Pressemitteilung Nr. 13 über den Besuch der Internationalen zivilen Kommission zur Beobachtung der Menschenrechte (CCIODH)

Vorläufige Schlussfolgerungen und Empfehlungen des sechsten Besuches der CCIODH in Oaxaca 2008

13. Februar 2008

Vorläufige Schlussfolgerungen

ERSTENS

Die CCIODH weist mit Besorgnis darauf hin, dass auch ein Jahr nach ihrem vorherigen Besuch die Situation der Menschenrechte in Oaxaca in einem extrem kritischen Zustand verbleibt. Die soziale, ökonomische und politische Marginalisierung der indigenen und bäuerlichen Gemeinden sowie eines großen Teiles der städtischen Bevölkerung stellt einen Rahmen dar, der die allgemeine Verletzung der Menschenrechte begünstigt.

ZWEITENS

Die alarmierende Armut und Marginalisierung im Bundesstaat Oaxaca steht im Kontrast zu seinem enormen kulturellen und ökologischen Reichtum. Daher liegt das grundlegende Problem in einer zutiefst ungleichen und ausgrenzenden Verteilung der Ressourcen. Diese Situation ist eine historische, wurde jedoch in vergangener Zeit verstärkt durch das Vordringen der neoliberalen Politik, die durch die aufeinander folgenden bundesstaatlichen und staatlichen Regierungen eingeführt wurde. Konflikte wie sie im Isthmus entstanden sind, um nur ein Beispiel zu nennen, haben als Hintergrund den Kampf zwischen Entwicklungsmodellen und der Nutzung der Ressourcen. Die Kommission möchte die Verantwortung von europäischen und nordamerikanischen Wirtschaftskonzernen hervorheben, deren Interessen zu einer Aneignungs- und Plünderungsdynamik führen, welche die Bevölkerung als Ganzes negativ betrifft.

DRITTENS

Angesichts des Ausbleibens von Antworten seitens der bundesstaatlichen Autoritäten erlebt Oaxaca seit einiger Zeit kollektive Organisierungen und Mobilisierungen, die für mehr soziale Gerechtigkeit kämpfen. Die Lehrerbewegung, die der Ausgangspunkt für die heftigen Konflikte im Jahr 2006 war, ist ein klares Beispiel dafür, denn ihr Kampf ist nicht ein sektoral begrenzter ist, sondern er hat es verstanden, die Notwendigkeit struktureller Reformen aufzuzeigen, indem er auf die gravierenden Mängel im Bildungssystem hinwies.

VIERTENS

Einer der Sachverhalte, der die CCIODH am meisten beunruhigt, ist der Mangel an gesellschaftlicher Legitimität des gesamten institutionellen Systems. Besonders beunruhigend ist die allgemeine Wahrnehmung von fehlender Unabhängigkeit der Justiz und der geringen Tauglichkeit der offiziellen Einrichtungen zum Schutz der Menschenrechte. Die Weigerung von Opfern, Verletzungen in Fällen anzuzeigen, in denen offizielle Stellen zur Verantwortung gezogen werden könnten, attestieren dies genauso deutlich wie die Lawine von Zeugenaussagen, die die CCIODH während ihres kurzen Aufenthaltes erhalten hat.

FÜNFTENS

Die Autoritäten, weit entfernt davon effektive Handlungen zur Befriedigung der essenziellsten sozialen Forderungen zu unternehmen, haben sich für eine Politik entschieden, die auf ihre Schwächung mittels der Spaltung der indigenen und bäuerlichen Gemeinden abzielt und Feindseligkeiten gegen die sozialen Organisationen mit den aktivsten Forderungen beinhaltet. In diesem Kontext ist von einem Verhaltensmuster bzw. einer staatlichen Politik auszugehen, an der auf die eine oder andere Weise verschiedene, sowohl bundesstaatliche als auch staatliche Institutionen mitwirken. Die Übereinstimmung und Glaubwürdigkeit der großen Anzahl von Zeugenaussagen, die die Kommission erhalten hat, untermauern eine Schlussfolgerung in diesem Sinne. Die Kommission stellt daher fest, dass ein Jahr nach ihrer vorherigen Visite absolut keine Fortschritte bei der Umsetzung ihrer Vorschläge gemacht wurden. Es wurden weder die originären Ursachen des Konfliktes angegangen, noch die notwendigen Mittel ergriffen, um die Fortdauer der Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden. Im Jahr 2007 setzte sich das feindselige Klima gegen die sozialen Bewegungen fort und hat sogar noch ausgeklügeltere Formen angenommen.

SECHSTENS

Das Verhaltensmuster, das mit dem übereinstimmt, welches die CCIODH auch während ihrer Visite in Chiapas feststellte, basiert auf einer allgemeinen Praxis der willkürlichen Verhaftung von Mitgliedern der sozialen Bewegungen. Ein Musterbeispiel für dieses Phänomen sind ohne Zweifel die Verhaftungen am 16. Juli 2007 während im Zuge des Festes der "Volks-Guelaguetza" am "Cerro de Fortín" (Schanzenberg). Mehrere Dutzend Einspruchsverfahren, denen bei diesen Fällen stattgegeben wurde, zeugen von der Illegalität der Verhaftungen und dem Fehlen von Straftatbeständen, die selbige rechtfertigen könnten.

Es ist üblich, dass verhaftete Personen gefoltert und misshandelt werden. In einigen Fällen sind die Verhaftungen auf einige Stunden beschränkt und dienen dem ausschließlichen Zweck die Festgenommenen einzuschüchtern, bevor sie ohne Anklage wieder freigelassen werden.

Um die Verhaftungen zu rechtfertigen, werden Beweise gefälscht. Die Tendenz geht dahin, dass der Besitz von Drogen oder Waffen unterstellt wird. Um nur Fälle aus dem Jahr 2007 erwähnen, geschah dies beispielsweise mit David Venegas, Adán Mejía oder den neun Verhafteten der Demonstration von Miahuatlán. Die Logik hinter diesem Mechanismus besteht darin, die Mitglieder der sozialen Bewegungen zu kriminalisieren und so zu verhindern, dass sie als politische Gefangene angesehen werden könnten. In letzter Zeit sind die unterstellten Delikte jedes mal gravierender: Raub, sexuelle Übergriffe und - im Fall des minderjährigen Jaciel Cruz - Totschlag.

In dieser Logik stellt sich der Rückgriff auf die Haft als Vorbeugemaßnahme als das schlagkräftigste Instrument dar, in vielen Fällen - derjenige von Flavio Sosa ist paradigmatisch - muss sie in Hochsicherheitsgefängnissen und in Form der Isolationshaft verbracht werden. Dabei werden die Rechte der Gefangenen auf ein Minimum reduziert.

SIEBTENS

Die Richter weisen klare Zeichen von Unfähigkeit und Inkompetenz auf, diese Irregularitäten zu vermeiden. In einigen Fällen ist das geheime Einverständnis mit Regierungsautoritäten offensichtlich. Unbegründete förmliche Haftbefehle, die Eröffnung von Strafgerichtsverfahren ohne ausreichende Beweislage, rechtswidrige Verfahrensverschleppungen, die Fallzuweisung an von Rechtswegen her nicht zuständige Richter - um einige Unregelmäßigkeiten zu nennen - lassen alle und jede einzelne der Garantien, die sich aus dem Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren ableiten, inhaltsleer werden.

Die Unabhhängigkeit der Justiz - und damit einer der Grundpfeiler des Rechtsstaates - erscheint zutiefst fragwürdig. Einige der Ursachen für diese Abhängigkeit werden durch die direkte Ernennung der Richter und das Nichtvorhandensein der Unvereinbarkeit von öffentlichen Ämtern ermöglicht, die sonst z.B. unmöglich machen würden, dass die höchste juristische Autorität Oaxacas in den vergangenen beiden Amtszeiten Innenminister war. Aber darüber hinaus findet die fehlende Unabhängigkeit ihre Begründung in der tief verwurzelten Kultur von Klientelismus und Vetternwirtschaft, die die Ernennungsverfahren für öffentliche Ämter beherrscht.

ACHTENS

Die extreme Härte der polizeilichen Interventionen bleibt ein konstantes Charakteristikum der Unterdrückung der freien Ausübung des Rechtes der Zivilgesellschaft auf die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit. Ein gutes Beispiel hierfür bietet die Brutalität, mit der die "Volks-Guelaguetza" am 16. Juli aufgelöst wurde und durch die Emeterio Marino Cruz und Raymundo Velasco in Lebensgefahr gebracht wurden.

Währen dieser Visite hat die CCIODH Klagen aufgenommen, die Zeugnis davon ablegen, wie sich diese repressive Dynamik von einer Bekämpfungsstrategie gegen die soziale Mobilisierung zu einer alle Bürger und Bürgerinnen betreffenden Vorgehensweise verallgemeinert hat.

NEUNTENS

Einer der Gründe für die Generalisierung dieser Vorgehensweise ist die Straflosigkeit der öffentlich Bediensteten. In Bezug auf die schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte, die sich im Laufe des Konflikts 2006 ereignet haben, wurden bis heute keine strafrechtlich relevanten Verantwortlichkeiten abgeleitet. Es ist in diesem Sinne beunruhigend, dass selbst die Generalstaatsanwaltschaft kein Interesse an der Ermittlung von Todesfällen zeigt, indem sie drei Monate nach Verfahrenseröffnung die Akte archiviert und die Betroffenen selbst auffordert, sich um das Beibringen der Beweise zu kümmern.

In den Fällen, in denen, wie bei zwei Vorfällen in 2007, Polizisten festgenommen und vorläufig inhaftiert wurden, stellt die CCIODH fest, dass diese Fälle vor dem Hintergrund der erfassten weitgehenden Verletzung der Menschenrechte nur symbolische Entscheidungen waren, ohne dass sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt Symptome eines wirklich Wandels wären.

ZEHNTENS

Es gab keine Schritte, die bewaffneten zivilen Gruppen, die im Konflikt 2006 zum Einsatz kamen und gegen die Protestmobilisierungen vorgingen, zu identifizieren und zu sanktionieren. Während ihrer Visite hat die CCIODH Klagen über das erneute Auftreten von Gruppen mit solchen Merkmalen erhalten, sowohl im städtischen Raum als auch in den ländlichen Kreisen und Gemeinden. Ein Beispiel dafür liefert der Fall von San Pedro Yosotatu in der Sierra Mixteca, dessen Einwohner den Tod von sieben ihrer Dorfmitglieder angeklagt haben, der letzte am 24. Dezember 2007, sowie das Verschwinden von drei weiteren Personen, ohne dass die Autoritäten auf die vorgebrachten Anklagen und Beweise reagiert hätten.

ELFTENS

Im vorausgegangenen Bericht wurde der fundierte Verdacht bezüglich der Existenz von Fällen verschwundener Personen vorgebracht. Eine der größten Schwierigkeiten der Nachforschung und Klärung dieser Tatbestände war das Fehlen von Anklagen. Im Laufe des Jahres 2007 wurden drei Fälle erzwungenen Verschwindens [desaparición forzada] denunziert, die insgesamt fünf Personen betreffen. Im Fall von Lauro Juárez hat die Interamerikanische Menschenrechtskommission die mexikanische Regierung aufgefordert, dringende Maßnahmen zur Feststellung seines Verbleibs zu ergreifen. Bisher gibt es keinerlei Fortschritt. Die CCIODH erachtet die Fälle des Verschwindenlassens als extrem Besorgnis erregend. Das Ausbleiben von Antworten seitens der Autoritäten würde uns, sollte sich dies als Dauerzustand konsolidieren, im Kontext des nicht allzu weit zurück liegenden Schmutzigen Krieges der siebziger Jahre verorten.

Basierend auf diesen Schlussfolgerungen unterbreiten wir folgende

VORLÄUFIGE EMPFEHLUNGEN

ERSTENS

Es bleibt unerlässlich, die tiefliegenden Gründe des Konfliktes anzugehen, das heißt, die strukturellen Probleme der Armut, das Kazikentum, den ungleichen Zugang zu Ressourcen, die untergeordnete Rolle der Frau, der Mangel an Mitteln für Bildung, Gesundheit und Behausung, der Mangel an Möglichkeiten der demokratischen Partizipation, das fehlende Verständnis, die kulturelle Vielfalt als Basis des sozialen Zusammenlebens zu begreifen.

ZWEITENS

Der komplette Abbau des Repressionsmodels gegen die Ausdrucksformen sozialer, kultureller und politischer Dissidenz ist dringend. Das Handeln der verschiedenen Körperschaften der Sicherheitskräfte muss sich in der Praxis, und nicht nur rein formell, an die verfassungs- und völkerrechtlichen Menschenrechtsnormen halten.

DRITTENS

Hierfür ist es unerlässlich, die strafrechtliche Verantwortung der öffentlich Bediensteten, die diese Art von Praktiken ausführen, zu gewährleisten. Die Beibehaltung der Straflosigkeit stellt nicht nur die Legitimität der Autoritäten in Frage, erhöht nicht nur das Misstrauen der Bürger in die Institutionen, sondern bildet den Hauptgrund für den sich ausbreitenden Missbrauch der Macht.

VIERTENS

Es ist dringlich, dass der Staat die begangenen Missbräuche eingesteht, korrigiert und für Wiedergutmachung sorgt. In diesem Sinne ist es akut, dass die Staatsanwaltschaft des Bundesstaates und die Generalstaatsanwaltschaft der Republik alle Verfahren einstellen, in denen die Anschuldigungen auf den beschriebenen Irregularitäten basieren und die Situation aller der aufgrund politischer Konflikte ihrer Freiheit beraubten Häftlinge überprüft.

FÜNFTENS

Es muss eine tiefgehende Reform der Institutionen das Staates angegangen werden, ausgehend von seiner eigenen konstitutionellen Ausgestaltung. Den Vorschlägen der Sonderkommission zur Reform des Bundesstaates Oaxaca folgend, müssen diese Reformen auch die Wahlvorgänge und die Elemente, die eine effektive Trennung der Gewalten sicherstellen, erfassen. Parallel dazu ist es notwendig die Rechte der indigenen Völker vollkommen anzuerkennen und deren Einflussnahme auf eine Staatsreform, die eine wahrhafte, einschließende Demokratie garantiert. Konkret kommt der Trennung von juristischer und exekutiver Gewalt maximale Priorität zu. Eine Revision des Modells der Richterernennung ist daher unaufschiebbar um ihre Unabhängigkeit, ihr Unparteiischsein und ihre Unabsetzbarkeit sicherzustellen, wie es auch der Einrichtung eines öffentlichen Bewerbungssystems bedarf, der den Zugang aufgrund von Verdienst und Kompetenz sichert. Ebenso unabdingbar ist ein Gesetz zur Unvereinbarkeit von Ämtern, um die Interferenz zwischen den Gewalten zu verhindern.

SECHSTENS

Solange die juristische Gewalt unfähig bleibt, ihre Unabhängigkeit von der politischen Gewalt sicherzustellen, bittet die CCIODH die Zivilgesellschaft Oaxacas eindringlich darum, alle internationalen Mechanismen zum Schutz der Menschenrechte in Gang zu setzen, insbesondere das interamerikanische System und das System der Vereinten Nationen. Die mexikanische Regierung sollte diese Instrumente angesichts der herrschenden Umstände respektieren und fördern sowie alle Erleichterungen bieten, damit Menschenrechtsorganisationen weiterhin ihre Bewertung der Situation abgeben können.

SIEBTENS

Es müssen eine Entwaffnung vorgenommen, der Besitz und die illegale Verwendung von Waffen kontrolliert und das Handeln von nicht-uniformierten bewaffneten Personen und deren Koordinierung mit den Sicherheitskräften unterbunden werden. Ebenfalls erachtet die CCIODH den Einsatz des Militärs bei Aktionen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung als ungerechtfertigt und weist auf die Notwendigkeit seiner Beendigung hin.

ACHTENS

Den Forderungen der indigenen Völker muss nachgekommen, jede Form von Diskriminierung vermieden werden, ihre politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Rechte müssen gemäß der jüngst verabschiedeten "Allgemeinen Erklärung der Rechte der indigenen Völker" respektiert werden.

NEUNTENS

Es muss die vollständige politische Verantwortung für die in diesen Schlussfolgerungen und Empfehlungen referierten Vorkommnisse übernommen werden.

Oaxaca-Stadt, am 13. Februar 2008


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