Gilberto López y Rivas

Zwei Kampagnen, zwei Wege

Die expliziten und impliziten Prämissen, von denen Enrique Dussel in seinem in dieser Zeitung veröffentlichten Artikel „Die doppelte Kampagne“ ausgeht, stimmen weder vollständig mit der Wirklichkeit noch mit der politischen Absicht der Anderen Kampagne überein. Sein Hauptargument ist, dass es für die „Linke“ (so, als Gattung) unvorteilhaft sei, sich zu spalten, und deswegen sollten sich der Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl der Partei der Demokratischen Revolution und die von der EZLN ausgehend von ihrer Sechsten Erklärung initiierte Kampagne vereinigen, „beide Kampagnen ergänzen sich und sollten strategisch ein gemeinsames Ziel haben.“

Die Einheit der Linken [im Plural] entsteht nicht aus den Wünschen politischer Analytiker. Sie kann erreicht werden durch Gemeinsamkeiten, die auf konvergierenden Wegen und aus politischer Aktion entstehen, die im Kampf und in Bewegungen geschmiedet werden, aus denen ähnliche Perspektiven entstehen, die wiederum taktische oder strategische Allianzen mit sich bringen. Welche Annäherung hat es in den letzten Jahren zwischen EZLN und PRD gegeben? Keine! Im Gegenteil, auffällig ist eher eine Reihe von Missverständnissen und Konfrontationen zwischen beiden, die im totalen Bruch gipfelte, als die PRD-Abgeordneten die Vereinbarungen von San Andrés verrieten.

Auch ihre Wege könnten nicht verschiedener sein. In den letzten Jahren hat die PRD einen bemerkenswerten ethischen Verfall durchgemacht; sie entfernte sich von den hauptsächlichen antikapitalistischen nationalen und internationalen politischen und sozialen Bewegungen, sie entwickelte Klientel- und Körperschaftsnetze mit städtischen und landwirtschaftlichen Sektoren; sie legte gesteigerten Wert nur auf Wahlprozesse und opferte damit eine soziale, demokratische und volksnahe Politik; sie nahm alle Arten von Aktivisten und an Bedingungen geknüpfte Hilfeleistungen auf, was zu Aufsehen erregenden Fällen von Korruption und sozialem Strebertum führte, und insgesamt verlor sie die Essenz des Protestes, aus der sie einmal hervorgegangen war, und wurde stattdessen zu einer Partei des Systems, gefangen in der Bürokratie, während ihre lokalen und staatlichen Regierungen nichts weiter als eine Abwechslung innerhalb der Regeln des Spiels des neoliberalen Kapitalismus darstellen, ohne dass eine „Macht des Volkes“ oder wenigstens „der Bürger“ entwickelt wird.

Die EZLN jedoch bewahrte nicht nur ihren internen Zusammenhalt, wuchs, erneuerte ihre Basis mit der nächsten Generation und leistete der Strategie der Aufstandsbekämpfung und des Zermürbungskrieges der Bundesregierung Widerstand, sondern entwickelte auch in den Gebieten ihres Wirkens eine noch nicht da gewesene Regierungsform: die autonomen zapatistischen Landkreise, und später die Räte der Guten Regierung, wo das „gehorchend Regieren“ im Kontext der Autonomie tatsächlich in die Wirklichkeit umgesetzt wird und die laut Bericht der Beobachtungskommission der Gruppe ‚Paz con Democracia‘ (Frieden mit Demokratie) „ein außergewöhnliches Phänomen von großer Reichweite für eine zukünftige alternative Nation mit neuen partizipativen Praktiken und direkter Demokratie darstellen“. Die EZLN hat sowohl ihr moralisches als auch ihr politisches Kapital unbeschädigt gehalten, was auf der Kongruenz mit ihren Gründungsprinzipien basiert.

Die Andere Kampagne geht von der Idee aus, ein landesweites Kampfprogramm zu erarbeiten, „aber ein Programm, das deutlich links ist, d.h. antikapitalistisch, d.h. antineoliberal, d.h. für die Gerechtigkeit, die Demokratie und die Freiheit des mexikanischen Volkes“. Aber die Andere Kampagne will auch eine neue Form des Politikmachens schaffen, „jenseits materieller Interessen, mit Opferbereitschaft, Leidenschaft, Ehrlichkeit, wo das Wort erfüllt wird, wo die einzige Befriedigung die ist, die Pflicht erfüllt zu haben, d.h. wie es früher die Aktivisten der Linken taten, die sich nicht durch Schläge, Gefängnis oder Tod aufhalten ließen und noch viel weniger durch Dollarscheine“ (Sechste Erklärung). Neil Harvey hat, ebenfalls in dieser Zeitung, andere Charakteristika der neuen Art des Politikmachens dargestellt: „der Dialog als ethisches Prinzip; die Suche nach neuen Formen der Partizipation; und die kollektive Verantwortung für den Erfolg der Anderen Kampagne“.

Dementsprechend gehen der Wahlkampf der PRD und die Andere Kampagne von zwei verschiedenen Prämissen aus, von zwei Visionen von Politik, die nicht übereinstimmen und sich demzufolge auch nicht ergänzen können. So auch der kubanische Anführer Roberto Regalado: „In Lateinamerika hat kein Prozess der Demokratisierung stattgefunden – noch findet er jetzt statt – und auch keine Öffnung von Raum für die progressistische Reform des Kapitalismus, sondern ein neues Konzept der Demokratie wurde erzwungen, der neoliberalen Demokratie, die linke Regierungen ‚tolerieren‘ kann, wenn sich diese dazu verpflichten, mit rechter Politik zu regieren ... Daraus leitet sich ab, dass sich früher oder später die volksnahen Inhalte und die kapitalistische ‚Verpackung‘ der heute von der lateinamerikanischen Linken entwickelten Prozesse in einen nicht haltbaren Widerspruch verstricken werden: nur eine sozial-revolutionäre Transformation, wie auch immer die im 21. Jahrhundert aussehen kann, wird die Probleme Lateinamerikas lösen ("Reforma o revolución", in Rebelión, 9. Januar 2006)".

Die EZLN machte in der Sechsten Erklärung klar ihre Politik der Allianz mit Organisationen und Bewegungen deutlich, die nicht Wahlprozessen unterliegen und sich „in Theorie und Praxis als links“ definieren. Diesen Bedingungen entsprechen die Parteien der institutionalisierten Linken ganz klar nicht: „Keine Vereinbarungen oben zu treffen, um sie unten aufzuzwingen, sondern Vereinbarungen zu treffen, um gemeinsam zuzuhören und gemeinsam die Empörung zu organisieren; keine Bewegungen zu gründen, die dann hinter dem Rücken derer, die sie ausmachen, verhandelt werden, sondern immer die Meinung derer, die darin teilnehmen, ernst zu nehmen; keine Geschenke, Positionen, Vorteile, öffentliche Anstellungen der Macht oder derer, die danach streben, zu suchen, sondern weiter als die Wahlagendas zu gehen; nicht zu versuchen, von oben die Probleme unseres Volkes zu lösen, sondern von unten und für unten eine Alternative zur neoliberalen Zerstörung zu schaffen, eine linke Alternative für Mexiko.“

Die Optionen stehen fest: eine Kampagne für den Austausch politischer Eliten, die einem neoliberalen Projekt unterworfen sind, versus eine andere Kampagne für die Errichtung eines Mexikos, wo gehorchend regiert wird.

Quelle: LA JORNADA

http://www.jornada.unam.mx/2006/01/13/021a2pol.php


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