Zapatisten legen Aktionsplan vor
Leonie Fuhrmann 24.09.2005
EZLN will den mexikanischen Wahlkampf auf den Kopf stellen
Am vergangenen Wochenende fand im südmexikanischen Chiapas die erste
Vollversammlung aller Organisationen und Gruppen der mexikanischen
Linken statt, die an der neuen politischen Initiative der
zapatistischen Guerilla EZLN teilnehmen wollen. Die über 2000
Anwesenden stimmten für einen Aktionsplan, der vorsieht, Mexiko in
den kommenden zwei Jahren Stück für Stück politisch in Brand zu
setzen. Während einer feierlichen Eröffnungsveranstaltung im Caracol
La Garrucha, einer der fünf zapatistischen Regionalregierungen,
übergab Subcomandante Marcos am Abend des 16. September den
Vertretern der nicht parteiförmig organisierten mexikanischen Linken
die Sechste Erklärung aus dem Lakandonischen Regenwald - den im
vergangenen Juni von der EZLN publizierten Text, der als Grundlage
für den neuen Aktionsplan dienen soll.
Der Rebellensprecher stellte damit klar, dass die neue politische
Initiative nicht von der EZLN als solcher ausgehen werde. Vielmehr
solle die außerparlamentarische Linke sich in einem landesweiten,
basisdemokratischen Netzwerk zusammenschließen und als Bündnis einen
Aktionsplan für die nächsten Jahre sowie eine neue Verfassung
beschließen.
Die Zapatisten stellen lediglich ihre in den letzten elf Jahren
gewonnene moralische Autorität zur Verfügung, um das entstehende
Bündnis zusammenzuhalten und zu strukturieren, sie wollen jedoch
keine Inhalte vorgeben, bis auf folgende Grundbedingungen: Der
"Andere Wahlkampf", so der Name der geplanten Kampagne, solle
gewaltlos, landesweit, antikapitalistisch und links sein und neue
Formen der Politik praktizieren. Dazu gehöre beispielsweise die
Priorität auf das Zuhören und die Erkenntnis, dass eigene Aktionen
immer begrenzt sind und es daher notwendig ist, die verschiedensten
Kämpfe zusammenzuführen.
Konkret ist vorgesehen, dass Subcomandante Marcos ab Januar 2006 eine
sechsmonatige Rundreise durch das gesamte Land unternimmt,
Bundesstaat per Bundesstaat, um im Juni, genau eine Woche vor den
mexikanischen Präsidentschaftswahlen, zu einer weiteren
Vollversammlung des "anderen Wahlkampfs" nach Mexiko-Stadt zu laden.
Diese Rundreise, so EZLN-Major Moisés in seiner Ansprache, sei als
eine Art Vorhut gedacht, allerdings explizit nicht im Sinn einer
politischen Avantgarde, sondern einer Vorhut im militärischen Sinn.
Marcos soll das Terrain erkunden, das dann ab September 2006 eine
Kommission "Sexta" bereisen werde, zusammengesetzt aus Kommandanten
und Kommandantinnen der EZLN sowie Vertretern der anderen
Organisationen, die den "anderen Wahlkampf" mittragen. Diese zweite
Rundreise soll bis ins Jahr 2007 andauern und zum Ziel haben, in
jedem Bundesstaat eine Vernetzungsstruktur zu schaffen, die als
Grundlage für koordinierte, gemeinsame Aktionen sowie für die
Erarbeitung einer neuen mexikanischen Verfassung dienen soll.
An dem Treffen im Caracol La Garrucha nahmen neben linken
Gewerkschaften, anarchistischen und Stadtteilgruppen, feministischen
Kollektiven, Kulturinitiativen und knapp 30 indigenen Organisationen
Mexikos auch mexikanische Migrantenorganisationen aus den USA teil.
Insgesamt waren mehrere hundert Organisationen vertreten. Alle
Kollektive und Gruppen, die die Sechste Erklärung aus dem
lakandonischen Urwald unterzeichnet haben, sollen künftig per Email
Beschlüsse fassen und miteinander darüber kommunizieren, wie
gemeinsam landesweite Streiks und Protestaktionen bestritten werden
können. Als Bindeglied fungiert die Webseite der EZLN-nahen
Zeitschrift Rebeldía. Da nicht alle Unterzeichner anwesend waren,
wurden auf der Vollversammlung keine Beschlüsse gefasst. Der "andere
Wahlkampf" oder die "andere Kampagne" will in Sachen demokratischer
Beschlussfassung neue Wege beschreiten, um zu zeigen, dass jenseits
der in Mexiko stark diskreditierten Repräsentationsstrukturen eine
andere Politik möglich ist.
Im Vorfeld hatte die Bedingung der EZLN für Polemik gesorgt, weil
keine Parteivertreter zu dem Treffen zugelassen seien, auch keine
Anhänger des aussichtsreichsten linksliberalen
Präsidentschaftskandidaten López Obrador. Kritiker der zapatistischen
Position führen an, dass die Basis der Partei der Demokratischen
Revolution (PRD), für die López Obrador in den Wahlkampf geht, nicht
für Korruption und Abstimmungsverhalten der Führungsetagen, welche
die Zapatisten kritisieren, verantwortlich gemacht werden könne und
so die mexikanische Linke insgesamt gespalten würde. Die EZLN jedoch
blieb bei ihrem Standpunkt, dass alle Parteien letztlich
Parteiinteressen verträten und nicht die Interessen der
unterprivilegierten Bevölkerungsschichten, für die es zu kämpfen
gelte.
Auf dem Treffen in La Garrucha hatten ausschließlich mexikanische
Gruppen und Einzelpersonen Rederecht, doch soll, so EZLN-Sprecher
Marcos, noch vor Ende dieses Jahres ein so genanntes
"intergalaktisches" Treffen stattfinden, auf dem die internationalen
Aspekte und Strategien im Zusammenhang mit der neuen Offensive
besprochen werden sollen. Man werde die Monate Oktober und November
darauf verwenden, dieses vorzubereiten.
Während Marcos in seiner Abschlussrede darauf hinwies, dass die
Beteiligten ab sofort einem verschärften Klima der Bedrohung
ausgesetzt seien und es notwendig sei, dass alle Unterzeichner der
Sechsten Erklärung füreinander einstünden, falls eine der
Organisationen offen oder verdeckt vom Repressionsapparat angegriffen
werde, beeilte sich der mexikanische Innenminister Carlos Abascal,
dem Subcomandante für seine Rundreise freies Geleit zuzusichern.
"Jeder Bürger hat denselben Anspruch auf den Schutz des Gesetzes", so
der Innenminister, der begrüßte, dass die Zapatisten sich auf die
Ebene der zivilen Politik begäben.
Anders als in den letzten Monaten in diversen Medien zu lesen war,
ist jedoch keine Rede davon, dass die Guerilla EZLN ihre Waffen
abgibt. Die zapatistische Armee bleibt zum Schutz der indigenen
autonomen Gemeinden in Chiapas zurück und befindet sich nach wie vor
in Alarmbereitschaft, während ihr Oberbefehlshaber und Sprecher
Marcos sich - tatsächlich unbewaffnet - auf die Suche nach weiteren
Bündnispartnern machen wird. Vor diesem Hintergrund wurde am
vergangenen Wochenende nochmals betont, dass vorgesorgt sei für den
Fall der Fälle und dass die gesamte Befehlsstruktur der EZLN über
fähige Ersatzleute verfüge, die bereits in den letzten Jahren auf
diese Aufgabe vorbereitet wurden.
Beobachter äußerten sich besorgt angesichts dieses Vorhabens in einem
Land, in dem politische Morde durchaus üblich sind. 1994 wurde sogar
der Präsidentschaftskandidat der ehemaligen Staatspartei PRI, Luis
Donaldo Colosio, mitten im Wahlkampf von den eigenen Leuten ermordet,
weil er sich nicht an gewissen politische Vereinbarungen halten
wollte.
Die Eröffnungszeremonie vom vergangenen Wochenende markierte das Ende
einer Reihe von Hearings und bilateralen Treffen, in denen die EZLN
den ganzen Sommer über nach Bündnispartnern gesucht hatte - in meist
endlosen Sitzungen, in denen jeder Teilnehmer unbegrenzte Redezeit
hatte und die als die "Stunde des Zuhörens" deklariert worden waren.
Überraschend sprachen in La Garrucha u.a. die Kommandantinnen Ramona
und Esther, beide international bekannt, weil sie die Zapatisten mit
Reden in der Bundeshauptstadt vertreten hatten. Insbesondere
Comandanta Ramona war seit vielen Jahren nicht in Erscheinung
getreten, nachdem sie sich aus gesundheitlichen Gründen längere Zeit
in der Hauptstadt aufgehalten hatte.
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20983/1.html
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