Lügen und Desinformation - Waffen im "Krieg der niederen Intensität"
von Edo Schmidt und Nikola Siller (San Cristobal de Las Casas, 6. April 1999)
Wenn mensch den regierungsnahen Zeitungen Mexikos Glauben schenkt, haben am Tag vor der Consulta (d.h. der radikaldemokratischen, landesweiten Befragung der mexikanischen Bevölkerung durch die Zapatistas) am 20. März 1999 und dann nochmal am 29. März insgesamt über dreißig "ehemalige Zapatistas" ihre Waffen und Pasamontaņas (Masken in Form von Wollmützen, die der Vermummung dienen) dem Gouverneur von Chiapas, Albores Guillén, übergeben und "den Weg zurück in die Legalität" gefunden, so der Gouverneur im "Diario de Chiapas" vom 30. März. Während die erste Waffenübergabe noch im Consulta-Rummel unterging - die Zapatistas machten eine sog. nationale Befragung über die Anerkennung der Rechte und Kultur der Indígenas in Mexiko sowie über die Frage der Entmilitarisierung von Chiapas, die überaus positiv ausgefallen war, über die jedoch in den regierungstreuen Medien nichts zu erfahren war -, wurde diese zweite Inszenierung perfekt für die nationale und internationale Presse aufgeführt. Eine Medienkampagne mit Farbfotos und Riesenschlagzeilen eroberte beinahe alle Kanäle und Titelseiten in Mexiko.
Neben dem Gouverneur von Chiapas und einem riesigen Pressetross waren laut "Diario" noch der Generalsekretär der Regierung, der Kongreßpräsident des Staates, der Präsident des "Tribunal Superior de Justicia", (wohl soetwas wie die Generalstaatsanwaltschaft), der Präsident der nationalen (d.h. der staatlichen und damit abhängigen!) Menschenrechtskommission, der Generalvertreter der staatlichen Justizbehörde sowie ein "subsecretario de Seguridad Pública", ein Polizeioffizier also, bei der Inszenierung anwesend. Die Auflistung der Namen sei den LeserInnen an dieser Stelle erspart!
Das Spektakel fand in den Caņadas (Längstäler) statt, in der Nähe des Militärcamps "La Jordan" am Ufer des Río Jataté, ca. 80km südöstlich von Ocosingo, also mitten in der Selva Lacandona, was diese Geschichte allerdings auch nicht glaubwürdiger machte. Denn, kaum als die Bilder von den angeblichen Ex-Guerilleros um die Welt gingen, lagen schon Dementis von mehreren Stellen der Zapatistas vor.
So gab Manuel Pérez Hernández, zapatistischer Verantwortlicher des autonomen Landkreises San Manuel, in dem jener Militärstützpunkt liegt, vor dessen Toren sich diese fingierte "Waffenübergabe" abspielte, in der "La Jornada" vom 1. April an, daß die Leute, die bei dem Schauspiel die zapatistischen Uniformen getragen haben, in der ganzen Caņada als Paramilitärs hinlänglich bekannt seien. Diese und die frühere "Waffenübergabe" seien das Werk des Gouverneurs, der zusammen mit von der Regierungspartei PRI bezahlten Paramilitärs versucht, die Zapatistas und ihre Guerillaorganisation EZLN zu spalten und zu diffamieren. Diese Strategie sei nötig geworden, seit die vorangegangene Consulta der EZLN und den Zapatistas soviel Aufmerksamkeit und Sympathie in der mexikanischen Bevölkerung eingebracht hatte.
Die "falschen Zapatistas", so Hernández weiter, seien langjährige Mitglieder der in den Caņadas von Taniperlas, Las Tazas und La Garucha operierenden paramilitärischen Gruppe MIRA, dem "Movimiento Indígena Revolucionario Antizapatista". Diese Organisation, die von der PRIistischen Bauernvereinigung "ARIC oficial" (Associación Rural de Interés Collectivo) aufgebaut wurde, um in diesem starken zapatistischen Gebiet Terror, Neid und Unfrieden zu stiften, hat in der Vorzeit schon vermehrt für Ärger zwischen den zapatistischen und den neutralen sowie den PRIistischen Familien gesorgt.
Anscheinend hat der sog. "Krieg der niederen Intensität" in voller Stärke die Caņadas erreicht, da paramilitärische Gruppen zuvor hauptsächlich in der Zona Norte und in den Altos (Hochland) von Chiapas aktiv und zahlreich vertreten waren.
Aber wie kommt es, daß benachbarte Bauernfamilien sich einerseits zapatistisch organisieren und auf der Gegenseite zu den Paramilitärs gehen? Hierzu muß mensch wissen, daß es Paramilitärs nur in wenigen Dörfern gibt, nämlich dort, wo der Anteil an regierungstreuen Familien durch Bestechungszahlungen künstlich hochgehalten werden konnte. Denn vor der zapatistischen Revolution von 1994, als viele lokale Autoritäten und Großgrundbesitzer davongejagt wurden, hatte kaum eine Bauernfamilie Besitz; alle waren bei ihren "Herren" verschuldet und mußten für wenig Bezahlung viel zu viel und viel zu hart arbeiten. Nach 1994 gab die PRI-Elite des Staates Chiapas viel Geld aus, um zu verhindern, daß alle BäuerInnen in den Caņadas resp. in Chiapas zu Zapatistas wurden, indem Schulden erlassen, einige Familien bevorzugt behandelt und materiell sehr gut ausgestattet wurden. Und später wurde noch einmal viel Geld für die sog. Aufstandsbekämpfung ausgegeben, indem paramilitärische Banden bewaffnet und ausgebildet wurden, die neben den in den Caņadas zahlreich vertretenen Militärcamps den renitenten Bauernfamilien Angst einflößen sollen.
Übrigens hat das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas einmal die Auszahlung von Paramilitärs gefilmt, die sich ihr Geld unter dem Schutz der Polizeibehörde Seguridad Publica aus einem örtlichen PRI-Büro in der Zona Norte abholen konnten. Und nicht ganz zu Unrecht behauptet nun der Gouverneur von Chiapas, daß viele ehemalige zapatistische Familien zur "anderen Seite" übergelaufen sind. Allerdings ist dies eher als ein Produkt der Propagandastrategie des Gouverneurs sowie der flächendeckenden Bestechung und des Terrors zu sehen, und nicht etwa als Ergebnis eines emanzipatorischen Prozesses. Aber die angegebenen fünfzehn- bis zwanzigtausend ÜberläuferInnen, die der Gouverneur gesehen haben will, sind nicht auszumachen, und öffentliche Entwaffnungen von Zapatistas müssen immer noch künstlich inszeniert werden.
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