Reisenotizen
über das Zweite Treffen von EZLN und Zivilgesellschaft
vom 7. bis 10. Mai 1999 in La Realidad, Chiapas, Mexiko

Wer oder welche hier einen kurzen, knappen Bericht des zweiten Treffens zwischen der EZLN und der mexikanischen Zivilgesellschaft erwartet, muß leider enttäuscht werden, denn uns ist es wichtig - und es macht uns einfach auch mehr Spaß -, ausführlich von unserem "Encuentro-Erlebnis" zu erzählen, da wir allein schon während der Hin- und Rückreise genügend Dinge erlebten bzw. sahen, die es wert sind, weitererzählt zu werden.

Also: Eigentlich wollten wir, nachdem wir fast den ganzen April in der Caņada von La Union als Campamentistas verbrachten, uns so langsam auf die Heimreise machen, als wir in San Cristobal von dem für Mitte Mai geplanten Encuentro hörten, welches in La Realidad stattfinden und der Consulta-Nachbereitung dienen sollte. So verschoben wir unsere Heimreise, besorgten uns unter einigem Aufwand die notwendigen Akkreditierungen, (Dank an Peter von Chiapas98 und an Bernd von der Graswurzelrevolution für die schnelle, unbürokratische Hilfe!), und fuhren schon am 3. Mai los, allerdings nicht direkt nach La Realidad, sondern erst einmal in den touristisch erschlossenen Süden von Chiapas: nach Comitan und an die Lagos de Montebello, wofür wir uns von unseren Campamentista-Compas den nicht ganz so ernst gemeinten Vorwurf des "Zapa-Tourismo" einhandelten.

Die Lagos de Montebello nehmen sich sehr idyllisch in den sie umgebenden Nadelwäldern direkt an der Grenze zu Guatemala aus. Mensch kann ihnen heute nicht mehr ansehen, daß dort in den Achtziger und frühen Neunziger Jahren viele Indigenas in Flüchtlingscamps (über-) lebten, nachdem sie vor dem Vernichtungsterror der guatemaltekischen Armee und sog. paramilitärischen Banden aus ihrem Land fliehen mußten. Heute befindet sich dort die nötige Infrastruktur für einen ausgewachsenen Massentourismus, der aber nur an manchen Wochenenden so richtig zustandekommt. Um diesen Tourismus "trotz des Konfliktes in Chiapas zu ermöglichen", wie es auf Nachfragen immer wieder hieß, und um sog. illegale GrenzgängerInnen bzw. MigrantInnen aus Guatemala "zu erwischen", ist dort sehr viel Militär stationiert, was wir dadurch zu spüren bekamen, daß wir täglich ca. fünf Mal von Militärpatrouillen und an Militärposten - teilweise sehr aggressiv - "kontrolliert" wurden.

Ein weiterer touristischer Höhepunkt auf unserer Anreise war die Laguna Miramar, ein großer See inmitten der Selva Lacandona, unweit vom größten Militärcamp von Chiapas, San Quintín, und nur zwei Fahrstunden von La Realidad entfernt. Wir brauchten den dortigen touristischen Nachweis, um "unauffällig" nach La Realidad fahren zu können. Alle Campamentistas, die nach La Realidad fahren, geben an den Militärposten auf dem Weg dieses Ziel an, um als "Touristen" ungehindert passieren zu können.

In San Quintín konnten wir dann beobachten, wie ein kleines Dorf in der Selva zu einem riesigen Militärstützpunkt umgebaut worden war. Wir mußten am gesamten "Cuartel Militar de San Quintín" entlanglaufen, um in das Dorf zu gelangen, wo nachts die Camionettas (Dreitonner-LKWs) nach Las Margarítas abfahren, die in La Realidad halten. Wir liefen auf der asphaltierten Straße, die San Quintín mit Ocosingo verbindet, und die auf einer Länge von einem Kilometer - parallel zum Cuartel verlaufend - zu einem großen Rollfeld ausgebaut ist, an dem sich auch mehrere Hubschrauberlandeplätze befinden. Wir konnten auf der rechten Seite ca. 10 große, mehrstöckige Mannschaftsgebäude und links an der Flußseite weitere zahlreiche militärische Einrichtungen sehen. Auf den Mannschaftsquartieren befinden sich zwei Tower, von denen aus der Luftverkehr überwacht wird. Nach unserer Schätzung sind hier bis zu 3.000 Soldaten stationiert, vielleicht auch mehr. San Quintín selbst befindet sich am Ende der Flugpiste. Wenn hier ein Flugzeug landet, streift es beinahe die Dächer der Holzhütten des Dorfes. Auch sonst ist San Quintin vom Soldatenleben beherrscht, denn die "Hauptstraße" wird von Tiéndas (Läden) und Cafeterías gesäumt, in denen Alkohol und sonstiger Bedarf an Soldaten verkauft wird. Wir konnten auch die Prostitution indigener Frauen beobachten, und uns wurde übel bei dem Anblick dieses traurigen Ortes!

Dieser Zusammenhang der gleichzeitigen geschlechtsspezifischen sowie der rassistischen Unterdrückung durch männlichen Militarismus einerseits und durch die staatlich organisierte "Aufstandsbekämpfung" andererseits wurde uns während unserer gesamten Reise nie so deutlich "vorgeführt" wie hier in diesem "Garnisionsdorf".

In der Nacht ging dann unsere Camionetta, und wir fuhren nach La Realidad, wo wir am 7. Mai morgens gegen sechs Uhr ankamen. Nun waren wir also in La Realidad, aber wir wußten noch nicht so genau, wo wir nun hin sollten. Wir hatten zwar eine Akkreditierung als Campamentistas, wollten aber als "Presse" an dem Encuentro teilnehmen, und eben jene Akkreditierung war noch auf dem Weg von San Cristobal hierher. Also gingen wir erstmal auf einen Kaffee ins Campamento (Friedenscamp für BeobachterInnen der Menschenrechtssituation), wo uns Antonio, der Lehrer, herzlich und warm empfing. Von ihm erfuhren wir, daß z.Zt. fast 40 Leute im Campamento wären, weshalb wir uns ein bißchen überflüssig vorkamen. Als wir aber etwas später mit noch mehr Leuten sprachen, die wir von unserem letzten Aufenthalt in La Realidad kannten, fühlten wir uns nicht mehr so "unwillkommen", und wir schauten uns ab Mittag die Ankunft der Busse an, die aus allen Landesteilen den Weg in die Selva gefunden hatten. Das war ein Spektakel! Die "Zapatista-Polizei" (PZ) durchsuchte alle Taschen der total übermüdet und erschöpft Ankommenden. Unsere Presse-Akkreditierung kam auch bald: der liebe D. aus der Frauen-NRO Kinal Antzetik brachte sie aus San Cristobal mit. Er hatte die Anreise der zapatistischen Delegationen aus den Altos (zentrales Hochland von Chiapas) organisiert. Während des Treffens hatte er allerlei zu tun, aber auch immer Zeit, um mit uns ein wenig zu schwätzen! Außer D. kamen noch viele andere liebe Menschen an, die wir zuvor in San Cristobal und in einigen zapatistischen Comunidades (Dorfgemeinschaften) kennengelernt hatten. Ein paar Campamentistas waren sauer, da sie außerhalb des "Aguascalientes", also des Geländes, auf dem das Treffen stattfand, bleiben mußten, da sie keine "persönliche Einladung" des Sup hatten, der allen eine ausgestellt hatte, die schon eine Woche zuvor im Campamento waren. Später lockerten sich jedoch die "Kontrollmaßnahmen" etwas, und alle wurden in das Aguascalientes gelassen, die hineinwollten - bis auf die Presse! Gut also, daß wir auch eine Campamentista-Karte hatten...

Abends, während noch immer viele Busse mit "Brigadistas" (HelferInnen der Consulta) und anderen Angehörigen der mexikanischen Zivilgesellschaft eintrafen, spielte eine Gruppe von MusikerInnen auf traditionellen Instrumenten, und einige Leute fingen an zu tanzen, was auch nicht aufhörte, als ein heftiges Gewitter mit Platzregen aufzog. So fiel also eine "Begrüßungszeremonie" buchstäblich ins Wasser und die Menschen "feierten" ihre Consulta und die Ankunft in La Realidad spontan und "feuchtfröhlich"!

Auch am Samstag, dem 8. Mai, kamen noch viele Autos und Busse an, sodaß eine offizielle Begrüßung der rund 2000 TeilnehmerInnen durch die EZLN erst am Nachmittag um 16 Uhr südöstlicher Zeit stattfand. (Die Zapatistas erkennen die Sommerzeit, die von der Regierung Zedillo eingeführt wurde, nicht an und weigern sich, ihre Uhren umzustellen!) Die vorher verstrichene Zeit war jedoch keine "verlorene", da die Leute sie zum "Begrüßen und Unterhalten" nutzten, wobei sehr interessante Gesprächsrunden zustande kamen, so z.B. zwischen den angereisten, sich im Streik befindenden Studierenden aus Mexico D.F., den gegen die Privatisierung streikenden "Electricístas", den Indigenas aus Chiapas sowie aus anderen Bundesstaaten, den Brigadístas, den Turbine-BauarbeiterInnen aus Italien (Projekt: "Strom für La Realidad") und den anderen Interessierten aus dem In- und Ausland. Ein großer Teil der Electricístas von "Luz y Fuerza" (Gewerkschaft "Licht und Kraft") verbrachten den Vormittag damit, die durch das nächtliche Gewitter entstanden Schäden an der Stromanlage zu beheben.

Zur offiziellen Begrüßung standen dann etwa einhundert Delegierte der Zapatistas aus allen Regionen von Chiapas sowie drei "Insurgentes" der EZLN auf der Bühne des Aguascalientes, vor der binnen Sekunden die besten Plätze besetzt waren. Das Wort ergriffen Comandante Tacho, Mayor Moises sowie - natürlich - Subcomandante Marcos; letzterer setzte sich zwischen seine beiden Compaņeros und unterschrieb zunächst einmal einige Exemplare seines Comunicados, das er vortragen wollte, und die später an die Presse verteilt wurden: "Die Zapatistas und der Newtonsche Apfel". Hatte die Menschenmenge vorher noch Zapata, die EZLN, Ramona, Marcos usw. hochleben lassen, war es nun mucksmäuschen still. Eine Jede und ein Jeder lauschte den Worten des Guerillapoeten, der hier zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder einen öffentlichen Auftritt "zelebrierte".

Er sprach - von der lyrischen Dimension und Geschichte abgesehen, die an anderer Stelle gewiß nachzulesen sein wird -, über die Beteiligung, den Ergebnissen und Auswirkungen der "Consulta nacionál". Gewürdigt wurde das Engagement der rund 120.000 (!) Menschen , die sich an der Organisierung und Realisierung der Consulta beteiligten und von denen sich hier ein kleiner Teil versammelt hatte. Er gab bekannt, daß die Fragen der Consulta von 2.913.115 Menschen in Mexiko und in 29 anderen Ländern beantwortet worden sind. Neben weiteren Angaben über die Beteiligung an der Consulta erklärte Marcos auch, welche Aufgaben an diesem Wochenende zu bewerkstelligen wären: Es sollte an fünf Mésas (Arbeitstischen) die Consulta nachbereitet werden, wobei die Tische sich nach den mexikanischen Regionen gliederten, die von den fünf Aguascalientes aus von 4996 Männern und Frauen der Zapatistas besucht worden waren. Nach dem Ende der "Rede" wurden Parolen skandiert, und das Auditorium vor dem "Templete" (Bühne) war schier aus dem Häuschen. Marcos wurde daran gehindert, sich zurückzuziehen, da viele "Fans" und insbesondere die Presse ihn bedrängten. So wurde er gezwungen, sich noch eine Stunde auf der Templete aufzuhalten. Während die Delegationen der Zapatistas kaum eines Blickes gewürdigt wurden - sie konnten unter Applaus das Gelände ungehindert verlassen -, richtete sich die ganze Aufmerksamkeit auf den "Star" der Veranstaltung. Sachen wurden auf die Bühne gereicht, auf daß Marcos sie mit seinem Autogramm versehe. Einige Leute - etwa einhundert - sind richtig ausgeflippt, und erst das Erscheinen der PZ ermöglichte es dem vermeintlichen "Líder" (Führer), nach Hause zu gelangen.

Am Abend begannen dann die Arbeitstische mit der Nachbereitung der Consulta; es wurde über deren Sinn und Verlauf diskutiert, aber auch die spezifischen regionalen Probleme wurden angesprochen - ein interessanter Austausch begann!

Wir wandelten - mal wieder erschlagen von den ganzen Ereignissen - von Mesa zu Mesa, um einen Eindruck von den Diskussionen zu bekommen. Neben tollen Reden und interessanten Beiträgen gab es jedoch auch viele Wiederholungen, insgesamt fand aber ein spannender Reflexionsprozeß statt. Besonders interessant waren die Beiträge der zapatistischen Delegierten, die ihre Erlebnisse während ihrer zweiwöchigen Delegationsreise schilderten. Die meisten von ihnen waren zum ersten Mal mit den sozialen Realitäten fernab ihrer Dörfer konfrontiert. An diesen Erfahrungsberichten wurde deutlich, wie sehr der Consulta-Prozeß für ein gegenseitiges Wahrnehmen, Kennenlernen und Verstehen von Menschen aus verschiedenen sozialen Bewegungen Mexikos beigetragen hat.

Nachts haben wir uns dann mit anderen Campamentistas zu einer Gruppe Jugendlicher gesetzt, die im Aguascalientes saßen und politische sowie lustige Lieder bei Gitarren- und Flötenmusik sangen. Es war eine bezaubernde Nacht...

Am Sonntag, dem 9. Mai, ging es dann schon früh an die Mesas zurück. Ich war die ganzen Tage wie benebelt: mir fehlte Schlaf, und die vielen Leute um mich herum und der irreal anmutende Trubel raubten mir meine Konzentrationsfähigkeit. Ich unterhielt mich jedoch recht nett mit einem Campesino (Bauer) aus dem autonomen Municipio Tierra y Libertád und mit einigen StudentInnen, die wir bereits aus México D.F. kannten, und die mit ihrer studentischen Gruppe Projekte in den Flüchtlingscamps von Polhó in den Altos unterhalten. Wir sprachen viel über die "Huelgas", die studentischen Streiks an den autonomen Universitäten in der Hauptstadt und der Provinz, über Schwierigkeiten studentischer Politik und über die Wahlen im Juli 2000. Auch sprachen wir über Probleme der sich selbst organisierenden Indígenas sowie über die politische Situation in Deutschland bzw. Europa. U.a. kam das perfide System von Unterdrückungsstrukturen innerhalb sog. Demokratien zur Sprache, wobei alle ihre ablehnende Haltung gegenüber den korrupten Parteien- und Parlamentsstrukturen zum Ausdruck brachten. Zwar ist der direkte Vergleich des mexikanischen und des bundesdeutschen Staates nicht möglich, ich hatte jedoch den Eindruck, daß wir alle viel voneinander gelernt haben.

- Währenddessen nahm ich an einem Treffen der Internacionalistas teil, bei dem sich über die Erfahrungen, Ergebnisse, Schwierigkeiten und die Bedeutung der Consulta außerhalb Mexikos ausgetauscht wurde. Auch an diesem Treffen nahmen Delegierte der Zapatistas teil.

Eine Durchsage von Mayor Moises: "Prensa, Prensa!" veranlaßte uns dazu, die internationale Arbeitsgruppe zu verlassen bzw. die diversen Gespräche abzubrechen. Die anwesende Presse wurde gebeten, sich in der "Casa Ejidál" (Gemeindehaus) zu versammeln. Zusammen mit den Leuten vom AK Kraak, die wir auf unserer Reise immer wieder trafen, folgten wir diesem Aufruf. LEIDER! Es war ein Trick, die Presse aus dem Aguascalientes herauszulocken. Alle erwarteten, daß Marcos oder einer der anderen Insurgentes eine Pressekonferenz abhalten würde, aber Pustekuchen: Der Personenkult hatte uns selbst einen Streich gespielt! Marcos war unterdessen im Aguascalientes und gab der "Zivilgesellschaft" dort sieben "Aufgaben" als Vorschlag für das weitere Vorgehen nach der Consulta, der später an den Mesas diskutiert werden sollte:

1. Informieren weiterer Compaņer@s über dieses Encuentro;

2. Verbreiten der Ergebnisse an die internationalen, landesweiten, regionalen und kommunalen Öffentlichkeiten, die aus der Consulta und dem Zweiten Encuentro hervorgehen;

3. die anwesenden bzw. alle an der Consulta aktiv beteiligten Menschen (konkret: die in Brigaden Organisierten) sollen eine Brücke zwischen den Zapatistas und den sozialen, städtischen Bewegungen und Individuen darstellen;

4. Verbinden und Verknüpfen der verschiedenen Kämpfe, welche die einzelnen Bewegungen in allen Orten Mexikos führen, allen voran die sozialen Bewegungen, die Electricistas, die gegen die Privatisierung kämpfen sowie die Studierenden von UNAM und UAM, die gegen die Einführung von Studiengebühren streiken - sie alle stehen mit der EZLN in Kontakt und kämpfen den gleichen Kampf gegen die Herrschenden und sorgen für seine Publizität v.a. auch da, wo keine Zeitung hingelangt;

5. Aufbauen eines Netzes der Information, in dem die gegenseitige Hilfe und Unterstützung koordiniert werden kann;

6. Einladen zur Teilnahme an politischen, kulturellen, zivilen wie pazifistischen Akten der EZLN - hierfür sind die KoordinatorInnen der Consulta (auch für andere Aktionen) AnsprechpartnerInnen;

7. Ankündigen eines Dritten Encuentros im Juli, wo und wann genau bleibt noch zu klären - und nur für den Fall, falls die einzelnen Mesas diesen Vorschlag akzeptieren.

Während dieser Vorschlag unterbreitet wurde, war die Presse - uns eingeschlossen - ausgeschlossen worden! Nach etwa zwei Stunden des mit hitzigen Diskussionen angereicherten Wartens wurde das Treffen für die Presse wieder geöffnet.

Nachdem uns ein Compaņero über den oben genannten 7-Punkte-Vorschlag aufgeklärt und ich mir die verpaßte Rede von Band angehört hatte, schauten und hörten wir den Diskussionen an den Mesas zu, die darauf hinausliefen, den Vorschlag der EZLN zu akzeptieren.

Mitten in der Nacht, so gegen ein Uhr "südöstlicher Zeit", begann die "Abschlußzeremonie". Aus Zeitmangel und aufgrund anderer Sachzwänge, so wurde uns zumindest auf unsere Nachfragen hin versichert, fiel diese überraschend kurz und inhaltslos aus. So wurde ein militärischer Gruß präsentiert und sowohl die zapatistische als auch die mexikanische Hymne andächtig gesungen, jedoch nicht einE VertreterIn der Zivilgesellschaft bekam das Wort - und die auf der Bühne anwesende ergriff es auch nicht. Insgesamt hatten wir den Eindruck, daß das Treffen "von sehr weit oben" organisiert war. Wie uns zu Ohren kam, wurden Vorschläge seitens der Zivilgesellschaft hinsichtlich Änderungen oder Erweiterungen der Tagesordnung autoritär abgelehnt. Eine "Messe" wurde zelebriert und Marcos "gehuldigt"! Ich kann nicht anders, als Marcos als "charismatischen Führer im Weberschen Sinne" zu bezeichnen und die Atmosphäre dieser "Messe" als sektenartig zu beschreiben, was aber v.a. dem Verhalten der glühenden VerehrerInnen des Subcomandante zu schulden ist.

Hinterher, als der Baile (Tanz) losging, tanzten wir jedoch wieder lustig und fröhlich mit vielen Campesin@s, Indígen@s, Electricist@s, Campamentistas usw. Das war richtig schön, und andere Dimensionen des Treffens fernab des offiziellen Rahmens gewannen wieder an Raum und Bedeutung. Allerdings standen die ganze Zeit "Fans" vor der Templete und wollten Autogramme haben - schon komisch, diesen Personenkult so mitzuerleben, und schließlich ließ er uns nicht ganz unberührt! Und ich hatte schon geglaubt, das Interkontinentale Treffen in Chiapas im Sommer 1996 "gegen den Neoliberalismus und für die Menschlichkeit" sei diesbezüglich unübertrefflich...

Tief in der Nacht, nachdem wir ausgiebig getanzt hatten, endete das Encuentro, und wir fuhren zwei Tage später zurück nach San Cristobal. Auf dem Rückweg sollte sich noch ein Intermezzo mit der mexikanischen Migrationsbehörde ereignen, deren Beamte uns ihren blanken Rassismus und Sexismus präsentierten. Vielen ausländischen TeilnehmerInnen und Campamentistas wurde mit Ausweisung gedroht. Soweit wir wissen passierte letztendlich außer einigen schikanösen Vorladungen und der üblichen Hetzkampagne gegen AusländerInnen nichts mehr.

An den Tagen des Treffens blieben die Konvois der ca. 250 Soldaten, die auf 40 bis 50 Panzern und Mannschaftswagen "normalerweise" zweimal am Tag durch La Realidad donnern, aus. Am 10. Mai - die Presse war gerade abgereist -, nahmen wir um 7:30 Uhr das gewohnte Beben und die dicken Staubwolken wahr, die den anrollenden Militärkonvoi schon von Weitem unüberhörbar und unübersehbar ankündigen. Der Alltag der psychologischen Kriegsführung als Teil des sog. Krieges der niederen Intensität war in La Realidad wieder eingekehrt.

Edo und Niko, jetzt wieder in Münster!