Junge Welt, 26.10.2005
Interview: Johannes Plotzki
In Mexiko organisieren sich Gemeinden, um für den Zugang zu
Trinkwasser zu kämpfen. Frauen an vorderster Front.
Ein Gespräch mit Kommandantin Norma González
* Norma González ist eine der Kommandantinnen des »Zapatistischen
Frauenheeres« im zentralmexikanischen Bundesstaat Mexiko. Dort
kämpfen die Mazahua-Indianer seit Jahren für den Zugang zu
Trinkwasser
F: In Ihrer Region gibt es seit Jahren eine Basisbewegung, die für
den Zugang zum Trinkwasser kämpft. Weshalb ist das ein so großes
Problem bei Ihnen?
Wir müssen viele Stunden laufen, um Trinkwasser für unsere Familien
zu besorgen. Das war nicht immer so. Früher gab es auch bei uns
Brunnen. Aber seit die Bundesregierung das gigantische
Wasserleitungssystem »Cutzamala« gebaut hat, befindet sich unsere
Region in seinem Einzugsgebiet. Das Wasser wird aus unserer Gegend
abgepumpt und nach Mexiko-Stadt geleitet. Dadurch reicht das Wasser
für uns selbst nicht mehr aus. Die Flüsse führen immer weniger
Wasser, die Brunnen versiegen und unsere Felder verdorren. Nur wenige
Kilometer von unseren Dörfern entfernt verlaufen riesige Betonröhren,
durch die das Wasser in die Hauptstadt geleitet wird. Zugleich leiden
wir Durst. Deswegen haben wir begonnen, uns zu organisieren. Die
»Bewegung der Mazahua zur Verteidigung des Wassers« wurde 2003
gegründet. Als wir anfingen, waren nur zwei Gemeinden involviert, nun
sind es schon neun.
F: Warum gibt es eine eigene Frauenorganisation innerhalb dieser
Bewegung?
Wir Frauen sind es, die am meisten unter dem Wassermangel leiden. Wir
sind auch dafür verantwortlich, die Familien mit Wasser zu versorgen.
Einerseits müssen wir dazu weite Strecken zurücklegen. Andererseits
lief der Stausee Villa Victoria während der Regenzeit im August
vergangenen Jahr über und überflutete 300 Hektar unseres Landes.
Dieser Stausee gehört zu dem »Cutzamala«-System. Für uns Frauen war
das der Anlaß, die Proteste in die eigenen Hände zu nehmen. Im
September griffen wir zu den Waffen. Weil die Regierung unsere
Forderungen immer weiter ignorierte, wollten wir zeigen, daß wir es
mit unseren Forderungen nach einer gerechten Wasserpolitik ernst
meinen.
F: Sie nennen sich »Zapatistisches Frauenheer«. Weshalb?
Wir berufen uns auf Emiliano Zapata, dem es auch um das Recht auf ein
würdiges Leben für alle ging. Wie die anderen Aktivisten der Mazahua-
Bewegung fordern wir neben dem freien Zugang zu Trinkwasser einen
nachhaltigen Entwicklungsplan für unsere Region, die Wiedergutmachung
der Schäden an unseren Feldern und die Rückgabe unseres Landes. Die
mexikanische Verfassung erklärt Wasser zum Allgemeingut. Darauf
berufen wir uns. Wir fordern Wasser für alle. Die Nationale
Wasserkommission (CNA) versucht uns aber ruhigzustellen und will uns
mit leeren Versprechungen vertrösten.
F: Wie sind Sie organisiert?
Bei uns gibt es 25 Kommandantinnen. Entscheidungen treffen alle
gemeinsam.
F: Mit welcher Strategie wollen Sie Ihre Forderungen durchsetzen?
Als die Regierung die Entschädigung für unsere zerstörten Felder
verweigerte, zogen wir im September 2004 zur
Wasseraufbereitungsanlage in Berros. Dort verhinderten wir drei Tage
lang die Zugabe von Chlor und drohten damit, die Anlage mit Dynamit
in die Luft zu sprengen. Nach mehreren Wochen Verhandlungen mit dem
Innenministerium konnten wir ein Abkommen über die Wiederaufforstung
und den Schutz der Quellen in unserer Region erreichen. Danach haben
wir die Waffen vorübergehend niedergelegt, um den Kampf gewaltlos
weiterzuführen. Wir bleiben jedoch mißtrauisch und werden sofort
wieder mobilisieren, wenn es sein muß. Denn auch wenn die Bauarbeiten
für Wasserleitungen zu unseren Dörfern angelaufen sind, geht es uns
inzwischen um viel mehr. Wir wollen einen Entwicklungsplan für die
gesamte Region. Immer noch sickert stark gechlortes Wasser aus den
defekten Leitungen auf unsere Felder und in die Flüsse.
Quelle: http://www.jungewelt.de/2005/10-26/031.php
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