Quelle: www.nd-online.de, 29.12.2003

 

Autonomie ohne Erlaubnis

 

Zehn Jahre nach ihrem Aufstand setzen die Zapatisten auf den Ausbau ihrer Strukturen

 

Aus Chiapas berichtet Luz Kerkeling

Sie ist weiter aktiv: Die Zapatistische Bewegung baut im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas trotz anhaltender Aufstandsbekämpfung der Regierung unabhängige Strukturen auf. In diesen Wochen ist die Zapatistische Armee der nationalen Befreiung (EZLN) in Mexiko in aller Munde. Es gilt gleich zwei Jubiläen zu feiern. Am 17.November 1983 gründeten sechs Aktive die Guerilla im Regenwald von Chiapas. Gut zehn Jahre danach, am 1.Januar 1994, begann die mehrheitlich indigene EZLN unter dem Kampfruf »Ya Basta!« (Es reicht!) ihren Kampf für »Land und Freiheit!«, gegen Armut, Rassismus und Marginalisierung. Die zahlreichen Aktivitäten der EZLN haben in Mexiko einen Aufbruch der Basisbewegungen ausgelöst und nicht zu Unrecht gilt die EZLN mit ihrem antineoliberalen Diskurs als eine Mitinitiatorin der internationalen Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung. Weit weniger bekannt sind die leisen Dinge, der stille, aber stetige Aufbau eigener Strukturen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Verwaltung, Recht und Ökonomie, an dem die Basis der Bewegung seit Jahren unter großen Mühen arbeitet. Regierung und EZLN hatten 1996 die Abkommen von San Andrés über indigene Selbstverwaltung unterzeichnet, doch auch die aktuelle Regierung unter Ex-Coca-Cola-Manager Vicente Fox setzte die Verträge nicht um, so dass die Zapatistas nun ohne »Erlaubnis« Fakten schaffen. Die Einflusszone der EZLN ist bis heute von bitterer Armut und Repression durch Armee und Paramilitärs gekennzeichnet. Nichtsdestotrotz hat die Bewegung schon vor Jahren fünf Zonen mit rund 30 autonomen Landkreisen und Hunderten Gemeinden ausgerufen. In jeder Zone gibt es ein Kommunikationszentrum, ein Caracol (Schneckenhaus), in dem Delegierte der Landkreise jeder Zone ihre Arbeit leisten. Diese Räte werden »Juntas der Guten Regierung« genannt. Da viele Delegierte noch wenig Erfahrung haben und die Räte wöchentlich wechseln, werden sie von zivilen Comandantes der EZLN unterstützt. Die Aufgaben der »Juntas« sind Vermittlung bei Konflikten, Verteilung von Hilfsgütern, Überwachung überregionaler Projekte, Verhinderung von Korruption, Gewährleistung einer ausgewogenen Entwicklung in den Rebellengebieten und Anlaufstelle für Organisationen und Einzelpersonen. Es kommen auch viele Nicht-Zapatistas in die Caracoles - die Mehrheit der behandelten Rechtsfragen etwa betreffen Konflikte unter Nicht-Zapatistas. Da viele Menschen den staatlichen Gerichten nicht vertrauen und keine Schmiergelder zahlen wollen, bitten sie die »Juntas« um Rat. Für die Anfahrt zum Caracol von Morelia benötigt man gut vier Stunden von San Cristobal aus, dem Touristen-Mekka von Chiapas. Am Ortseingang verkündet ein neues Schild wie in allen rebellischen Hochburgen das basisdemokratische Motto: »Sie befinden sich auf zapatistischem Territorium, hier befiehlt die Bevölkerung und die Regierung gehorcht.« Nach einem Tag des Wartens können wir im Büro der »Junta« mit verschiedenen Verantwortlichen sprechen. Alle sind mit Skimützen oder roten Tüchern vermummt, den legendären Widerstandssymbolen der Zapatistas. Der Vertreter der Bildungskommission schildert das Dilemma der staatlichen Bildung: »Es gab viel zu wenig Lehrer in den indigenen Gemeinden, und die wenigen kamen oft nur zweimal pro Woche, so dass viele Menschen nicht lesen können. Und sie haben uns ihre Bildung aufgezwungen. Uns wurde alles genommen, was unsere Kultur ist, daher schämen sich manche Jugendliche mit ihren Eltern zu reden, weil sie Indígenas sind«. Nicht ohne Stolz verweisen sie auf ihre Errungenschaften: »Wir lehren unsere Kultur, Gemeinschaftssinn und Respekt für unsere Mutter Erde. Wobei die Dörfer selbst entscheiden, was in welcher Form gelehrt wird.« Innerhalb der Bewegung haben sich auch die Frauen organisiert ? nicht selten gegen den Unmut der eigenen Compañeros. Sie konnten 1993 »revolutionäre Frauengesetze« durchbringen, die ihnen grundlegende Rechte wie die Wahl des Ehegatten, Bestimmung der Kinderzahl, Reiseerlaubnis, Mitarbeit in der Guerilla und anderes garantieren. Diese Gesetze werden nicht immer befolgt, konnten aber viel zur Verbesserung der Situation der indigenen Frauen beitragen. Zwei Aktivistinnen des Kollektivs »Compañera Lucha«, das an der großen Kreuzung Cuxulja auf dem Weg von San Cristobal nach Ocosingo eine Gaststätte betreibt, erläutern ihr Projekt: »Im Kollektiv arbeiten Frauen aus sieben Landkreisen, ihr Dienst dauert je sechs Tage, dann wechseln sie sich ab. Die Gemeinde und die Compañeras unterstützen uns dabei. Auch die Männer und Kinder helfen uns. Mit der Zeit werden wir das verdiente Geld in den Landkreisen verteilen, damit dort weitere Frauenprojekte gegründet werden können. Wir treffen unsere eigenen Entscheidungen. So kommen wir Stück für Stück weiter.« Wir erfahren weiter, dass es in allen Zonen Frauenprojekte gibt, vor allem in den Bereichen Kunsthandwerk, Kleintierzucht und Bäckerei. Am Ende unseres Besuchs werden wir von einem Comandante mit kämpferischen Grüßen verabschiedet: »Behaltet eure Hoffnung! Kämpft auch in euren Ländern gegen dieses neoliberale System!« Auf der Pritsche eines Kleintransporters entfernen wir uns im Regen aus diesem Zentrum gelebten Widerstands.

 

 

 

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