IMI-Analyse 2005/025 - in AUSDRUCK (August 2005)
Militarisierung in Chiapas
Droht einer neuer "Anti-Drogen-Krieg" in Lateinamerika?
Als Mitte Februar diesen Jahres ein geheimes Dokument des mexikanischen Militärs in einem Müllsack inmitten von San Cristóbal, dem Haupttouristenzentrum vom Chiapas, gefunden wurde, konnte noch niemand wissen, für was dessen Inhalt nur den Auftakt darstellte. Das auf den 11. Februar 2005 datierte Papier belegte aber schon damals die Ausspionierung der autonomen zapatistischen Gebiete aus der Luft. Der Empfänger dieses Dokumentes, Infanteriemajor Guarín Ruiz Reyna, versäumte es offenbar, das Papier zu vernichten, wie die unabhängige mexikanische Tageszeitung La Jornada am 27.2.2005 berichtete. Inhalt ist demnach der Auftrag zur einer "Mission, um die Existenz von Marihuana-Pflanzen zu ermitteln."[1 ] Die aus der Luft zu erkundenden Gebiete sind auffälligerweise solche mit der eindeutigen Präsenz von zapatistischen Gemeinden, den zivilen Unterstützungsbasen der 'Zapatistischen Armee zur Nationalen Befreiung' (EZLN). Die Ermittlung von Drogenanbauflächen in den autonomen zapatistischen Gebieten ist insofern obsolet, da sich die Zapatisten ganz klar gegen den Anbau und Konsum von Rauschmitteln aussprechen und dies in ihre eigenen Gesetzen, z.B. dem revolutionären Frauengesetz von 1993 (!) Eingang gefunden hat. Darin ist auch der Alkoholkonsum untersagt. Trotzdem gab das mexikanische Verteidigungsministerium in dem gefundenen Geheimdokument den Auftrag zu Überwachungsflügen mit dem Ziel der Drogenbekämpfung. Betont wird darin, diese Überflüge müssten in "einer diskreten Weise geschehen, um nicht die Aufmerksamkeit der unkonformen Gruppe (EZLN) zu erregen."[2]
Es dauerte vier Monate, bis am 20 Juni das mexikanische Verteidigungsministerium (SEDENA) die Zerstörung von 44 Marihuana- Pflanzungen in der Region 'Los Altos' bekannt gab. Diese seien zuvor in drei Bezirken "mit zapatistischen Einfluss" entdeckt worden, wie es in der Pressemitteilung Nr. 168 des Verteidigungsministeriums heißt.[3] Diese Verlautbarung erinnerte den Autor und Experten zum Thema Aufstandsbekämpfung, Carlos Montemayor, sofort an die Inhalte der Militärhandbücher, "in denen die Anpflanzung von Drogen in denjenigen Gebieten empfohlen wird, die angegriffen werden sollen."[4] Denn die Bekanntgabe der bereits fünf Tage zuvor zerstörten Drogenfeldern erfolgte nur wenige Stunden nachdem die EZLN einen 'Roten Alarm' für die autonomen Landkreise ausgerufen hatte und alle ihren zivilen Einrichtungen schließen ließ, um sich für eine interne Mitgliederbefragung zusammen zu ziehen, um über die zukünftige Ausrichtung des zapatistischen Kampfes um "Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit" zu beraten. Mit der ausgespielten "Drogen- Karte" versuchte das Verteidigungsministerium vorab Rechtfertigungsgründe für eventuelle Zusammenstöße mit der EZLN zu erlangen. Der 'Rote Alarm' und die darauf folgenden Verlautbarungen der Zapatisten wiederum, erfolgten im Kontext der verstärkten Truppenbewegungen des mexikanischen Militärs in den Monaten zuvor. Wie das Menschenrechtszentrum 'Fray Bartolome de las Casas' in San Cristóbal de las Casas beobachtete, kam es in den Monaten Mai bis Juni 2005 zu den größten Militärbewegungen, seit der Räumung von sieben Positionen, die von der EZLN im Jahr 2001 gefordert wurden.[5] Es galt ernsthaft zu befürchten, dass die mexikanische Bundesarmee unter dem Deckmantel des Anti-Drogen-Kampfes versuchen wollte, eine militärische Konfrontation mit den Zapatisten zumindest nicht auszuschließen, während diese zu einer internen Mitgliederbefragung zusammen kamen. Dies wäre nicht das erste Mal gewesen, denn schon 1995 wurde "die EZLN während einer internen Befragung von Regierungskräften angegriffen", wie es im EZLN-Kommunique vom 20. Ju ni als Begründung für die Ausrufung des 'Roten Alarms' heißt. Und, "dieser Rote Alarm ist eine vorbeugende Schutzmaßnahme."[6]
Peinlicherweise ging diesmal der Versuch die zapatistische Widerstandsbewegung mit dem Drogenanbau und -Handel in Verbindung zu bringen jedoch nicht auf. Denn bereits drei Tage später musste auf einer Pressekonferenz der Pressesekretär von Präsident Fox, Rubén Aguilar Valenzuela, zugeben, dass sich die zerstörten Marihuana- Pflanzungen nicht auf Gebiet mit zaptistischem Einfluss befanden, sondern nur an dessen Peripherie.[7] Wie ein Blick auf die Landkarte ergibt, wurde bei dieser Richtigstellung der Begriff "Peripherie" äußerst weit ausgelegt. Auch lässt sich anhand einer Karte leicht feststellen, dass bereits das Verteidigungsministerium Lücken in topographischer Kenntnis von Chiapas aufzuweisen schien, da die angegebenen Fundorte der Marihuana-Pflanzungen allesamt nicht in der Region 'Los Altos' liegen, wie behauptet, und nicht einmal im so genann ten Konfliktgebiet von Chiapas, sondern weit entfernt von den zapatistischen autonomen Landkreisen. Die geographische Ungenauigkeit war so offensichtlich, dass die Staatsregierung von Chiapas letztlich den Irrtum des Militärs berichtigen musste.
"EZLN gehört der Vergangenheit an" und "alles ist ruhig" in Fox' Wunderland
Nicht zuletzt der mexikanische Präsident, Vicente Fox, ist für seine realitätsferne Einschätzung des Konfliktes in Chiapas bekannt, wenn er sich dazu öffentlich äußert. Bereits weltweite Bekanntheit erlangte seine vollmundige Aussage zu Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2000, den Konflikt in Chiapas binnen 15 Minuten lösen zu wollen, indem jede Familie dort einen VW-Käfer erhalte. Nun, sechs Jahre später, hat sich die Lage in Chiapas nicht wesentlich verändert. Dennoch kommentierte er Anfang diesen Jahres seine Stippvisite in Chiapas mit den Worten, das Thema EZLN gehöre "praktisch der Vergangenheit" an, Chiapas "atme heute ein anderes Klima" und habe den Zustand von Frieden, Sicherheit, Ruhe und der Rechtsstaatlichkeit erreicht. Mexiko insgesamt habe ein neues Verhältnis zu seiner indigenen Bevölkerung gefunden, statt Repression und Ungleichheit, sei es nun gekennzeichnet durch Pluralität, Demokratie, Toleranz und Würde.[8] Diese blumige Einschätzung spricht nicht nur den über 12.000 Binnenflüchtlingen in Chiapas Hohn, allesamt Vertriebene im anhaltenden Konflikt, die teilweise seit fast 10 Jahren in provisorischen Unterkünften leben, sondern klingt auch zynisch angesichts der schätzungsweise jährlich 30.000 ImmigrantInnen in die USA, die dort nach besseren Lebensbedingungen suchen.[9] Nach Angaben des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) befinden sich die mexikanischen Bundesstaaten Chiapas, Oaxaca und Veracruz noch immer in einem Zustand "extremer Unterentwicklung". In diesen Bundesstaaten gäbe es weltweit eine der schlechtesten Zugangsmöglichkeiten zu Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, und die durchschnittlichen Einkommen befänden sich unter den weltweit niedrigsten.[10] Trotz des gebetsmühlenartig wiederholten "Es passiert nichts, alles ist ruhig" seitens der Regierenden und entgegen des Eindrucks, den Präsident Fox in der Öffentlichkeit vermitteln will, hat sich die militärische Besetzung der Konfliktzone in seiner Amtszeit ausgeweitet. So wurden seit der Bildung der fünf Regierungszentren der zapatistischen autonomen Selbstverwaltung am 9. August 2003 Kommandos der Spezialeinheiten vom Distrito Federal (Mexiko-City) nach Chiapas verlegt.[11] Menschenrechtsorganisationen bestätigen, dass Chiapas heute immer noch der mexikanische Bundesstaat ist, in dem mit über 60.000 Mann die meisten Soldaten stationiert sind. Und im Gegensatz zu Äußerungen der Regierung sind keine Truppen aus Chiapas abgezogen worden, sondern es wurden lediglich neue Positionen bezogen.[12]
Militärische Besetzungen und paramilitärische Vertreibungen
In Chiapas arbeitende Nichtregierungsorganisationen berichten von der Einrichtung militärischer Stützpunkte mittels Beschlagnahmungen und Enteignungen von Ländereien der indigenen Bevölkerung. Zurzeit sind 114 feste Militäreinrichtungen in Chiapas dokumentiert, davon 91 in der Konfliktzone. 40 dieser Stützpunkte sind ohne legalen Status besetzt. Seit dem Amtsantritt von Vicente Fox als Präsident und oberster Befehlshaber der Armee sind 14 der besetzten Ländereien durch Enteignungen in Eigentum des Verteidigungsministeriums SEDENA übergegangen, vier weitere befinden sich noch im Prozess der Enteignung, wie das Zentrum für politische Analyse und wirtschaftliche und soziale Forschung (CAPISE) in seiner Studie vom Februar 2005 feststellt.[13]
Bereits im Januar 2004 gab das gleiche Forschungszentrum eine Studie heraus, in der die aktuelle Stationierung der Militäreinheiten, ihre Zusammensetzung und die militärische Strategie in Chiapas untersucht wurden. Mit dem Titel "Die militärische Besatzu ng Chiapas, das Gefangenendilemma" stellt das Dokument die These auf, dass der Militärapparat in Chiapas sowohl einen regulären wie auch einen irregulären Krieg führt.[14]
Die Studie, die sich unter anderem auf Informationen von Handbüchern des Heeres stützt, beschreibt als irregulären Krieg kriegerische Aktivitäten, die als Ziel die Ermüdung und die Einschüchterung des Feindes haben. "Die Präsenz und territoriale Ausrichtung von Einheiten, Verbänden, schnellen Eingreiftruppen in einem Operationsraum inmitten des indigenen Gebietes, bestätigt, dass in Chiapas nicht nur eine irreguläre Kriegsführung betrieben, sondern ebenfalls nach der Logik der regulären Kriegsführung vorgegangen wird." [15]
Einen weiteren Schwerpunkt bildete die aktive Unterstützung von paramilitärischen Gruppierungen. Mittlerweile belegen dokumentierte Aussagen eines Ex-Kommandanten der paramilitärischen Organisation 'Paz y Justicia', die direkte Finanzierung dieser Gruppe durch staatliche Stel len, sowie die Ausstattung mit Schnellfeuergewehren seitens der mexikanischen Bundesarmee. 'Paz y Justicia' wird für 122 Morde und die Vertreibung von Hunderten Familien der Region in den Jahren 1995-2001 verantwortlich gemacht.[16] Wie alle anderen paramilitärischen Gruppen in Chiapas ist auch 'Paz y Justicia' weder entwaffnet noch organisatorisch aufgelöst. Insbesondere gegenüber den Verantwortlichen innerhalb der Armee gibt es keine Untersuchungen. Zuletzt vertrieben Angehörige von 'Paz y Justicia' gewaltsam 15 Familien aus ihrer Gemeinde im Norden von Chiapas und im Gebiet 'Montes Azules' wurde die Neugründung dreier paramilitärischer Gruppierungen beobachtet.[17]
Es gibt zurzeit keine Hinweise darauf, dass die paramilitärischen Gruppen weiter von staatlichen Stellen aktiv unterstützt werden. Die Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörden gegenüber den paramilitärischen Gruppen und den durch sie begangenen Straftaten führt jedoch dazu, dass diese weiterhin gegen Teile d er Bevölkerung vorgehen.
Auch wenn die Regierung beteuert, ihre militärische Politik und Strategie hätte sich nicht geändert, beklagen die Einwohner von zapatistischen Gemeinden den Zuwachs an Einschüchterungsversuchen und Maßnahmen, die von Seiten der Militärs und der Regierung unternommen werden, um sie zu beobachten und zu bedrängen. Über den Sitzen der autonomen Regierung in 'La Realidad' und 'La Garrucha' konnte die Zeitung La Jornada nächtliche Tiefflüge bestätigen.[18]
Und immer noch ist der 'Kampagnen-Plan Chiapas 94' Grundlage für das in Chiapas stationierte Militär. In diesem Dokument des Verteidigungsministeriums wird gleich zu Anfangs das strategisch- operative Ziel mit der "Zerstörung des Kampfeswillens der EZLN, die Isolierung der Zivilbevölkerung und das Gewinnen ihrer Unterstützung zugunsten der militärischen Operationen" beschrieben.[19] Neben einer militärischen Ausrichtung dieser Strategie zur Aufstandsbekämpfung wird sie ebenfalls mittels ökonomischer Anreize, 'Entwicklungsprogrammen' und Fördergeldern für regierungstreue Bevölkerungsteile verfolgt, in die auch die Europäische Union mit der Finanzierung solch eines 'Entwicklungs-Projektes' in Chiapas verstrickt ist.[20]
'Sicheres Mexiko' - die Militarisierung im Innern
Unter dem Titel 'Sicheres Mexiko' ist seit Mitte Juni diesen Jahres eine Operation zur Drogenbekämpfung angelaufen, welche das mexikanische Militär mit einbezieht. Diese aus der Handschrift von Präsident Fox und Regierungsvertretern stammende Operation findet sowohl entlang der Süd-, als auch der Nordgrenze des Landes statt und dient neben der Beschwichtigung des auf verbesserte Drogenbekämpfung drängenden Nachbarn USA auch der Profilierung des Präsidenten im Vorwahljahr. Zusammen mit der Bundespolizei und bundesstaatlichen Sicherheitskräften sind Militäreinheiten im Rahmen der Operation 'Sicheres Mexiko' nun in weitere Dörfer und Gemeinden eingedrungen um sich dort zu install ieren. Bürger, die gegen die Militarisierung ihrer Gemeinden demonstrieren, müssen sich Komplizenschaft mit den Drogenkartellen vorwerfen lassen, wie in der nördlichen Grenzstadt von Nuevo Laredo geschehen. Ihnen warf Fox' Pressesekretär, Ruben Aguilar vor, es gäbe Anzeichen, "dass einige der Bürger, die gegen die Operation demonstriert haben, von organisierten Verbrecherbanden unterstützt, bezahlt und finanziert wurden".[21]
Die Operation 'Sicheres Mexiko' dürfte auch dafür gut sein, nun mit 'eiserner Hand' davon abzulenken, dass von 2001 bis Anfang diesen Jahres, also über einen Zeitraum von fünf Jahren, Nahum Acoste Lugo, enger Berater des Präsidenten in Wirklichkeit eingeschleuster Informant des karibischen Drogenkartells war.[22]
Anmerkungen
[1] Vgl. La Jornada, 27.2.2005 . [2] Ebd. [3] Vgl. Secretaria de Defensa Nacional (SEDENA): Comunicado de Prensa No. 168. [4] Carlos Montemayor im Interview mit La Jornada, 21.6.2005. [5] Vgl. Cent ro de Derechos Humanos Fray Bartolome de las Casas: Boletin de Prensa, 21.6.2005. [6] Kommunique des Geheimen Revolutionären Indigenen Komitees - Generalkommando (CCRI/CG) der EZLN, 20.6.2005. [7] Vgl. El Universal, 23.6.2005. [8] Vgl. La Jornada, 13.1.2005. [9] Bei einer Gesamteinwohnerzahl in Chiapas von knapp 4 Mio. Vgl. Miguel Pickard: Entre fuegos cruzados: Los migrantes mesoamericanos en su travesía hacia el norte. März 2005. [10] UNDP: Informe sobre Desarollo Humano . México 2004. http://saul.nueve.com.mx/informes/index.html. [11] Vgl. La Jornada, 12./13.2.2004. [12] Vgl. La Jornada, 25.2.2004. [13] Zum Vergleich: im Zeitraum von 1994 - 2001 sind insgesamt 13 solcher Enteignungen durchgeführt worden. Vgl. hierzu: Centro de analisis politico e investigaciónes sociales y economicas A.C (CAPISE): "Derechos colectivos de los pueblos indige nas: el Territorio Ocupado", Februar 2005; La Jornada, 11. Februar 2005. [14] Vgl. CAPISE: "La Ocupación Militar en Chiapas: El Dilema del Prisionero", Januar 2004. [15] Ebd. [16] Vgl. La Jornada, 9.2.2005. [17] Vgl. La Jornada, 15.7.2005. [18] Vgl. La Jornada, 24.03.2004. [19] El plan de campaņa (Chiapas 94), dokumentiert vom Centro de Derechos Humanos Fray Bartolomé de Las Casas A.C. Quelle: http://www.laneta.apc.org/cdhbcasas/genocidio/anexo1.htm. [20] Vgl. Johannes Plotzki: Die Befreiungsbewegung der Zapatisten in Chiapas/Mexiko im Würgegriff neoliberaler Konzerninteressen und staatlicher Repression durch den "Krieg niederer Intensität". IMI- Studie 2004/02 - in: AUSDRUCK - Das IMI-Magazin (August 2004), S. 5- 11. [21] Vgl. Al Giordano: México: La calumnia de narcos contra los zapatistas. In: Narconews.Narcosphere, 23.6.2005 http://narcosphere.narconews.com/story/2005/6/23/161431/194. [22] Vgl. BBC Mundo.com, 8.2.2005.
Johannes Plotzki
(Diese Analyse als PDF-DOKUMENT: http://www.imi- online.de/fpdf/index.php?id=1213)
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