrte Präsentation der Verschwundenen, und die Aufhebung aller Haftbefehle gegen die sozialen Kämpfer einsetzt.

- Das Netzwerk für Unterstützung und Solidarität. Wir müssen und können Kommunikationskanäle innerhalb der Otra einrichten wenn es sie noch nicht gibt, und jene verstärken, die bereits existieren. Nicht nur um Erfahrungen und Geschichten auszutauschen, sondern auch um uns gegenseitig in unsere jeweiligen Kämpfe zu unterstützen.

- Das Informationsnetzwerk. Wenn die alternativen Medien zum Rückgrat der ersten Etappe der Otra geworden sind, der Namensaufruf der etwas früher erwähnt wurde, haben sie jetzt eine fundamentale Bedeutung dabei zu erreichen, dass die Otra ihren Teilnehmern nicht wie eine Anreihung von Veranstaltungen und Treffen vorkommt, sondern um eine tiefgehende Kenntnis darüber zu verbreiten, wer wir insgesamt und als einzelne sind. So wie wir das sehen, haben diese Compaņeros und Compaņeras der alternativen Medien in der Kampagne um Freiheit und Gerechtigkeit für die Gefangenen von Atenco bewiesen, dass sie dies bewerkstelligen können, und zwar sehr erfolgreich.

- Das Nationale Kampfprogramm. Wir müssen die Vorschläge darüber voranbringen, wann, mit wem und auf welche Weise dieses Ziel vorwärts gebracht werden soll.



IV. DAS WAS WEDER ZU SEHEN NOCH ZU HÖREN IST, ABER TROTZDEM IST.

Aus all diesen Gründen, und aus vielen anderen, die wir zwar nicht erwähnt, aber auf unserer Reise durch 21 Bundesstaaten, aus dem mexikanischen Südosten bis zum Landeszentrum, direkt gesehen und gefühlt haben, sagen wir, dass diese Bewegung, die wir jetzt die Andere Kampagne nennen, einige der besten Männer und Frauen umfasst, die sich in dieser Zeit unter dem Himmel und auf dem Boden Mexikos erhoben haben.

Indigene Völker, vor allem indigene Völker, Campesinos, Arbeiter/innen, Lehrer/innen, Studenten, Angestellte, Migranten, Chican@s, Frauen, Jugendliche, alte Männer und Frauen, Mädchen und Jungen, der Pöbel eben, das Pack, die Vergessenen.

Während die da oben nach einem Weg suchen ihre Meinungsänderungen nach dem letzten Stand der Wahlprognosen zu rechtfertigen, lernen wir in der Otra, die Unterzeichner der Sexta, wie man "wir" sagt.

Wie schon gesagt, wird das Zeit brauchen. Die Fußballweltmeisterschaft wird vorübergehen, auch die Wahlen.

Und die Otra wird sich als das erheben was sie ist: die Andere Alternative, um dem was wir als "Patria" bezeichnen die Würde wiederzugeben, die von jenen zum Verkauf gestellt wurde, die jetzt die Schamlosigkeit und Anstößigkeit bestreiten.

Dieser Himmel und diese schmerzbehaftete und geschlagene Erde wird ein Morgen haben, weil wir, die Otra, gewählt haben nicht auf die Täuschungen von oben zu blicken und zu hören, sondern es vorgezogen haben uns unten und links zu organisieren und zu kämpfen.

Dann werde ich sagen: "ich hasse es zu sagen, ich hab's ja gesagt, aber ich hab's ja gesagt".



V. UNMÖGLICHER DIALOG ZWISCHEN DURITO UND DEM TEUFEL. (Über die Gerechtigkeit)

Don Durito de La Lacandona, durch eine genetische Verwechslung als Käfer geboren und zum fahrenden Ritter berufen, Bezwinger all jener, die in prachtvoller Richterrobe widerrechtlich die Unschuldigen verurteilt und die Schuldigen freispricht. Der Teufel in Person, der sich vorstellig macht um die Seele des verdorbenen Verderbers einzufordern. Durito hält ihn nicht auf, ein jeder hat seine Arbeit und seine Art, aber ihm ist nach etwas Tabak und einem Gespräch zumute. Er holt die Pfeife hervor und zündet sie an. Der aromatische Rauch lädt zum Geplauder und zur Ruhe. Der Teufel weiß was er raucht, aber er vereint seinen Rauch mit dem des bizarren Ritters.

Durito: "Viel Arbeit?"

Der Teufel: "Furchtbar viel."

Durito: "Und die Bezahlung?"

Der Teufel: "Man schlägt sich so durch, aber es reicht nie aus."

Durito: "Die Hölle ist teuer?

Der Teufel: "So wie es sich gehört, große Investitionen, digitale Heizung, umweltfreundliche Anlagen, Mikrowellenöfen, die Miete, die Steuern..."

Durito: "Soll das heißen die Reichen zahlen um da reinzukommen?"

Der Teufel: "Nein, sie zahlen um da nicht reinzukommen.

Durito: "Also kommen gerade die nicht in die Hölle, die dort hineingehören?

Der Teufel: "Nein, das geht so. Es kommen jene hinein, die nicht dafür zahlen können nicht hereinzukommen.

Durito: "Also wie mit der Gerechtigkeit".

Der Teufel: "Genau, wie mit der Gerechtigkeit."

Durito: "Also schlecht und schlechter."

Der Teufel: "Das ist meine Aufgabe, die oben zu suchen, zu finden und in Empfang zu nehmen."

Durito: "Viel Arbeit?"

Der Teufel: "Furchtbar viel."

Durito: "

Der Teufel: "

Zeuge dieser unmöglichen Dialogs: Subcomandante Insurgente Marcos Mexiko, Juni 2006



VI. DIE WEGE DER HAUT.

Es gibt, sagt der Schatten, Wege und Arten die Haut zu bereisen, die der Morgen verhüllt.

Es gibt solche, die sie unbeholfen bereisen sie, nur geleitet von Begierde.

Es gibt solche, die sie mechanisch liebkosen, wie die Wiederholung einer schlecht gelernten Lektion.

Es gibt solche, die versuchen sich zu erinnern, auf der Suche nach einem Spiegel, welches das eigene Bild zurückwirft.

Und es gibt solche, die sie durchwandern als ob es das erste und letzte Mal wäre, und fragen "Hier? So?", nach etwas suchend, das nicht existiert ... bis sie es finden.

Aus dem Morgengrauen versucht der Schatten Brücken mit Worten und Taten zu bauen. Sein Schmerz hört nicht auf zu schmerzen, und schmerzt auch nicht weniger, aber es ist ein anderer Schmerz, einer der hilft voranzuschreiten und an ein anderes Morgen zu denken

Das ist deshalb, sagt der Schatten während er seine Stiefel zuschnürt, weil das Licht, das noch fehlt nicht nur mit Lippen und Haut küsst und umarmt, sondern auch mit Worten und Seufzer die im Morgengrauen zur Wolke werden ...

Aus dem Anderen Mexiko-Stadt.
Subcomandante Insurgente Marcos
Mexiko, Juni 2006

* * *

übs. von Dana

Quelle: http://enlacezapatista.ezln.org.mx/la-otra-campana/367/




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