Junge Welt vom 02.11.2005
Interview: Harald Neuber
»Umweltstandards müssen stärkere Beachtung finden«
Der Kampf gegen die Ausbeutung der Natur kann Menschen in Mexiko ins
Gefängnis bringen. Ein Gespräch mit Felipe Arreaga
* Felipe Arreaga ist einer der bekanntesten Umweltschützer in Mexiko.
1998 trug er zur Gründung der Organisation OCESP bei, die mit
friedlichen Mitteln Kampagnen gegen illegale Abholzung organisiert.
Dafür war er fast ein Jahr lang inhaftiert.
F: Bis vor wenigen Wochen waren Sie in Mexiko inhaftiert und standen
unter Mordanklage. Wie wurde Ihre Verhaftung im November vergangenen
Jahres begründet?
Mir wurde der Mord an dem Sohn eines Kaziken (lokaler Machthaber, d.
Red.) im Jahr 1998 vorgeworfen. Deswegen war ich im November 2004
festgenommen worden. Die Anklage wegen Mordes wurde erhoben, obwohl
drei Zeugen ausgesagt haben, daß ich mich zur Tatzeit in
medizinischer Behandlung in einem anderen Bundesstaat aufgehalten
habe. Ein Hauptbelastungszeuge der Anklage gab später an, daß er von
einem Kaziken und einem Justizvollzugsbeamten zu einer belastenden
Aussage gegen mich und andere Mitglieder der OCESP gezwungen wurde.
F: Weshalb soviel Aufwand?
Mein Einsatz für die OCESP läuft sowohl den Interessen der privaten
Holzunternehmen als auch denen der Kaziken zuwider. Die Arbeit
unserer Organisation verhindert die Abholzung der Wälder zwar nicht
immer direkt. Aber gerade mittelfristig stellt OCESP für die
Holzunternehmer eine große Gefahr dar, weil wir in der Bevölkerung
die Bereitschaft fördern, Wälder und Wasser zu schützen. Deswegen
wurde diese politische Anklage gegen mich und andere Mitglieder
erhoben ...
F: ... die inzwischen fallengelassen wurde. Seit Mitte September sind
Sie wieder frei. War es das einzige Mal, daß Sie Repressionen
ausgesetzt waren?
Nein, die Lage zu Zeiten der PRI (Partei der Institutionellen
Revolution, die bis 2000 über 70 Jahre die Regierungen stellte, d.
Red.) war viel schlimmer. In den siebziger Jahren haben wir den
damaligen Gouverneur Rubén Figuera um Hilfe für unsere
Umweltschutzarbeit gebeten. Statt dessen sandte er Soldaten gegen
uns. Damals warf man uns vor, die Guerilla zu unterstützen. Diese
Vorwürfe wurden 1998 und 1999 neu aufgelegt. Damals organisierte ich
in den Gemeinden Kurse zur Herstellung umweltfreundlichen Düngers.
F: Auch in anderen lateinamerikanischen Staaten wie Brasilien stellt
das Geschäft mit Holz ein großes Problem dar, dort ist sogar von
einer »Holzmafia« die Rede. Wie ist die Lage in Mexiko?
Das industrielle Holzgeschäft in Mexiko, besonders in meinem
Bundesstaat Guerrero, geht bis in die fünfziger Jahre zurück. Das
Problem besteht in der Ausdehnung der Abholzung in den letzten
Jahren, in denen immer mehr transnationale Unternehmen den Markt
eroberten. 1998 haben wir erstmals gegen ihre Geschäfte protestiert.
Weil aber staatliche Strukturen, lokal und bundesstaatlich, an dem
Geschäft profitieren, geschieht diese Ausbeutung der Umwelt bis heute
auf »legale« Weise. Wir drängen daher auf bessere Umweltstandards und
eine genauere Kontrolle des Geschäftes.
F: Der Staat profitiert also mit und schreitet deswegen nicht ein?
Im Jahr 1998 war das so. Wir konnten dem damaligen Gouverneur von
Guerrero Verbindungen zum Holzgeschäft nachweisen.
F: Und heute?
Inzwischen haben wir eine neue Regierung, die vorsichtiger mit dem
Thema umgeht.
F: Nun unterhalten die Staaten der Europäischen Union rege
Wirtschaftsbeziehungen mit Mexiko. Erwarten Sie von dieser Seite ein
stärkeres Engagement für die Etablierung und Einhaltung von
Umweltstandards?
Seien wir ehrlich: Das Geschäft mit dem Holz ist ein lukratives
Geschäft. Ich spreche daher immer nur von dem »grünen Gold«. Es
liegen inzwischen Studien vor, die belegen, daß 40 Prozent der
Waldflächen im Bundesstaat Guerrero abgeholzt wurden. Diese
Informationen spielen bei den offiziellen staatlichen Kontakten aber
oft keine Rolle. Man hört dort auf die Regierung - und die wird die
Probleme natürlich nicht eingestehen.
Bei bi- oder multilateralen Wirtschaftsgeschäften müßte den möglichen
negativen Auswirkungen auf die Umwelt grundsätzlich eine größere
Bedeutung beigemessen werden. Das gilt sicher nicht nur für den
Schutz der Wälder in Guerrero, wo wir tätig sind.
|