Eine Schule der Würde und der Freiheit

Zapatistas unterrichten über 1500 geladene Gäste in ihren Basisgemeinden in Chiapas


Die »Kleine Schule« der zapatistischen Bewegung im August 2013 ist von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern enthusiastisch aufgenommen worden. Ein weiteres Mal ist es der EZLN gelungen, Tausende engagierte Menschen aus Mexiko und dem Ausland für ihre Anliegen zu interessieren.


(Zapatistas bei der Maisernte während der "Kleinen zapatistischen Schule", August 2013. Foto: Luz Kerkeling)


»Das hier ist keine richtige Reihe, das ist eine Schlange«, witzelt ein Zapatist kurz nach sechs Uhr morgens. Mehr als 300 übernächtigte Personen versuchen, sich am Rande des Regenwaldes im südmexikanischen Chiapas auf dem Basketballplatz des autonomen Verwaltungszentrums La Garrucha nach nur drei Stunden Schlaf einigermaßen geordnet aufzustellen. Sie alle nehmen ab dem 12. August an der »Kleinen zapatistischen Schule« teil, zu der die linksgerichtete Zapatistische Befreiungsarmee EZLN Anfang 2013 insgesamt über 1500 Personen aus aller Welt nach La Garrucha und in die anderen zapatistischen Zonen von La Realidad, Oventik, Morelia und Roberto Barrios eingeladen hatte.

Das Thema dieser besonderen Schulung ist »Die Freiheit laut den Zapatistas«. Die indigen geprägte Bewegung um die EZLN kämpft seit ihrem Aufstand vom 1. Januar 1994 für die 13 Forderungen Unterkunft, Land, Arbeit, Ernährung, Gesundheit, Bildung, Information, Kultur, Unabhängigkeit, Demokratie, Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden.

Bevor die Abreise der Schülerinnen und Schüler von San Cristóbal ausgehend in die unterschiedlichen Zonen begann, hatten alle Teilnehmenden für nur fünf Euro vier Broschüren und zwei DVDs mit den Lehrinhalten erhalten. Die Materialien, die von der zapatistischen Basis auf rund 300 Textseiten zusammengestellt wurden, beschäftigen sich selbstkritisch mit der organisierten Selbstverwaltung der rund 1000 zapatistischen Gemeinden und bilden die inhaltliche Grundlage der »Kleinen zapatistischen Schule«.

Die Formierung von Reihen am frühen Morgen in La Garrucha hat ein klares Ziel: Jedem Schüler und jeder Schülerin wird ein zapatistischer Wächter beziehungsweise eine Wächterin zugeteilt. Sie kümmern sich wie in allen weiteren zapatistischen Regionen eine Woche lang um ihren Besuch und lassen die Personen buchstäblich keinen Moment aus den Augen. Sie werden ab sofort mit ihnen den Alltag in den zapatistischen Dörfern teilen, im selben Haus wohnen, im selben Raum schlafen und gemeinsam die lokale Badestelle besuchen.

Die Offenheit, im Rahmen der »Escuelita Zapatista« (Zapatistischen Schule) am Alltagsleben der Zapatistas teilzuhaben, stellt ein Novum dar: Die eingeladenen Personen konnten die Tätigkeiten auf den Mais- und Bohnenfeldern miterleben und die Alltagsrealität auf den Ländereien der betroffenen Gemeinden kennenlernen.

Das paternalistische Konzept von »Entwicklungshilfe« wird radikal negiert: Hier lehren nicht vermeintlich schlaue Köpfe aus dem globalen Norden oder den Hauptstädten den Menschen in ärmeren Ländern, wie sie ihre Grundversorgung verbessern können. Hier unterrichten aktive Menschen aus den Reihen der EZLN mit viel Kampferfahrung, wie sie ihre Autonomie in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Justiz, Produktion und Medien trotz Militarisierung, paramilitärischem Terror, Falschinformationen und Bestechungsgeldern seitens der Regierung im Alltag verwirklichen.

Unser Wächter Grabiel berichtet: »Der Kampf begann am 17. November 1983. Damals haben drei Mestizen und drei Indigene die EZLN gegründet. In der Klandestinität haben wir sehr gelitten. Die Frauen mussten uns zehn Jahre lang nachts das Essen bringen. Alles war sehr gefährlich«.

Durch den Aufstand von 1994 konnte sich die EZLN viele Ländereien aneignen. Es wird von bis zu 250 000 Hektar gesprochen. »Nach vielen Jahren im Untergrund konnten wir Land an Tausende Familien verteilen«, so Grabiel.

Alle im Rahmen der »Kleinen Schule« besuchten Gemeinden sind von kleinbäuerlicher Selbstversorgungswirtschaft geprägt. »Wir als Zapatistas in unserer Gemeinde haben beschlossen, keine Chemikalien mehr zu nutzen. So wird unsere Erde geschützt und wir sind unabhängig von den Chemiekonzernen«, berichtet Grabiel. Er lässt aber durchblicken, dass auch die eigenen Compañeros widersprüchlich handeln und teilweise »zu faul« seien, komplett auf eine ökologische Anbauweise umzustellen.

Viele Menschen in Chiapas haben nach dem Aufstand der EZLN von 1994 Ländereien erhalten, auf denen nicht selten zuvor ihre Eltern als entrechtete Knechte schuften mussten. Ein zentraler Aspekt des Alltagswiderstandes der Zapatistas ist daher auch die Bewirtschaftung der Felder, die den Großgrundbesitzern abgetrotzt wurden.

Pancho, ein junger Zapatist, der nach Rücksprache mit der Gemeinde für zwei Jahre in die USA migrieren durfte, um Geld für ein Haus aus Stein zu verdienen, äußert sich empört über die Arbeitsbedingungen auf den dortigen Gemüseplantagen: »Die Arbeit war völlig anders als hier. Es gab immer einen Chef, der uns ständig befohlen hat, was wir tun müssen.« Aktivisten wie Pancho gehören zur zweiten Generation der zapatistischen Bewegung, die außer der Dorfversammlung keine Autorität kennen, die ihnen befehlen würde.

Mit der »Kleinen Schule« ist es der zapatistischen Bewegung im August 2013 ein weiteres Mal gelungen, Tausende engagierte Menschen aus Mexiko und dem Ausland für ihre Anliegen zu interessieren. Am Ende formulierte jede besuchte Gemeinde die zentrale Botschaft fast wortgleich: »Organisiert Euch dort, wo Ihr lebt, gegen jede Form von Ausbeutung und Unterdrückung und baut Alternativen auf.«

Luz Kerkeling, Gruppe B.A.S.T.A., 19.8.2013

Erschienen in: Sozialistische Tageszeitung neues deutschland 20.8.2013