Chiapas: Ursachen für den Aufstand der EZLN

1. Einleitung

Ein Aufstand im Südosten Mexikos weckte für einige Wochen, zu Beginn des Jahres 1994, das Interesse der Weltöffentlichkeit. Am 1. Januar des Jahres begann die EZLN ( Ejército Zapatista de Liberación Nacional) in Chiapas einen Aufstand gegen das Freihandelsabkommen NAFTA, gegen die Armut in Chiapas und für die Demokratisierung Mexikos und rüttelte so die mexikanischen politischen Eliten unsanft „aus ihren Träumen von einem unmittelbar bevorstehenden Eintritts des Landes in die „Erste Welt“ “.[1] Die Kommentare der Weltöffentlichkeit ließen, unabhängig vom politischen Standpunkt, Verständnis und/ oder Sympathie für die Aufständischen erkennen. Insofern erscheint es sinnvoll, die Gründe die zum Aufstand führten zu untersuchen. In Mexiko ließ die Regierung schnell verlautbaren, daß der Aufstand nur Werk von in- und/ oder ausländischen Extremisten sein könne. Doch diese Einschätzung konnte, zumindest in der Weltöffentlichkeit, nicht aufrechterhalten werden. Andere sprachen davon, daß die Armut in Chiapas den Aufstand auslöste, in der Revolutionsforschung hingegen ist bekannt, daß einzig der Grund „Armut“ nicht zum Aufstand führen muß. Also soll in dieser Arbeit hinterfragt werden, welche Ursachen für den Aufstand der Zapatistas verantwortlich waren.

Dieser Frage vorangestellt wird eine kurze geographische Einordnung des Staates Mexiko und des Bundesstaates Chiapas mit ausgesuchten sozialen und demographischen Daten. Dieses Kapitel wird als kurzer Überblick dem eigentlichen Thema vorangestellt. In Kapitel 3 wird dann auf einige Ursachen des Aufstandes eingegangen. Zuerst wird ein historischer Überblick über die Landverteilung in Chiapas gegeben, anschließend wird die wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Entwicklung in Mexiko und die Folgen für Chiapas untersucht; abschließend wird auf die politische Kultur in Mexiko sowie auf die politischen Vorbedingungen des zapatistischen Aufstandes eingegangen. Nach Ansicht des Autors liegen in diesen Faktoren die Hauptursachen für den Aufstand in Chiapas. Hiermit sind die Ursachen noch nicht vollständig erklärt, es wird zum Beispiel nur marginal auf den existierenden Rassismus in Mexiko oder auf koloniale Unterdrückungsstrukturen eingegangen. Um die Arbeit nicht ausufern zu lassen, wurde die Untersuchung jedoch auf die drei obengenannten Faktoren beschränkt. Im Anschluß an die Untersuchung über die Ursachen, wird noch ein kurzer Exkurs über die EZLN angefügt, der auf die historische Entwicklung und auf die politischen Aktionen der Guerilla eingeht. Auch wenn dieses Kapitel nicht unmittelbar mit der Fragestellung zusammenhängt, so ist es doch wichtig im Hinblick der Bedeutung der EZLN im Bundesstaat Chiapas. Nebenbei zeigt es Unterschiede des Aufstandes in Chiapas im Vergleich zu Aufständen in anderen Regionen Lateinamerikas. Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist es ebenfalls aufschlußreich, weil die EZLN mit ihrem radikal-, basisdemokratischen Konzept durchaus als neuer Typus lateinamerikanischer Guerillas zu gelten hat. Zum Abschluß werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und eine kurze Einschätzung der Situation gegeben.

Bei der Literatur wird darauf verwiesen, daß es zwar eine Vielzahl Publikationen zum Thema Chiapas und EZLN gibt, allerdings handelt es sich zumeist um Aufsätze, die entweder in Sammelbänden oder in Zeitschriften oder auch im Internet veröffentlicht wurden. Vollständige Monographien zum Thema Aufstand in Chiapas sind hingegen selten, was vielleicht auch mit der relativ kurzen Zeit des Aufstandes zusammenhängt oder auch damit, daß der Aufstand noch nicht beendet und eine abschließende Untersuchung noch nicht möglich ist. Das Interesse am Aufstand wird deutlich, wenn die politische Bandbreite der Literatur gesehen wird, so gibt es neben Untersuchungen der konservativen Konrad- Adenauer- Stiftung auch Untersuchungen der sozialistischen Wochenzeitung Soz. Diese Bandbreite der Publikationen wird in dieser Arbeit auch genutzt, um einen möglichst gesicherten Erkenntnisstand zu erreichen.

2. Geographische Einordnung und ausgesuchte soziale und demographische Daten

2.1 Vereinigte Mexikanische Staaten

Der vollständige Titel des Staates Mexiko lautet Vereinigte Mexikanische Staaten. Die Staatsgründung erfolgte mit der Erlangung der Unabhängigkeit von Spanien im Jahre 1821. Die Verfassung Mexikos geht aus der mexikanischen Revolution hervor und konstituierte 1917 die Staatsform einer präsidialen bundesstaatlichen Republik. Seit dem 1. Dezember 1994 ist Ernesto Zedillo Ponce de Leon, als Nachfolger Salinas Gortaris, Regierungschef Mexikos. Als Volksvertretung dient das Parlament mit der 500 Abgeordnete umfassenden Abgeordnetenkammer und dem Senat mit 64 Mitgliedern. Mexiko selbst ist in 5 Regionen und 32 Bundesstaaten unterteilt. Die Hauptstadt Mexikos, Mexiko- Stadt Districto Federal, stellt einen eigenen Bundesstaat dar. In Mexiko- Stadt leben über 25 Millionen Menschen der ca. 95- 100 Millionen MexikanerInnen.

Überhaupt ist seit 1960 eine Migration der MexikanerInnen vom Land in die Stadt zu beobachten. Wenn 1960 gerademal 50,7 Prozent der Bevölkerung in der Stadt lebten, waren es 1970 schon 58,7 Prozent, im Jahr 1980 lebten 2/3 der MexikanerInnen in städtischen Ballungsräumen und 1990 lebten sogar fast ¾ bzw. 72,5 Prozent der Einwohner in Städten.

Die Aufteilung nach ethnischen Gruppen ergibt, daß über 95 Prozent der Bevölkerung Mestizen sind, also vermischt spanisch- und indigen- stämmige Bevölkerungsteile. Die indigene Bevölkerung beträgt etwa 3,2 Prozent der Gesamtbevölkerung, 0,6 Prozent der MexikanerInnen sind Weiße europäischer Herkunft.

Die Aufteilung der Gesamtbevölkerung nach ihrer Religionszugehörigkeit ergibt, daß 1980 92,6 Prozent aller MexikanerInnen römisch- katholischen Glaubens waren. Die restlichen 7,4 Prozent verteilten sich auf ProtestantInnen (3,3 Prozent), Juden (0,1 Prozent), andere Religions- sowie einheimische Religionszugehörigkeiten (0,9 Prozent) und AtheistInnen bzw. religionsfreie Personen (3,1 Prozent).

Bei der Entwicklung der Erwerbstätigen in den einzelnen Wirtschaftsbereichen fällt eine Umverteilung vom primären in den tertiären Sektor auf.

Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen:

Dienstleistungen und nicht näher bezeichnete Bereiche:

1970: 37,6 %/ 1993: 49,9 %

Produzierendes Gewerbe:

1970: 22,9 %/ 1993: 21,5 %

Land- und Forstwirtschaft:

1970: 39,4 %/ 1993: 26,3 %

Der Staat Mexiko erstreckt sich zwischen 14°30’ und 32°30’ nördlicher Breite sowie 87° und 117° westlicher Länge und umfaßt eine Gesamtfläche von 1 958 201 qkm. Damit steht Mexiko flächenmäßig an 13. Stelle der Erde und ist ungefähr sechsmal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. Die Nordgrenze Mexikos zu den Vereinigten Staaten folgt über weite Strecken dem Rio Grande del Norte. Diese 2597 km lange Grenze zählt zu den sichersten der ganzen Welt. Im Südosten Mexikos liegen die Nachbarländer Guatemala und Belize. Natürliche Grenzen Mexikos bilden die Küsten am Stillen Ozean, am Golf von Mexiko und am karibischen Meer.[2]

2.2 Bundesstaat Chiapas

Der Bundesstaat Chiapas liegt im Bergland zwischen der Grenze Guatemalas im Osten, der pazifischen Küste im Südwesten, dem Isthmus von Tehuantepec im Westen und der Golfküstenebene im Norden. Chiapas liegt im Südosten Mexikos und damit bereits im Bereich der Tropen. Die Fläche des Bundesstaates beträgt 74.211 qkm. Die Bevölkerung beträgt 3,3 Millionen, davon 30 Prozent Indigenas. In Chiapas werden neben spanisch auch mehrere indigene Sprachen, wie Tzetal, Tzotzil, Zopue u.a.. gesprochen. In Chiapas ist, wie in Mexiko, der Katholizismus die vorherrschende Religion, allerdings ist diese mit präkolonialen Glaubensvorstellungen durchsetzt. Die wichtigsten Städte des Bundesstaates sind Tuxla Gutiérrez mit 300.000 EinwohnerInnen, Tapachula mit 225.000 EinwohnerInnen, San Cristobal de las Casas mit 90.000 EinwohnerInnen und Comitán mit 85.000 EinwohnerInnen.[3]

Die Wirtschaft Chiapas´ ist geprägt durch die Landwirtschaft; 58 Prozent der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung sind darin tätig. Die Haupterzeugnisse sind neben Kaffee, als das wichtigste Exporterzeugnis, auch noch Bananen, Mais und Zuckerrohr.

Hinzu kommt der Reichtum des Bundesstaates an Erdöl und Erdgas. Chiapas nimmt bei der Erzeugung von Erdgas und Erdöl den dritten Platz in Mexiko ein. Außerdem liegt Chiapas an erster Stelle der Elektrizitätserzeugung durch Wasserkraft mit 55% Prozent an der Gesamterzeugung.[4]

3. Ursachen und Hintergründe des zapatistischen Aufstandes

In diesem Kapitel sollen die Ursachen und Hintergründe des Aufstandes von Chiapas untersucht werden. Es wird auf die historische Entwicklung der Bodenverteilung und des Bodenbesitzes, auf die wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Entwicklung in Mexiko sowie in Chiapas und auf die in der politischen Kultur Mexikos zugrundeliegenden Ursachen eingegangen.

3.1 Historische Entwicklung des Bodenbesitzes in Chiapas

„Wenngleich die Bodenreform und die um Landbesitzungen geführten Auseinandersetzungen nur einen Teil des umfassenderen Konfliktschauplatzes von Chiapas ausmachen, so ist doch andererseits auch klar, daß die Kämpfe um Land im Kern der sozialen Unzufriedenheit in diesem Bundesstaat stehen.“[5]

Die Landkonflikte gelten unbestritten, als eine Ursache für den zapatistischen Aufstand. Deswegen sollte ein kurzer Überblick über die Geschichte des Bundesstaates Chiapas vorangestellt werden, um aus der historischen Betrachtung heraus, die momentanen Macht-, Herrschafts- und Besitzverhältnisse zu verstehen.

Nachdem Mexiko die Unabhängigkeit erlangt hatte, wurde das Gebiet des heutigen Staates Chiapas 1822 dem Staat Mexiko angegliedert. Vor der Angliederung gehörte Chiapas über drei Jahrhunderte hinweg zum Generalkapitanat Guatemala, wurde aber von den Verwaltungen in Spanien bzw. in Guatemala kaum beachtet. Bis 1882 ein Grenzvertrag zwischen Mexiko und Guatemala geschlossen wurde, verzichtete Guatemala nicht völlig auf die Ansprüche an Chiapas. [6]

In den nächsten drei Jahrzehnten entstand in Chiapas eine Oligarchie unter einer kleinen reichen Schicht. Die Großgrundbesitzer schafften es große Ländereien von den Kirchen oder den indigenen Gemeinden an sich zu reißen. In einem Aufsatz von Juan González Esponda und Elizabeth Pólito Barrios heißt es: „Auf diese Weise wurden einige wenige Familien legal oder illegal zu Besitzern riesiger Territorien. Moreno, Castellanos, Domínguez, Utrilla [...] etc. wurden von Familien- zu Gebietsnamen, und es läßt sich ohne weiteres sagen, daß diese ´namhaften´ Familien nicht nur in Chiapas lebten- es gehörte ihnen“[7]

Unter der Herrschaft des Diktators Porfirio Díaz (1876- 1911) entstanden, die noch heute prägenden und regionaltypischen ökonomischen Strukturen. Indem Investoren, überwiegend aus England, Spanien, Frankreich, Nordamerika und Deutschland stammend, begannen große Ländereien aufzukaufen, um dort „Fincas“ zwecks Kaffee-, Kautschuk- oder Holzproduktion zu gründen. Der Kaffee- Export nach Europa und Nordamerika bildete bald die Grundlage für mehr als die Hälfte der Staatseinkünfte Mexikos. So wurde es notwendig immer mehr Arbeitskräfte einzustellen, welche unter menschenunwürdigen Zuständen auf den Plantagen eingesetzt wurden.[8] Die Großgrundbesitzer und ausländischen Investoren wurden in ihren Geschäften gefördert, die überwiegend indigene Bevölkerung wurde von der herrschenden Elite mit Verweis auf positivistisch- darwinistische Ideen, als minderwertig angesehen. Dieser Ideologie folgend wurde indigener Grundbesitz nicht anerkannt. Also wurden diese Gebiete vermessen und gingen, durch die Politik Mexikos legitimiert, legal in den Besitz der expandierenden Latifundien über. Unter der Regierung Diaz besaßen schließlich 90 % der mexikanischen Landbevölkerung kein Land mehr, wodurch sie in die Schuldknechtschaft getrieben wurden.

In der Phase des „Porfiriats“, benannt nach der Herrschaftsepoche des mexikanischen Diktators, wurde mit der Devise „wenig Politik, viel Verwaltung“ regiert. Mit dieser Politik wurde Mexiko im Jahr 1910 zwar zum höchst industrialisierten Land Lateinamerikas, andererseits existierten große soziale Differenzen in der Bevölkerung. Gegen diese Politik und vor allem gegen das repressive System der Diktatur erhoben sich im Jahre 1910 liberal- bürgerliche Kräfte und begannen die erste große Revolution des 20. Jahrhunderts. Im Laufe der Revolution wurde diese mehr und mehr auch zum Aufstand der besitzlosen Bauern, die unter der Führung von Emiliano Zapata und Pancho Villa mit der Losung „ Tierra y libertad“ für „ Land und Freiheit“ kämpften.

In Mexiko wurde die alte Oligarchie weitgehend liquidiert und im Jahre 1917 wurde die noch heute in großen Teilen gültige mexikanische Verfassung verabschiedet, welche heute als die fortschrittlichste Verfassung des frühen 20. Jahrhunderts, mit einer Reihe sozialstaatlicher, etatistischer und paternalistisch- korporativistischer Elemente, angesehen wird.[9] Im Artikel 27, auf dessen Bedeutung für den zapatistischen Aufstand an späterer Stelle eingegangen wird, ist festgehalten: „Im Bereich des Grundbesitzes verschwindet der freie Eigentümer, Zentralfigur des Liberalismus. Er wird zum politischen Subjekt, das vom Staat das Recht auf Privateigentum zugesprochen bekommt, aber auf Widerruf, der immer dann erfolgen kann, wenn seine Nutznießung dem ´öffentlichen Interesse´ widerspricht [...]. Der Staat ist nicht mehr abgeleitete Macht, die aus dem freien Willen der Bürger hervorgeht, sondern die Rechte der Bürger sind Zugeständnisse des Staates.“[10] Aus diesem Paragraphen ergibt sich, daß sowohl Land als auch Wasser prinzipiell im Eigentum der Nation sind und diese Güter durch die Vermittlung des Staates in die Verfügung privater Personen übertragen werden.

Im Jahr 1914 erreichten die revolutionären Truppen unter General Jesús Agustín Castro den Bundesstaat Chiapas. Ebenso wie in anderen Bundesstaaten wurde auch in Chiapas sofort damit begonnen Diktator Porfirio Diaz nahestehende Politiker ihrer Ämter zu entheben. Überdies proklamierten die dem bürgerlich- liberalen Flügel zuzuordnenden revolutionären Truppen des Venustiano Carranza ein Landarbeitergesetz mit sozialen Maßnahmen. Eines dieser Gesetze ist, als „Gesetz zur Befreiung der mozos“[11] bekannt geworden, daß die Abschaffung der Schuldknechtschaft anordnete. Die Großgrundbesitzer empfanden die neuen, fortschrittlichen Gesetze als Bedrohung für ihre ökonomische Grundlage und so wurde vor allem im Zentrum und in der Hochebene Chiapas´ erbitterter Widerstand geleistet. Die Großgrundbesitzer gründeten die „Freie Brigade von Chiapas“, um sich „gegen die Verbrechen“ der Carranza- Anhänger zu wehren und „um die “Souveränität“ des chiapanekischen Staates und die Interessen der chiapanekischen Familie zu verteidigen.“[12] Der Widerstand der „Familien“ wurde im Guerilla- Stil, bestehend aus Überraschungsangriffen oder Überfällen aus dem Hinterhalt, geführt. Die genauen Ortskenntnisse waren den Mapaches, wie die Truppen der Finqueros nach einer Art Dachs genannt wurden, bei dieser Taktik hilfreich. Der Kleinkrieg in Chiapas dauerte bis 1920 an und erst nach der Ermordung des mexikanischen Präsidenten Venustiano Carranza konnte die Auseinandersetzung beendet werden. Die chiapanekischen „Familienclans“ hatten die Kandidatur des neuen Präsidenten Alvaro Obregón unterstützt. Dieser einigte sich mit dem Führer der Mapaches, Tiburcio Fernández Ruiz, die Feindseligkeiten einzustellen und den Staat zu befrieden.

Als Gegenleistung für die Einigung und die Unterstützung seiner Kandidatur durch die Familien Chiapas´, wurde Ruiz zum lokalen Oberbefehlshaber des Heeres und zum Gouverneur von Chiapas ernannt. So wurden die Gesetze der Carranza- Republik nicht angewandt und die Großgrundbesitzer konnten ihre Macht festigen. Während in Mexiko also die alte Oligarchie beseitigt wurde, blieb sie in Chiapas weitgehend bestehen. So hatte die Revolution Chiapas nicht erreicht. Die Bewegung konnte die politische, wirtschaftliche und soziale Struktur Chiapas´ nicht entscheidend beeinflußen.[13] Im Gegenteil Ruiz gelang es mit einer Änderung des Gesetzes zum Landbesitz, den Großgrundbesitz zu legalisieren. Im Agrargesetz hieß es, daß jedweder Grundbesitz einer Person von über 8000 ha enteignet und unter der Bevölkerung aufgeteilt werden sollte. Nun gab Ruiz den Großgrundbesitzern sechs Monate Zeit, um dieses Gesetz zu befolgen. Die Folge war, daß der Landbesitz innerhalb der Familien extrem aufgesplittert wurde. Es war üblich, daß sogar Säuglinge von ihren Eltern Landstücke von mehreren 1000 ha überschrieben bekamen, wodurch an der Situation der Latifundien nichts geändert wurde.[14]

Während in Mexiko nach der Revolution und auch während der Amtzeit des Präsidenten Cárdenas (1934- 1940) direkt eine massive Landverteilung einsetzte, blieb diese in Chiapas aus. Erst 1940 als die nationale Landverteilung rückläufig war, kam sie in Chiapas langsam in Gang. Allerdings wurde hauptsächlich von den Großgrundbesitzern bislang nicht erworbenes Land aus Staatseigentum an die Besitzlosen verteilt, welches eher unfruchtbar oder noch nicht erschlossen war.

In einem Aufsatz faßt Neil Harvey die Situation in Chiapas nach der Revolution folgendermaßen zusammen: „ The agrarian legislation of the postrevolutionary state established maximum limits on the extension of individual private holding. It also allowed for the redistribution of plots to landless peasants and the former workers of plantations and ranches. In Chiapas, however, both of these principles were, for the most part successfully resisted by the dominant families, and instead of redistibuting property, the federal government promoted colonization of unused areas such as the Lacandon forest.“[15]

Diese schon jetzt ungleiche Landverteilung verschärfte sich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten noch weiter. Die Gründe hierfür liegen in mehreren Entwicklungen innerhalb des Staates Chiapas: in einer Ausdehnung der Viehzucht, in der Entdeckung von Erdöl und in dessen Ausbeutung, in der Errichtung von Staudämmen zur Stromerzeugung, im Anwachsen der Bevölkerung zum Einem bedingt durch natürliches Bevölkerungswachstum und zum Anderen unterstützt durch die Ankunft von Flüchtlingen aus Mittelamerika, besonders aus dem benachbarten Guatemala. [16]

3.2 Wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Veränderungen in Mexiko und die Folgen für Chiapas

3.2.1 Wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Veränderungen in Mexiko

Neben dem agrarischen Faktor für den Aufstand in Chiapas, gibt es wirtschaftliche Gründe, die für die indigene Bevölkerung neben der Landverteilung, die Ursache in der veränderten mexikanischen Wirtschaftspolitik haben. Bis zu den 80er Jahren verfolgte Mexiko eine Politik der wirtschaftlichen Abschottung, gekennzeichnet durch hohe Importbarrieren, Subventionen, Preisbindungen und verstaatlichte Unternehmen.[17]

Diese Politik wurde als Erwiderung auf die wirtschaftliche und militärische Unterdrückung durch die USA im vorrevolutionären Mexiko verstanden. In den 60er Jahren galt Mexiko dann auch als Wirtschaftswunderland. Es war die Rede vom „milagro mexicano“[18]. Seit 1965 betrug das durchschnittliche jährliche Wirtschaftswachstum sieben Prozent, der mexikanische Peso galt beim internationalen Währungsfond als stabile Währung. Die negativen Konsequenzen der Industrialisierung hatte Mexiko durch Mindestlöhne und Sozialleistungen aufzufangen versucht. Finanziert wurden die sozialen Sicherungen zu Beginn durch den Export von landwirtschaftlichen Produkten, da die Zahl der Erwerbstätigen im sekundären Sektor aber immer weiter anstieg und gleichzeitig die Zahl der Beschäftigten im primären Sektor abnahm, war die mexikanische Landwirtschaft bald nicht mehr in der Lage die Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen. Also begann Mexiko mit dem „Cepalismo“, d.h. „einer Garantie der Befriedigung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung bei kreditfinanzierter keynesianischer Industriepolitik.“[19] Und tatsächlich wurde Mexiko, trotz der defizitären Handelsbilanzen, als Modell für Entwicklungsländer schlechthin gesehen und schien an der Schwelle zur Industrienation zu stehen. Diese Entwicklung wurde durch den einsetzenden Erdölboom gefördert. Die erste Krise des mexikanischen Wirtschaftssystems setzte zu Beginn der 70er Jahre ein, konnte allerdings durch die Nahostkrise von 1973 und steigende Erdölpreise aufgefangen werden. In der Folge verdoppelte Mexiko die Erlöse aus Erdöl und geriet in die völlige Abhängigkeit der Erdölpreise.[20] Zusätzlich hatte Mexiko das getan, was Mitte der 70er Jahre Politik aller „Dritte Welt“ Länder war; es akzeptierte die preiswert angebotenen Kredite der internationalen Großbanken, die zu diesem Zeitpunkt das ruhende Kapital wieder in Umlauf bringen wollten. So wurde diese erste Krise zwar überbrückt, aber sie ließ Mexiko auch mit 100 Milliarden Dollar zum zweithöchst verschuldeten „Dritte- Welt- Land“ werden.[21]

Der Zusammenbruch der mexikanischen Wirtschaft folgte 1981 mit dem drastischen Verfall der Ölpreise und dem gleichzeitigen Anstieg des internationalen Zinsniveaus. Das Wirtschaftswunderland mußte die Zahlungsunfähigkeit erklären.

Eine massive Kapitalflucht, ausbleibende ausländische Investitionen und Kredite sowie Spekulationen gegen den Peso führten zu stagnierenden oder negativen Wachstumsraten. Die Inflation von 1981 lag bei 30 Prozent und kletterte im Jahr 1982 auf 800 Prozent.

Mexiko mußte um Stundung der Zinsen beim IWF nachsuchen und im Gegenzug die üblichen Bedingungen des IWF akzeptieren: Kürzung der Sozialausgaben, Abbau von Sozialleistungen, Privatisierung der Staatsunternehmen und Entlassungen im öffentlichen Dienst, Öffnung der Märkte und Wegfall der Subventionen. Diese Phase verkörperte somit den Beginn der neoliberalen Wirtschaftspolitik Mexikos, welche zur Verarmung eines Großteils der Bevölkerung führte. Die Reallöhne sanken um bis zu 50 Prozent; die Arbeitslosigkeit erreichte die 50 Prozent Marke; die sogenannte Sparquote d.h. die Ersparnisse der Bevölkerung im Vergleich zum Sozialprodukt fiel ständig, ein Zeichen für die schlechte wirtschaftliche Situation großer Bevölkerungsteile.[22]

Auf der anderen Seite gelang es Präsident Salinas de Gortari die Inflationsrate wieder zu drücken von 1987 160 Prozent auf knapp 8 Prozent im Jahr 1993.[23]

Als großen Erfolg deklarierte Präsident Salinas de Gortari die Unterzeichnung des North American Free Trade Agreement (NAFTA) im Jahr 1992. Beteiligt am NAFTA- Vertrag sind die Länder Kanada, USA und Mexiko, die zusammen einen Wirtschaftsraum mit ungefähr 360 Millionen Menschen bilden. Der im Jahr 1994 in Kraft getretene Vertrag hatte „die Schaffung einer Freihandelzone im Einklang mit dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT), die Beseitigung der Zollschranken, die Förderung fairer Wettbewerbsbedingungen und die Steigerung der Investionsmöglichkeiten“[24] zum Ziel.

Bei Betrachtung des Vertrages und der Struktur der Mitgliedstaaten ist erkennbar, daß er eine Art Arbeitsteilung enthält: Kanada liefert die Rohstoffe, die USA das technische Know- How und Mexiko die billigen Arbeitskräfte. Diese Arbeitsteilung wird anschaulich bei den im Norden Mexikos entstehenden maquiladora- Industrien. Dort wird mit minimalen Umweltstandards und Arbeitsrechten eine Leichtlohnindustrie aufgebaut, die in Hinblick auf die Entwicklung sozialer Standards in Mexiko nichts Gutes erkennen läßt. Die BefürworterInnen des NAFTA- Vertrages stellen heraus, daß mindestens 600.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden und es ein deutliches Wirtschaftswachstum geben wird. Die BefürworterInnen betonen, daß den USA der direkte Zugriff auf die Erdölreserven Mexikos verwehrt werden konnte. Die GegnerInnen des NAFTA- Vertrages betonen die Öffnung der petrochemischen Industrie für ausländische Investoren und die Auflösung aller Beschränkungen für ausländisches Kapital, für Banken und Versicherungsgesellschaften. Es wird erwartet, daß Mexiko in die politische Abhängigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika geraten wird und das die neu geschaffenen Arbeitsplätze annähernd denen der maquiladora- Fabriken im Norden Mexikos gleichen werden.

Die Entwicklung der ökonomischen Globalisierung wird von KritikerInnen als langfristig gefahrvoll angesehen, da nach kurzem wirtschaftlichem Aufschwung ein Zusammenbruch möglich ist. D.h., wenn die zum Teil geschönten wirtschaftlichen Statistiken mit der Realität nicht mehr mithalten können, können die nationalstaatlich nicht gebundenen Unternehmen sich an profitableren Wirtschaftsstandorten orientieren und das Wirtschaftsmodell eines Landes unter Umständen zum Einsturz bringen. Einen Vorgeschmack auf so eine Situation bekam Mexiko bereits Ende 1994. Kurz nachdem Präsident Zedillo sein Amt angetreten hatte, trat die wirtschaftliche und politische Krise zutage. Einerseits hatten der Aufstand der Zapatistas, eine innerparteiliche Rebellion in der PRI sowie das Erstarken von PRD und PAN den Präsidenten politisch geschwächt, andererseits wurde die ökonomisch missliche Lage durch die Zahlungsunfähigkeit der Regierung deutlich. Seit Inkrafttreten des NAFTA- Abkommens Anfang 1994 waren die Errungenschaften der

Liberalisierungspolitik zugrunde gegangen: „Die Inflationsrate ist 1995 auf über 50 % gestiegen und Auslandsinvestitionen waren zum erstenmal seit 1985 mit -5,6 Milliarden Dollar negativ.“[25] Weitere Beispiele für die Krise sind die Abnahme der formalen Beschäftigung; das Absinken der realen Mindestlöhne auf das Niveau von 61,3 % der Mindestlöhne von 1980 und die Überbrückung der Schwierigkeiten des Finanz- und Banksektors mit Notprogrammen, deren Kosten ca. 8 % des BIP betrugen. Gleichzeitig ist die Gesamtschuld Mexikos auf 160 Milliarden Dollar gestiegen, was einen Schuldendienst von 10 % des BIP jährlich bedeutet.[26] Dieser sogenannte „Tequila- Crash“ wurde durch ein von den USA angeregtes, internationales Finanzpaket von über 50 Milliarden Dollar vorübergehend gemindert.

3.2.2 Die wirtschaftliche Situation in Chiapas

Gerade in Chiapas traten die Auswirkungen der Krise(n) in den 80er Jahren besonders zu Tage. Sie müssen vor dem Hintergrund eines enormen Wachstums in den 70er Jahren gesehen werden. Indes profitierten in Chiapas nicht, wie in anderen Regionen Mexikos, wenigstens zum Teil die Mittelschichten, sondern im Gegenteil, die Konzentration des Reichtums war von der Kumulierung besonderer Armut begleitet.

Dieter Boris beschreibt es so, daß „schneller Fortschritt und überproportionale Rückständigkeit (bezogen auf den nationalen Durchschnitt) (...) zeitlich und regional in bemerkenswerter Weise“[27] koexistierten. Obwohl Chiapas vom Erdölboom profitierte, der Bundesstaat gilt als zweitgrößter Produzent der mexikanischen Bundesstaaten, und obwohl der Ausbau der hydroelektrischen Energie Chiapas heute mehr als die Hälfte Mexikos Strombedarfs produzieren läßt. Auch die landwirtschaftliche Produktion Chiapas´ ist in einigen Bereichen führend in anderen zumindest zu den produktivsten des Staates zählend. So gilt Chiapas als größter Kaffee- Exporteur, drittgrößter Maisproduzent und fünftgrößter Viehproduzent innerhalb der mexikanischen Bundesstaaten. Ebenfalls hinsichtlich der Tabak-, Sojabohnen-, Bananen und Holzproduktion gehört Chiapas zu den führenden Bundesstaaten.[28] Diesen für Mexikos Verhältnisse guten bis sehr guten Wirtschaftsdaten, stehen schlechte bis sehr schlechte soziale Indikatoren gegenüber. Während 59 Prozent der wirtschaftlich- aktiven Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig sind, arbeiten nur 11,1 Prozent im Industriesektor. Die Lebenserwartung betrug 1990 66,4 Jahre, damit liegt sie zwei Jahre unter dem mexikanischen Durchschnitt. Die registrierten Krankheiten gelten als typische Erkrankungen armer Gebieten. So überwiegen Infektionen der Atemwege, Darm- und Amöbenerkrankungen. In 15 Prozent der Fälle sind infektiöse Darmerkrankungen die Todesursache, die somit den Hauptgrund der Sterblichkeit ausmachen. In Chiapas beträgt die Analphabetenquote von Personen über 15 Jahre 30 Prozent, in Gesamt- Mexiko beträgt die Rate nur 15 Prozent. Im Bundesstaat Chiapas sind 10 Prozent der Kinder nicht eingeschult, in Gesamt- Mexiko beträgt diese Quote nur 1 Prozent.

Ganz allgemein zeigen die Lebensverhältnisse einen Rückstand gegenüber dem nationalen Standard. So verdienen 80 Prozent der arbeitenden Bevölkerung weniger als 250 US- Dollar im Monat, nur 3,6 Prozent verdienen mehr als 626 US-Dollar. Nur 41 Prozent der chiapanekischen Bevölkerung verdienen den gesetzlich vorgeschrieben Mindestlohn gegenüber 73,5 Prozent im Landesdurchschnitt.[29]

Aus diesem Grunde galt das Nationale Solidaritätsprogramm (Pronasol) als das zentrale Instrument der Bundesregierung, um die schlimmsten Auswirkungen der Armut in diesem Bundesstaat zu lindern. Chiapas profitierte von allen Bundesstaaten Mexikos am meisten von den Hilfsmaßnahmen der Regierung. Es erhielt absolut die größten finanziellen Zuwendungen, obwohl Chiapas gemessen an der Bevölkerungszahl nur den achten Platz aller Staaten belegt. Vor diesem Hintergrund muß nun der Abschluß des NAFTA- Vertrages und die Auswirkungen auf den Bundesstaat Chiapas gesehen werden.

Eine Forderung der USA war die Aufhebung des Artikel 27 in der mexikanischen Verfassung. Dieser sogenannte „ejido“- Paragraph stellte sicher, daß kein Land gekauft werden könne, sondern daß es an Bauern zur Bearbeitung verliehen wird. Für die us- amerikanische Agrarindustrie war die Abschaffung des Artikels elementar. Denn durch den ejido- Paragraphen war es äußerst schwierig, große Flächen Ackerland zu erhalten. Aber nur große Flächen sind für die maschinelle Agrarwirtschaft der USA rentabel, da auf kleinen Flächen die Technik nicht effektiv eingesetzt werden kann.

Die EZLN bemängelte die Aufhebung dieses Paragraphen seit Beginn der Revolte am 1. Januar 1994, dem Tag des Inkrafttretens des NAFTA- Vertrages. Auch wenn, wie bereits erwähnt, die Agrarreform und die Verteilung des Landes in Chiapas traditionell schleppend voranging, so führte die Änderung des Paragraphen bei den Mitgliedern der Ejidos und Comunidades sowie der landlosen Kleinbauern zu wütenden Protesten, auch weil ihre Hoffnung auf Land endgültig zunichte gemacht wurde. Diejenigen Kleinbauern die bislang Land von der Regierung erhalten hatten, fürchteten nun um eben dieses, denn wie sollten sie den großen Agrarfirmen gegenüber ihr Land verteidigen können ? Insbesondere die Aussagen Salinas, der die ejido- Landwirtschaft für die rückständige Entwicklung des mexikanischen Agrarsektors verantwortlich machte, ließ keine Sicherheit erwarten.

Ebenso bedrohlich für die chiapanekischen Kleinbauern war die Aufnahme der Grundnahrungsmittel Mais, Weizen und Bohnen in den NAFTA- Vertrag, entgegen aller vorher gemachten Zusicherungen der UnterzeichnerInnen. Hierdurch müssen die mexikanischen Bauern in den aussichtslosen Wettbewerb mit us- amerikanischen Importen treten.

Die Frankfurter Rundschau vom 11. Januar 1994 schätzt, „daß mindestens 2,5 Millionen Maisbauern [ bezogen auf ganz Mexiko, der Autor] entwurzelt werden, da sie nicht mit den Billigimporten aus den USA konkurrieren können.“[30]

Eine weitere Bedrohung für die chiapanekischen Kleinbauern ist es, daß nun industriell gefertigte Waren in den Wirtschaftsraum gelangen und somit in Konkurrenz zu ihren zumeist handgefertigten Waren treten. Somit wird die traditionelle indigene Subsistenz- Wirtschaft angegriffen.

„Denn es existiert der Mythos, daß subsistenzproduzierende Bauern autark wären. Dem ist aber keineswegs so. Zwar ist ihr Ziel die Selbstversorgung und nicht die Warenproduktion, dennoch gehören Tauschverhältnisse und funktionierende gemeinschaftliche Netze der Gegenseitigkeit, ebenso zur Existenzsicherung wie die Maisernte selbst.“[31]

3.3 Die Ursachen in der politischen Kultur Mexikos und Chiapas

3.3.1 Die Ursachen in der politischen Kultur Mexikos

Die Innenpolitik Mexikos war jahrzehntelang durch drei Faktoren geprägt, die erst nach und auch teilweise durch den Aufstand der Zapatistas aufgezeigt und in der breiten Gesellschaft diskutiert wurden. Ein Faktor der mexikanischen Innenpolitik ist die Staatspartei PRI ( Partido Revolucionario Institucional / Partei der institutionalisierten Revolution), die seit ihrer Gründung im Jahre 1929 alle Präsidenten Mexikos stellte. Durch die faktische Alleinregierung seit dieser Zeit, konnte zumindest bis 1995 in Mexiko nicht von einer demokratischen Kontrolle ähnlich der bundesdeutschen Demokratie gesprochen werden. Auch der Willensbildungsprozeß in der Partei ist unter demokratischer Sichtweise eher bedenklich. Dies wird besonders beim Prinzip des dedazo deutlich.

Mit dem dedazo ist das System des „Fingerzeiges“ des scheidenden Präsidenten auf seinen Nachfolger gemeint.[32] Als zweiter Faktor ist das Prinzip der Kooptation zu nennen, welches die Politik Mexikos immer durchzog. Aufgrund der Allmacht der PRI, ist es ihr möglich, gefügige Organisationen und Personen oder Regionen zu belohnen oder zu bestrafen. Um dieses Prinzip zu verdeutlichen muß kurz das Sektoren- Prinzip der Partei erläutert werden.

Die PRI besteht aus drei Sektoren:

1. Dem Arbeitersektor:

In der 1936 gegründeten Dachgewerkschaft CTM (Confederación de Trabajadores Mexikanos) sind alle Industriegewerkschaften unter einem Dach vereinigt. Da folglich alle Gewerkschaften indirekt der PRI unterstellt sind, ist es nahezu unmöglich für einen Arbeiterführer Opposition gegen die PRI zu führen, wenn er Vergünstigungen durch die Regimepartei erreichen will.

2. Dem Bauernsektor:

Die Dachgewerkschaft dieses Sektors die CNC, die Confederacion Nacional Campesina wurde 1938 gegründet. Die Kontrolle der Partei wird dadurch deutlich, daß die örtlichen caciques (Kaziken) Wahlkampf für Wahlkampf mit der PRI zusammenarbeiten, trotz zahlreicher Enttäuschungen, müssen sie den Versprechungen der Gewerkschaft bzw. auch hier denen der PRI glauben.

3. Dem Volkssektor:

Der Dachverband CNOP (Confederación Nacional de Organizaciones Populares) vereinigt die Mittel- und Oberschichten Mexikos. Dieser Sektor ist ein wenig sonderbar, jedenfalls sind in ihm KleinunternehmerInnen, Geschäftsleute, Taxifahrer, Frauenorganisationen, Jugendorganisationen und die Mitglieder der staatlichen Bürokratie - bis hinauf zum Präsidenten organisiert. Alle Vergünstigungen laufen über die Dachgewerkschaft, also auch hier wieder indirekt über die PRI. Zum Beispiel muß ein Taxifahrer die Lizenz für sein Unternehmen bei der Gewerkschaft beantragen.

Alle Personen die nun also Mitglied in einer dieser Organisationen sind, sind somit auch gleichzeitig Mitglied in der PRI, wodurch die Partei bis zu 15 Millionen Mitglieder zählt.[33] Die PRI hat das Prinzip der Kooptation in den letzten Jahrzehnten bei aufkommenden Schwierigkeiten immer wieder eingesetzt und war daher in der Lage eine für lateinamerikanische Verhältnisse stabile Demokratie zu erhalten.

Wenn es in irgendeinem Bereich zu Schwierigkeiten kam, konnte die PRI durch kleinere oder auch größere Zuwendungen, die aufbegehrende Bevölkerung wieder beruhigen. Bei Wahlen gab es für die richtige Stimmabgabe oder für die Unterstützung der richtigen Partei durchaus „Belohnungen“ finanzieller Art. Als Beispiel kann erneut Chiapas gelten. Wie bereits erwähnt, erhielt und erhält Chiapas große Unterstützung aus dem PRONASOL- Programm. Diese Unterstützung erreicht aber nur der PRI zugeneigte Einzelpersonen und Organisationen, wie z. B. die CNC. Ein weiteres Beispiel ist das Verteilen von Hilfsgütern nach Naturkatastrophen, die oftmals nur gegen das Versprechen die PRI zu wählen, ausgegeben werden. Durch diese Politik konnte die PRI große Teile der Bevölkerung zufrieden stellen, einbinden und Wahlen auch „legal“ gewinnen.

Wenn das Mittel der Kooptation nicht greifen wollte, nutzte die Partei den dritten Faktor der mexikanischen politischen Kultur, der offen oder verdeckt auf undemokratischen Mittel beruht. Zum einen ist in Mexiko 1988 ein massiver Wahlbetrug nachgewiesen worden, bei denen die PRI „nur aufgrund eines kräftigen Manipulationseingriffs (über die stundenweise angeblich „ausgefallenen“ Wahlcomputer) mit knapp 50% Mehrheit ihrer Kandidaten hatte durchsetzen können“[34]. Ebenso umstritten ist das Ergebnis der Wahlen von 1994, aus denen der jetzige Präsident Ernesto Zedillo als Sieger hervorging. „Der von Präsident Salinas de Gortari zu seinem Nachfolger bestimmte Zedillo erklärt sich zum Sieger: mit fast 50 % der abgegebnen Stimmen. Zwar werden Berichte von Stimmenkauf, Urnenraub, Doppelzählungen und Manipulation der Wahlergebnisse bekannt, diese Unregelmäßigkeiten werden von den Wahlbeobachtern jedoch als nicht wahlentscheidend eingestuft“[35]

Zum anderen wird auch nicht vor Gewalt und Einschüchterung zurückgeschreckt. So wie 1968 als ein StudentInnenstreik in Mexiko- City blutig niedergeschlagen wurde oder entsprechend das Massaker von Acteal in Chiapas im Dezember 1997 oder gleichfalls die Einschüchterungen im StudentInnenstreik zur Jahreswende 2000 ziehen sich wie ein roter Faden durch die mexikanische Gesellschaft. Dieses politische Mittel wird durch amnesty international belegt: „In den zentralen und südlichen Staaten Mexikos, in denen der Anteil der indianischen Bevölkerung vergleichsweise hoch ist und der Lebensstandard beträchtlich unter dem Durchschnitt liegt sind eine Reihe von Bauern und Indigenas vorsätzlich politischen Morden zum Opfer gefallen.“[36] Zusätzlich wird im Bericht auf Folter und Mißhandlungen, sowie auf politische Inhaftierungen und Gerichtsverfahren eingegangen.

3.3.2 Die Ursachen in der politischen Kultur Chiapas´

Dieses autoritaristisch-demokratische System führte dazu, daß die EZLN nach Besprechung mit der indigenen Gemeinschaft keine andere Möglichkeit sah, als mit dem bewaffneten Aufstand zu beginnen. In mehreren Communiques verweisen die Zapatistas darauf, das der bewaffnete Aufstand, nach Protestmärschen, Petitionen und anderen Möglichkeiten der demokratischen Teilnahme ohne erfolgte Verbesserungen , daß letzte verbliebene Mittel sei.

Überdies gibt es sozio- politische Gründe dafür, daß der Aufstand im lakandonischen Urwald das Zentrum hat. Dieses hängt mit sozioökonomischen Prozessen im dichtbesiedelten Hochland zusammen[37], welche einen Teil der Indigenas die Lebensgrundlage entzog und somit entweder zur Emigration in den Norden führte, oder zur Emigration in den wenig besiedelten lakandonischen Urwald, um hier ein Stück Land zu bewirtschaften. Durch diese Emigration in den lakandonischen Urwald, verlor die PRI nun politische Kontroll- und Vermittlungsmöglichkeiten, die bisher durch das cargo- System und traditionelle Dorfautoritäten, die Kaziken, sichergestellt wurden.

Die EmigrantInnen siedelten sich so zum Teil in den Städten von Chiapas in Vierteln an, die unter der Schirmherrschaft katholischer oder z.T. auch evangelischer Gruppen standen. Eine Vielzahl von EmigrantInnen bildeten Agrarkolonien, die das Land kollektiv, oft mit Hilfe neugegründeter Kreditklubs, erwarben. Durch das Fehlen der nötigsten Lebensgrundlagen, wie medizinische Versorgung oder ausreichende Straßen und Wege, mußte das Zusammenleben neu organisiert werden. Durch die relative Abwesenheit des Staates spielte die katholische Kirche eine wichtige Rolle in der Organisierung der Gemeinden. Insbesondere die Theologie der Befreiung diskutierte mit den Gemeinden, u.a. über neue Formen gemeinschaftlicher Arbeits- und Entscheidungsprozesse und über die Bildung von Kooperativen.[38] Der Staat verlor in diesen Gebieten einen Großteil seiner Kontrollmöglichkeiten, die im Rest des Bundesstaates noch funktionierten.

Zu Beginn der siebziger Jahre verschärften sich dann die Auseinandersetzungen um Land. Die Gründe lagen in einer Politik der Regierung, die den lakandonischen Urwald zum Siedlungsterrain erklärte, um den anwachsenden Bevölkerungsdruck in anderen Landesteilen zu entschärfen. Insofern entstand bald eine konfliktbeladene Koexistenz zwischen SiedlerInnen aus anderen Regionen Mexikos, indigenen Bevölkerungsgruppen aus dem Hochland und immer weiter expandierenden Viehfarmen. In dieser Phase rief Bischof Samuel Ruiz im Oktober 1974 zum ersten Indigena- Kongreß auf, der unbestritten eine Aufbruchstimmung für das Entstehen von Bewegungen und Organisationen in Chiapas weckte. Der Kongreß ließ eine Kommunikation aller indigenen Gruppen entstehen und ließ sie erkennen, daß ihre Probleme dieselben waren und insofern eine gemeinsame Organisierung notwendig machten. So wurde aus der Tradition der Indigenas erkannt, daß die Organisierung außerhalb der staatlichen CNC oder der PRI passieren mußte. Auch nicht- indigene TeilnehmerInnen am Kongreß erkannten, daß die indigenen Gruppen ein hohes Bewußtseins- und Organisationsniveau erreichen konnten, und infolgedessen auch als politischer Machtfaktor zu gelten hatten. [39]

Die Gruppen, die sich aus diesen Erfahrungen bildeten, wurden zwar, bedingt durch staatliche Repression, staatliche Kooptation oder durch Spaltung, geschwächt bzw. aufgelöst. Dennoch blieben Organisationsreste und -erfahrungen bestehen.

Auf dieser Grundlage entstanden eine Vielzahl von Verbindungen zwischen einzelnen Gemeinden. Eine breite Politisierung innerhalb der Bevölkerung setzte ein. In dieser Phase des Widerstandes gegen die Herrschaft der PRI und des Großgrundbesitzes wurden zwei grundlegende Positionen entwickelt. Während ein Teil der Bewegung weiterhin den Aufbau demokratischer Widerstandsorganisationen in den Mittelpunkt stellte, wollte ein anderer Teil auf die Möglichkeit des bewaffneten Kampfes nicht verzichten. Als wichtige Organisationen, die für den Aufbau friedlichen demokratischen Widerstands stehen und die für „frischen Wind“ in der Auseinandersetzung mit den Herrschenden sorgten, gelten die Unabhängige Nationale Campesinoallianz Emilano Zapata (ANCIEZ) , die 1991 gegründet, eine Vielzahl von Menschen für den Kampf um Land mobilisieren konnte und die indigene Organisation XiNich die 1992 mit ihrem Marsch auf die Hauptstadt große Teile der Öffentlichkeit erreichte. Die Verlautbarungen aller Organisationen in Chiapas ließen eine gemeinsame Forderung erkennen, lautend „Tierra y Libertad“, politische Partizipation und das Recht auf ein würdiges Leben.[40] Die Entwicklung der EZLN ist als Option für die Entwicklung des bewaffneten Kampfes zu sehen. Aus einer kleinen Gruppe, die sich Anfang der 80er Jahre aus den Städten Mexikos kommend im lakandonischen Urwald einfand, um für ein sozialistisches Staatsmodell zu kämpfen, wurde kontakteknüpfend mit der chiapanekischen Landbevölkerung, begonnen eine zapatistische Kampfform zu entwickeln.

Neil Harvey formulierte die Akzeptanz der Bevölkerung für die bewaffnete Option so , „ The EZLN was able to gain support from thousands of Tzeltal, Tzotzil, Zoque, Chol, and Tojolobal Indians in the Altos and Selva regions. It was not a movement implanted from outside but the most recent expression of popular organizing and resistance to elite manipulation, government indifference, and police brutality. It drew support from peasants who had partizipated over several years in legal organizations that sought to defend land and labor rights. It was the denial of political space to these organizations that allowed for the armed option to gain acceptance.“[41]Die Forderungen der EZLN lauten eine konsequente Demokratisierung Mexikos in Freiheit und Gerechtigkeit, also nicht eine Machtübernahme, wie sie von anderen lateinamerikanische Guerillas angestrebt wurde. Die Forderung nach Land, die in der Tradition des chiapanekischen Widerstandes steht, setzt sich ganz explizit mit der Streichung des Artikels 27 auseinander. Diese Forderung wird mit dem konsequenten Vorzeigen der mexikanischen Flagge unterstützt, mit der symbolisch gegen den Ausverkauf mexikanischen Landes durch ausländische InvestorInnen protestiert wird. Weiter wird die Annerkennung indigener Rechte, sowie eine Autonomie der Indigenas innerhalb des mexikanischen Staates gefordert. Ein weiteres Ziel ist, die Abkehr von der neoliberalen Wirtschaftspolitik.

4. Exkurs: Die EZLN ( Ejercito Zapastista de Liberación Nacional) und ihre Politik

Im Hinblick auf die Bedeutung der EZLN für den Aufstand in Chiapas, soll in diesem Exkurs ein kurzer Überblick über die Organisation und die Politik der Guerilla erstellt werden. Dieser soll allerdings nur erläuternd sein, weil die Darstellung nicht unbedingt den roten Faden der Auseinandersetzung mit den Ursachen des Konflikts verfolgt.

Die Entstehungsgeschichte der EZLN beginnt laut Subcommandante Marcos in den frühen 80er Jahren, als sich „eine kleine Gruppe mit einem traditionellen militärisch- politischen Konzept, die sich stark an die lateinamerikanischen Guerilla- Gruppen anlehnte.“[42], im lakandonischen Urwald einfand. Schon bald fand eine Ausweitung der Gruppe durch hinzustoßende Indigenas statt. Hieraus ergab sich ein für beide Seiten fruchtbarer Austausch, den Marcos wie folgt beschreibt: „Zusätzlich zu ihrer Kondition, die sie für ein Leben in den Bergen befähigte, brachten sie uns ihre Weltsicht, sowie ihre Sicht des Kampfes und ihrer Kultur. Das heißt, in dieser Aufbauphase des Kampfes bewegten wir uns in einer Schule, wo es nicht klar war, wer Lehrer und wer Schüler war.“[43]

Aus diesen Kontakten mit den Indigenas entwickelten sich auch bald Kontakte mit der Landbevölkerung, die sich von der EZLN einen gewissen Schutz, gegen die Übergriffe der „Weißen Garden“ der Großgrundbesitzer und Viehzüchter sowie vor den Übergriffen der Polizei, versprach. Die EZLN war gezwungen aus den Tiefen des lakandonischen Urwaldes in die Nähe der Städte zu ziehen und mit den DorfbewohnerInnen in den Dialog zu treten. Aus den Dialogen entstand das heute gültige basisdemokratische Konzept der EZLN. Zusammengefaßt unter der Formel „gehorchend befehlen“ akzeptiert die Guerilla die Entscheidungsgewalt der Dörfer.

Heute wird die EZLN von KennerInnen der Region auf 10.000 bis 13.000 bewaffnete KämpferInnen geschätzt.[44]

Als Datum für den Beginn des bewaffneten Aufstandes wurde der 1. Januar 1994 gewählt, also der Tag des Inkrafttretens des NAFTA- Freihandelsabkommens. Ganz gewiß wurde das Datum nicht zufällig ausgewählt, sondern zeigt die Vorliebe der Guerilla für Symbolik und die damit verbundene Vermittlungsfähigkeit ihrer Aktionen. Die EZLN besetzte einige Städte und Ortschaften in Chiapas, vernichtete Besitzurkunden der Großgrundbesitzer und enteignete Lebensmittel und Medikamente, um sie anschließend unter der Bevölkerung zu verteilen. Die Regierung antwortete mit massiven militärischen Gegenschlägen, die bis zu Bombardierung einzelner Ortschaften reichte. Da die EZLN der mexikanischen Armee militärisch nicht entgegentreten konnte, mußte sie sich weit in die Berge zurückziehen und den Kampf mit anderen Mitteln weiter führen. Jedenfalls fiel seit diesen ersten Januarwochen kein Schuß aus einem Gewehr eines Zapatisten. Der Aufstand der Guerilla war, neben der größten wirtschaftlichen Krise Mexikos, mitauslösend für eine der größten politischen Krisen Mexikos. In der PRI führte die Krise zu Unstimmigkeiten, deren stärkster Ausdruck in der Ermordung des Präsidentschaftskandidaten Colosio zu finden ist. Aufgrund von Unstimmigkeiten in der PRI- Führung und großem Druck der Weltöffentlichkeit, sah sich die Regierung Salinas gezwungen der EZLN Verhandlungen anzubieten, welche später unter Vermittlung von Bischoff Samuel Ruiz zu den Verträgen von San Andres führten. Im Vertrag wurden alle 34 Forderungen der EZLN anerkannt, so z.B. die Forderung nach Änderung der Verfassung von Chiapas, um den indigenen Gemeinschaften Autonomie und Vertretung im Kongreß zu gewährleisten und um die Rechte der indigenen Bevölkerung formal festzulegen. Obwohl der Vertrag von den Delegierten der EZLN unterzeichnet wurde, ist dieser von der PRI bis heute nicht ratifiziert. Im Gegenteil schon bald begann die Regierung und die Regionaloligarchie in Chiapas einen Krieg niederer Intensität zu führen. Dieser „zeichnet“ sich u.a. durch vereinzelte Übergriffe auf die Zivilbevölkerung aus, so z. B. beim um die Welt gehenden Massaker von Acteal, oder durch gezielte Desinformationspolitik seitens der Regierung, mit der z.B. versucht wird die EZLN als Drogenguerilla zu diffamieren. Die Absurdität dieser Behauptung wird deutlich, wenn der Beschluß der EZLN vertraut ist, keine Drogen, ob Alkohol oder andere Drogen, in den autonomen, besetzten Gemeinden zuzulassen. Aufgrund dieser bekanntgewordenen Geheimdokumente und dem Stillstand der Verhandlungen wurden diese 1996 abgebrochen.

Seit Beginn des Aufstandes begann die Guerilla mit den Aufbau selbstverwalteter Gemeinden, in denen die Forderungen der EZLN gelebt werden. Seit Beendigung der Kämpfe versucht die EZLN ihre Forderung durch Öffentlichkeitsarbeit zu verwirklichen. Eine wichtige Säule der Öffentlichkeitsarbeit sind basisdemokratische Aktionen, wie zum Beispiel Umfragen unter der Bevölkerung oder auch Protestmärsche und die Durchführung von regionalen und auch internationalen Kongressen. Als erste Guerilla überhaupt wußte die EZLN auch die Möglichkeiten der Informationsweitergabe durch das Internet zu nutzen. In diesem Zusammenhang wird die EZLN auch oft, als die Cyberguerilla bezeichnet.[45] Dieses erkannte auch der damalige mexikanische Außenminister Angel Gurria, „als er im April 1995 davon sprach, daß der Chiapas- Konflikt lediglich ein „Krieg der Tinte und des Internet“ sei.“[46] Auch wenn Gurria das militärische Ausmaß des Konfliktes mit seiner Aussage verniedlichen wollte, ist diese doch ein Kennzeichen für die Effektivität des Internets, um Weltöffentlichkeit herzustellen.

5. Schlußbetrachtung

In der Arbeit wurden einige Ursachen für den Aufstand in Chiapas deutlich, so liegen sie in der Wirtschaftspolitik des Staates und den einhergehenden Problemen für die Zivilbevölkerung, der politischen Kultur in Mexiko, in der wirtschaftlichen Situation für die Indigenas in Chiapas und in den vorherrschenden politischen Bedingungen im lakandonischen Urwald. Wie die Entwicklung des nun seit 6 Jahren andauernden Konfliktes sein wird, ist allerdings noch völlig offen.

Die bisherigen Verhandlungs- und Friedensgespräche lassen jedoch einen endgültigen Frieden nicht erwarten. Im Gegenteil, nach einem erneuten Wahlsieg der PRI im Jahr 2000 mehren sich Befürchtungen, daß dem Problem Chiapas ein gewaltsames Ende bereitet werden soll. Dafür spricht zum Beispiel das Straßenprojekt, mit dessen Ausbau das von der EZLN dominierte Gebiet quasi komplett eingekreist wäre und welches militärische Aktionen seitens der Armee erleichtern würde. Außerdem läßt die massive Präsenz von ca. 60.000 Soldaten, einem Drittel der mexikanischen Armee, auf ein gewaltsames Ende schließen.[47]

Auf der anderen Seite lassen leichte Demokratisierungstendenzen in den letzten Jahren auch die Ablösung der seit über siebzig Jahren herrschenden PRI möglich erscheinen. Ein Umgang der PRD mit der Situation in Chiapas könnte zumindest auf die Möglichkeit einer ernsthaften Diskussion mit unblutigem Ausgang hoffen lassen. Dieses können jedoch nur Spekulationen sein. Denn solange die wirtschaftlichen Interessen, über die Interessen der Lebensgrundlage der Zivilbevölkerung gestellt werden, ist auch eine Lösung der Ursachen für den Aufstand nicht in Sicht. Auch wenn die Zapatistas noch nicht den Sturz der PRI erreicht haben, so hat der Aufstand die Demokratisierungstendenzen des Landes eingeleitet und unterstützt. Ebenso ist die Problematik der Indigenas in Mexiko nun der Weltöffentlichkeit bekannt, welches auch die Bewegungen anderer Bevölkerungsgruppen, auch in Europa, mehr ins Medieninteresse rücken läßt. Als Beispiel kann der Indigena- Marsch in Brasilien gesehen werden, der ebenso in den Mittelpunkt der Presse gestellt wurde, wie die Jubelfeiern der Regierenden in Brasilien. Die EZLN hat es geschafft die „Erste Welt“ für die Probleme in Mexiko zu sensibilisieren, was einen großen Erfolg darstellt. Sie hat, unterstützt durch eine breite Solidaritätsbewegung, internationale BeobachterInnen in das Land geholt, so daß die Armee nicht mehr ungehindert und unbeobachtet „operieren“ kann, was für die bedrohten Gemeinden ein enormer Vorteil ist, welches die Ursachen des Aufstandes aber auch nicht beseitigt. Es bleibt zu hoffen, daß die mexikanische Regierung durch den Druck der breiten Weltöffentlichkeit und durch den Druck der Regierungen anderer Staaten zu ernsthaften Verhandlungen mit der EZLN gezwungen wird. So daß die Lebensumstände verbessert werden und die Rechte der Indigenas gestärkt werden können, damit der Kampf der Indigenas und der weißen MexikanerInnen um Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit sowie mit einem ausgeprägten Sinn für Würde, Solidarität und Glaubwürdigkeit nicht blutig enden muß.

6. Literatur

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[1] Wolfgang Gabbert: Chiapas- die Grenzen der Kooptation und der Aufstand von 1994; in: Karin Gabbert(Hg.): Land und Freiheit, Bad Honnef 1997, S. 163

[2] vgl. Statistisches Bundesamt: Länderbericht Mexiko, Wiesbaden 1995, S. 16ff

[3] vgl.Gerhard Heck u. Manfred Wöbcke: Mexiko: Yucatan, Chiapas, Köln 1997, S.13

[4] vgl. Héctor Fix- Fierro u. Jacqueline Martínez- Uriate: Chiapas- der Schauplatz eines Aufstandes; in: Hans- Joachim Lauth u. Hans- Rudolf Horn: Mexiko im Wandel- Bilanz und Perspektiven in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, Frankfurt am Main 1995, S.89

[5] Mónica Serrano: Zivile Gewalt in Chiapas- Ursprung und Ursachen der Rebellion; in: KAS/ Auslandsinformationen 8/ 98, S.44

[6] vgl. Héctor Fix- Fierro/ Martínez- Uriate: a.a.O. , S. 85

[7] Juan González Esponda u. Elizabeth Pólito Barrios: Der lange Weg der Bauernbewegungen in Chiapas; in: Topitas (Hg.): Ya Basta- Der Aufstand der Zapatistas, Hamburg 1994, S. 250

[8] Anmerkung des Autors: Die menschenunwürdigen Zustände der Arbeit werden sehr anschaulich von B. Traven in seinem Roman „Trozas“,1959 geschildert. Es wird das System der Schuldknechtschaft ausführlich beschrieben und dargestellt. Dieses System herrscht nach Horn/ Lauth und Esponda/ Barrios auch in Chiapas.

[9] Wolfgang Gabbert: a.a. O., S. 177

[10] M. Ehrke: Wirtschaftspolitik und staatlicher Sektor in Mexiko- Zu den politischen Rahmenbedingungen staatlicher Wirtschaftsintervention in einem Land des unterentwickelten Kapitalismus, Hannover, 1980; in: Dieter Boris: Mexiko im Umbruch- Modellfall einer gescheiterten Entwicklungsstrategie, Darmstadt 1996, S. 8

[11] González Esponda/ Barrios: a.a.O., S.231

[12] ebd.

[13] vgl. Fix- Fierro/ Martínez- Uriate: a. a. O., S.85

[14] vgl.Esponda/ Barrios:a.a.O.,S.232

[15] Neil Harvey: Impact of Reforms to Article 27 on Chiapas: Peasant Resistance in the Neoliberal Public Sphere; in: Randall, Laura: Reforming Mexico´s Agrarian Reform, University of Columbia, 1996, S.154f

[16] vgl. Fix- Fierro / Martínez- Uriate, S. 87f

[17] vgl. Jörg Faust und Dirk Schwane: Die Wirtschafts- und Sozialpolitik Mexikos, in: H-J. Lauth / H- R. Horn: Mexiko im Wandel, Frankfurt 1995, S.101

[18] Karlheinz Biermann:Mexiko, ein Land im Umbruch, S.8. Der Text wurde nach einem Tonbandmitschnitt eines Vortrages von Karlheinz Biermann angefertigt. Der Vortrag wurde am 22. 11. 1994 in der Katholischen Akademie Franz- Hitze Haus in Kooperation mit dem Lateinamerikazentrum der WWU Münster gehalten.

[19] Freie Universität Berlin (Hg): Chiapas, 1994

[20] vgl. Karlheinz Biermann: a.a.O., S.7

[21] vgl. Winfried Wolf: Zapatistischer Aufstand gegen NAFTA; in:iz3w (Hg.): Der Aufstand des Zapatistischen Nationalen Befreiungsheers, Freiburg 1995³, S.62

[22] vgl. Enrique Dussel Peters: Auf den Weltmarkt geprügelt: Mexiko zwischen Nafta und EZLN; in: REDaktion (Hg): Chiapas und die internationale der Hoffnung, Juli 1997, S. 87

[23] vgl Karlheinz Biermann: a.a.O., S.7

[24] Schirm, Stefan A.: Mexikos internationale Beziehungen und die NAFTA; in: Lauth, Hans- Joachim u. Horn, Hans- Rudolf (Hg.): a.a.O, S.24

[25] vgl. Dietz; in: Lateinamerikanachrichten 237

[26] vgl. Peters, a.a.O., S. 90

[27] Dieter Boris: a.a.O., S. 204

[28] ebd, S.204f

[29] vgl. Fix- Fierro/ Martínez- Uriate: a.a. O., S. 90

[30] Frankfurter Rundschau, 11.1. 1994; in: Topitas: a.a.O., S. 263

[31] Veronika Bennholt- Thomsen: Die Zapatistas und wir; in: Topitas(Hg): a.a.O., S.263

[32] vgl. Uwe Franke: Innenpolitischer Wandel und Wahlen; in: Lauth / Horn: a.a.O., S. 35ff

[33] vgl. Karlheinz Biermann: a.a. O., S. 11

[34] Dieter Boris: a.a.O., S.184

[35] Boris Kanzleiter/ Dirk Pesara: Die Rebellion der Habenichtse- Der Kampf für Land und Freiheit gegen deutsche Kaffeebarone in Chiapas, Berlin 1997, S. 24

[36] amnesty international: Mexiko- Menschenrecht in ländlichen Gebieten, amnesty international Sektion Deutschland (Hg.), 1986, S. 17

[37] Anm.: Die Prozesse sollen hier nicht erläutert werden, da es den Rahmen zu sehr ausdehnen würde, können aber ebenso wie das Cargo- System bei Wolfgang Gabbert: Chiapas- Die Grenzen der Koopatation und der Aufstand von 1994; in: Karin Gabbert (Hg.): Land und Freiheit, Bad Honnef 1997, S. 165- 174 nachgelesen werden.

[38] vgl. Wolfgang Gabbert: a.a.O., S.174f

[39] Dieter Boris: a.a.O., S.208f

[40] vgl. Christine Weiß: Die alte Ordnung gibt nichts mehr her; in:REDaktion(Hg.): Chiapas und die Internationale der Hoffnung, Köln 1997, S. 76

[41] Neil Harvey: a.a. O. , S. 163

[42] Medienproduktionen Hamburg und Michael Enger Filmproduktionen: Interview mit Subkommandante Marcos; in: Topitas (Hg.): a.a.O., S.151

[43] ebd., S.152

[44] vgl. Dieter Boris: a.a.O., S. 207

[45] im Anhang gibt es eine lange, aber keineswegs vollständige Liste von Internetadressen, die Chiapas und die EZLN zum Thema haben

[46] Anne Huffschmid: Spinnen im Netz; in: U. Brand und A.E. Cecena: Reflexionen einer Rebellion,Münster 2000, S. 140

[47] vgl. Kanzleiter: a.a.O., S. 107