Zapatistas schlagen linke Allianz für „eine neue Art der Politik“ vor
--- Direkte Solidarität mit Chiapas ---
1. Juli 2005
Die EZLN lässt sich nicht ins parteipolitische System integrieren: Sie initiiert eine Allianz der „nicht an Wahlen beteiligten Organisationen und Bewegungen“. Mit dieser „echten Linken“ soll eine neue Verfassung ausgearbeitet werden. Auch international geht die EZLN in die politische Offensive.
Säbelrasseln in Chiapas
Letzte Woche rief das zapatistische Heer zur nationalen Befreiung EZLN die Alarmstufe rot aus. Vieles deutete auf eine Verschärfung des schwelenden Konflikts in Chiapas hin, Polizisten wurden aus ihren Vorposten in indigenen Dörfern abgezogen und die „Zivilgesellschaft“ begann sich auf Kriegsszenarien vorzubereiten. Dann kam die Erklärung für so viel Aufruhr: Die EZLN hat ihre Bewegung zu internen Beratungen zusammengerufen – und da sie in einem solchen Moment interner Diskussion auch schon militärisch angegriffen wurde, verstand sie den Alarm als notwendige defensive Massnahme.
Seine Wirkung verfehlte das Säbelrassen nicht: Regierung und Militär äusserten sich gegenüber der beunruhigten Öffentlichkeit und die virulente Gefahr eines offenen Krieges gelangte wieder in das politische Bewusstsein Mexikos. Gründe dafür gibt es immer noch gleich viele wie im Jahre 1994. An der Marginalisierung der Indigenen, der meist unsichtbaren Aufstandsbekämpfung und des Krieges niederer Intensität hat sich in Chiapas nichts verändert. Einige Stichworte dazu aus jüngster Zeit:
- Die Einstellung der Nothilfe durch internationale Organisationen wie das IKRK für die über 5000 intern Vertriebenen allein in Polho (1)
- die Reaktivierung und weitere Straflosigkeit der Paramilitärs, insbesondere Paz y Justicia und die Vertreibung von oppositionellen Familien in der Gemeinde Andrés Quintana Roo (2)
- die haltlosen Verunglimpfung der Zapatistas als Drogenhändler durch die Bundesarmee (3)
- die Sperrung der Konten von Organisationen, welche mit den zapatistischen Gemeinden zusammenarbeiten (4)
- die tagtägliche Aufstandsbekämpfung der in den aufständischen Gemeinden stationierten Bundesarmee, welche sich nicht an die gesetzlich vorgeschriebene Kasernierung hält (5)
Doch diesen Bedingungen zum Trotz scheint die EZLN gewillt zu sein, den zivilen politischen Weg weiter gehen zu wollen. Sie planten „von ihrer Seite her keine militärische Offensive“ (6).
Die Zapatistas riskieren „einen gefährlichen Schritt“
Nach mehreren Tagen der Konsultation in allen Gemeinden unter mehreren zehntausend Zapatistas und auf allen Stufen der indigenen Bewegung wurde bekannt, dass der geheim gehaltene Aktionsplan der EZLN weitestgehend Zustimmung fand: „Die EZLN wird eine neue politische Initiative übernehmen, die nationaler und internationaler Natur ist“ (7).
Diese neue Initiative der Zapatistas reiht sich zwar ein in eine Serie von grossen Mobilisierungen – zuletzt der „Marsch der indigenen Würde“ nach Mexiko Stadt im Frühjahr 2001. Diesmal jedoch scheinen die Zapatistas wild entschlossen, alles aufs Spiel setzen zu wollen und vielleicht „das Wenige oder Viele, das erreicht wurde, zu verlieren“.
Ende Juni erschien nun eine neue Grundsatzerklärung der EZLN namens „6. Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald“ (8). Hervorzuheben ist, dass dieser Text in einem sehr einfachen Spanisch geschrieben ist und ein breites Publikum ansprechen soll, „einfache Leute wie wir“.
In dieser Erklärung steht neben der Analyse der Situation, in der sich das Land und die indigene Bewegung befindet, die Vision einer grossen Allianz aller Ausgegrenzten im Vordergrund, "um ein Land zu errichten, das Recht, Demokratie und Freiheit für alle bietet". In Mexiko wollen sie mit einer Delegation von EZLN-Comandantes auf unbeschränkte Zeit im ganzen Land linke Organisationen treffen und sich mit ihnen austauschen im Sinne einer „Nationalen Kampagne zum Aufbau einer neuen Art, Politik zu machen, einem nationalen Programm des Kampfes der Linken und für eine neue Verfassung“.
Auch international sollen die Kontakte mit den sozialen, linken Bewegungen insbesondere Lateinamerikas und der Karibik verstärkt werden. Neben materiellen Formen der Unterstützung schlagen die Zapatistas auch ein neues Interkontinentales Treffen auf Ende 2005 oder Anfang 2006 vor, das jedoch ein stärkerer Dialog zwischen den Teilnehmenden sein soll als das Interkontinentale Treffen von 1996.
Vom Caracol (Schneckenhaus) in die politische Offensive
Was ist an dieser politischen Initiative denn so neu und gar „gefährlich“? Auf den ersten Blick scheint sie bloss neuer Wein in alten Schläuchen zu sein... Einige Momente sind jedoch durchaus neu: Die Zapatistas haben ihre Phase der Konzentration auf die eigene Region, auf die indigenen Forderungen abgeschlossen und nehmen explizit Bezug auf linke Mobilisierungen. Sie schlagen eine „Nationale Kampagne“ vor „zum Aufbau einer neuen Art, Politik zu machen, einem nationalen Programm des Kampfes der Linken und für eine neue Verfassung“.
Dabei stellen sich die Zapatistas nach wie vor gegen die Parteien, deren „Demokratie nur aus an die Hütten gemalter Wahlpropaganda besteht“. Sie scheinen gewillt, auch mit Reisen im ganzen Land alles in ihrer Macht stehende für dieses Projekt zu unternehmen – ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen in einem Land der politischen Morde, insbesondere in Zeiten des Wahlkampfes.
Ob dieser neue Anlauf zur Gründung einer breiten Allianz erfolgreich sein kann, wird nicht alleine von den Zapatistas sondern insbesondere von den sozialen Bewegungen Mexikos abhängen. Auf jeden Fall haben sich die marginalisierten Indigenen des mexikanischen Südostens wieder zuoberst auf die politische Agenda des Landes katapultiert – genau ein Jahr vor den nächsten Präsidentschaftswahlen.
(1)
Los desplazados de Polhó llevan ocho años ''resistiendo el hambre y la sed''
http://www.chiapas.ch/info3.php?artikel_ID=486&start=0&j=10
(2)
Desplazados internos en Sabanilla Chiapas. Quince familias de la comunidad Andrés Quintana Roo, Municipio de Sabanilla, fueron desplazadas por las amenazas de Paz y Justicia el pasado 9 de junio.
http://www.laneta.apc.org/cdhbcasas/Boletines/2005/061405_quintanaroo.htm
(3) Zusammenfassung der Vorfälle vor dem Roten Alarm
Pressebulletin des Menschenrechtszentrums Frayba
http://www.chiapas.ch/index.php?artikel_ID=501&start=0&j=10
(4)
Banken als Mittel der Aufstandsbekämpfung?
http://www.chiapas.ch/index.php?artikel_ID=494&start=0&j=10
(5)
Utiliza el Ejército festejos pedranos para su guerra de baja intensidad
http://www.jornada.unam.mx/2005/jun05/050630/014n1pol.php
(6)
Marcos: Llegó el momento de construir lo que falta. Comunicado a la sociedad civil
http://www.jornada.unam.mx/2005/jun05/050624/008n1pol.php
(7)
Communique der EZLN zur Beendung der Consulta
http://www.chiapas.ch/index.php?artikel_ID=506&start=0&j=10
(8)
Ejército Zapatista de Liberación Nacional
Sexta Declaración de la Selva Lacandona
http://www.chiapas.ch/info4.php
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