Goldrausch in Chiapas?
Polizei greift pro-zapatistische Gemeinde an, um Land zu enteignen. Ökonomische Interessen sollen gesichert und eine Ausweitung der Bewegung verhindert werden
Chiapas. Am 22. Juli wurden die Bewohnerinnen und Bewohner des oppositionellen Dorfes Cruztón südlich von San Cristóbal ein weiteres Mal von Polizeikräften angegriffen, als sie versuchten, ihre Wasserquelle zu reinigen und ihre Felder zu bearbeiten. Mehrere Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinde wurden durch Schläge verletzt, ein älterer Mann wurde vom anwesenden Staatsanwalt einen Hügel hinuntergestoßen und erlitt Schädelverletzungen. Mindestens ein Kind wurde durch eine abgefeuerte Tränengaskartusche verletzt. Entgegen der üblichen Praxis wurde nach Angaben der Gemeinde sogar ein unabhängiger Menschenrechtsbeobachter, der mexikanische Lehrer Víctor Manuel Escobar, bei der Offensive attackiert und festgenommen.
Besonders gravierend ist die permanente Präsenz der Präventiven Staatspolizei (PEP)auf den Gemeineländereien. Die staatlichen Sicherheitskräfte verbreiten permanent Angst und verhindern die Feldarbeit und das Sauberhalten der Wasserquelle. Seitdem die PEP am 18. Juni die Gemeindeländereien okkupiert hat, leiden immer mehr Menschen an Krankheiten durch verunreinigtes Wasser und Mangelernährung.
Jahrzehntelang hatten die Bewohnerinnen und Bewohner von Cruztón auf der Finca des Großgrundbesitzers Amado Villafuerte in Lohnsklaverei arbeiten müssen. 1988 überschrieb der damalige Verwalter dem Dorf schließlich 306 Hektar Land zur Wiedergutmachung. Doch im Zuge des Aufstands der linksgerichteten Zapatistischen Armee zur nationalen Befreiung (EZLN) von 1994 nahmen ortsfremde Personen aus Teopisca, San Cristóbal und Nachbargemeinden das Land in Beschlag. Sie gaben sich als Zapatisten aus und wurden daher von der Regierung nicht angegangen. Nach Aussagen der legitimen Landeigentümer aus Cruztón nutzten sie das Land nicht, führten sich aber „wie die Großgrundbesitzer“ auf. Sie erniedrigten und bedrohten die Menschen und verunreinigten die Wasserquelle des Dorfes. Daher entschied die Gemeinde am 5. Mai 2007, ihr Land erneut zu besetzen.
Die Wiederaneignung wird juristisch vom Menschenrechtszentrum „Fray Bartolomé de las Casas“ aus San Cristóbal und politisch von der „Anderen Kampagne“ unterstützt, einer mexikoweiten Mobilisierung, die mit der EZLN zivil für eine neue antikapitalistische Verfassung kämpft. Auch die Bewohnerinnen und Bewohner von Cruztón sind Angehörige der „Anderen Kampagne“.
Interkommunitäre Streitigkeiten, die seit jeher durch die Verhinderung einer echten Agrarreform und die Doppelvergabe von Ländereien seitens des Staates angeheizt werden, sind im Süden Mexikos keine Seltenheit. Doch im aktuellen Fall geht es um weit mehr, als um die Sicherung der Privilegien der lokalen Machthaber. Einerseits soll eine Ausweitung des Einflusses der zapatistischen Bewegung verhindert werden, ein Anliegen, das weiterhin im Interesse der chiapanekischen und der Zentralregierung liegt, - andererseits gibt es in Cruztón Goldvorkommen.
Das kanadische Unternehmen Radius Gold will nach Angaben des unabhängigen Zentrums für ökonomische und politische Forschung (CIEPAC) aus Chiapas über sein Tochterunternehmen Geometales del Norte in der Region diverse Goldminen installieren.
Insgesamt hat die mexikanische Regierung in Chiapas laut CIEPAC 550.000 Hektar an kanadische Minenunternehmen wie Radius Gold, Fronteer Development Group und Linear Gold, konzessioniert. Dies entspricht gut sieben Prozent der Fläche des Bundesstaates.
Der aktuelle Fall illustriert, dass sich die vorgeblich sozialdemokratische chiapanekische Regierung ebenso wie der rechtskonservative Präsident Felipe Calderón zum Erfüllungsgehilfen transnationaler Konzerne macht. Gerade der Goldabbau ist seit Jahrhunderten dafür bekannt, dass er außer extremer Umweltverschmutzung, Korruption, Gewalt und sozialer Verwahrlosung nichts in den Abbauregionen hinterlässt.
Die Gemeinde Cruztón fordert die sofortige Freilassung von Víctor Manuel Escobar, der ebenfalls Unterstützer der „Anderen Kampagne“ ist, den sofortigen Abzug der Polizei und der angeblichen Eigentümer der Gemeindeländereien des Ejido „San José Cerro Grande I“ von den Feldern des Dorfes.
Ein anonymer Sprecher von Cruztón versichterte: „Wie Zapata schon sagte, das Land gehört denen, die es bearbeiten. Was auch kommen mag, wir werden unser Land verteidigen“.
LK, Gruppe B.A.S.T.A., San Cristóbal, Chiapas
24.7.2008
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AKTUALISIERUNG
Am 24.7.2008 gab die Gemeinde bekannt, dass die Polizei abgezogen wurde und das Victor Manuel Escobar freigelassen wurde. Die Bewohnerinnen und Bewohner von Cruztón befürchten jedoch, dass die Polizei zurückkehren könnte und bitten die Solidaritätsbewegung, weiterhin aufmerksam zu bleiben.
LK, 25.7.2008
=> weitere Informationen auf Spanisch (auch Fotos):
Indymedia Chiapas
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