Repressionswelle in Chiapas
Polizei, Behörden und Paramilitärs greifen EZLN-UnterstützerInnen an. Hintergrund ist die Kontrolle von Ländereien und Ressourcen.
FOTO: BewohnerInnen der räumungsbedrohten Gemeinde "24 de Diciembre", im Verwaltungsgebiet der Junta der Guten Regierung von La Realidad (Foto: Gruppe B.A.S.T.A. März 2007)
"In einer heftigen Offensive, die seit mindestens neun Jahren ohnegleichen ist, erleiden die zapatistischen Gemeinden einen brutalen Angriff der mexikanischen Regierung“.
Zu diesem Schluss kommt das „Zentrum für politische Analyse und soziale und wirtschaftliche Forschungen“ (Capise) aus San Cristóbal de las Casas, Chiapas, in seinem Bericht vom 25.9.2007.
In Übereinstimmung mit weiteren unabhängigen Organisationen wie dem Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas und den aufständischen zapatistischen Selbstverwaltungsgremien selbst berichtet Capise, dass es sich um die Bestrebung handelt, den zapatistischen Gemeinden die Ländereien zu entziehen und ihre De-facto-Autonomie zu zerschlagen.
1994 hatte die chiapanekische Guerilla, die Zapatistische Armee zur nationalen Befreiung (EZLN), über 100.000 Hektar Land besetzt und an Tausende Familien verteilt. Seit Februar 1994 kämpft die EZLN mit zivilen Mitteln um eine Verbesserung ihrer Situation, die 2003 in der Ausrufung der Selbstverwaltung von über 30 autonomen Landkreisen gipfelte.
Seit Beginn des Aufstands wurde die indigen geprägte Bewegung immer wieder Opfer von Angriffen, Sabotageakten und Diffamierungskampagnen. Doch die aktuellen Vorkommnisse stellen eine auffällige Häufung dar und ereigneten sich in vier von fünf zapatistischen Einflussgebieten.
Am 18. August wurde die zapatistische Gemeinde San Manuel im Biosphärenreservat Montes Azules gewaltsam geräumt. Nach Angaben des dort zuständigen zapatistischen Verwaltungsrates von La Realidad wurde die Gemeinde von 90 Polizisten und sechs Hubschraubern angegriffen. Über 30 Menschen wurden geschlagen und verhaftet, das Dorf wurde komplett geräumt. Die Landwirtschaftsbehörden äußerten, die Aktion habe aus „Gründen des Umweltschutzes“ stattgefunden.
Am 11. September wurden neun Unterstützer der EZLN aus der Gemeinde Bolon Ajaw von ungefähr 50 Einwohnern der Gemeinde Agua Azul mit Macheten, Schlägen und Schüssen attackiert. Die Aggressoren gehören zur „Organisation zur Verteidigung der indigenen und bäuerlichen Rechte“ (OPDDIC), die von unabhängigen Organisationen als eine regierungsnahe Gruppierung mit paramilitärischen Verbänden betrachtet wird.
Nach Aussage der Verletzten wurden Drohungen folgender Art an sie gerichtet: "Wir werden euch töten". "Wir haben keine Frauen, wir werden uns eure Frauen und eure Töchter greifen, sie vergewaltigen und zu unseren Frauen machen". "Wir greifen uns eure Söhne und schlagen sie zu Brei". "Wir werden euch die Zungen abschneiden". "Es wäre besser für euch dieses Land zu verlassen".
Bereits am 10. August waren zwei Zapatistas aus dem nördlich gelegenen Dorf Ba Yulumax durch die OPDDIC gezielt beschossen worden. Einer von von ihnen wurde von sechs Schüssen getroffen und konnte nur gerettet werden, weil die Angreifer ihn für tot hielten.
Auch in anderen zapatistischen Regionen wie im zentralen Hochland bei Oventik, in der Nordzone bei Roberto Barrios oder im östlichen Regenwaldgebiet bei La Realidad gibt es Provokationen, Todesdrohungen gegen zapatistische FunktionsträgerInnen und Räumungsdrohungen gegen EZLN-Gemeinden durch Paramilitärs oder regierungsnahe Bauernorganisationen.
Flankiert wird diese Repressionswelle durch die Stationierung von Elitetruppen der mexikanischen Bundesarmee. Zudem ist die Aufstandsregion immernoch von 56 Militärcamps besetzt.
Den in Chiapas und Mexiko regierenden Parteien sind die autonom verwalteten zapatistischen Bezirke weiterhin ein Dorn im Auge. Doch unter den neuen Regierungen von Präsident Felipe Calderón von der konservativ-neoliberalen Partei der Nationalen Aktion (PAN) und dem chiapanekischen Gouverneur Juan Sabines von der sozialdemokratischen PRD hat die anti-zapatistische Repression eine neue Qualität erreicht - nicht ohne Grund, denn die EZLN steht den Entwicklungsplänen der Oligarchie diametral entgegen: die Zapatistas konnten nicht nur vorleben, dass sie ohne Regierungshilfe die soziale Situation in den von ihnen kontrollierten Gebieten verbessern konnten. Dazu kommt, dass sich genau auf diesen Territorien zahlreiche Bodenschätze und eine große biologische Vielfalt befinden, auf deren Ausbeutung lokale Eliten und Konzerne seit Jahren warten.
Die EZLN-Führung hat aufgrund der Repression eine Rundreise durch Mexiko abgesagt, die ab Oktober stattfinden sollte, um ein Programm für eine neue antikapitalistische Verfassung „von unten und von links“ zu erarbeiten. Auch diese Mobilisierung ist ein Grund für die Repression. Die Comandantes und Comandantas bleiben nun vor Ort, um ihre Gemeinden zivil zu verteidigen. Gleichzeitig riefen die Zapatistas die Weltöffentlichkeit auf, gegen die Repression zu protestieren.
LK, Gruppe B.A.S.T.A., Mexiko-Stadt, 30.9.2007
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