- PROJEKT: Salud para tod@s -

"Gesundheit für alle" in der Zona Norte
Ein erster Projektrückblick sowie Eindrücke von einem Kurzbesuch im Caracol "Que Habla Para Tod@s" (Roberto Barrios)

Seit rund einem Jahr läuft nun das Projekt "Salud para tod@s", das sich zum Mindestziel gesetzt hat, den Aufbau des zapatistischen Gesundheitssystems in der Zona Norte über vier Jahre mit jährlich 4000,- EUR zu unterstützen*. Uns geht es zwar in erster Linie um diese finanzielle Unterstützung, aber auch darum, das wir das zapatistische Gesundheitssystem näher kennen lernen und - sofern im Rahmen unserer gelegentlichen Besuche möglich - mit den dortigen Comp@s darüber zu diskutieren.

In diesem ersten Jahr waren nacheinander zwei unserer Compañeras die Kontaktpersonen zur Junta de Buen Gobierno (JBG) in Roberto Barrios, diskutierten mit den Zapatistas unsere Projektidee, erhielten eine Kopie des 17-seitigen Plans "Sistema de Salud Autónomo Zapatista, Zona Norte" sowie die Kostenplanung für ein zweijähriges Ausbildungsprogramm von GesundheitspromotorInnen. Letzteres Dokument war für uns von besonderem Interesse, hatten wir uns doch nach längeren Diskussionen im Vorfeld des Projekts nicht nur bewusst für das entlegene Roberto Barrios (statt des mit Solidaritätsbesuchen aller Coleur gut versorgten Oventik) entschieden, sondern auch dafür, unsere Unterstützung auf die Ausbildung von GesundheitspromotorInnen zu konzentrieren - ein Prozess für den eine mittelfristige Finanzierungssicherheit von besonderer Bedeutung ist. Das Konzept der PromotorInnen-Ausbildung überlassen wir jedoch voll und ganz den Zapatistas und haben ebenso wenig etwas dagegen einzuwenden, wenn die Comp@s einen anderen Bedarf im Bereich der Gesundheitsversorgung für dringender erachten, so dass sie evtl. einen Teil des Geldes dafür verwenden.

Nachdem zwischenzeitlich noch eine weitere Compañera "Projektkontakt vor Ort" hergestellt hatte, statteten wir kurz vor Ostern 2005 schließlich zu fünft dem Caracol "Que Habla Para Tod@s" (Roberto Barrios) einen Besuch ab. Wir hatten ein knapp zweistündiges Gespräch mit der JBG, besuchten die Klinik von Roberto Barrios, die sich in einem Gebäude befindet, das noch vor dem Aufstand von der Regierung errichtet worden war, und führten Gespräche mit der dort tätigen mexikanischen Ärztin bzw. Zahnärztin und zwei Vertretern des Gesundheitskomitees. Klinik ist im vorliegenden Fall ein etwas irreführender Begriff, denn es existiert keine Bettenkapazität in dieser Klinik, so dass die Patienten bei notwendiger stationärer Behandlung ein paar hundert Meter entfernt in den Betten des JBG-Gbäudes untergebracht werden.

Wenn nachfolgend die Situation des zapatistischen Gesundheitssystems in der Zona Norte etwas näher betrachtet wird, sollte man im Hinterkopf behalten, dass es noch immer an allen Ecken mangelt, und dass dort, wo etwas geschaffen wurde, vorher so gut wie überhaupt nichts war. An zwei Beispielen sollen die weiterhin bestehenden Probleme illustriert werden.

Auch heute noch und auch auf zapatistischem Territorium stellt unzureichende Ernährung eines der größten Gesundheitsprobleme dar. Laut Aussage sind 80-90% der von den PromotorInnen bzw. Ärztinnen behandelten Krankheitsfälle Verdauungsstörungen bei Säuglingen und Kleinkindern, bei denen bis zum 18. Lebensmonat Muttermilch oftmals die einzige Nahrungsquelle ist, wobei die Muttermilch in der Regel ab dem 12. Lebensmonat weder quantitativ noch qualitativ ausreicht. So kommt es bei den 1-2 Jährigen nur zu oft zu einem Zusammentreffen von chronischer Unterernährung und einer akuten Erkrankung des Magen-Darm-Traktes mit fatalen Folgen.

Das zweite Beispiel: In der Klinik von Roberto Barrios arbeiten mit Unterstützung der mexikanischen Nichtregierungsorganisation SADEC zur Zeit eine Ärztin und eine Zahnärztin ihr einjähriges Praktikum in der zapatistischen Klinik absolvieren. Speziell für die Zahnärztin war die Arbeit zum Zeitpunkt unseres Besuchs ziemlich frustrierend, denn anderthalb Monate zuvor waren Kompressor und Bohrmaschine gestohlen worden, so dass sich ihre Tätigkeit gezwungenermaßen auf das Ziehen eiternder Zähne und Flourid-Kampagnen in den Dörfern beschränkt. Aber auch an Füllmaterial fehlt es. Dabei besteht sicher auch für zapatistische Zähne wegen des in Chiapas notorisch hohen Coca-Cola-Verbrauchs ein großer Bedarf zur Karies-Sanierung.

Angesichts der Dramatik dieser Situation sind die erzielten Fortschritte und Pläne für die Zukunft umso bedeutsamer. In der Zona Norte wurde inzwischen für 270 GesundheitspromotorInnen die Ausbildung in der Grundstufe durchgeführt. Mit ihrem bisher erworbenen Wissen arbeiten sie in den Casas de Salud (einfachste Form einer Gesundheitsstation) ihrer Gemeinden und stellen darüber hinaus das wöchentlich bis vierzehntägig rotierende Personal für die 7 Mikrokliniken, die in den autonomen Landkreisen (Municipios) der Zona Norte bislang existieren. Da auch das Gesundheitssystem nach dem Cargo-Prinzip arbeitet, ist die Ausbildung einer großen Zahl von PromotorInnen von Bedeutung, denn die Arbeit in dieser Funktion stellt eine große zusätzliche Belastung für die Betroffenen selbst und ihre Familien dar. Das Cargo-Prinzip bedeutet, dass die Arbeit in dieser Funktion (genauso wie z.B. die Arbeit der BildungspromotorInnen oder der Vorsitzenden einer Kaffeekooperative) unentgeltlich als Verpflichtung gegenüber und auf Beschluss der Gemeinde durchgeführt werden muss. Insofern ist es besonders wichtig, die PromotorInnen-Arbeit möglichst breit zu verteilen.

Neben den 270 über eine Grundausbildung verfügenden PromotorInnen gibt es in der Zona Norte acht sogenannte Formadores (GesundheitspromotorInnen der 3. Stufe mit vertieften Kenntnissen und umfangreicher Erfahrung) - ein relatives Missverhältnis. Deshalb liegt, wie uns die Com@s der JBG sagten, der Ausbildungsschwerpunkt in der nächsten Zeit vor allem in der Vertiefung der Kenntnisse der PromotorInnen der 1. Stufe. Passend zu dieser Auskunft entdeckten wir unter den zahlreichen "Papierlaken", die die Wände des Regierungszimmers der JBG bedeckten, und auf denen Aufgaben vielfältigster Art aufgelistet waren, auch die Ankündigung von Weiterbildungskursen für GesundheitspromotorInnen im April.

Ein paar Details darüber, wie so eine Ausbildung zur PromotorIn/ FormadorIn läuft, hat ein Compañero erfahren, der sich etwas intensiver mit dem zapatistischen Gesundheitswesen insgesamt auseinandergesetzt und für eine gewisse Zeit als Internationalist dort gearbeitet hat:

Die Ausbildung zur PromotorIn gliedert sich in fünf verschiedene medizinische Schwerpunktthemen, die jeweils innerhalb eines Jahres im Unterricht (ca. drei Tage pro Woche über mehrere Monate) durchgenommen werden und worüber eine Prüfung abgelegt wird. Gelehrt wird das Erkennen von Krankheiten, Therapie, Krankenpflege und physiotherapeutische Maßnahmen. Außerdem gibt es noch einen Extraschwerpunkt "Naturheilkunde", was wiederum sehr wichtig ist, da oft keine Medikamente zur Verfügung stehen. So ca. nach fünf Jahren ist die Ausbildung der PromotorInnen zur FormadorIn abgeschlossen und sie können anfangen, selbst Leute zu unterrichten. Das ist ein sehr wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit, da laut Aussage verschiedener ÄrztInnen die Menschen aus den Gemeinden sich oft "schwer tun" von dahergereisten Internationalen zu lernen, die nach kurzer Zeit wieder gehen. Das "Schwertun hängt nicht zuletzt mit der Sprache zusammenhängt, da Spanisch für die Menschen hier die Zweitsprache ist und von vielen oft nur schlecht beherrscht wird. Die ausgebildeten PromotorInnen können nun in ihrer eigenen Sprache unterrichten was (lt. Aussage) besser aufgenommen wird und auch mehr Menschen den Zugang zum Gesundheitssystem ermöglicht. Denn bislang besteht ein weiteres Problem darin, dass die Gemeinden ihre Promotor-de-Salud-AnwärterInnen nach Spanisch- und Lese- bzw. Schreibkenntnissen auswählen.

Als vorteilhaft für uns, die wir nur in der Lage sind, den Kontakt zu Roberto Barrios besuchsweise zu halten - mal häufiger, mal in etwas größeren Abständen und zusätzlich erschwert durch das auch bei der JBG etablierte Rotationssystem - erweist sich die Existenz der bereits erwähnten mexikanischen Organisation SADEC (Salud y Desarollo Comunitario A.C., www.sadec.org.mx), zu denen inzwischen ein sehr gutes Verhältnis besteht. SADEC betreut seit 1995 autonome Gesundheitsprojekte in Chiapas, speziell in der Zona Norte und in der Selva. Bei unserem Besuch war die vorbereitende Unterstützung von SADEC hilfreich, so dass wir trotz der Kürze der Zeit ziemlich viel zu sehen bekamen und erfahren konnten.

Abschließend sei noch einmal betont, dass die Unterstützung der an der "zapatistischen Peripherie" gelegenen Kommunen (d.h. die Zona Norte) besonders dringend ist. Von den nach wie vor präsenten paramilitärischen Gruppen geht ein beträchtlicher psychischer Druck und eine tägliche teils latente, teils reale Gewalt aus. Sowohl die materielle Unterstützung durch die internationale Solidarität als auch die Möglichkeiten zu Entfaltung einer autonomen zapatistischen Ökonomie sind deutlich geringer als im zentralen Hochland.

Spenden für das Projekt "Salud para tod@s" können - steuerlich absetzbar - auf das Konto des Fördervereins "Partner Südmexikos e.V." unter dem Stichwort "Salud para tod@s" überwiesen werden auf Kontonr. 459 390 007 bei der Volksbank Böblingen, BLZ 603 900 00. Eine e-mail an pcl[at]jpberlin.de mit der Postadresse und dem überwiesenen Betrag sichert die Zusendung der Spendenquittung am Jahresende.
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*Dies ist vielleicht die geeignete Stelle für eine kurze Rechenschaftslegung: Seit Juni 2004 wurden der dortigen JBG 5850,- EUR übergeben, davon 2000,- EUR von der Kooperative Café Libertad, Hamburg, 1800,- EUR aus Solikonzerten/-partys in Jena bzw. München, 100,- EUR von der Gruppe B.A.S.T.A., Münster und 1950,- EUR aus individuellen Spenden.

Peter Clausing.

Quelle: Infoblatt Nr. 66 (2005)