"Wir können viel vom Mut
der Zapatistinnen lernen"

Chiapas: Frauentreffen kündigt organisierten Widerstand gegen Machismo, Unterdrückung und kapitalistische Politik an

Interview mit Nikola Siller, Teilnehmerin des "I. Treffens der zapatistischen Frauen mit den Frauen der Welt", 29.-31.12.2007 in La Garrucha, Chiapas, Mexiko. Nikola Siller ist Politikwissenschaftlerin und Mitarbeiterin des Bildungsvereins Zwischenzeit e.V., Münster


Sie haben in den vergangenen Tagen an dem internationalen Frauentreffen im zapatistischen Aufstandsgebiet teilgenommen. Wie kam es zu dem Treffen?

Den Wunsch nach einem zapatistischen Frauentreffen gibt es seit Jahren. Der konkrete Vorschlag kam von den Zapatistinnen selbst, nachdem die mexikanische und internationale Zivilgesellschaft auf dem "I. Treffen der Zapatistas mit den Völkern der Welt" vor einem Jahr deutlich machte, dass sie ein großes Interesse an der spezifischen Situation der indigenen Frauen in Chiapas sowie an der Rolle der Zapatistinnen in der Bewegung und den Veränderungen seit dem Aufstand von 1994 hat.



Wie können wir uns die Arbeitsweise des Treffens vorstellen?

Rund 150 delegierte Zapatistinnen aus den fünf autonomen Verwaltungszentren berichteten im überfüllten und nur für Frauen zugelassenen Auditorium ausführlich von ihrer Arbeit. Das allein ist schon revolutionär. Vor einigen Jahren war es noch undenkbar, dass die Frauen selbstbewusst auftreten und ihre Stimme erheben. Bemerkenswert finde ich ebenfalls, dass auch Frauen das Wort ergriffen, die nicht besonders gut Spanisch sprechen und Wert darauf gelegt wurde, dass sich möglichst viele beteiligen. Die Vorträge über die von Region zu Region teilweise sehr unterschiedlichen Erfahrungen mit der Autonomie waren für die Zapatistinnen selbst und ihr Vorankommen sehr wichtig. Der Zivilgesellschaft wurde die Möglichkeit gegeben, die Kämpfe der zapatistischen Frauen aus erster Hand kennenzulernen, Fragen zu stellen und von den eigenen Kämpfen zu berichten.



Welche Themen standen auf der Tagesordnung?

Ein wichtiges Thema war die Frage, wie das Leben früher war, vor dem Aufstand von 1994, und wie es heute ist. Die Frauen erläuterten die seit 1994 erkämpften Fortschritte und schilderten die Schwierigkeiten, die sich bei ihrer Organisierung als häufig analphabetische indigene Frauen ohne jedwede Tradition der Partizipation ergaben. Sie bezeichneten einige Traditionen als "schlechte Traditionen", die es abzuschaffen gelte. Seit der Durchsetzung des von ihnen erkämpften "revolutionären Frauengesetzes" können die Frauen selbst entscheiden, ob und wen sie heiraten, ob, und wenn ja, wieviele Kinder sie bekommen möchten. Sie haben zudem das Recht, sich an allen Arbeitsbereichen zu beteiligen, die für die Selbstorganisation der Bewegung wichtig sind.

Die Zapatistinnen hoben hervor, dass der Aufbau der Autonomie ein langwieriger und problematischer Prozess war, weil er inmitten eines Krieges stattfand, den die Regierung und die Paramilitärs gegen die Indígenas vorangetrieben haben. Dieser "Krieg niederer Intensität" umfasst ständige Einschüchterungen, Repression, Bedrohung, Morde, Verfolgung, Räumung von autonomen Dörfern und hält bis heute an.



Das Thema Land war ebenfalls wichtig. Früher haben viele Indígenas für die Großgrundbesitzer gearbeitet. Sie wurden wie Sklaven behandelt. Für die Frauen bedeutete dies Missbrauch und Vergewaltigung. Es war normal, dass die jungen Frauen vor ihrer Hochzeit vergewaltigt wurden, viele haben auch Kinder von den Großgrundbesitzern bekommen. Durch die Landbesetzungen sind die Zapatistas heute nicht mehr darauf angewiesen, für die Großgrundbesitzer zu arbeiten. Dadurch hat sich die Situation der Frauen erheblich verbessert.

Durch alle Wortbeiträge zog sich eine klare antikapitalistische Position. Immer wieder betonten die Rednerinnen, dass es bei ihrem Kampf nicht um Unterschiede zwischen Indígenas und Nicht-Indígenas, Frauen und Männern oder Hetero- und Homosexuellen ginge, sondern um die Überwindung des kapitalistischen Systems und des Parlamentarismus, der nur im Sinne der Ausbeuter agiere. Bemerkenswert finde ich, dass die Erziehung der Kinder durch die Mütter als Politikum gewertet wird und den anderen Aufgaben gleichgestellt ist.

Die Frauen betonten, dass sie früher dreifach unterdrückt waren, nicht nur als Arme und Indígenas, sondern auch als Frauen. Sie berichteten, dass sich dies verändert hat. So gebe es zwar noch immer viele Schwierigkeiten und ihre Unterdrückung als Frauen habe sich nicht aufgelöst, aber insgesamt habe sich ihr Leben erheblich verbessert. Durch die EZLN haben sich Freiräume für die Frauen ergeben, in denen sie lernten, sich zu organisieren. Dies hat sie dazu befähigt, sich einzubringen und an entscheidenden Positionen mitzuwirken.



In welchen Bereichen der Bewegung partizipieren die Frauen heute?

Heute arbeiten die Frauen in allen Bereichen mit, als Guerilleras und Kommandantinnen der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN, als Autoritäten der zivilen Selbstverwaltungsräte und anderer Gremien, als Promotorinnen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Agrarökologie und Kollektivarbeit sowie als Beauftragte für Rechtsangelenheiten.

Einige Frauen haben als Teil der politischen Führung der EZLN im Rahmen der "Anderen Kampagne" weite Teile Mexikos bereist. Die "Andere Kampagne" ist eine zivile mexikoweite Mobilisierung der EZLN, die eine neue antikapitalistische Verfassung von unten und von links erarbeiten und durchsetzen will. Auf ihrer Reise haben die Zapatistinnen die Kämpfe anderer Bewegungen kennen- und schätzengelernt.



Gab es auch Kritik gegenüber den eigenen compaņeros ?

Ja, insbesondere die Frauen aus Oventic und Morelia richteten kritische Worte an ihre männlichen Genossen. Sie kritisierten die noch immer vorkommende häusliche Gewalt und Benachteiligung innerhalb der Bewegung. Sie unterstrichen jedoch stets, dass es den zapatistischen Frauen nicht darum gehe, gegen die Männer zu arbeiten, sondern sich als Frauen in der Bewegung zu organisieren und gemeinsam mit ihren compaņeros für die Autonomie der indigenen Gemeinden und eine antikapitalistische Verfassung zu kämpfen.



Aus welchen politischen Spektren stammten die Teilnehmerinnen und wie fand der Austausch untereinander statt?

Die rund 3.000 Teilnehmerinnen kamen aus unterschiedlichen Zusammenhängen und bildeten ein breites Spektrum ab. Neben den Zapatistinnen waren Frauen aus anderen bedeutenden sozialen Kämpfen Mexikos, wie z.B. der "Gemeindefront zu Verteidigung des Landes" (FPDT) aus Atenco oder der "Volksversammlung von Oaxaca" (APPO) angereist.

Sehr präsent zeigte sich "Via Campesina", ein Zusammenschluss, in dem über 160 kleinbäuerliche Bewegungen weltweit organisiert sind. Es sprachen Delegierte aus Guatemala, Brasilien, Ecuador, Nicaragua, Kanada, Korea und Frankreich. Schwerpunkte waren Repression, die katastrophalen Auswirkungen der globalen kapitalistischen Politik und die durch mehrfache Unterdrückung geprägte Situation der Frauen. Vereinend war der Wille und die Entschlossenheit der kämpferischen Frauen, sich über die Kontinente und Grenzen hinweg zu organisieren um gemeinsam eine andere, bessere Welt aufzubauen. Austausch und Vernetzung fanden in den wenigen Pausen zwischen den arbeitsintensiven Plena und dem allabendlichen, ebenfalls sehr interessanten Kulturprogramm statt.



Es nahmen auch viele Männer teil - wie können wir uns ihre Teilnahme vorstellen? War sie unumstritten?

Die Zapatistinnen hatten explizit auch männliche Genossen eingeladen, die aber zu schweigen und den Frauen zuzuhören hatten. Die Zapatistinnen waren nicht zimperlich, wenn es darum ging, Männer aus dem Auditorium zu werfen, die diesen einzigen Frauenraum auf dem Treffen nicht respektierten. So unsensibel waren im Übrigen nur einige zugereiste Männer der mexikanischen und internationalen Zivilgesellschaft.

Den Männern wurde auf unübersehbaren Plakaten ihr Platz auf diesem Treffen zugewiesen: Sie sollten kochen, sich um die Kinder kümmern, Müll beseitigen und Feuerholz holen - eine absolute Umkehrung der Rollenverteilung. Mindestens drei Essensstände wurden dann auch tatsächlich ausschließlich von Männern betreut. Wer schon einmal in Chiapas war, weiß, dass dies als revolutionär zu betrachten ist.

Interessant zu beobachten war, dass viele zapatistische Männer vom Rande des Versammlungsraumes aus den kritischen Worten der Frauen über Stunden konzentriert zuhörten. Auch wenn die Meinung über die Teilnahme von Männern geteilt war, zeigten sich auch deutsche Feministinnen angesichts des lokalen Kontextes der zapatistischen Frauen tolerant.



Bei ihren Abschlussreden drückten mehrere Kommandantinnen der EZLN ihre große Zufriedenheit mit dem Treffen aus. Teilen Sie diese Einschätzung?

Es war ein großartiges und sehr bewegendes Treffen. Die Fortschritte der zapatistischen Frauen sind sicht- und spürbar, in immer mehr Bereichen - auch in leitenden Positionen - sind sie präsent und übernehmen Verantwortung. Besonders die jungen Zapatistinnen der dritten Generation traten mit einem ganz neuen Selbstbewußtsein auf. Sie reklamierten auf dem Treffen neben dem Anspruch auf Partizipation in allen Bereichen auch ihr Recht auf ein glückliches und erfülltes Leben, eine Forderung, die vor weniger Jahren noch vollkommen ausgeschlossen war. Sie bekamen ernormen Applaus für ihre offensiven Ausführungen. Dieser Beifall hat die zapatistischen Männer sichtlich beeindruckt. Das Treffen hat somit nicht nur internationale Frauenaktivistinnen zusammengebracht, sondern auch vor Ort klare Spuren hinterlassen.

Auch wenn der Kampf der zapatistischen Frauen weit von hiesigen Kontexten entfernt ist: wir alle können viel von ihrem Mut, ihrer Entschlossenheit und ihrer Ausdauer lernen.

Interview: L. Kerkeling, Chiapas



"Celulitis Ja - Magersucht Nein" (Wandbild im Auditorium von La Garrucha)


Anmerkungen:

1. Das Interview ist in gekürzter Form in der sozialistischen Tageszeitung Neues Deutschland erschienen: http://www.neues-deutschland.de/artikel/121999.html

2. Die vorliegende Langfassung erscheint voraussichtlich in der nächsten Ausgabe der Lateinamerikanachrichten.

3. Quellen im Internet:

Alle Redebeiträge des Treffens finden sich unter:
http://zeztainternazional.ezln.org.mx/

Artikel und Fotos unter:
http://chiapas.indymedia.org/

12.1.2008