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Diejenigen, die uns heute auffordern, zu vergessen, treffen die
Entscheidungen in den Festungen und Palästen dieses Landes
Über die Ankunft und den Beginn der Anderen Kampagne
Von Concepción Villafuerte
Aus Chiapas für die Amado Avendaño Figueroa Brigade * 3. Januar 2006
San Cristóbal de las Casas am 1. Januar 2006: Wie bereits lange zuvor
angekündigt, hat die Andere Kampagne unter Leitung des aufständischen
Subcomandante Marcos nun begonnen. Im Laufe des 1. Januar 2006
versammelten sich Unterstützergruppen der Zapatisten im Westen der
Stadt San Cristóbal. In der Abenddämmerung machte sich die Menge auf
den Weg in das Stadtzentrum.
Subcomandante Marcos verließ La Garrucha, ein Dorf in einer der
autonomen zapatistischen Gemeinden, am frühen Nachmittag. Zur
Überraschung der anwesenden Journalisten, Beobachter und Neugierigen
kam er allein, ohne jegliche Eskorte, schwang sich auf sein Motorrad
und fuhr Richtung San Cristóbal.
Er ist allein, zumindest, was seinen Schutz anbelangt - und jeder
unerwünschten Situation ausgesetzt - etwas, dass keiner der EZLN -
Anhänger wünscht, aber niemand kann ihm irgendeinen Schutz gewähren.
Die Journalisten und alle anderen ließ er bald hinter sich, denn
natürlich ist ein Motorrad hier schneller als jedes andere
Verkehrsmittel. Diesmal wurden die Straßen nicht von der Polizei
freigehalten, ganz anders als beim Marsch der Zapatisten im Jahr
2001, bei dem die Regierung gegenüber den Medien erklärt hatte, für
die Sicherheit der Zapatisten-Karawane zu garantieren. Rubén
Velásquez von der Regierung des Bundesstaates Chiapas gab lediglich
bekannt, dass für die Sicherheit des Guerilla-Chefs genauso gesorgt
werde, wie für die aller anderen Bürger auch. Was fünf Jahre
ausmachen können.
Mittlerweile hatte sich auch der Marsch in Bewegung gesetzt, ein
gewaltiger Zug, wie er auch bei früheren Ereignissen schon zu sehen
war. Die Kontingente der Indigenen boten ein beeindruckendes Bild:
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterschieden sich durch die
regionalen Trachten, die einige zu solch besonderen Anlässen anlegen,
wobei die meisten schlicht in ihrer Arbeitskleidung kamen -
wahrscheinlich die einzige Kleidung, die sie besitzen. Da waren sie
zu Aberhunderten und Tausenden. Die Zahlen werden wie immer ein wenig
übertrieben. Sie basieren darauf wie viel Raum die Leute auf der
Piazza der Kathedrale einnehmen, die etwa 20.000 fasst, zu denen noch
diejenigen kommen, die ringsherum verstreut waren, insbesondere
Frauen mit ihren kleinen Kindern, die auf den Stufen des Rathauses
saßen und sich ausruhten.
Sie versammelten sich also auf dem zentralen Platz vor der
Kathedrale, der von einigen Platz des Friedens und anderen Platz des
Widerstands genannt wird. Hier war die Bühne aufgebaut, von der die
Comandantes der EZLN, Männer und Frauen, ihre politische Botschaft
verkündeten. Später sprach Subcomandante Marcos, der seit gestern als
"Delegado Zero" (Delegierter Null) der Anderen Kampagne unterwegs
ist.
Die Reden der Comandantes drehten sich um den Kampf und die
immerwiederkehrenden Problemen in den letzten zwölf Jahren. Unter der
Zuhörerschaft befanden sich nur wenige Nicht-Indigene. Einige waren
aus Neugier gekommen, andere waren einfach als Touristen da, und nur
sehr wenige Ortsansässige nahmen teil. Es war ein hundertprozentig
zapatistischer Aufmarsch.
In seiner Rede forderte Subcomandante Marcos zu einer Schweigeminute
für alle Genossinnen und Genossen auf, die in dem Aufstand vor 12
Jahre ihr Leben verloren hatten.
Tief bewegt dankte er später den Indigenen der EZLN auf Tzeltal und
Spanisch, die gekommen waren um ihn zu verabschieden.
"Es ist meine Aufgabe, als erster den Weg zu erkunden, den wir alle
beschreiten werden, um zu sehen, wo Gefahren lauern, und den Kampf
der Zapatisten mit dem Kampf der Arbeiter in der Stadt und auf dem
Land zu vereinen. Sollte mir etwas zustoßen, so wisset, dass es mich
mit Stolz erfüllt hat, an Eurer Seite zu kämpfen. Ihr seid für mich
die besten Lehrer und Anführer gewesen, und ich bin mir sicher, dass
ihr unseren Kampf auf dem richtigen Weg fortsetzen würdet und uns
mit dem Wort Würde beibringt, besser zu sein.
"Wir sind der Wind, wir fürchten uns nicht davor, im Kampf zu
sterben. Das Wort ist nun in gute Erde gepflanzt. Diese gute Erde
sind Eure Herzen, in denen jetzt die Würde der Zapatisten blüht."
Dann informierte er die Menge, dass Comandante German, ein alter
Guerilla-Kämpfer, den der mexikanischen Nachrichtendienst CISEN für
einen der ursprünglichen Gründer der EZLN hält, das Verbindungsglied
zwischen der EZLN und ihren Unterstützern sein wird.
"Ich möchte Comandante Germán bitten zu uns herauf zu kommen. Er hat
eine bedeutende Rolle in der Geschichte der EZLN gespielt. Die EZLN
verdankt ihm ihre erste Saat und ich persönlich verdanke ihm mehr als
mein Leben, dafür dass er uns den Weg gezeigt hat, die ersten
Schritte und unsere Bestimmung. Wir Zapatisten kennen den Architekten
Fernando Yañez als Comandante German. Wir haben ihn gebeten, dass
zapatistische Verbindungsbüro zu übernehmen, das der EZLN und der
Sechsten Kommission als Medium dienen soll, um mit all den anderen
Mitstreitern der Anderen Kampagne in Kontakt zu bleiben. Außerdem
soll es uns bei der Pflege der Beziehungen zu linken und anti-
kapitalistischen Organisationen in Mexiko und weltweit helfen."
Im späteren Verlauf seiner Rede kommentierte Marcos das Vorgehen der
örtlichen Behörden. Diese hatten nämlich in den Strassen, die der Zug
der Zapatisten nutzte, um zur Piazza der Kathedrale zu gelangen, das
Licht ausgeschaltet. Er erklärte, dass die Andere Kampagne hofft, die
Kämpfe anderer mit dem der EZLN zu vereinen, um gemeinsam ein Licht
zu erschaffen, dass so stark ist, dass die Mächtigen aufgeben. Dann
griff er den "Pakt von Chapultepec" an, ein Entwicklungsplan, den die
Eliten des Landes im letzten Herbst vorschlugen.
"Die Sechste Erklärung schlägt vor, dass wir losgehen, mit den Leuten
sprechen und Übereinkommen mit all jenen treffen, die an den
Maschinen arbeiten, die Erde pflügen, die alle möglichen Waren
produzieren und Dienstleistungen erbringen und denen am Ende nichts
bleibt."
"Von allem, was wir besitzen, sind unsere Leben das Geringste. Wir
stecken unsere moralische Autorität, unser Ansehen und das bisher
Erreichte in diese Initiative."
Der Hauptadressat der Sechsten Erklärung, die finanzielle Elite
Mexikos, hat nur einige Monate nach ihrer Veröffentlichung quasi eine
Gegenerklärung unterschrieben, benannt nach dem Unterzeichnungsort,
dem Kastell von Chapultepec.
"Diejenigen, die uns heute auffordern, unsere Bedürfnisse und unsere
Kämpfe zu vergessen, und uns ihnen zur Verfügung zu stellen, auf dass
sie für uns entscheiden können, treffen die Entscheidungen in den
Festungen und Palästen dieses Landes."
Nach Mitternacht zogen sich die Zuhörer zurück, begaben sich zu ihren
Verkehrsmitteln und verließen den Platz wieder in völlig intaktem
Zustand. Vielleicht hinterließen sie etwas Abfall, aber die
diensteifrigen Straßenkehrern ließen bis zur Morgendämmerung nichts
davon übrig.
Die restlichen Morgenstunden des 2. Januar 2006 vergingen ohne
Zwischenfälle. Die Strassen des Jovel-Tals waren wieder ruhig,
nachdem Subcomandante Marcos in dem bescheidenen Gasthof "La Cábala
del Monte" einkehrte.
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