Machtkämpfe in Mexiko

Eskalation der Repression im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen / Breite soziale Mobilisierung gegen konservative Parteien


Wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl am 2. Juli in Mexiko nehmen die sozialen Auseinandersetzungen deutlich zu. Vor allem in den Bundesstaaten, die von der Institutionellen Revolutionären Partei (PRI) regiert werden, stieg die Repression stark an. Die Partei hatte Mexiko bis 2000 71 Jahre autoritär dominiert. Auch wenn die PRI noch 17 von 32 Bundesstaaten kontrolliert, fürchtet sie einen weiteren Einflußverlust. Ihr Kandidat Roberto Madrazo liegt in aktuellen Umfragen klar hinter Felipe Calderón von der konservativ-neoliberalen Partei der Nationalen Aktion (PAN) und Andrés Manuel López Obrador von der sozialdemokratischen Partei der Demokratischen Revolution (PRD), die fast gleichauf sind.

Jüngster Repressionsfall ist der Einsatz von 1.300 Polizisten gegen Tausende seit drei Wochen streikende LehrerInnen am 14. Juni im Zentrum von Oaxaca-Stadt. Über 90 AktivistInnen wurden brutal festgenommen und teils schwer verletzt. Dutzende Personen sind verschwunden und noch immer ist unklar, ob Menschen umgekommen sind. Die LehrerInnen fordern Lohnerhöhungen und bessere Bedingungen im Bildungssektor. Die Streikbewegung der 70.000 demokratisch organisierten LehrerInnen wird inzwischen von vielen anderen Organisationen unterstützt. Im Bildungsbereich konnten die Streikenden am 15. Juni erste Zusagen von Regierungsseite erstreiten. Doch inzwischen fordert die Bewegung auch den Rücktritt von Gouverneur Ulises Ruiz und des für die Repression verantwortlichen Ministers Jorge Franco. Ulises Ruiz weist dies strikt zurück, reagierte jedoch auf den hohen sozialen Druck mit der Freilassung einiger LehrerInnen und der Aussetzung mehrerer Haftbefehle. Am 16. Juni demonstrierten 300.000 BürgerInnen gegen den Gouverneur, nach Angaben der Indianischen Menschenrechtsorganisation OIDHO die größte Demonstration in der Geschichte Oaxacas.

"Hintergrund des Konflikts ist die diktatorische PRI-Regierung von Gouverneur Ruiz", so Carlos Beas von der Union der Indígena-Gemeinden der Isthmuszone von Oaxaca (UCIZONI). "Diese Regierung ist nicht an den sozialen Problemen interessiert. Sie bereichert sich und will ihrem Kandidaten Madrazo mit allen Mitteln möglichst viele Stimmen verschaffen", so Beas. Madrazo sei Vertreter der alten, despotischen und korrupten PRI und versuche, mit einem Klima der Angst und mit Manipulation das Ruder bei den Wahlen noch herumzureißen. Die bundesstaatliche Regierung seines Alliierten Ruiz ist seit ihrem Antritt vor anderthalb Jahren für über 600 illegitime Festnahmen und mindestens zehn politische Morde verantwortlich.

Juan Sosa von der "Kampffront für den Sozialismus" betonte im Interview, dass es sich bei den Auseinandersetzungen eindeutig um Klassenkampf handle: "Hier kämpfen die, die alles haben, gegen die, die nichts haben und sich organisieren". Die Bewegung verlangt über Oaxaca hinaus das Ende der Repression und die Freilassung aller politischen Gefangenen, auch der in Atenco festgenommenen Aktivisten. Am 4. Mai hatten 3.500 Bundes- und Staatspolizisten die rebellische Kleinstadt im Bundesstaat Mexiko bei Mexiko-Stadt brutal attackiert, weil Demonstranten aus Atenco tags zuvor in Solidarität mit von der Polizei vertriebenen Händlern Straßen blockiert hatten. Zwei Menschen starben, über 30 Frauen wurden beim Transport ins Gefängnis sexuell genötigt oder vergewaltigt. Fünf Ausländerinnen wurden illegal abgeschoben. Noch immer sitzen rund 30 Personen im Gefängnis. Die Gemeinde hatte 2002 den Bau eines Großflughafens verhindert und damit Präsident Fox (PAN) eine herbe Niederlage zugefügt.

Heute ist Atenco in der "Anderen Kampagne" organisiert, dem landesweiten außerparlamentarischen Linksbündnis, das im letzten Jahr von der Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) angestoßen wurde und dem inzwischen über 1.000 Organisationen angehören. Der Bundesstaat Mexiko wird von Enrique Peņa Nieto (PRI) regiert, der den Angriff in Absprache mit der PAN-Regierung von Präsident Fox organisierte. PRI und PAN applaudierten der Aktion, die sozialen Organisationen protestierten energisch. Die "Andere Kampagne" lehnt neben PAN und PRI auch die linksgemäßigte PRD ab, da sie ebenfalls das neoliberale Projekt und den Ausverkauf des Landes weiterbetreibe, so EZLN-Sprecher Subcomandante Marcos. Ziel sei eine neue antikapitalistische Verfassung für ganz Mexiko.

Der Analyst Carlos Fazio vertritt die These, dass die politische Klasse den unabhängigen linken Organisationen ein unmißverständliches Zeichen geben will: "Die Botschaft ist: Misch Dich nicht ein, denn wenn Du es tust, passiert Dir dasselbe wie in Atenco. Dies ist die perverse Logik dieser Politik der Aufstandsbekämpfung, die schlußendlich ein Krieg gegen die ganze Bevölkerung ist".

Auf globaler Ebene gab es nach den Vorfällen von Atenco über 100 Demonstrationen in 28 Ländern, die ein "Ende des Staatsterrors" forderten. Der EU-Abgeordnete Tobias Pflüger beantragte eine Anhörung zur Mißhandlung und Abschiebung dreier EU-Bürgerinnen, die beim Polizeieinsatz in Atenco anwesend waren. Die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko wandte sich wegen der Repression in Oaxaca am 15. Juni an Präsident Fox und forderte, soziale Konflikte nicht weiter mit Gewalt zu lösen.

Der Ausgang der Wahlen in Mexiko bleibt ungewiss. PRD wie PAN setzen auf Privatisierung, Deregulierung, internationale Investoren und Freihandel, nur in unterschiedlicher Intensität. Gewinnt die PAN, ist im Land nach Einschätzung vieler kenntnisreicher BeobachterInnen jedoch mit härterer Repression und einem weiteren politisch-kulturellen Rechtsruck zu rechnen. Der Widerstand der sozialen Organisationen wird - unabhängig vom Ergebnis - weitergehen. SprecherInnen der "Andere Kampagne", in der inzwischen über 1.000 Organisationen zusammengeschlossen sind, betonten, dass die neue Regierung - egal wer sie stelle - mit friedlichen Mitteln angegangen werde, um eine neue Form des Politikmachens "von unten für unten" zu etablieren.

LK, Gruppe B.A.S.T.A. - 20.6.2006


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