Gesellschaften müssen selber aktiv werden, um den Missbrauch durch den Kapitalismus zu stoppen: Holloway
* Wenn schon fast alles vorbei ist, versprechen Regierungen Veränderungen, die sie nicht erfüllen werden, bekräftigt Raúl Zibechi
* Politische Gefangene schickten Botschaften für den dritte Tag des weltweiten Festivals der würdigen Wut
von Enrique Méndez
John Holloway, Soziologe und Autor des Buches ‚Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen’, betonte gestern auf dem ‚Ersten weltweiten Festival der würdigen Wut’ die Notwendigkeit, dass sich die Gesellschaften aus ihrer Opferrolle im kapitalistischen System befreien müssen, um deutlich zu machen, dass sie „nicht Opfer sondern Menschen sind. Es reicht! Wir werden nichts von niemandem erbitten, wir werden nicht auf die Zukunft hoffen, weil sie nicht einfach so kommt.“
Während der abendlichen Diskussionsrunde auf dem Festival, die den Namen ‚die anderen Wege, die andere Geschichte, die andere Politik’ trug, führte der Akademiker aus, dass als Opfer des genannten Systems das einzige, was die Menschen tun können, ist, zu leiden, den Wandel zu fordern und von Führungspersönlichkeit und politischen Parteien abhängig zu sein. Um eben auf Veränderungen in der Zukunft zu warten. Jedoch, betonte er, müsste sich die Art und Weise, wie die Probleme angegangen werden, verändern.
“Wir werden auf eine andere Art leben, die sich weder dem Kapital anpasst noch den Anforderungen der kapitalistischen Produktion unterwirft. Nicht nur durch Demonstrationen, sondern indem wir eine andere Sache aufbauen und die Welt, die wir schaffen wollen, schon jetzt leben.” Beispielhaft führte er an: hinter dem „¡ya basta!“ („es reicht!“) der ZapatistInnen, erstmals ausgedrückt durch den Aufstand im Januar 1994 und in der darauf folgende Entwicklung (Aufbau basisdemokratischer Strukturen und eines autonomen Verwaltungs-, Gesundheits- und Bildungssystems, Anm. der Übersetzerin), wird geduldig an einem anderen Planeten, an anderen sozialen Beziehungen gebaut. “Die ZapatistInnen kämpfen, während sie schon in der Welt leben, die sie erschaffen wollen und die weit über die Welt des Kapitalismus hinausgeht.”
Darüber hinaus stellte er bei einer Betrachtung der internationalen Finanzkrise dar, dass diese auf zwei Arten erklärt werden könne: “Die scheinbar offensichtlichste Erklärung ist, die Verantwortung für die Krise dem Kapitalismus zuzuschreiben und gleichzeitig die Notwendigkeit einer effizienten Revolution in Betracht zu ziehen, mehr Arbeitsplätze und Unterstützungsleistungen für die Armen zu fordern und für die Durchsetzung dieser Forderungen auf die Suche von Führungspersönlichkeiten zurückzukehren. Die andere Art und Weise mit der Krise umzugehen ist zu sagen, dass es so einfach nicht ist: wir selbst tragen die Verantwortung für die Krise, weil wir schon rebellieren und die Revolution machen. Die Existenz des Kapitals ist abhängig von unserer immer absoluteren Unterwerfung im Rahmen der damit einhergehenden entfremdeten Arbeitsverhältnisse. Und die momentane Krise resultiert aus den Wellen der Widerspenstigkeit und Gehorsamsverweigerung in den letzten 40 Jahren.“
Ebenso unterstrich Raúl Zibechi, Mitarbeiter der uruguayischen Wochenzeitung Brecha (Kluft) und freier Mitarbeiter der Zeitung La Jornada (linksgerichtete Tageszeitung in Mexiko) die Entstehung einer neuen Generation sozialer Bewegungen. Dies geschähe zur selben Zeit, in der die Regierungen an Einfluss und Legitimation verlieren, weil sie Versprechen gegenüber der Bevölkerung weder konkret ausgestalten noch umsetzen. Jedes Mal, wenn “los de abajo” („die von unten“) vorherrschende Formen der Dominanz brechen, treten andere, verfeinerte und mehr ausgearbeitete Dominanzstrukturen hervor. Ferner ist laut Zibechi der Zapatismus ein zentraler Bezugspunkt sozialer Kämpfe. Darüber hinaus gab der französische Briefträger Oliver Besasenot während dieser Diskussionsrunde bekannt, dass sich Ende Januar 2009 eine antikapitalistische Kraft in seinem Land herausbilden würde. Er machte jedoch deutlich, dass auch wenn es überall einen Geist des Widerstandes gibt, doch eine Schwierigkeit bestehe, diesen Geist in politische Handlungen, im positiven Sinne des Wortes, zu übersetzen. Zudem fehle es an Bewusstsein und Erinnerungen, um nicht Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Nötig sei dabei eine noch nicht existierende globale Vision, die die kapitalistische Offensive allerdings hat.
Am Morgen des dritten Tages des ‚Ersten weltweiten Festivals der würdigen Wut’ wurden die Stimmen der Menschen gehört, die von Repression in Mexiko betroffen waren und sind. Diese Repressionen sind, so Bárbara Zamora ein „von der Macht organisierter Akt, um mit Gewalt die politischen und sozialen Aktionen sowie die Verteidigung der Ressourcen und Ländereien der Gemeinden aufzuhalten und zu bestrafen“.
Im Laufe des Tages wurden in El Lienzo Charro in Iztapalapa, nahe des Denkmals für Benito Juárez, Botschaften von den Gefangenen aus Atenco, aus dem Bundesstaat Mexiko, sowie von Inhaftierten aus Oaxaca entgegengenommen. Ebenso rief Gloria Arenas, die weiterhin in Chiconautla inhaftiert ist, in ihrer Botschaft die sozialen Bewegungen dazu auf, Strategien zur systematischen und nicht isolierten Verteidigung gegenüber den staatlichen Repressionen zu entwerfen.
In einer auf Tonband aufgenommenen Botschaft vernahmen die TeilnehmerInnen des durch die EZLN einberufenen Festivals, die Bitte der Gefangenen von Atenco: „Wenn Ihr Euer Stück Brot zu Euch nehmt, vergesst nicht, Euren Teil dazu beizutragen, um uns zu helfen, unsere Freiheit zu erreichen“.
Für die politischen Gefangenen sei jeder Tag im Gefängnis „unbeschreiblich“: nicht nur wegen der entwürdigenden Tatsache, wegen der Verteidigung ihres Landes eingesperrt zu sein, sondern auch wegen der Qual, getrennt von ihren Familien und Kindern zu sein, die jedes Mal, wenn sie sie besuchen, unzähligen Demütigungen ausgesetzt sind. “Aber sie genauso wie wir müssen den Kampf fortsetzen“ erklärten die politischen Gefangenen.
Gleichfalls verlas das Kollektiv „Voces Oaxaqueñas Construyendo Autonomía y Libertad“ (Stimmen Oaxacas für den Aufbau von Autonomie und Freiheit) im Namen der immer noch in der Strafanstalt von Santa María Ixcotel inhaftierten politischen Gefangenen, deren Grüsse: “Grüsse voll von Wut und Würde”, wegen der erlittenen Repression durch das “faschistische und autoritäre Regime von Ulises Ruiz”1.
“Wir geben uns nicht auf, unter Genossen teilen wir unsere Wut und tiefe Verärgerung. Die Macht hat uns erschüttert: an einem Tag Vertreibung und am anderen Tag Mord, Folter und Schläge. Sie tun so, als ob wir nicht atmen, als ob wir nicht unser Recht ausüben, zu denken und als ob wir uns der Paranoia und der Angst unterwerfen“.
Sie erinnerten daran, dass von den durch Ulises Ruiz inhaftierten 25 KämpferInnen sozialer Bewegungen, 15 im Gefängnis von Ixcotel einsitzen. Aber darüber hinaus gibt es eine lange Liste von Repressionen gegen die oaxaceñischen indigenen Völker, die sich gegen die Politik der priistischen Regierung wehren.
Gloria Arenas, Gefangene in Chiconautla, angeklagt wegen Mordes, Mordversuch und Sachbeschädigung, hob in ihrer Tonbandbotschaft an das Festival hervor, dass der Zugang zu Möglichkeiten, Informationen zu verbreiten, grundlegend für das Auftreten der oaxakeñischen Bewegung war. Deren Informationen wurden vor allem durch Sendungen von Radio Plantón und Radio Universidad gespeist und verbreitet. „So wurde alles Mögliche getan, um die Bevölkerung zu erreichen. Radio und Fernsehen könnten zudem dazu genutzt werden, um der staatlichen Repression etwas entgegenzusetzen“.
Deutlich klagte Xaureme Candelario, Führungspersönlichkeit der Huichol aus der Gemeinde Santa Catarina, Landkreis Mezquitic, Jalisco, in seinem Redebeitrag die bundesstaatliche Regierung von Emilio González (PAN) an. Mit Hilfe der Nationalen Kommission für die Entwicklung der Indigenen Völker (Comisión Nacional para el Desarrollo de los Pueblos Indígenas) wird beabsichtigt, die Gemeinden, die sich dem Bau einer Strasse widersetzen, zu spalten. Dies geschehe durch Angebote für Baumaterialien und Gemeindeprojekte im Wert von 50 Millionen Pesos.
Quelle:
http://www.jornada.unam.mx/2008/12/29/index.php?section=politica&article=004n1pol
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