JUNGLE WORLD Nummer 48 vom 30. November 2005
Erst auflösen, dann vereinen
Die Zapatisten wollen ein außerparlamentarisches Bündnis organisieren. Nicht
alle mexikanischen Linken sind von der Initiative begeistert. von
wolf-dieter vogel, mexiko-stadt
Die Bühne ist in Nebel gehüllt, aus den Boxen dröhnt elektronische Musik, im
Hintergrund jongliert ein Maskierter mit einer Fackel. Kleidung und Maske
erinnern an »Santos«, die bedeutendste Figur aus der Welt des mexikanischen
Freiheitskampfs. Mehrere Menschen tauchen auf, jeder spricht einen Satz ins
Mikrophon: »Für eine Welt, in die viele Welten passen! Es lebe die
Zapatistische Befreiungsarmee EZLN!« Dann legt die Rockgruppe Maldita
Vecindad los, kurz darauf erscheint die Ska-Band Panteón Rococó. Rund 2000
meist jugendliche Zuhörerinnen und Zuhörer toben, tanzen, recken die Fäuste.
Für popkulturelle Einsätze sind die zapatistischen Gruppen in Mexiko-Stadt
immer wieder gut. So auch an diesem Novembersonntag in Villacoapa, einem der
armen Viertel im Süden der Metropole. Es ist das Abschlusskonzert einer
Veranstaltungswoche über Autonomie und Selbstbestimmung im Rahmen der
»anderen Kampagne« der Zapatisten. Sie wird organisiert von Gruppen, die man
in Deutschland im weitesten Sinn der autonomen Szene zurechnen würde. Etwa
das soziale Zentrum La Pyramide, die Antiautoritäre Revolutionäre Jugend
oder der Piratensender Radio Zapote 94.1.
Die eher mittelmäßig besuchten Veranstaltungen gehören zu den wenigen
öffentlichen Ereignissen, die derzeit als Teil der »anderen Kampagne« in der
mexikanischen Hauptstadt stattfinden. Jenseits der »Szene« wird der
Vorschlag der Indigenen aus dem Bundesstaat Chiapas mit weniger Elan
aufgenommen. Dabei haben sich die Zapatisten viel vorgenommen. In ihrer
»sechsten Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald«, der »Sexta«, kündigten
sie eine pazifistische politische Kampagne an. »Von unten und für die von
unten« wolle man mit allen Interessierten »eine Alternative zur neoliberalen
Zerstörung« erarbeiten. Eine neue Verfassung soll formuliert werden, und
nicht zuletzt wollen die Zapatisten erreichen, dass das Abkommen von San
Andres in die Tat umgesetzt wird. Auf diese Vereinbarung, in der die
indigenen Rechte festgeschrieben sind, hatten sich die Regierung und die
EZLN bereits 1996 geeinigt.
Etwa gleichzeitig mit der Veröffentlichung der Sexta richtete der
Zapatistensprecher Subcomandante Marcos kritische Worte an die gemäßigt
linke Partei der Demokratischen Revolution (PRD) und deren
Präsidentschaftsanwärter Andres Manuel López Obrador. Der Kandidat für die
Wahlen im Juli 2006 verfolge »neoliberale« Ziele. Vor allem aber wirft die
EZLN der PRD vor, dass einige ihrer Parlamentarier gegen das
San-Andres-Abkommen gestimmt hatten. Man werde sich mit der PRD »auf keine
Vereinbarung einlassen, denn sie haben uns verachtet, und dafür werden sie
zahlen«, stellte Marcos klar.
Das kam nicht überall gut an. Die PRD ist aus der Opposition zur ehemaligen
Staatspartei Pri und den sozialen Bewegungen der achtziger Jahre entstanden.
In der anstehenden Präsidentschaftswahl gilt sie vielen als »kleineres Übel«
im Vergleich zur konservativ-liberalen Partei der Nationalen Aktion (Pan)
von Präsident Vicente Fox und der Pri, die zuvor über 70 Jahre regierte.
López Obrador hatte sich durch einige soziale Maßnahmen in seiner Amtszeit
als Bürgermeister der Hauptstadt einen guten Ruf erworben.
Folglich reagierten auch viele prozapatistische Linke empört auf die
Äußerungen des Sub. »Für uns ist López Obrador auch nur der weniger
Schlechte unter den Schlechten«, erklärt etwa Eduardo Navarro von der Frente
Popular Franzisco Villa. Da aber quasi die gesamte Linke trotz ihrer
Widersprüche den PRD-Mann unterstütze, »betreiben die Zapatisten eine
separatistische Politik«. Die Frente zählt zu den radikaleren jener
Organisationen, die in Mexiko-Stadt ganze Viertel kontrollieren und meist
enge Verbindungen zur PRD unterhalten.
Auch viele Verbände, die derzeit im Rahmen eines »Nationalen Dialogs« einen
Forderungskatalog »gegen den Neoliberalismus« erarbeiten, gingen auf
Distanz. Schließlich wollen die rund 200 linken Organisationen ihre Ziele
auf parlamentarischem Weg erreichen. »Wir werden ausloten müssen, ob es
möglich sein wird, durch die Unterstützung eines Kandidaten den Wechsel zu
wählen«, erklärt Fernando Amezcoa Castillo, der Sprecher der kampfstarken
und prozapatistischen Gewerkschaft der Elektrizitätsarbeiter (SME).
Solche Reaktionen zwangen die Zapatisten, sich zurück zu halten. Man wolle
zwar selbst nichts mit der PRD zu tun haben, rufe aber auch nicht zum
Wahlboykott auf, ließ Marcos wissen. Solche versöhnlichen Worte zeigten
Wirkung. Im August und September luden die Rebellen zu fünf Treffen in die
von ihnen kontrollierten Gebiete. Die ersten Debatten begannen noch mit
schleppender Beteiligung, doch zunehmend reisten mehr Menschen nach Chiapas.
Ende November meldeten die Zapatisten, dass sich nun über 1200
Organisationen, Gruppen und Kleinstgrüppchen der »anderen Kampagne«
angeschlossen hätten.
Vergangene Woche verkündete die EZLN die Auflösung ihres politischen Arms,
der Zapatistischen Befreiungsfront FZLN. Die Organisation sei nicht mehr
nötig, da ja nun die »andere Kampagne« diese Arbeit übernehme. Die
Entscheidung dürfte auch ein Versuch sein, sich wieder näherzukommen. In der
FZLN hätten Leute ihre Nähe zur EZLN genutzt, um »sich und uns zu
isolieren«, schreibt Marcos. Tatsächlich galten Teile der Frente als sehr
dogmatisch, und ihre Haltung etwa gegenüber dem Bündnis großer
Bauernorganisationen »El campo no aguanta más« führte dazu, dass dieses
Spektrum auf Distanz zu den Zapatisten ging. Die FZLN hatte den Campesinos
vorgeworfen, sich auf Gespräche mit der Regierung einzulassen.
Unterstützung erhielt die Sexta vom Indígena-Dachverband CNI. Für viele
Indígenas spielt die Debatte um die PRD ohnehin keine große Rolle. »Wir
stehen außerhalb dieser politischen Geometrie, wir sind weder links noch
rechts, noch in der Mitte und werden gegen jede Regierung kämpfen müssen«,
meint Larisa Ortiz vom Verband Indigener Migranten in Mexiko-Stadt. Der
SME-Gewerkschafter Castillo dagegen hält beide Wege für sinnvoll:
»Kurzfristig müssen wir sehen, welche konkreten Forderungen auf
parlamentarischer Ebene durchsetzbar sind, langfristig werden wir uns mit
den Zapatisten für eine grundsätzliche Veränderung organisieren.«
Die Rebellen ließen indes vergangene Woche wissen, die »Intergalaktische
Kommission« sei vom 1. Dezember an bereit, Treffen mit internationalen
Gruppen durchzuführen. Es sei auch möglich, einen Vertreter auf Reisen zu
schicken. Ab kommenden Juli könne dann das »Intergalaktische Treffen«
stattfinden. Bereits genau terminiert sind die inländischen Reisepläne: Ab
1. Januar wird eine Delegation unter Beteiligung von Subcomandante Marcos
von Bundesstaat zu Bundesstaat reisen, um über die »andere Kampagne« zu
diskutieren. Die planmäßige Rückkehr ist am 25. Juni 2006 – eine Woche vor
der Präsidentschaftswahl.
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