ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr.
501 / 16.12.2005
Kriminalistisches Ping-Pong aus Mexiko
Subcommandante Marcos und Taibo schreiben kollektiven Krimi
Der spanische Bestseller-Krimiautor Manuel Vásquez Montalbán und der
bekannte Sprecher der zapatistischen Befreiungsbewegung EZLN aus dem
südmexikanischen Chiapas, Subcomandante Marcos, hatten sich etwas
Spektakuläres überlegt: Sie wollten zusammen mit dem mexikanischen
Kultautor Paco Ignacio Taibo II ("Die Rückkehr der Schatten") einen
"sechshändigen" Kriminalroman schreiben. Doch dann verstarb Montalbán
und so kamen im Dezember 2004 Boten zu Taibo nach Mexico-City mit
einem Brief in der Hand, in dem Marcos diesem ein immerhin noch
vierhändiges Projekt vorschlug. Taibo willigte ein und bekam dafür
gleich das erste Kapitel ausgehändigt.
Der Fortgang nahm außergewöhnliche Formen an, denn Marcos musste im
Urwald aus der Illegalität heraus schreiben, ist er doch eine der
meistgesuchten Personen des Landes. Darüber hinaus erschienen die
einzelnen Kapitel fast ohne abgesprochenes Konzept wöchentlich
abwechselnd in der Tageszeitung La Jornada, so dass den Autoren immer
nur ein paar Tage blieben, um zu reagieren und ihr nächstes Kapitel
beizusteuern. Wenn sie sich gelegentlich doch zwischendrin direkt
austauschen wollten, geschah dies unter klandestinen Bedingungen, die
selbst Gegenstand eines Krimis sein könnten. So sprach ein
Unbekannter Taibo auf einer Buchmesse an und drückte ihm ein Telefon
in die Hand, aus dem erklang: "Lass uns den Titel ändern".
Konspirative Telefonate auf der Frankfurter Buchmesse ...
Das schnelle Pingpong führte natürlich auch zu Problemen: "Hör mal,
du hast mir im Dritten Kapitel einen Chinesen geschickt, aber was
soll ich mit dem anfangen?"
Die Befürchtung, dass unter solchen Umständen ein konfuses und
literarisch schlechtes Produkt entstehen würde, hat sich nicht
erfüllt. Denn Marcos und Taibo spielen gekonnt ihre postmodernen
Fähigkeiten aus; die Geschichten ihrer Protagonisten entwickeln und
überlagern sich schlüssig und irgendwann treffen diese auch
persönlich aufeinander. Da ist zum einen der indigene Elías Contreras
von der EZLN, der sich selber "Ermittlungskommission" nennt und erst
mal ein paar kleinere Fälle in den zapatistischen Gemeinden löst. Die
aus seiner Perspektive erzählten Kapitel von Marcos sind in einem
eigentümlich zirkulären und simpelen Stil geschrieben, an dem man
sich anfangs stören kann. Doch es gelingt, auf dieser Frequenz
allerlei Witz und ironische Untertöne mitschwingen zu lassen. Marcos,
der mitunter wegen des von ihm geförderten Personenkultes um ihn
selbst kritisiert wird, schreckt dabei auch nicht davor zurück, seine
Figuren darüber spekulieren zu lassen, ob er hetero-, homo- oder
transsexuell sei.
Taibo schickt den bereits in neun Krimis erprobten einäugigen und
humpelnden Privatdetektiv Héctor Belascoarán ins Rennen, seines
Zeichens sarkastischer Altlinker mit Anziehungskraft für Absurdes.
Mit dem eingefleischten Stadtmenschen ergänzt er die Dschungel-
Szenerie virtuos um den Mega-City-Dschungel.
... und merkwürdige Anrufe aus dem Jenseits
Das Bindeglied in "Unbequeme Tote (Es fehlt, was fehlt)" sind
merkwürdige Anrufe aus dem Jenseits und puzzleartige Nachrichten über
einen "gewissen Morales". Sie führen die Protagonisten in verstrickte
Ermittlungen, die sich um Mexikos "schmutzigen Krieg" der 1970er
Jahre gegen militante Ausläufer der 1968er-Bewegung ebenso wie
aktuelle politische Morde rechtsextremer Gruppen und korrupte
Großprojekte unter dem Deckmäntelchen des Schutzes der Artenvielfalt
drehen. Der "gewisse Morales" steht zunehmend synonym für politische
und wirtschaftliche Verschwörung. Gerade dank Paco Ignacio Taibo
multipliziert er sich derartig, dass sich das personalisierende und
so moralisierende Motiv der Verschwörung zur Grundlage eines
allgemeineren Blicks auf eine gewalttätige Gesellschaft
transformiert, in der viele Tote nicht ruhen können. Trotz alledem
kommt man beim Lesen ob der liebevoll gezeichneten, skurrilen
Personen und des Witzes kaum aus dem Schmunzeln heraus.
Heiko Wegmann
Subcomandante Marcos, Paco Ignacio Taibo II: Unbequeme Tote. (Es
fehlt, was fehlt), aus dem Spanischen von Miriam Lang, Assoziation A,
Berlin/Hamburg September 2005, 240 Seiten, 16,80 EUR
ak - Zeitung für linke Debatte und Praxis
http://www.akweb.de/ak_s/ak501/01.htm
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