Marcos: Wir werden nichts gegen die Wahlen von heute unternehmen
Wahlenthaltung ist keine Voraussetzung, um der Anderen Kampagne
anzugehören, erklärte der Subcomandante in der Vollversammlung der
Sexta.
Hermann Bellinghausen, La Jornada, Sonntag, 2. Juli 2006
Die Andere Kampagne "wird nichts gegen die Wahlen unternehmen",
erklärte Subcomandante Marcos in der nationalen Vollversammlung der
UnterstützerInnen der Sechsten Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald. Es
gehe einzig darum, der Bevölkerung von Mexiko zu sagen: "hier sind
wir". Er erkannte an, dass viele Menschen aus verschiedenen Gründen
wählen gehen würden; insbesondere erwähnte er den Kooperativismus,
der verschiedene Gruppen von Arbeitern dazu verpflichtete, zur Wahl zu
gehen. "Wer wählen will, darf nicht daran gehindert werden, wir sagen
ihnen nur, dass es eine andere Alternative gibt. Ob gewählt wird oder
nicht, wir sind hier".
Damit wies er die Vorschläge zurück, bei der Veranstaltung am Sonntag
die Anwesenheit von Personen mit dem verfärbten Zeigefinger zu
verhindern [Anm.d.Webm.: nach der Stimmabgabe wird der Finger gefärbt, um Mehrfachwahl zu verhindern].
"Wir dürfen keine Kommissare haben", sagte Delegado Zero.
"Wir sind nicht die Leiter, wir sind nur ein Teil der Anderen
Kampagne", hob er hervor. "Wahlenthaltung war niemals eine
Voraussetzung, um Anhänger der Sexta zu sein". Andererseits gebe es
die Voraussetzung, "weder Wahlposten noch Regierungspositionen
anzunehmen".
Ein Jahr nach Veröffentlichung der Sechsten Erklärung räumte er ein,
sei der Vorschlag "weiterhin das Manifest der Anderen Kampagne,
solange es nichts anderes gibt. Aber es wäre gut, wenn ein anderes
Manifest entstehen würde, das "tiefer" reicht. "Nicht von
Seiten der EZLN oder der Sechsten Kommission, auch nicht von Marcos,
sondern von allen Unterstützern". Sie seien diejenigen, fügte er
hinzu, die bestimmen würden wo die Grenzen liegen, "und das hat
nichts mit den Wahlen zu tun". Das neue Manifest "muss sich an die
gesamte Bevölkerung richten, nicht an uns selbst". Die Veranstaltung
am 2. Juli, wiederholte er, sollte sich an das Volk richten.
Bei dieser Gelegenheit würde Delegado Zero, nach seinem eigenen
Vorschlag, nicht der Hauptredner sein, sondern nur ein "
&8217;Zeremonienmeister&8217;, wie wir dazu sagen". Infolgedessen
schlug er vor kollektiv ein Dokument zu entwerfen "mit einfachen
Worten", geschrieben von jemanden der "keine Maske trägt, mit
unverhülltem Gesicht".
Marcos bestand darauf, dass man über die Sexta nicht in einer
Versammlung abstimmen und entscheiden könnte, in der die Präsenz aus
zwei Bundesstaaten (D.F. und der Bundesstaat México) die Anwesenheit
aus den restlichen Teilen Mexikos, von wo aus Delegationen angereist
waren, bei weitem überwog. Jede endgültige Abstimmung "muss nach
Bundesstaaten ablaufen". Er schlug vor, das Dokument für die
Protestveranstaltung am Wahltag in verschiedne Segmente aufzuteilen,
die von den Delegierten der verschiedenen Regionen des Landes
entworfen werden sollten.
Die Ansprache soll von einem Mitglied der Front der Dörfer in
Verteidigung des Landes FPDT, aus Atenco eröffnet werden, mit der
"kämpferischen" Sprache, die ihnen zueigen ist, und soll mit den
Worten der Angeklagten aus Atenco zum Abschluss gebracht werden. Der
Teil des Dokumentes, der von Lebensbedingungen handelt (Wohnung,
Land, ärztliche Versorgung, Schulbildung, Arbeit), wurde heute nacht
von den Delegierten aus dem Südosten verfasst; der Abschnitt über die
ideologischen und kulturellen Bedingungen, Information und Kunst, von
den Delegierten aus dem Norden und von der Anderen Seite (die
übrigens klarstellen werden, dass sie keine Fremde sind, sondern
"Mexikaner, die auf besetztem Gebiet leben", in den Vereinigten
Staaten). Die politischen Bedingungen und die Arbeitssituation fällt
den Vertretern aus dem zentralen Mexiko zu. Und die Bedingungen von
Ungleichheit und Unterschiedlichkeiten - indigene Völker und
unterschiedliche Geschlechter, sowie sexuelle Diversität - den
Bundesstaaten aus dem Westen.
Am zweiten Sitzungstag, debattierte die nationale Versammlung der
Sexta-Anhänger über die Merkmale ihrer Identität und den realen Raum
ihrer gesamten Diversität, die sie von den politischen Parteien und
traditionellen Organisationen unterscheidet. Denn obwohl die Andere
Kampagne sich aus "ein bisschen von allem" zusammensetzt, trägt sie
auch ein wenig von dem Wunsch in sich, sich unterscheiden zu wollen.
Das was sie zusammenhält, zusätzlich zu den Vorschlägen und der
Analyse der Sechsten Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald, ist der
kollektive Wille eine Alternative aufzubauen, die "sehr anders" ist,
und eine "neue Form Politik zu betreiben". Der Weg dahin ist nicht
einfach. Niemand hat je etwas anderes behauptet.
Nachdem die Berichte der verschiedenen Kollektive und Organisationen
angehört wurden, wendeten sich die Delegierten aus ganz Mexiko der
Aufgabe zu, ihre unmittelbarste Zukunft zu definieren, das heißt, die
Protestveranstaltung am Sonntag, sowie die andere Zukunft, die am
Montag, den 3. Juli beginnen soll: die eigentliche Zukunft.
Die Frage, wie man in den Wahlprozess hineinplatzen konnte, bedurfte
gewisser Präzisionen, vor allem, dass es nicht vorgesehen war, diesen
zu "unterbrechen" oder zu "beeinflussen", wie einige weiterhin
dachten oder befürchteten. Die Wahrscheinlichkeit möglicher
Provokationen während der Veranstaltung wurde ebenfalls in Erwägung
gezogen.
Zu Beginn des Abendprogramms ergriff Delegado Zero das Wort und damit
die eigentliche Besprechung des Protestmarsches und der Versammlung
am Wahltag. Gleich am Anfang widersprach er den Meinungen einiger,
nach denen es sich bei der Vollversammlung um die "höchste Autorität"
der Anderen Kampagne handeln würde. Er erinnerte lediglich daran,
dass "an der ersten Vollversammlung in La Garrucha, drei Mal so viele
Menschen teilgenommen haben, und trotzdem keine endgültigen
Entscheidungen getroffen wurden". Die höchste Instanz liege bei der
Gesamtzahl der 15 bis 30 Tausend Befürwortern, und das endgültige
Profil der Sexta, würde weiterhin im ganzen Land diskutiert werden.
Wie bereits angekündigt, wurde bestätigt, dass die Andere Kampagne
am Sonntag, ab 10 Uhr Vormittags, vom Angel de la Independencia zur
Plaza de la Constitución marschieren würde, um für eine andere Option
zu demonstrieren, die Alternative einer politischen Aktion, die
demokratischer ist, als die parteigebundene und elektorale
Demokratie.
* * *
(übs. von Dana)
Quelle:
http://www.jornada.unam.mx/2006/07/02/014n1pol.php
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