Montes Azules – Wir werden uns verteidigen!

Gloria Muñoz Ramírez

Rebeldía #30, April 2005



Libertad de los Pueblos Mayas, Chiapas.

Felipe, ein Mann mittleren Alters mit sonnengegerbter Haut, steigt, beladen mit einem 50-Kilo-Sack voll Zement, den endlosen Hügel hinauf. Andere folgen ihm auf dem mühsamen Weg, mit zusammengerolltem Wellblech, das sie mit einem Trageseil auf dem Kopf befestigen. Das sind die Materialien, mit denen im Herzen von Montes Azules ein neues kleines Dorf errichtet wird, wo 31 zapatistische Familien wohnen werden, die von der Vertreibung bedroht sind.

Das Dorf heißt Nuevo Limar, und man gelangt dorthin zu Fuß, zu Pferd, im Kanu über die Flüsse Jataté und Azul, bergauf, bergab, inmitten einer Vegetation, deren Schutz sich die Zapatistas und deren Zerstörung sich transnationale Konzerne zur Aufgabe gemacht haben. Redakteure der Zeitschrift Rebeldía und eine Kommission des „Comité de Solidaridad con los Pueblos de Chiapas en Lucha“ (Komitee zur Solidarität mit den chiapanekischen Völkern im Kampf) machen sich auf den Weg dorthin.

Im Oktober 2004 kündigte die EZLN die Umsiedlung der Dörfer Primero de Enero, San Isidro, 12 de Diciembre, 8 de Octubre, Santa Cruz, Nuevo Limar und Agua Dulce an, die sich allesamt in der Region Montes Azules befanden und durch Bundes- und Staatsregierung von der gewaltsamen Räumung bedroht waren. Sechs Monate später sieht die Situation folgendermaßen aus: Primero de Enero, Santa Cruz und 8 de Octubre wurden außerhalb des Biosphärenreservats im Dorf Aguamaría in der Nähe von San Quintín angesiedelt.

Die Umsiedlung der zapatistischen Dörfer innerhalb und außerhalb des Biosphärenreservats Montes Azules ist, zumindest was die Umzugsphase betrifft, abgeschlossen, aber der schwierigste Teil steht noch bevor, nämlich die Bewohner mit allem Überlebensnotwendigen auszustatten: Häuser, Gemeinschaftschule, Gesundheitszentrum, Arbeitsmaterialien, Küchen und ein langes Und-So-Weiter. Die rebellischen Dorfbewohner zogen in die Gemeinden, wo sie bleiben werden, um im Einflussbereich der Junta der Guten Regierung zu sein, um sich besser gegen die ständige Räumungsdrohung verteidigen zu können und um die natürlichen Ressourcen des lakandonischen Regenwaldes zu schützen.

Sechs Monate nach der Ankündigung der Zapatistas ist die Situation wie folgt: Die Gemeinde San Isidro, deren Bewohner sechs zapatistische Tzotzil-Familien aus der Region ‘Los Altos’ ausmachen, wurde auf durch Landbesetzung wiedergewonnenes Land in Nueva Virginia umgesiedelt, das zwischen Ocosingo und Altamirano und damit außerhalb des Naturschutzgebietes liegt.

Die neun Familien des Dorfes Nuevo Limar inmitten von Montes Azules bleiben auf eigenen Wunsch vor Ort und nehmen außerdem 22 Familien aus der Gemeinde 12 de Diciembre auf, die derzeit zwischen Marqués de Comillas und Pico de Oro (südöstliche Grenze) leben. Nuevo Limar ist die Gemeinde, wo sich die meisten zapatistischen Familien sammeln. Insgesamt bleiben damit 31 Familien an einem abgelegenen Ort dieser von multinationalen Konzernen begehrten Region.

Alle zapatistischen Gemeinden, oder besser gesagt Gemeindekerne, da einige nur aus einer einzigen Familie bestehen, z.B. Primero de Enero, haben sich auf autonome Art und Weise für den Ort entschieden, wo sie bleiben wollen. Die Junta der Guten Regierung “Hacia la esperanza” (Zur Hoffnung) mit Sitz in La Realidad betont, dass von ihrer Seite jedwede Entscheidung unterstützt wird, und verpflichtete sich, im Rahmen ihrer Möglichkeiten den neuen Siedlungen bei ihren Bedürfnissen zur Verfügung zu stehen.

In Nuevo Limar, wo die größte Anzahl von Familien leben wird, ist bereits das Wellblech angekommen, mit dem die Dächer der Häuser, die gerade gebaut werden, gedeckt werden sollen. Die Geschichte dieser Gemeinde ähnelt der vieler anderer, deren Bewohner vor der Gewalt der Paramilitärs und wegen dem Mangel an Land flüchten mussten und sich in der Bergregion an Orten ansiedelten, die so weit abgelegen sind, dass man meinen möchte, sie seien unzugänglich.

Die Chol-Einwohner von Nuevo Limar haben sich in der kleinen Kirche aus Holz im Zentrum des Dorfes versammelt und erzählen die Geschichte des zapatistischen Dorfes, das die verschiedenen Etappen dieser Bewegung erlebt hat: “Wir kommen als dem Bezirk Sabanilla, aus dem Dorf Unión Hidalgo, wo es kein Land gibt und wir als Knechte auf den Ranchos arbeiten mussten, um Mais kaufen zu können. Und so, auf der Suche nach etwas zu essen für die Familie, kamen wir nach Nueva Esperanza (weit im Zentrum von Montes Azules), so etwa im Jahr 1982. Dort waren wir viele Jahre und beantragten Land, aber wir bekamen nie eine Antwort. In der Zeit begannen wir, im Geheimen Zapatistas zu sein.“

Diese Familien zählen seit 18 oder 19 Jahren zur Unterstützungsbasis der EZLN. Sie lernten die Begründer der Organisation kennen und sind auch fast zwanzig Jahre danach noch überzeugte Zapatistas, „denn von der Regierung erwarten wir nichts, deswegen bleiben wir in der Organisation“.

Der Älteste des Dorfes setzt die Erzählung fort: “In Esperanza waren wir alle Zapatistas, aber 1996 verkaufte sich eine Gruppe an die Regierung, sie wurden PRI-Anhänger. Zu der Zeit – sagen sie – begannen die Agressionen, unsere Häuser wurden angezündet, und um einen Zusammenstoß zu vermeiden, verließen wir den Ort und gingen in die Gemeinde La Pimienta, wo wir zwei Jahre blieben“.

Dann verließen sie auch dieses Dorf wieder, da es Probleme mit den Tzeltales aus La Pimienta gab (sie selbst sind Choles) und entschlossen sich zur Gründung von Nuevo Limar an dem Ort in Montes Azules, wo sie am 23. Mai 2000 ankamen. Acht Familien waren dabei, dann kam noch eine dazu, 46 Personen insgesamt.

„Schon mit unserer Ankunft – erzählen sie weiter – begann die Bedrohung. Immer gab es Militärpatrullien in der Luft, die Hubschrauber flogen sehr tief, und auch zu Fuß wollten sie kommen. Die Soldaten ließen uns durch die PRI-Anhänger sagen, dass sie kommen würden, um unsere Häuser anzuzünden. Sie drohten ständig, uns zu räumen”.

Es wird Nacht in Nuevo Limar, und damit beginnt der tägliche Rundflug der Hubschrauber. Alle Dorfbewohner bleiben zum Interview in der Kirche, einer gibt dem anderen das Wort, um jede Frage zu beantworten.

Vor kurzem, erzählt der Bildungsbeauftragte des Dorfes, “wurden wir von der Regierung aufgefordert, nach Paraíso zu kommen. Die vom Agrarreform-Programm waren dort, es ging um die Umsiedlung. Wir gingen nicht hin, denn wir wollen nichts von ihnen. Wir sind nie zu den Versammlungen gegangen, wo es um die Umsiedlung ging, wir engagieren uns nur in unserem Kampf als Zapatistas und nehmen an der Autonomie unseres Bezirks teil. Wir wollen keine Almosen von der Regierung. Wir haben vor, nicht aufzugeben und im Widerstand zu bleiben. Nur das denken wir”.

Diese kleine verborgene Gemeinde, bescheidener als bescheiden, ist nun Heimat für noch 22 zusätzliche Familien. Damit sind zwar einerseits die Bedürfnisse deutlich gewachsen, aber auch die Organisation, um diese zu befriedigen. Die Junta der Guten Regierung erklärt, dass man nur noch wartet, bis alle Familien umgezogen sind, bis mit der Einrichtung von Gesundheitsversorgung und Bildung begonnen wird, um diese als wichtigste Bedürfnisse zu befriedigen. Tatsächlich ist auch schon der Zement für den Fußboden des gemeinschaftlichen Schulgebäudes eingetroffen.

“Alle gemeinsam – erklären sie – werden wir uns besser vor den Bedrohungen schützen, wir werden näher an unserem autonomen Bezirk sein und näher an der Kraft unserer Zapatista-Compañeros. Wenn die Regierung auf der Räumung besteht, halten wir zusammen, um uns zu verteidigen”, erklären sie.

Der Häuserbau wird vom ständigen Rundflug der Hubschrauber begleitet. “Schon an dem Tag, als wir mit dem Bau begannen, schien es, als wolle der Hubschrauber hier im Wipfel dieses Caoba-Baumes landen”, erzählt ein anderer Dorfbewohner.

Die Regierung nennt als Vorwand für die Räumung den Schutz des Biosphärenreservats (obgleich erwiesen ist, dass es nicht die Zapatistas sind, die die Bäume abholzen, die Biodiversität verhandeln, Brücken über die Flüsse bauen, um den Tourismus zu empfangen). Die Zapatistas, so erklären die autonomen Räte, “haben Gesetze für den Schutz der Umwelt. Wir setzen durch, dass die Maisfelder nicht mehr abgebrannt werden, höchstens noch Gestrüpp auf Brachfeldern, und dass die Bäume nicht zum Verkauf abgeholzt werden, weder von uns noch von anderen. Wir – so die Bewohner von Nuevo Limar – zerstören die Wälder nicht, wir schützen die Bäume und die Tiere, wie den Affen, den Papagei, das Wild, den Jaguar, das Wildschwein … Wir töten den Tapir nicht. Nur den Dachs jagen wir, zum Essen. Wir schützen die Quellen von Bächen und Flüssen. Es stimmt nicht, dass wir zerstören, wie die Regierung sagt. Und jetzt, wo die Familien aus 12 de Diciembre kommen, werden wir einen Plan erarbeiten zum Schutz des Dschungels”.

Die Dorfbewohner beschuldigen die Regierung, “die ist es, die mit dem Regenwald Gewinn machen will, und damit sind wir nicht einverstanden. Der Regenwald ist schon an die Reichen verkauft, deswegen sollen unsere Dörfer geräumt werden, aber wir haben schon angekündigt, dass wir uns verteidigen werden“, sagen sie.

Insgesamt sind nach der Umsiedlungsankündigung der zapatistischen Familien drei Siedlungen entstanden: Nuevo Limar innerhalb des Naturschutzgebietes, wo zu den ursprünglichen Bewohnern die 22 Familien aus 12 de Diciembre kommen; Agua María, außerhalb des Naturschutzgebietes, wo sich die Bewohner aus Primero de Enero (eine Familie), Santa Cruz (drei Familien) und 8 de Octubre (zwei Familien) befinden; und Nueva Virginia, eine Gemeinde weit entfernt von Montes Azules, wohin die sechs Familien aus San Isidro zogen. Hier sind außerdem die zehn Familien der Gemeinde Agua Dulce zu nennen, die sich auch für ein Bleiben innerhalb des Biosphärenreservates entschieden haben und dabei von den autonomen Räten unterstützt werden.

All diese Gemeinden haben die Unterstützung erhalten, die auf dem Bankkonto von Rosario Ibarra de Piedra eingegangen ist. Bisher wurde nur Wellblech für die Dächer und Zement gekauft, aber es müssen immer noch die Gesundheitszentren, Schulen und andere Sachen, je nach Bedarf der einzelnen Dörfer, gebaut und die Kosten der Umzüge (LKWs, Boote, Utensilien etc.) beglichen werden.

“Die Zivilgesellschaft hat uns immer geantwortet, und von ihr kommt die Unterstützung für die Compas. Es reicht noch nicht, aber wir denken, dass wir es schaffen“, versichert die Junta der Guten Regierung „Hacia la esperanza”.


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Übersetzung: Katja