OAXACA: Widerstand & Repression gehen weiter
...aktuelle Nachrichten...
1.) Von einer in Oaxaca lebenden Gewährsperson:
Liebe Leute, Liebe Freunde und Freundinnen
ich belästige euch ein weiteres Mal mit Nachrichten aus Oaxaca. Ich
appelliere hier an alle, zu versuchen über alle möglichen Kanäle
(Presse,
Hilfswerke, e-mail, mexikanische Botschaft, Reisebüros und
Reiseagenturen
etc.) über die aktuellen Ereignisse in Oaxaca zu informieren und
gegen die
einsetzende Repression zu protestieren. Es ist viel geschehen in
diesen
Tagen, es ist eine Revolution im Gange hier in Oaxaca, die Regierung
des
Bundesstaates Oaxaca atomisiert sich täglich mehr.
Die APPO (Asamblea
Popular del Pueblo de Oaxaca) ist täglich stärker, fast stündlich
integrieren sich mehr Gemeinden und Municipos in die APPO (siehe
angehängte
Deklaration). Nach wie vor ist das Staatsfernsehen von Frauen der
APPO
kontrolliert und sendet täglich, noch immer sind drei Radiostationen
der
APPO in Betrieb und unzählige Regierungsstellen besetzt. Teile der
Polizei
hat gestern das erste mal rebelliert und den Dienst gegen die APPO
verweigert. Mit anderen Worten, der Regierung entgleitet die
Kontrolle und
setzt darum jetzt auf verschärfte und verdeckt organisierte
Repression.
Die Regierung von Ulises Ruiz Ortiz hat sich im Luxushotel Fortin in
Oaxaca
verschanzt und „regiert“ von diesem Ort aus. Regieren bedeutet jetzt,
die
paramilitärische Repression zu organisieren, beraten vom kürzlich
offiziell
abgesetzten Regierungssekretär Jorge Franco Vargas, ein Mann mit
einer
langen Geschichte, paramilitärischer Repression. In den letzten drei
Tagen
sind täglich Mitglieder von Organisationen die sich in der APPO
organisiert
haben entführt, verhaftet, angegriffen, ermordet oder bedroht worden.
Letzter Fall ist gerade vor einer Stunde (9. August 2006 um ca 13:00)
geschehen als ein Aktivist (Hernandez Mendoza) der APPO, der sich
mit einem
Rollstuhl bewegen muss, auf offener Strasse entführt wurde. Täter
sind
paramilitärische Einheiten die sich aus zivilen Polizisten
verschiedener
Einheiten, aus der „Policia Federal Preventiva“ (PFP), sog. Porros
(bezahlte
Schlägertruppen) zusammensetzen. In Oaxaca werden Menschenrechte
schon lange
mit Füssen getreten, schon lange werden Aktivisten und Aktivistinnen,
die
sich gegen die repressiven Machenschaften der Regierung wehren, oder
sich
ganz einfach für die Rechte der indigenen Bevölkerung einsetzen,
umgebracht,
verhaftet oder ganz einfach verschwunden gemacht. Was aber aktuell
droht ist
ein „Saubermachen“ in bisher unbekanntem Ausmaß. Darum appelliere ich
an
alle, diese Situation über sämtliche Kanäle bekannt zu machen die
euch zur
Verfügung stehen. Ich appelliere an euch nicht ohne zu wissen, dass
Mexiko
im Moment wegen des Libanonkriegs nicht an oberster Stelle des
Interesses
steht. Aber was hier geschieht ist dramatisch und wir müssen
versuchen aus
allen Ecken Druck zu erzeugen. Jede Reaktion aus dem Ausland ist
wichtig.
Ich danke allen für ihren Einsatz und sende solidarische Grüße.
Quelle: Info-Verteiler Chiapas98 -> www.chiapas98.de
2.) Von promovio e.V.
Pressemitteilung und Aufruf zu einer Urgent Action
von CODEP (Comite para la Defensa del Pueblo)
Oaxaca-Stadt, Bundesstaat Oaxaca, 9. August 2006
An die sozialen Organisationen und Menschenrechtsorganismen,
Wir erbitten Ihre Hilfe, um eine Intervention der nationalen Regierung in dem Konflikt einzufordern, der aktuell im Bundesstaat Oaxaca herrscht. Denn von Tag zu Tag tritt die Regierung, die nicht mehr anerkannt wird, immer gewalttätiger auf, wie folgende Vorfälle zeigen:
Vorfälle:
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Am Mittwoch, den 9. August, um 7.30 Uhr wurden die Gebäude, in denen aktuell die Tageszeitung „Noticias – Voz e Imagen de Oaxaca“ residiert, mit Schusswaffen angegriffen. Die Einrichtungen befinden sich auf der Independencia Straße, Hausnummer 1309 im Zentrum von Oaxaca-Stadt. Dabei wurden drei Personen verletzt: Miguel Ángel Altamirano, Reynaldo Santiago und Adriana Cervantes. Letztere musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die Angreifer entwendeten dabei nicht nur Teile der Arbeitsgerätschaften, sondern auch die Zeitungsexemplare des Tages, die sich noch dort befanden.
Um 13.00h desselben Tages schlug und verschleppte ein Kommando von Personen, die in zivil gekleidet waren, folgende Mitglieder der Organisation „Frente Popular Revolucionario – FÜR“: Eliel Vásquez Castro, Leonardo N und Hermán Mendoza Nube; letzterer ist querschnittsgelähmt (1). Die Angreifer benutzen ein blaues Auto des Typs Nissan Sentra, das keine Nummernschilder hatte, sowie einen schwarzen Pick-up-Car, ebenfalls ohne amtliches Kennzeichen. Die drei Geschädigten wurden von Yasnaya Cruz Guerra begleitet. Auch sie wurde geschlagen, wobei es den Angreifern egal war, dass sie in ihrem Armen ein fünf Monate altes Kind trug. Die Entführung fand in der Gemeinde Santa Lucía del Camino am Rande von Oaxaca-Stadt statt. (2)
Vorläufer
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Am 22. Mai begannen Gewerkschaften und Organisationen aus Oaxaca eine Besetzung des historischen Zentrums der Hauptstadt im Bundesstaat Oaxaca. Außerdem wurden weitere Protestaktionen durchgeführt, um Arbeitsrechte, soziale und juristische Rechte einzuklagen, wobei im Vordergrund die Forderung stand, die Haftbefehle gegen Mitglieder der sozialen Bewegung auszusetzen und die politischen Gefangenen freizulassen, die der illegitime oaxakenische Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz festnehmen ließ. Nach der brutalen Repression vom 14. Juni 2006 gegen die Demonstrierenden im historischen Zentrum der Stadt Oaxaca wurde der Gouverneur von einem Großteil der Bevölkerung für abgesetzt erklärt.
Als Konsequenz dieses Akts der Unterdrückung haben sich verschiedene Bevölkerungsteile der Hauptstadt Oaxaca sowie verschiedener Regionen des Bundesstaates den Protesten angeschlossen. Ihre einzige Forderung ist der Rücktritt von Ulises Ruiz Ortiz; dies aufgrund unzähliger Menschenrechtverletzungen und Verletzungen der verfassten Grundrechte der Bevölkerung, wie z.B.: willkürliche Festnahmen von Mitglieder aus Gemeinden, die aus der Bevölkerung heraus regiert werden (3), willkürliche Festnahmen von Repräsentanten sozialer Organisationen (z.B. von Germán Mendoza Nube, der aufgrund der Bevölkerungsproteste und der Intervention von Menschenrechtsorganismen freigelassen wurde), sowie Verbote von Demonstrationen auf Straßen und öffentlichen Plätzen, der Angriff auf die Tageszeitung „Noticias“ durch die Regierung, infolge dessen die Zeitung bis heute nur in den provisorischen Unterkünften arbeiten kann, die heute angegriffen wurden.
Der Zuwachs an Personen, Dörfern, Gewerkschaften und Gruppen, die nun in der Bewegung mitmachen, hat dazu geführt, dass die so genannte „Volksversammlung von Oaxaca“ (Asamblea Popular del Pueblo de Oaxaca - APPO) gegründet wurde. Außerdem wurden hierdurch die Regierungsaktivitäten zum Erliegen gebracht, denn die Bevölkerung hat mehrere Gebäude der Legislative, Exekutive und Jurisprudenz besetzt. Dies geschah, weil die gesetzgebenden und rechtsprechenden Organe nicht unabhängig waren, sondern von der Exekutive manipuliert wurden, damit besagte Menschenrechte und verfassten Grundrechte verletzt werden konnten.
In diesem Kontext wurde gefordert, dass die gesetzgebende Kraft auf nationaler Ebene (d.h. der Senat; d.Ü.) entsprechend der mexikanischen Verfassung erklärt, dass im Bundesstaat Oaxaca eine de facto-Nichtexistenz der rechtsstaatlichen Ordnung (desaparición de poderes, Art. 76 der mex. Verfassung; d.Ü.) besteht. Die nationale Regierung soll anerkennen, dass dieser Teil der Vereinigten Staaten Mexikos auf die Forderung der Bevölkerung von Oaxaca reagiert hat, weil die Nicht-Regierbarkeit offensichtlich war. Die Regierung des Präsidenten Vicente Fox hat in diesem Konflikt nicht interveniert. Dieser kann allerdings nur gelöst werden, wenn die Forderung der Bevölkerung erfüllt werden. Damit hat sich Präsident Fox zum Komplizen der Gewalttaten gemacht, die auf Veranlassung des für abgesetzt erklärten Gouverneurs Ulises Ruiz Ortiz aus dem Untergrund heraus operieren. Dabei werden Paramilitärs eingesetzt, wie die Vorfälle von heute und der letzten Wochen zeigen (Schüsse gegen Demonstranten, Inbrandsetzung von öffentlichen Nahverkehrsmitteln und staatlichen Fahrzeugen. Außerdem wurden auch Angriffe, die im Namen der Volksversammlung von Oaxaca – APPO begangen, die das Ziel verfolgten, die soziale Bewegung in Misskredit zu bringen).
Anfrage
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Wir bitten Sie dringlichst, Briefe an den Präsidenten der Republik Mexikos, Vicente Fox Quesada, zu schicken oder ihn anzurufen, sowie den Präsidenten des Senats, Enrique Jackson Ramírez. Die Amtsträger sollen für die physische Unversehrtheit der Mitglieder der APPO Verantwortung übernehmen. Außerdem soll eine Intervention der nationalen Regierung im folgenden Sinne erfolgen:
- Es soll bewiesen werden, dass folgende Personen am Leben sind (presentación con vida): Eliel Vásquez Castro, Leonardo N y Hermán Mendoza Nube, Mitglieder der Volksversammlung von Oaxaca, heute entführt von Paramilitärs in der Gemeinde Santa Lucía del Camino.
- Die Operationen paramilitärischer Gruppen im Bundesstaat Oaxaca sollen beendet werden.
- In Oaxaca soll die de facto-Nichtexistenz der rechtsstaatlichen Ordnung (desaparición de poderes) erklärt werden. Ziel dessen muss sein, dass das Klima der Gewalt beendet wird, das von dem für abgesetzt erklärten Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz, von Jorge Franco Vargas (bis vor wenigen Wochen berüchtigter Innenminister von Oaxaca; d.Ü.) und Heliodoro Díaz Escárraga herbeigeführt wird. Anstelle den Forderungen der Bevölkerung Gehör zu schenken, haben jene es gewagt, die Bewegung zu beschuldigen, sie hätte die Anschläge selbst inszeniert. Damit wollen sie ihre Repressionsakte verbergen, was ihnen nicht gelingt.
- Ein Stopp der Attentate gegen die Pressefreiheit, wie jenes, das am heutigen Tag auf die Tageszeitung „Noticias“ verübt wurde.
Adressen, an die Briefe oder Telefonate gerichtet werden sollen:
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Vicente Fox Quesada
Präsident der Vereinigten Staaten Mexikos
Teléfono: (55) 52777455
Fax: (55) 52772376
radio@presidencia.gob.mx
presidencia@gob.mx
vicentefox@presidencia.gob.mx
Carlos M. Abascal Carranza
Innenminister von Mexiko,
México-City
Fax: (00 52) 5 55 546 5350, (0052) 5 55 546 7388
segob@rtn.net.mx
Jesús Enrique Jackson Ramírez
Präsident des Vorsitzes im Senats der Rebublik
Teléfono 53.45.30.00 Ext: 3165, 3274
Fax 53.45.30.00 Ext3164
ejackson@senado.gob.mx
Mit Kopie an:
Dr. José Luis Soberanes Fernández
Präsident der Nationalen Menschenrechtskommission
correo@cndh.org.mx
Mit solidarischem Gruß:
¡POR LA DEFENSA DE LOS DERECHOS DEL PUEBLO, CONSTRUYENDO EL PODER POPULAR!
CODEP (Comite para la Defensa del Pueblo), Mitglied der Vollksversammlung von Oaxaca (Asamblea Popular del Pueblo de Oaxaca – APPO)
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Anmerkungen des Übersetzers:
(1) Hermán Mendoza Nube, querschnittsgelähmter Rollstuhlfahrer, ist ehemaliger politischer Gefangener; das letzte Mal war er im Jahr 2005 inhaftiert.
(2) weitere Informationen zu beiden Vorfällen in Artikeln von Hermann Bellinghausen in der Tageszeitung „La Jornada“: http://www.jornada.unam.mx:8080/ingresan-sujetos-armados-al-periodico-noticias-hay-cuatro-lesionados , http://www.jornada.unam.mx:8080/secuestran-a-miembro-de-la-appo-en-oaxaca
(3) In Oaxaca bestimmen über 400 der 570 Gemeinden ihre Bürgermeister sowie weitere Autoritäten und die kommunale (Selbst)Verwaltung nach den so genannten „usos y costumbres“ (oft übersetzt als „Sitten und Gebräuche“). Die Eignung einer Person wird dabei in Abhängigkeit ihrer Leistungen für die Gemeinschaft bewertet. Parteilisten sind nicht vorgesehen. Weitere Informationen: http://www.oeku-buero.de/veroeff/inf66/19mxusos.html
Übersetzung: Eberhard Raithelhuber, promovio e.V. – Verein zur Förderung der indianischen Menschenrechtsbewegung in Mexiko , 10. August 2006, 10.00h
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