Jungle World Nummer 45 vom 09. November 2005
Warten auf Wellblech
In höchster Eile wird an der Karibikküste Mexikos der Wiederaufbau
vorangetrieben, vor allem in den Touristenzentren. von dinah
stratenwerth, cancún
Das bescheidene kleine Steinhaus ist zum Glück stehen geblieben. »Das
ist das Wichtigste«, sagt David Balam Tox. Vielen seiner Nachbarn in
dem einfachen Jacinto-Pat-Viertel in Cancún ist es schlechter
ergangen.
Der Hurrikan »Wilma«, der vor gut zwei Wochen drei Tage lang mit
Windgeschwindigkeiten von bis zu 325 Stundenkilometern über die
mexikanische Karibikküste wirbelte, hat vor allem die ärmsten
Behausungen aus Dachpappe und Wellblech auseinandergenommen. Doch
auch die schicken Hotels wurden beschädigt. Der berühmte weiße
Sandstrand in Cancún ist Geschichte. Die Regierung investiert nunmehr
vor allem in die touristische Infrastruktur von Quintana Roo, dem
Karibikstaat im Südwesten der Halbinsel Yukatan. Mexikos Präsident
Vicente Fox verbreitet Optimismus: »Am 15. Dezember ist Cancún wieder
so wie früher«, versprach er eine Woche nach dem Hurrikan.
Diese tröstenden Worte des Präsidenten helfen David Balam nicht viel.
Er braucht etwas ganz Konkretes, nämlich Wellblech. Er will sein Haus
mit seiner Nachbarin teilen, die alles verloren hat. Von ihrem Heim
steht nur noch ein Holzgerüst, an dem nasse Dachpappe klebt. Drinnen
liegt Müll, alle Balken sind schief. Mit dem Wellblech will David ihr
eine Freiluftküche neben ihrem Zimmer einrichten, für sie, ihren Mann
und die zwei Kinder. »Aber es ist nicht so einfach mit dem
Baumaterial«, weiß er. Das kann nur sie selbst beantragen, und sie
putzt den ganzen Tag in einem Hotel. »Wenigstens hat sie Arbeit«,
sagt David.
Arbeit ist in Quintana Roo, wo es einst die niedrigste
Arbeitslosenrate Mexikos gab, unsicher geworden. 15 000 Arbeitsplätze
könnten im Tourismus wegfallen, kündigte der Präsident der
Hotelvereinigung Riviera Maya, Jesús Salazar, an. Nur wer einen
festen Vertrag hat, sei sicher, sagt er. Die sind nicht einfach zu
bekommen: Alle Hotels vergeben nur kurzfristige Verträge, die alle 28
Tage erneuert werden müssen. Manchmal Monate lang. Nach dem Hurrikan
wird es in vielen Fällen keine Verlängerung geben. Und selbst wenn
ein Kellner oder ein Masseur seinen Job behält – ohne Trinkgelder
bringt er nichts ein.
Robert García will mit seinen 28 Jahren deswegen zurück nach Kanada,
wo er schon einige Jahre gelebt hat. Als Masseur in einem
Wellnesshotel in Playa del Carmen, eine Autostunde südlich von
Cancún, arbeitete er auf Kommission. »Ich lebe vom Service und von
Trinkgeldern, und beides gibt es nicht ohne Gringos«, sagt er
trocken.
Seine ehemalige Kollegin Consuelo Morales wird bleiben. Die 25jährige
putzt in dem Wellnesshotel. Während der Hurrikan über Playa del
Carmen fegte, war sie dort, räumte auf oder unterhielt sich mit ihren
Kollegen. Für sie liegt ihre Zukunft in der Karibik – trotz der
Hurrikane. Sie will Masseurin werden und mit ihren Kindern in Playa
leben. Denn in Chiapas, woher sie kommt, »gibt es das alles nicht«.
»Das alles« ist: Arbeit, guter Lohn, Touristen.
Viele Gäste sind es nicht, die durch die sauberen Marmorhallen
laufen, denen Consuelo Glanz verleiht und die sie fast für sich
alleine hat. Nach Informationen des mexikanischen Reisebüroverbands
haben 60 Prozent aller Touristen, die gebucht hatten, sich
entschieden, woanders hinzufahren.
Sie müssen nun zurück an die Karibikküste gelockt werden, damit sie
wieder Devisen bringen. Größtes Problem sind die fehlenden Strände.
»Wilma« hat den Sand vor den Hotels vollständig weggespült. Die
mexikanische Regierung hat bereits mindestens 200 000 Peso für neue
Strände beiseite gelegt. Doch wie den Sand zurückholen? Das ist
weniger eine Frage des Geldes als der Technik, wie der Ozeanologe
Julio Candela Pérez von der University of California zu bedenken
gibt. Sogar der Tourismusminister des Staates Quintana Roo, Rodolfo
Elizondo, hat zugegeben, dass es »mindestens sieben Monate« dauern
wird, bis Cancún wieder einen Strand hat. Ismael Mariño Tapia,
Forscher am Polytechnikum in Mexiko-Stadt, macht die Hotels selbst
für den Schaden verantwortlich. Die Strände gingen durch die massive
Bebauung kaputt, sagt er. Das zeigt sich in Playa del Carmen: Dort
ist mehr Strand erhalten geblieben – vor allem dort, wo nicht so eng
an der Küste gebaut wurde.
Nicht nur die Strände haben Schaden genommen, auch das leuchtende
Image der Retortenstadt Cancún ist angeschlagen. Bilder von
umgeknickten Strommasten und überschwemmten Hotels schrecken Besucher
ab. Und »Wilma« hat die anderen Seiten der Stadt zum Vorschein
gebracht: Tagelang wurde nach dem Hurrikan geplündert. Menschen aller
Alters- und Bildungsschichten räumten Geschäfte aus. Oft machten die
Polizisten mit, anstatt Plünderer festzunehmen. Keiner von ihnen
musste hinter Gitter. Korruption ist in Cancún keine Ausnahme.
Neu hergerichtete Hotels und saubere Straßen sollen auch diese Folgen
des Sturms wieder verdecken und den Touristen das Vertrauen
zurückgeben. Dementsprechend schnell bauen und putzen Tausende von
Arbeitern in der Hotelzone. Seit dem letzten Wochenende gibt es
wieder Strom, Wasser und Telefon in Cancún.
Die zerstörten Wohnhäuser hingegen werden immer noch gezählt. Am
Freitag unterzeichneten die mexikanische und die Regional-Regierung
ein Abkommen über finanzielle Hilfe. Etwas weniger als 65 Millionen
Pesos sind vorgesehen, um Menschen wie der Nachbarin von David Balam
Tox wieder ein Heim zu geben. Wahrscheinlich erneut ein
Wellblechheim. Nur für die ländlichen Gebiete sind traditionelle
Häuser vorgesehen, deren Wände zur Hälfte aus Beton und zur Hälfte
aus Holz sind. Sie haben Dächer aus Palmenblättern, die haltbarer
seien als Wellblech, versichert Raul Uc, Koordinator der
Zusammenkunft zwischen föderaler und staatlicher Regierung.
In Chiapas sieht es noch schlimmer aus, daran erinnert Putzfrau
Consuelo. Noch immer sind Tausende obdachlos, nachdem der Hurrikan
»Stan« dort Anfang Oktober ganze Dörfer zerstört hat. Eine Woche nach
dem Sturm beklagten sich chiapanekische Geschäftsleute in einem
offenen Brief an den Präsidenten Fox über die fehlende Unterstützung
nach der Katastrophe. Auch aus den Reihen der Oppositionspartei Pri
kam Kritik.
Fox wies jegliche Ungleichbehandlung weit von sich. »Es gibt keine
Stiefstaaten«, sagte er Anfang November bei einem Besuch in Chiapas.
Seitdem gibt er sich Mühe, von den Aufbauarbeiten in Chiapas und
Quintana Roo gleichermaßen zu berichten.
David Balam Tox fällt das gar nicht auf. Er ist damit beschäftigt,
seiner Nachbarin ihr neues Zimmer einzurichten, und wartet auf das
Wellblech. Vielleicht fliegt es beim nächsten Hurrikan nicht weg.
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