Günstiges Investitionsklima in Chiapas

Die EU – Ein unterschätzter „Global Player“ mit handfesten Interessen

In: ila (Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika) Nr. 294, April 2006

Online-Quelle: http://plotzki.twoday.net/stories/1823941/

Offenbar macht die Europäische Union bei der Wahrung ihrer ökonomischer Interessen weder vor dem Hinterhof der USA halt, noch ist sie bereit dieses Ziel der Achtung der Menschenrechte oder einer wirklich nachhaltigen Entwicklung unterzuordnen. So jedenfalls sind die aktuellen Bestrebungen der EU zu verstehen, den südamerikanischen Kontinent verstärkt in ihre Außen- und Handelspolitik einzubeziehen. Mexiko gilt dabei als strategisch besonders wichtiger Partner.

Der Ausbau der Handelsbeziehungen steht im Zentrum der „strategischen Partnerschaft“, welche die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, Lateinamerikas und der Karibik unter dem Co-Vorsitz von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder auf ihrem ersten Gipfel in Rio de Janeiro am 28. Juni 1999 eingegangen sind. Denn: „Für die strategische Partnerschaft ist es wichtig, dass die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Regionen ausgebaut werden. Trotz einer erheblichen Zunahme der Handels- und Investitionsströme zwischen den beiden Regionen in den letzten 15 Jahren wird ihr Wachstumspotenzial noch unzureichend genutzt“, so die EU-Kommission in einer Mitteilung an den Rat und das EU-Parlament. Als konkrete Empfehlung benennt sie darin die „Schaffung eines Umfelds, das Handel und Investitionen begünstigt“.[1] Wie sich die EU dabei die Gestaltung eines solch investitionsfreundlichen Umfeldes vorstellt, zeigt ein aktuelles Beispiel im mexikanischen Bundesstaat Chiapas.

Mexiko ist einer der wichtigsten Handelspartner der EU in Lateinamerika und strategisch bedeutender Absatzmarkt ihrer Exporte. Die EU wiederum ist Mexikos zweit wichtigster Handelspartner, nach den USA. Die Handelsbilanz zwischen der EU und Mexiko belief sich im Jahr 2004 auf 21,1 Mrd. Euro. Davon waren 14,6 Mrd. Euro Exporte der EU nach Mexiko und die mexikanischen Exporte in die EU machten 6,8 Mrd. Euro aus. Dies bedeutete für das Jahr 2004 einen Handelsüberschuss von 7,8 Mrd. Euro für die EU.

Wichtiges Instrument dabei ist das seit 2000 bestehende bilaterale Freihandelsabkommen zwischen der EU und Mexiko. Entsprechend einer an mehreren Regionalbeispielen fest zumachenden EU-Strategie, bedeutet für sie gleichfalls dieses Freihandelsabkommen bereits diejenigen Marktliberalisierungen und Deregulierungen in bilateralen Verträgen festschreiben zu können, für welche es im Rahmen der WTO-Verhandlungen noch keine Einigung gibt. Bereist jetzt erfasst das Freihandelsabkommen rund 95% des derzeitigen Warenhandels und sieht die weitgehende Beseitigung aller Beschränkungen im Dienstleistungsverkehr vor: „Das Freihandelsabkommen liefert auch den EU-Anbietern den Zugang zu wesentlichen mexikanischen Ausschreibungen und Dienstleistungsmärkten, ähnlich dem NAFTA.“[2] Im September 2003 waren in Mexiko insgesamt 5668 Unternehmen aus den EU-Mitgliedsstaaten aktiv. Sie machen ein Viertel der in Mexiko tätigen ausländischen Firmen aus, und betätigen sich vorwiegend im Dienstleitungssektor. Die Exporte von Dienstleitungen der EU nach Mexiko stiegen so zwischen 1995 und 2003 um gut 17% an. Darüber freuen dürften sich besonders die Multis unter den Dienstleitungsanbietern, die großen europäischen Wasserkonzerne. Allen voran die französischen Konzerne Veolia (früher Vivendi) und Suez, sowie die deutsche RWE mit der britischen Tochtergesellschaft Thames Water. Diese drei europäischen Konzerne sind die unangefochtenen Marktführer im weltweiten Wassergeschäft.

Die Grundlage der Beziehungen zwischen der EU und Mexiko bildet das sogenannte Globalabkommen. Zwar wird im Paragraphen 1 des Globalabkommens die Achtung von Demokratie und Menschenrechten festgeschrieben, allerdings handelt es sich hierbei wohl eher um Lippenbekenntnisse wie Alberto Arroyo, Vertreter des freihandelskritischen Netzwerks RMALC ausführt: "Der einzig ausgearbeitete Teil widmet sich dem Freihandel. Was den politischen Dialog und die Menschenrechte betrifft, sind nicht einmal Kontrollmechanismen festgelegt worden."[3] Auf dem „2. Forum zum Dialog zwischen den Zivilgesellschaften und den Regierungsinstitutionen Mexikos und der Europäischen Union“ Anfang März 2005 in Mexiko-Stadt war die durchgängige Kritik seitens der Zivilgesellschaft die fehlende Partizipationsmöglichkeiten in den europäisch-mexikanischen Beziehungen, sowie mangelnde Transparenz bei den Verhandlungen.[4]

Noch vor Inkrafttreten des Freihandelsabkommens zwischen Mexiko und der EU äußerte Alfonso Moro von RMALC seine Befürchtungen darüber, wer die eigentlichen Profiteure des Abkommens sein werden: "Der Anteil mexikanischer Produkte, welche auf dem europäischen Markt konkurrieren können, ist sehr klein. Dazu kommt, dass von den zehn wichtigsten Exportprodukten Mexikos in die EU, sieben von europäischen Unternehmen in Mexiko hergestellt werden."[5] Letztlich profitieren daher hauptsächlich europäische Unternehmen von der Handelsöffnung, ähnlich wie US-Konzerne vom Nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA begünstigt wurden.

In diesem Zusammenhang ist beispielsweise auch das von der EU mit 15 Mio. Euro finanzierte „Projekt zur sozialen, integrierten und nachhaltigen Entwicklung in der Selva Lacandona (PRODESIS)“ im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas zu sehen. Menschenrechtsorganisationen in Mexiko und Europa befürchten gar, dass die EU-Projektgelder der Aufstandsbekämpfung im anhaltenden Konflikt dienen.

Das zwischen der Regierung von Chiapas und der EU-Kommission im Dezember 2003 unterzeichnete PRODESIS ist eine der Speerspitzen der EU in der Region, die schon vor Jahren wegen ihres Reichtums an natürlichen und genetischen Ressourcen im Blickfeld transnationaler Konzerne geraten ist.

Das sogenannte „Entwicklungsprojekt“ des chiapanekischen Entwicklungsministeriums wird von der spanischen Eptisa Proyectos Internacionales durchgeführt, nachdem sich die GTZ erfolglos darum beworben hatte. Die von der EU beigesteuerten 15 Mio. Euro ist keine geringe Summe, und die Frage stellt sich, was für die EU hinter der offiziellen Begründung dieses Projektes steht, es sei zur Armutsverringerung gedacht.

Schon zu Projektbeginn war für zahlreiche soziale Organisationen und Menschenrechtsgruppen sowohl in Mexiko, als auch in Europa eines klar: Das Projekt, so wie es angelegt wurde, wird nicht allen betroffenen Bevölkerungsgruppen zugute kommen, es ist in seiner Grundauslegung an der Realität eines Konfliktgebietes vorbeigeplant und wird die ökonomischen Gräben und damit die sozialen Spannungen zwischen verschiedenen Konfliktparteien erhöhen. Im Vorfeld wurden die im Projektgebiet lebenden Indígenagruppen nur unzureichend konsultiert, was ein Verstoß gegen den ILO-Paragraphen 169 darstellt. Auch fehlt eine im voraus erstellte Analyse der Konfliktregion, die durch eine große Bandbreite von unterschiedlichsten ineinander verstrickten Konfliktlinien gekennzeichnet ist, wobei der Konflikt zwischen Staat und Zapatisten nur einer von vielen ist.

Auch wenn die EU-Kommission nicht müde wird zu betonen, das Projekt betreffe nicht die zapatistischen Gebiete, so lassen diese sich nicht wie weiße Inseln einfach aus dem Gesamtorganismus Chiapas ausklammern, und werden immer auch von außerhalb stattfindenden „Entwicklungen“ beeinflusst werden.

Schon im Titel taucht der für die EU-Politik typische Orwellsche Neusprech mit den Worten ´nachhaltig´, ´sozial´ und ´integriert´ auf. Aber das ist die bereits bewährte Methode der EU, sich im Schatten der USA als die „Guten“ zu präsentieren, und letztendlich den gleichen imperialistischen Grundgedanken zu verfolgen.

Der parteilose Abgeordnete der Linksfraktion (GUE/NGL) im Europäischen Parlament, Tobias Pflüger, stellte nach der Rückkehr von einem Besuch in Chiapas am 18. Juli 2005 eine schriftliche Anfrage an die EU-Kommission zum PRODESIS. Darin fragte er unter anderem wie viel der insgesamt 15 Mio. EURO bereits von seitens der EU dem Projekt zugeführt, und wofür die bereitgestellten Gelder bisher genau verwendet wurden. Auch forderte Pflüger die EU-Kommission auf zu beantworten, zu welchem Zeitpunkt die Konvention 169, Art 7 der ILO im PRODESIS implementiert wurde, und wie die genauen Mechanismen hierfür aussahen.

Die Antwort der EU-Kommissarin Ferrero-Waldner ließ sieben Monate auf sich warten. Darin heißt es, dass von dem Gesamtbeitrag von 15 Mio. € die Kommission bis jetzt 4,4 Mio. € ausgezahlt habe. Diese werden wie folgt aufgeschlüsselt: 3,7 Mio € für lokale Projektkosten, davon circa 1,5 Mio. € für lokale technische Hilfe, 375.000 € für Studien, 2,1 Mio. € für Schulungen und die Förderung der Institutionen, 700000 € für die Ausrüstung, 400.000 € für die bei bestimmten produktiven Projekten nötige Infrastruktur, 177000 € für Information und Sichtbarkeit und 144.000 € für Betriebskosten. Ferner wurden dem Projekt bis jetzt 765.740,64 € für internationale technische Hilfe zugeführt.

Bei den von Ferrero-Waldner aufgeführten Konsultationen mit „Organisationen der Zivilgesellschaft“ fallen drei Dinge besonders auf. Erstens, dass vorwiegend nur mit regierungstreuen Organisationen, wie beispielsweise mit der landwirtschaftlichen Vereinigung ARIC Gespräche geführt wurden. Nach Aussagen der zapatistischen Unterstützungsbasis Amador Hernández war ARIC die wichtigste Organisation, die von der Regierung benutzt werde, um Uneinigkeit zu schüren. Deren Funktionäre waren unter dem Ex-Präsidenten Ernesto Zedillo als strategische Berater für die Eliminierung der EZLN tätig. Zweitens wird deutlich, dass nur bei 8 der insgesamt 16 im Projektgebiet liegenden Mikroregionen, deren Räte konsultiert wurden. Und drittens fällt auf, dass ein Großteil der „zweitägigen Workshops mit Landkreis-Vertretungen“ im Rahmen der Projektentwicklung erst dann stattfanden, als das PRODESIS schon längst unterzeichnet war.

Entgegen der Aussage der EU-Kommission hat die EZLN ihre Teilnahme am Projekt abgelehnt, aus den für die Zapatisten essentiellen Gründen, ihre Unabhängigkeit von staatlichen Stellen zu bewahren. Auch viele der zu Konsultationen eingeladenen sozialen Organisationen lehnten die Einladungen ab, „weil sie es nicht einsahen, nur zur Erfüllung der Formalitäten bei einem Projekt einbezogen zu werden, welches von Technokraten entwickelt wurde“, wie Aldo Zanchetta vom europäischen Netzwerk CIFCA beschreibt.

Das PRODESIS ist Teil des „Integrierten Programms zur nachhaltigen Entwicklung der Selva“ (PIDSS), welches unter dem Gouverneur von Chiapas, Pablo Salazar Mendiguchia im Jahr 2001 eingeführt wurde. Das PIDSS wiederum, wurde aus dem sogenannten Proyecto Cañadas (1995) der Vorgängerregierung unter Albores Guillen (PRI) entwickelt, welches als Programm zur Aufstandsbekämpfung scharf kritisiert wurde. Die Kritik damals wie heute auf das PRODESIS bezogen: Erhöhung der sozio-ökonomischen Spannungen durch Bevorzugung regierungstreuer Gemeinden und Gruppen auf der einen, und „Bestrafung“ von aufständischen Organisationen auf der anderen Seite. Ein Mittel aus dem klassischen Repertoire der Aufstandsbekämpfung. Einen Zweck wird das PRODESIS ganz sicherlich erfüllen. Die Implementierung von administrativ willfähigen und einheitlichen Strukturen, an die sich leichter anknüpfen lässt. Auch von außen, auch von Seiten der EU. Eben genau die „Schaffung eines Umfelds, das Handel und Investitionen begünstigt“. Für Entwicklung von unten bleibt dabei kein Raum.

Johannes Plotzki


Anmerkungen:

[1] EU-Kommission: Mitteilung an den Rat und das EU-Parlament: Eine verstärkte Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika. Brüssel, den 8.12.2005 – KOM (2005) 636.
[2] Homepage der EU-Kommission zu “Außenbeziehungen“.
[3] Zit. n. Boris Kanzleiter: Transatlantischer Freihandel frustriert Gewerkschaftler. In: Poonal, Pressedienst lateinamerikanischer Agenturen - Nr. 426 v. 27.3.2000.
[4] Vgl. Johannes Plotzki: Forum zum Dialog zwischen den Zivilgesellschaften und den Regierungsinstitutionen Mexikos und der Europäischen Union. IMI-Standpunkt 2005/19, 03.03.2005.
[5] Poonal, Pressedienst lateinamerikanischer Agenturen - Nr. 426 vom 31. März 2000

Johannes Plotzki - 13. April 2006

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