Truppenbewegungen in Chiapas

EZLN berät mit Basis über "neue Phase des Kampfes"

Dario Azzellini 23.6.2005

Nachdem die EZLN am Montag, ohne nähere Erläuterung, "Alarmstufe Rot" im gesamten zapatistischen Territorium im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas ausgerufen hatte, folgten am in der Nacht zum Mittwoch zwei weitere Kommuniques. Die Ankündigung der zapatistischen Guerilla alle ihre Aktiven an die Waffen zu beordern war in der mexikanischen Öffentlichkeit wie eine Bombe eingeschlagen und es begannen verschiedenste Spekulationen über die Motive der weitgehendsten Mobilmachung der vergangenen zwölf Jahre.

In einer nur vier Absätze langen Erklärung gibt die EZLN nun bekannt, sie habe sich seit Mitte 2002 "in einem Prozess der Reorganisierung der politisch-militärischen Struktur" befunden, diese sei nun abgeschlossen. Die Organisation sei nun in der Lage feindliche Angriffe und Aktionen zu überleben, die darauf abzielten die EZLN oder ihre Führung zu "vernichten". Zudem sei die genaue Vorgehensweise im Falle eines Angriffs fest gelegt worden. Scheinbar rechnen die Rebellen mit nahenden militärischen Auseinandersetzungen, denn das "Geheime Revolutionäre Indigene Komitee - Generalkommando der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (CCRI-CG), die höchste Entscheidungsinstanz des Aufstandes, erklärte es seien nun die Bedingungen geschaffen den Kampf der Zapatistas selbst in dem Falle fortzusetzen, dass die EZLN "ob durch Gefängnis, durch Tod oder durch gewaltsames Verschwinden, einen Teil oder seine gesamte öffentlich bekannte Führung verlieren sollte".

Im zweiten Kommunique hingegen geht die EZLN auf die vermeintlichen Gründe des erklärten Roten Alarms ein. Dieser stelle eine "vorbeugende Schutzmaßnahme" dar, da eine Befragung der gesamten "aufständischen Truppen, all ihrer Kommandanten und Kommandantinnen, regionalen und lokalen Verantwortlichen und Unterstützungsbasen" eingesetzt habe. Dabei wolle das Generalkommando eine Analyse der aktuellen Lage vornehmen und die Aufnahme einer neuen Phase des Kampfes vorschlagen, die das "Risiko einschließt, das Viele oder Wenige, das wir erreicht haben, zu verlieren". Daher sei es auch allen freigestellt bei der EZLN zu bleiben oder nicht, sollte der "nächste Schritt" mit Mehrheit angenommen werden. Das Ergebnis werde dann auch der Öffentlichkeit mitgeteilt. Der Rote Alarm diene dazu die eigenen Truppen vor möglichen Angriffen der Regierungstruppen zu schützen. Im Jahr 1995 hatte die mexikanische Regierung unter Ernesto Zedillo, während einer internen Befragung der EZLN über die Verhandlungen mit der Zentralregierung, eine militärische Offensive zur Ergreifung der Führung der EZLN angeordnet.

Tatsächlich lassen die Ereignisse der vergangenen Monate den Verdacht aufkommen die mexikanische Regierung wolle das "EZLN-Problem" noch vor den nächsten Wahlen im Juli 2006 mit Gewalt lösen. Das chiapanekische Menschenrechtszentrum "Centro Fray Bartolomé de las Casas" berichtet von verstärkten militärischen Bewegungen in den vergangenen zwei Monaten. Dabei handele es sich um die stärksten Truppenbewegungen seit die Armee im Jahr 2001 nach Aufforderung der EZLN sieben Militärcamps auf zapatistischem Gebiet räumte. Das Menschenrechtszentrum schließt daraus es handele sich um eine "taktische Neupositionierung im Rahmen einer laufenden militärischen Kampagne, d.h. die Armee wird nicht zurückgezogen, sondern reaktiviert. Am Dienstag verkündete die Armee auch ganz zufällig 44 Marihuanaplantagen in zapatistischen Gebieten gefunden und zerstört zu haben. Obwohl die EZLN stets geleugnet hat irgendetwas mit dem Drogenkreislauf zu tun zu haben, besteht eine zentrale Strategie der mexikanischen Armee und Geheimdienste seit Anfang an darin, zu versuchen der EZLN eine Finanzierung durch Drogenhandel unterzuschieben und somit, wie im Falle Kolumbiens, eine Bekämpfung der Guerilla und ihrer sozialen Basis mit dem Kampf gegen Drogen zu rechtfertigen. In diesem Zusammenhang ist auch die Aufkündigung der Konten der zapatistischen Unterstützungsstruktur Enlace Civil durch die spanische Bank BBVA zu sehen. Diese hatte vor einem Monat wegen des "Verdachts auf mögliche Geldwäsche" alle Konten der zivilen Hilfsstruktur geschlossen.
Hinzu kommen verstärkte paramilitärische Aktivitäten in den vergangenen Wochen, die in der Vertreibung 15 zapatistischer Familien aus der Gemeinde "Andrés Quintana Roo" mündeten".

Gemäß der Untersuchungen des chiapanekischen Zentrums für politische Analysen und soziale und ökonomische Untersuchungen "CAPISE" hat das Militärs in den vergangenen Jahren mit neuen Camps, Manövern, Kasernen, Patrouillen und neuen Straßen die Biosphäre "Montes Azules", die als strategisches Rückzugsgebiet der EZLN-Führung gilt, eingekreist, was einen "chrirurgischen Eingriff", so der militärische Fachjargon bezüglich einer punktuellen Operation zur Ergreifung oder Vernichtung bestimmter Personen oder Ziele, möglich erscheint. Auch wurde das Gebiet in den vergangenen Jahren mit diversen neuen asphaltierten Straßen durchzogen, während eine weitere die Region entlange der Grenze zu Guatemala umschließt, so dass jederzeit schnelle Truppenbewegungen möglich sind.

Die wegen ihrer reichhaltigen Bodenschätze, enormen Wasserreserven, großen Biodiversität und geostrategisch günstigen Lage für das Kapital äußerst interessante Region Chiapas rückte in den vergangenen Monaten auch wieder stärker in das Interesse der USA und war sicher auch Gesprächsgegenstand während des Mexikobesuchs von Condoleeza Rice im März. Seitdem konzentriert sich der öffentliche Sicherheitsdiskurs um zwei Aspekte. Einerseits die "Grenzsicherheit", in deren Zusammenhang nun verstärkt die Grenze zwischen Guatemala und Mexiko in Chiapas rückt und andererseits der Kampf gegen die organisierte Kriminalität der "Mara Salvatrucha". Ursprünglich an der Westküste der USA entstandene Latinogangs, die sich in Folge von Abschiebungen innerhalb eines Jahrzehnts zu einem transnational agierenden kriminellen Netzwerk verwandelten, das von Los Angeles bis Zentralamerika reicht. Ausgerechnet am 20. Juni, als die Mobilmachung der Zapatisten bekannt wurde, fand in Chiapas ein hochrangiges Treffen zwischen us-amerikanischen FBI-Mitarbeitern und mexikanischen Repressionsorganen statt, um angeblich über das Vorgehen gegen die "Maras Salvatruchas" zu beraten. Nur drei Tage zuvor fand in der Stadt Tapachula sogar ein gesamtamerikanischer Kongress zum Thema "Maras" statt. Auffällig dabei ist aber, das Chiapas von allen zentralamerikanischen Regionen mit am wenigsten von dem Problem der Maras betroffen ist. Offensichtlich aber hat die mexikanische Regierung ein großes Interesse daran, Chiapas als in jeder Hinsicht gefährliches und von Kriminalität durchzogenes Gebiet zu präsentieren, um dann militärische Schritte rechtfertigen zu können.

Der mexikanische Analyst und Autor der linken Tageszeitung "La Jornada", Luis Hernández Navarro, fasste für all jene, die sich über das Vorgehen der EZLN nun überrascht zeigten, die vergangenen Jahre in wenigen Sätzen zusammen: "Der Zapatismus hat es gewußt geduldig zu sein, aber die Geduld hat ihre Grenze. Der Zaptismus hat es gewusst vorsichtig zu sein, aber die Vorsicht darf nicht mit Handlungslosigkeit verwechselt werden. Der Zapatismus ist maßvoll gewesen, aber dies kann nicht darin bestehen stoisch jede Art von Aggression zu ertragen."



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