Poonal Nr. 712
Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 04. April 2006
MEXIKO
Umstrittenes Mediengesetz verabschiedet
Von Nils Brock
(Mexiko-Stadt, 3. April 2006, poonal).- Am Donnerstag stimmten knapp zwei Drittel des mexikanischen Senates für eine Neufassung des Mediengesetzes. Trotz zahlreicher Proteste von Nichtregierungsorganisationen, Medienwissenschaftlern und einiger kritischer Senatoren wurde damit eine Gesetzesnovelle verabschiedet, die das seit 1960 bestehende Föderale Gesetz für Radio und Fernsehen (Ley Federal de Radio y Televisión) außer Kraft setzt und die Zukunft vieler gemeinschaftlich organisierter und freier Medien bedroht. Befürcht wird eine weitere Stärkung des bestehenden Oligopols privater Medienunternehmen und eine damit verbundene Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit.
Die in dem Gesetz definierten technischen Dispositionen machen es beispielsweise möglich, dass die beiden größten Medienunternehmen Televisa und TV Azteca, die 80 Prozent des Medienmarktes kontrollieren, ihre Lizenzen kostenlos für digitale Übertragungen nutzen können. Außerdem sieht die Gesetzesnovelle vor, dass künftig auch Privatpersonen Wahlwerbespots senden dürfen. Deshalb kritisieren inzwischen selbst Vertreter der Regierungspartei PAN und des Bundeswahlinstituts (IFE) die Gesetzesnovelle als einen Angriff auf die Demokratie und die staatliche Souveränität.
Da Lizenzen künftig nur noch verkauft und keine „Sendeerlaubnis“ mehr für öffentliche Kultur- oder Bildungssender vergeben werden sollen, fürchten die knapp 50 Stationen die derzeit eine solche Sendelizenz besitzen, um ihre Zukunft. Die neu entstehende Regulierungsinstanz sei in keiner Weise unabhängig und demokratisch. Ihre Mitglieder werden vom scheidenden Präsidenten Vicente Fox auf 16 Jahre ernannt.
Diesem Gremium wird auch die Regulierung der Basisradios unterstehen, die im neuen Mediengesetz mit keinem Wort erwähnt sind und somit keinerlei Garantien für den künftigen Sendebetrieb oder inhaltliche Unabhängigkeit besitzen. Bereits kurz nach der Abstimmung im Senat wurden Stimmen laut, die eine Einschränkung von Sendungen in indigenen Sprachen forderten, weil schwer zu überprüfen sei, ob deren Inhalte verfassungskonform seien. Freie Radios, die bisher von einer gesetzlichen „Alegalität“ profitiert haben, müssen in Folge des neuen Mediengesetzes mit mehr Repressionen rechnen.
Inzwischen haben verschiedene Medienverbände und Nichtregierungsorganisationen Klage bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission eingereicht.
MEXIKO
Multinationale Unternehmen fordern Sicherheit für Menschenrechtler Barrios
Von Miriam Ruiz
(Mexiko-Stadt, 27. März 2006, cimac-poonal).- Sechs große Unternehmen der Teilfertigungsindustrie der Modebranche in Puebla stellten in einem Brief an den Gouverneur des Bundesstaates Mario Marín dessen Kompetenzen in Frage. Dies geschah aufgrund der Menschenrechtslage in Puebla, unter anderem mit Blick auf die Versammlungs- und Meinungsfreiheit. In einem gemeinsamen Brief forderten die Maquiladora-Unternehmer GAP, Levi Strauss, American Tagle, Phillips-Van Heusen, Polo Ralph Lauren und Warnaco die Sicherheit von Martin Barrios. Barrios ist Menschenrechtsaktivist in Tehuacán, der „Hauptstadt des Jeansstoffes“.
Sie betonten, dass es sehr wichtig sei, „dass wir und andere ausländische Einkäufer, die Geschäfte in Puebla machen, das Vertrauen in die Regierung behalten und diese die Meinungsfreiheit und rechtsstaatliches Vorgehen garantiert. Ohne ihre Ansichten herabwürdigen zu wollen, rufen wir ihre Regierung auf, aktive Maßnahmen zu ergreifen, um die physische Unversehrtheit von Herrn Barrios, seiner Familienmitglieder und anderer Mitglieder der Kommission für Menschen- und Arbeitsrechte des Tales von Tehuacán (Comisión de Derechos Humanos y Laborales del Valle de Tehuacán) zu sichern“, fügten sie hinzu.
Als Antwort auf den Druck, den die Verbraucherbewegung gegen die schlechten Arbeitsbedingungen in den Maquilabetrieben geschaffen hat, versichern die unterzeichnenden Unternehmen dem Gouverneur von Puebla, dass sie das Arbeitsrecht einhalten. „Wir denken, dass lokale Nichtregierungsorganisationen in Zusammenarbeit mit den Herstellern, Regierungen und Einkäufern eine wichtige Rolle spielen können, um die Arbeitsbedingungen in der Kleidungsindustrie zu verbessern. Sie müssen ihre Meinungen in Freiheit und ohne Angst vor Gewalt ausdrücken können“, endete der Text.
Barrios wurde Ende 2005 von dem Jeansstofffabrikanten Lucio Gil Zárate wegen seiner Aktivitäten angezeigt. Seine darauf folgende Festnahme erzeugte Proteste in der Zivilgesellschaft und in der internationalen Gewerkschaftsbewegung. Er wurde Anfang 2006 wieder auf freien Fuß gesetzt. Nach Angaben der Menschenrechtsorgansiation Amnesty International vom vergangenen Monat ist Barrios ijedoch mmer noch gefährdet.
Barrios kämpfte u.a. auch im Maquilabetrieb des Unternehmers Kamel Nacif für Arbeiterrechte. Nacif wird verdächtig, in ein Kinderpornonetz verstrickt zu sein. Vor wenigen Wochen veröffentlichte die linke Tageszeitung „La Jornada“ Telefonmitschnitte, die offenbarten, dass er in enger Zusammenarbeit mit Gouverneur Marín für die kurzzeitige Festnahme der feministischen Journalistin Lydia Cacho sorgte. Cacho hatte in einem Buch das Pornonetz aufgedeckt.
MEXIKO
USA, Mexiko und Kanada wollen enger zusammenarbeiten
Von Wolf-Dieter Vogel
(Mexiko-Stadt, 1. April 2006, poonal).- Keine wirtschaftliche Prosperität ohne Sicherheit. Deshalb müsse man sicherstellen, so meinte der US-amerikanische Präsident George W. Bush zum Abschluss des Nordamerikagipfels am vergangenen Freitag (31. März), dass die ausgiebigen Grenzen der USA “geschützt werden”. Zugleich unterstützte Bush auf dem gemeinsamen Treffen der Staatschefs Mexikos, Kanadas und der USA einen Vorschlag des US-Senats, der auf eine Liberalisierung der Einwanderungsgesetze in den USA hinauslaufen könnte. “Ich bin sehr optimistisch, dass wir ein Gesetzesprojekt erreichen werden,” sagte er mit Blick auf den Entwurf. Ob der US-Präsident aber letztlich sein Veto einlegt, wenn der Vorschlag nicht angenommen wird, ließ Bush auf dem Gipfel im Rahmen der “Allianz für Sicherheit und Prosperität in Nordamerika” (ASPAN) im mexikanischen Karibikbad Cancún nicht wissen. "Neue Sicherheitsgesetze und eine Reform der Einwanderungsgesetze” würden jedenfalls “die Beziehungen der drei Staaten künftig stärken und nicht schwächen", sagte Bush.
Zwei Tage lang diskutierten Mexikos Regierungschef Vicente Fox, der kanadische Präsident Stephen Harper und Bush über Sicherheit, Migration und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die ohnehin schon über den Freihandelsvertrag NAFTA miteinander verbundenen Staaten einigten sich darauf, in Zukunft auf ökonomischem Terrain noch enger zusammenzuarbeiten. Im Vordergrund der Debatte stand jedoch angesichts der jüngsten Mobilisierungen lateinamerikanischer Migrantinnen und Migranten in den USA und des Senatsentwurfs die Einwanderungspolitik der drei Staaten.
Der Vorschlag der US-Senatskommission sieht beides vor: liberalere Einwanderungsregelungen im Rahmen eines zeitlich begrenzten “Gastarbeiterstatus` und eine Verdoppelung der Patrouillen an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze auf etwa 22.000 Beamte. Die rund zwölf Millionen illegal in den USA lebenden Einwanderer sollen einen rechtlichen Aufenthaltsstatus und 1,5 Millionen landwirtschaftliche Arbeiter eine Arbeitserlaubnis bekommen. Zudem soll jährlich 400.000 Arbeitsmigranten ein für drei Jahre gültiges Visa ausgestellt werden. Ob die Vorschläge den Senat passieren, ist noch offen. Zwar hat der Entwurf die Unterstützung des US-Präsidenten, doch der rechte Flügel seiner republikanischen Partei läuft gegen das Vorhaben Sturm.
Dennoch hat die Kommission Zeichen gesetzt: das Gremium hat sich gegen ein nach seinem Verfasser, dem Abgeordneten James Sensenbrenner genannte “Sensenbrenner-Gesetz” gestellt. Dieser im Dezember vom Kongress verabschiedete Entwurf sieht vor, illegal in den USA lebende Migranten strafrechtlich zu verfolgen. Zudem soll eine 1100 Kilometer lange Mauer an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze Menschen an der Einwanderung hindern. Außerdem soll kriminalisiert werden, wer Migranten bei ihrem Grenzübertritt in die USA Unterstützung leistet. Diese Pläne sind nun möglicherweise vom Tisch.
“Der Reformvorschlag ist ein Ergebnis der Mobilisierung der Migranten in den USA,” erklärt Maricarmen Ramírez von der NGO Comunidades y Ejidos Municipalistas. Sie verweist auf die Demonstrationen der letzten Tage, bei denen Hunderttausende gegen schärfere Einwanderungsbeschränkungen auf die Straße gegangen sind. Andere mexikanische Migrantenorganisationen forderten den Präsidenten Fox umgehend auf, die Resolution der Senatskommission nicht als seinen Erfolg zu verkaufen.
Nicht zu Unrecht befürchten die Organisationen diese Vereinnahmung. Schließlich war Fox bemüht, die neue Entwicklung auf sein Konto zu verbuchen. “Ich finde es gut, dass wir vorankommen,” reagierte der Staatschef auf den Senatsentwurf. Für Fox und dessen konservativ-liberale Partei der Nationalen Aktion (PAN) könnte ein Fortschritt in der US-Einwanderungspolitik nicht günstiger kommen. Seine Amtszeit läuft im Dezember aus, und in drei Monaten wird in Mexiko ein neuer Präsident gewählt. Wer gewinnen will, muss für die Ausgewanderten Stellung beziehen. Schließlich leben schätzungsweise 25 Millionen Mexikaner in den USA, mindestens sechs Millionen von ihnen ohne legalen Aufenthaltsstatus. Viele Familien haben ihre Angehörigen nördlich der Grenze, deren Geldüberweisungen sind die zweitgrößte Devisenquelle des Landes.
Fox hatte nach seiner Amtsübernahme vor sechs Jahren erklärt, er werde mit der US-Regierung eine rechtliche Grundlage für die illegal lebenden Migranten aushandeln und sich für eine Öffnung des US-Arbeitsmarkts für mexikanische Arbeiter einsetzen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 endeten jedoch alle Versuche, mit dem US-Präsidenten über Einwanderungserleicherungen zu verhandeln. Jede Debatte fand nur noch unter dem Aspekt der Terrorismusbekämpfung statt. Die mexikanische Regierung akzeptierte sogar ein Rückführungsprogramm, mit dem festgenommene illegal Eingewanderte auf Kosten der US-Regierung in ihre Heimat zurückgeflogen wurden. Die Gesprächsgrundlage verschlechterte sich zudem, nachdem Mexiko der USA im UN-Sicherheitsrat die Zustimmung zum Irak-Krieg versagte. Zudem warf die US-Regierung in aller Regelmäßigkeit vor, nicht entschieden genug gegen die Drogenmafia vorzugehen.
Erst auf den geplanten Bau des 1100-Kilometer-Schutzwalls reagierte Fox wieder offensiver: “Das ist eine Schande und eines demokratischen Landes unwürdig.” Selbst konservative Kommentatoren kritisierten damals das “Sensenbrenner-Gesetz” als rassistisch. Sollten nun tatsächlich einige der im US-Senat diskutierten Gegenvorschläge Wirklichkeit werden, wird der Fox-Parteifreund und PAN-Präsidentschaftskandidat Felipe Calderón gegenüber seinen Kontrahenten einen wichtigen Punktsieg erlangen.
Auf dem ASPAN-Treffen einigte sich Fox zudem mit seinem kanadischen Kollegen Stephen Harper auf eine verstärkte Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik. Bush versprach er, man wolle eine “sichere Grenze, und zwar genauso für unsere Mitbürger wie auch im Interesse unserer Beziehung zu den USA”. Der ehemalige Außenminister des Fox-Kabinetts Jorge Castañeda stellte indes klar, was unter einer umfassenden Migrationsvereinbarung mit den USA zu verstehen ist. Auf der internationalen Bühne erhalte man nichts, ohne auch was zu geben, schrieb er in einem Kommentar für die konservative Tageszeitung Reforma. Deshalb müssten Unterstützungsprogramme auf dem Land für jene Familien verstärkt werden, deren Oberhaupt nachweislich nicht in die USA ausgereist sei. Zudem müssten die von den USA eingeklagten “Kontrollen im Istmus von Tehuantepec” installiert werden. Als schmaler Landstrich zwischen Atlantik und Pazifik gilt die Region als Nadelöhr für Migranten aus dem zentralamerikanischen Raum, die sich auf dem Weg “gen Norden” befinden.
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