junge Welt vom 30.03.2005
Ausland
Freihandel – keine Menschenrechte
Mexiko–Europa: EU-Abgeordneter Tobias Pflüger für eine Überprüfung der
bilateralen Beziehungen
Johannes Plotzki, San Cristóbal de Las Casas
Eine Woche reiste der EU-Abgeordnete Tobias Pflüger (parteilos für die PDS)
durch die südmexikanischen Bundesstaaten Guerrero, Oaxaca und Chiapas. Im
Auftrag der Fraktion der Vereinigten Linken im Europaparlament informierte
er sich vor allem über die Situation von Menschenrechtsgruppen und die
Militarisierung des von sozialen Konflikten geprägten Süden Mexikos. Kurz
vor seiner Rückkehr zog er nun eine vernichtende Bilanz der
Menschenrechtspolitik des zentralamerikanischen Landes.
Im Bundesstaat Guerrero traf er den inhaftieren Umweltaktivisten Felipe
Arreaga Sánchez, Gründer der »Ökologischen Bauernorganisation« in der Sierra
Petetlán. Seit seiner Festnahme im November vergangenen Jahres protestieren
Menschenrechtsorganisationen gegen das Verfahren. Das Menschenrechtszentrum
Tlalchinollan etwa bezeichnet die Inhaftierung Arreaga Sánchez’ als »späte
Strafaktion lokaler Cliquen von Holzunternehmern«. Diese arbeiteten eng mit
den kommunalen Regierungsfunktionären zusammen und würden von Militärs
unterstützt. Gaudencio Aguilar Moreno, der den langjährigen Gegner illegaler
Rodungen verteidigt, bezeichnete den Besuch Pflügers im Gespräch mit jW als
»wichtigen Schritt, den Druck auf die verantwortlichen Stellen zu erhöhen«.
Pflüger kündigte seinerseits an, »auf eine deutliche Stellungnahme des
Europäischen Parlamentes« zu drängen – zumal der Fall des Umweltaktivisten
keine Ausnahme ist. Auch im Bundesstaat Oaxaca berichteten Aktivisten linker
Gruppen von Polizeiübergriffen, willkürlichen Gefangennahmen und erfundene
Anschuldigungen gegen Oppositionelle. Menschenrechtsorganisationen zählten
allein in diesem Bundesstaat 20 politische Gefangene.
Schwerpunkt des Besuches in Chiapas war das von der Europäischen Union mit
15 Millionen Euro unterstützte »Projekt zur sozialen, integrierten und
nachhaltigen Entwicklung« (PRODESIS) im Lakandonischen Regenwald an der
Grenze zu Guatemala. Menschenrechtsgruppen und soziale Initiativen
kritisieren das Vorhaben, weil es die spezifischen Probleme in dem
Konfliktgebiet mißachte. In Chiapas läuft seit dem Aufstand der
neozapatistischen EZLN-Guerilla Anfang 1994 ein Krieg niedriger Intensität.
Zudem würde durch das Entwicklungsprojekt der Paragraph 169 der Charta der
Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) unterlaufen. Demnach hätten die
ansässigen Ureinwohner im Vorfeld dieses Projektes konsultiert werden
müssen. »In Anbetracht des Widerstandes der indigenen Gemeinden gehe ich
davon aus, daß die EU sich ernsthafte Probleme einhandelt, wenn sie dieses
Unternehmen weiter aufrechterhält«, sagte Pflüger. Nach seiner Rückreise
will sich der EU-Abgeordnete für ein entsprechenden Mor atorium einsetzen.
»Nach allen Gesprächen in der vergangenen Woche habe ich den Eindruck, daß
zwar ein umfangreicher Freihandel zwischen der EU und Mexiko betrieben wird,
die vertraglich vereinbarte Einhaltung von Menschenrechten aber nicht
beachtet wird.«
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