Global Exchange: Bericht vom August 2006

Zusetzungen, Drohungen und illegale gewaltsame Räumungen im Lakandonischen Urwald: Ein Beobachterbericht

Am 7. August 2006, reiste eine Delegation von sieben Menschenrechtsbeobachtern aus den Vereinigten Staaten, gemeinsam mit Vertretern der U.S.-Nichtregierungsorganisation Global Exchange und mexikanischer NGOs (Menschenrechtszentrum Fray Bartolome de las Casas, Maderas del Pueblo del Sureste und Xi' Nich) in die Region von El Desempeņo, im Lakandonischen Uewald des Bundesstaates von Chiapas. Auf einer Urwaldlichtung nahe des Rio Usumacinta, traffen wir uns drei Stunden lang mit Angehörigen der indigenen Gemeinden von Flor de Cacao, San Jacinto Lacanja, Ojo de Agua el Progreso und Viejo Velasco Suarez, die überzeugende Zeugenberichte über drohende illegale gewaltsame Vertreibungen von ihrem Land lieferten.

Hintergrund des Agrarischen Konfliktes

Die Delegation wurde gebildet, als zivile Organisationen in Vertretung dieser vier Gemeinden, das Menschenrechtszentrum darüber in Kenntnis setzten, dass die Gemeindenbewohner von Behörden der Bundes-, Staats-, und Lokalregierungen unter Druck gesetzt wurden ihr Land zu räumen, indem man ihnen ansonsten mit gewaltsamen Vertreibungen drohte. Die Behörden begründeten ihre Vorgehensweise damit, dass diese vier Gemeinden angeblich illegale Eindringlinge auf dem Territorium der Lakandonengemeinde seien. Das Menschenrechtszentrum hatte ebenfalls beunruhigende Berichte darüber erhalten, dass Personen aus den benachbarten Gemeinden von Frontera Corozal und Nueva Palestina (die so genannten "Comuneros") - im Bündnis mit der Lakandonengemeinde und der Regierung - ein Muster systematischer Einschüchterungen und Gewaltandrohungen gegen diese Gemeinden betrieben.

Entgegen anders verlautenden Behauptungen der Regierung, sind diese vier Gemeinden seit nunmehr 22 Jahren auf ihrem Land angesiedelt. Sie zogen erst nach El Desempeņo, nachdem sie von ihrem ursprünglichen Land vertrieben wurden, das sie bis 1972 besiedelt hatten. In diesem Jahr überschrieb die mexikanische Regierung 614.321 Hektar im Lakandonischen Urwald an eine Gruppe von 66 Familien die im 19. Jhd. von der Yucatan Halbinsel nach Chiapas umgesiedelt sind. Nach Informationen von Miguel Angel Garcia von der Organisation Maderas del Pueblo und anderer lokaler Experten, akzeptierten diese 66. Familien - die später als die Lakandonengemeinde bekannt wurden - diese enorme Landzuteilung verbunden mit der Auflage, dass sie der Regierung fast unbegrenzte Rechte auf den Abbau von Edelhölzern und die Kontrolle der natürlichen Ressourcen einräumten. Diese Landzuteilung an die Lakandonen löste einen 12-Jahre langen Konflikt zwischen ihnen (und ihre Verbündeten in Nueva Palestina und Frontera Corozal) und den indigenen Gemeinden, die auf dem gleichen Land angesiedelt waren, aber von der Landzuteilung an die Lakandonengemeinde ausgeschlossen wurden. Der Konflikt endete erst, als in 1984 eine Einigung mit der Regierung erzielt wurde, und die Gemeinden sich einverstanden erklärten sich auf das Land umsiedeln zu lassen, von dem man sie jetzt erneut zu vertreiben droht.

Eine Einwohnerin von Flor de Cacao berichtete: "In 1982 kamen die Leute aus Nueva Palestina und Frontera Corozal und brannten unsere Häuser nieder und warfen uns ins Gefängnis. Sie versuchten, uns von unserem Land zu vertreiben. Jetzt versuchen sie es wieder!"

Die Bestürzung der Bewohner von Flor de Cacao ist verständlich, da es erst ein Jahr her ist, seitdem diese vier Gemeinden - zusammen mit 24 anderen - nach mehrfachen Verhandlungsrunden mit Vertretern der Gemeinden in El Limonar, eine formelle Zusicherung der Behörden darüber erhalten hatten, dass ihnen eine feste, verbindliche gesetzliche Anerkennung ihrer Besitzansprüche auf das Land zustehen würde. Die Gemeinden gingen somit davon aus, dass die Vertreter dieser 28 Gemeinden in gutem Glauben verhandelten und alle Anstrengungen unternahmen um für sie die gesetzliche Sicherung zu erhalten. Sie rechneten damit, dass ihr Landkonflikt mit der Lakandonengemeinde und deren zivilen und regierungsbehördlichen Verbündeten, endgültig beigelegt werden würde. Nun sehen sie sich von neuem gezwungen, für ihre Heime, ihre Gemeinden und ihren Lebensunterhalt zu kämpfen.

Hintergrund der Visite

Die Delegation hatte ursprünglich geplant am 6. August, in die Gemeinde Ojo de Agua mit einem der Boote zu reisen, die von den Docks in Frontera Corozal abfahren. Dementsprechend trafen wir an diesem Tag gegen 11:00 Uhr Vormittags an den Docks an, um ein Boot für eine einstündige Reise in die Gemeinde zu mieten. Anfangs hatten einige Mitglieder unserer Gruppe von einem der Bootsmänner oder "Lancheros" von Frontera Corozal erfahren, dass der Mietpreis für die Boote bei etwa 2500 Pesos liegen würde. Nach Gesprächen mit anderen Personen in Frontera Corozal ließ uns der erste Lanchero stehen, mit der Behauptung er sei "nicht an der Reihe", ein Boot zu fahren. Ein weiterer Lanchero erklärte sich bereit uns für den Preis von 4000 Pesos hinüberzusetzen. Während wir noch darüber diskutierten, ob wir uns diese exorbitante Kosten für eine einstündige Fahrt leisten konnten, erklärte uns der zweite Lanchero, dass eigentlich überhaupt keine Boote disponibel sein würden um uns nach Ojo de Agua zu bringen. Die Lancheros boten dafür keine Erklärung - weder für die Preisänderung, noch für plötzliche Unabkömmlichkeit der Boote.

Ohne Boot wären wir gezwungen gewesen durch den Lakandonischen Urwald zu marschieren, da zu keiner der Gemeinden eine befahrbare Straße führt. Da es mitten in der Regenzeit war, waren die Pfade extrem verschlammt. Aufgrund des Schlammes, der Hitze und anderer schwieriger Bedingungen, waren wir zu Fuß nicht in der Lage auch nur Ojo de Agua zu erreichen, die Gemeinde, die der Grenzstraße zu Guatemala am nächsten gelegen ist. Dies war äußerst bedauerlich, da die Bewohner von Ojo de Aguas darauf gebaut hatten, uns ihre unmittelbaren Lebensbedingungen vor Ort vor Augen zu führen, einschließlich der Anwesenheit von Polizeikräften und Comuneros in ihren Heimen. Nichtsdestotrotz vereinbarten wir mit Repräsentanten der Gemeinden, am nächsten Tag auf einer Urwaldlichtung, auf halbem Weg, zwischen der Straße und ihren Gemeinden, ein Treffen mit ihren Mitgliedern abzuhalten.

"Wir möchten in Frieden leben"

Am 7. August legten mehr als 100 Menschen - Männer, Frauen, Alte und Kinder - aus Ojo de Agua, Flor de Cacao, San Jacinto und Viejo Velasco Suarez, einen Fußmarsch von beinahe zwei Stunden zurück, um uns auf der Lichtung zu treffen, die wir nach einem anstrengenden Marsch von einer Stunde erreichten. Nur ein Vertreter aus Viejo Velasco war anwesend, da, wie er später berichtete, bis auf 42 Familien, alle Einwohner seiner Gemeinde - zivile Unterstützungsbasen der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) - aus der Gemeinde geflüchtet waren, und in eine benachbarte Gemeinde in Ocosingo umgezogen waren. Sie hatten ihre Heime ohne finanzielle Entschädigung zurückgelassen; nach Aussage einiger der Personen, mit denen wir geredet haben, waren sie aus Angst vor einem gewaltsamen Angriff geflohen. Drei Stunden lang legten uns Vertreter aller bedrohten Gemeinden die schwierigen und schmerzhaften Bedingungen dar, die sie erleiden mussten. Die Personen sprachen auf Spanisch, Ch'ol, Tseltal und Tsotzil; eine Vertreterin von Global Exchange übersetzte auf Englisch. Ein Vertreter aus Ojo de Agua informierte uns darüber, dass lediglich fünf von insgesamt 25 Familien in seine Gemeinde geblieben waren; die übrigen waren vor kurzem, unter dem Druck der Comuneros aus Frontera Corazol und Nueva Palestina umgezogen. Einige dieser Familien hatten angebliche eine finanzielle Entschädigung von der Regierung akzeptiert - nachdem die Comuneros und ein Vertreter der Bezirksregierung von Benemerito de las Americas, sie unter Alkohol gesetzt und nach Frontera Corozal gebracht hatte, um Dokumente zu unterzeichnen. Wie der Einwohner von Ojo de Agua berichtete, erschienen beim Auszug der 20 Familien: "80 Comuneros mit neun Polizisten und zogen ein. Sie sagten sie würden unsere Sachen in den Fluss werfen, wenn wir nicht weggingen. Sie hatten Ingenieure mitgebracht um Grundstücke abzustecken. Sie haben vor jeweils 50 Quadratmeter pro zwei Personen zu verteilen. Sie haben unsere Orangen, Mangos und Kaffee gestohlen."

Die Zeugen sagten aus, und mehrere Personen aus den anderen Gemeinden bestätigten, dass am Tag vor unserem Besuch, alle Comuneros gemeinsam mit den Polizisten, zu Pferd davon geritten waren. Zum Zeitpunkt dieses Berichts sind weder die Comuneros noch die Polizisten nach Ojo de Agua zurückgekehrt. Unglücklicherweise sind die Familien, die unter Druck gesetzt wurden wegzugehen, bisher auch noch nicht zu ihren Häusern zurückgekehrt.

Der Mann aus Ojo de Agua, und viele andere Personen drückten ihre Überzeugung darüber aus, dass die drei Vertreter der 28 Gemeinden bei den Limonar Verhandlungen, von der Regierung und/oder drer Lakandonengemeinde Bestechungsgelder angenommen haben, um den Kampf für Ojo de Agua, San Jacinto, Viejo Velasco, und Flor de Cacao aufzugeben. Wie eine Frau aus San Flor de Cacao erklärte:

"Die Idee [hinter den Verhandlungen von Limonar] war, dass das Land, das Wasser, die Berge, für uns alle gesichert werden würden. Keiner von uns würde ausgelassen werden. Die drei Vertreter haben versprochen, uns zu helfen. Jetzt werden wir mit dem Tode bedroht. Wir wissen nicht weshalb."

Der vermutete Verrat der Gemeindevertreter bestätigte sich, als unsere Delegation die Gemeinde von Lacanja Tseltal besuchte, eine der ursprünglichen 28 Gemeinden. Einwohner von Lacanja Tseltal waren ebenfalls sicher, dass die drei Vertreter - von denen einer aus ihrer eigenen Gemeinde stammte - Bestechungsgelder angenommen hätten. Auf jeden Fall fühlten sich fast alle Personen, die ausgesagt haben, auf die kürzlich erfolgten, plötzlichen Räumungsdrohungen vollkommen unvorbereitet, da sie davon überzeugt gewesen waren, dass die Limonar Verhandlungen ihnen zum ersten Mal in einer langen Zeit, das wirkliche Versprechen auf Landsicherheit bieten würden. Tatsächlich war eine ähnliche Delegation von U.S. Beobachtern erst ein Jahr zuvor, bei ihrem Besuch in Lacanjá Tseltal darüber informiert worden, dass alle der 28 Gemeinden letztendlich ihre Landurkunden erhalten würden.

Die Aussage einer Frau aus San Jacinto lässt vermuten, dass die Vorfälle aus Ojo de Agua sich bald in ihre Gemeinde wiederholen würden: "Die Comuneros aus Frontera Corozal und Nueva Palestina sind in die Nähe unseres Landes gekommen und haben Schüsse in die Luft gefeuert. Sie haben unsere Sachen gestohlen. Viele Jahre lang haben sie uns nicht respektiert. Alles ist bereits abgesteckt worden, aber jetzt sagen sie, sie wollten mehr Land. Viele Kinder und alte Leute sind [wegen des Konflikts] gestorben. Sie sollten damit aufhören."

Eine Frau aus Flor de Cacao, brachte Ähnliches zum Ausdruck: "Wir möchten in Frieden Leben. Wir möchten nicht, dass sich das Gleiche wie von 1982 bis 1984 wiederholt [als wir in diese Gegend ziehen mussten]."

Eine ältere Frau, ebenfalls aus Flor de Cacao, erklärte weshalb die vier Gemeinden gegenwärtig bedroht wurden: "Als wir hergekommen sind, gab es hier weder Mais, noch Bohnen, gar nichts. Zwanzig Jahre lang haben wir das Land bearbeitet; jetzt haben wir Haustiere und Felder, und das Land ist jetzt geeignet um Bohnen und Mais zu pflanzen. Wir möchten dieses Land unseren Kindern hinterlassen. Aber jetzt wollen sie uns das Land wegnehmen.

Schlussbemerkung

Während die genauen Gründe für den Ausschluss dieser vier Gemeinden aus dem Landlegalisierungsprozess unklar sind, liefern geographische und politische Faktoren einen wichtigen Anhaltspunkt. Drei der Gemeinden -- Flor de Cacao, San Jacinto Lacanja, Ojo de Agua el Progreso - liegen auf ein Terrain, auf dem immer noch ein Bestand von Edelhölzern vorhanden ist, an deren Abholzung die Lakandonengemeinde, nach Angaben von Miguel Angel García von Maderas del Pueblo, interessiert ist. Sie befinden sich ebenfalls auf dem Ufer des Rio Usumacinta, eine der wichtigsten Trinkwasserquellen der Region. "Plan Puebla-Panama," das Vorhaben der Regierung für die wirtschaftliche "Modernisierung" des Landes, sieht ebenfalls den Bau von Wasserkraftdämme entlang des Rio Usumacinta vor. Zudem glauben viele der Personen, die ausgesagt haben, dass die Lakandonengemeinde das Land für sich haben möchte, um es für den Fremdenverkehr auszubauen, da sich die archäologische Anlage von Yaxchilan in der Nähe befindet, und die Lakandonengemeinde sich stark am Tourismusgeschäft beteiligt. Die vierte Gemeinde, Viejo Velasco, Die vierte Gemeinde, Viejo Velasco, wird von der mexikanischen Regierung ebenfalls aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur EZLN, als Hindernis für die Maximierung der Profite angesehen*). Tatsächlich wurde kurz nach unser Besuch in El Desempeņo, die Gemeinde Chol de Tumbala, gewaltsam von Regierungsbeamten geräumt, eine Gemeinde zapatistischer Unterstützungsbasen, die sich ebenfalls im Prozess der Legalisierung ihrer Landansprüche befand. Staatsbeamte der Bundes- Staats- und Lokalregierungen sollten sofortige Schritte einleiten, um die Integrität und Sicherheit von Ojo de Agua El Progreso, Flor de Cacao, San Jacinto Lacanja, und Viejo Velasco zu garantieren. Diese Gemeinden haben sowohl unter den Auflagen des Abkommens von 1984, als auch durch die Abkommen, die bei den Verhandlungsrunden von Limonar erzielt worden sind, Anspruch auf Landschutz. Die Lokal-, Staats- und Bundesregierungen sollen sofortige Maßnahmen ergreifen, um die angedrohten illegalen Räumungen aufzuhalten, und die Familien, die von ihrem Land vertrieben wurden, zurückzuführen, falls sie es wünschen sollten. Dies ist das Mindeste, das Anstand und Gerechtigkeit fordern."

*) In einem Kommuniqué vom 21.11.2006 weist das CCRI-CG der EZLN darauf hin, dass "die Indígenas (von Viejo Velasco), die eine Konfrontation hatten, die Toten und die Verletzten, keine Unterstützungsbasen der EZLN (sind) und zu keiner der zivilen oder militärischen Strukturen der Zapatistas (gehören)


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(übs. von Dana)