2. März 2005
Paz y Justicia: Der präsidiale Terror
Ein ehemaliges Mitglied der paramilitärischen Organisation Paz y Justicia aus Chiapas packt aus: Generäle und das Verteidigungsministerium arbeiteten mit der Gruppe zusammen.
Chiapas, 9. Februar 1995: Die mexikanische Armee startet eine Offensive gegen die Aufständischen der Zapatistischen Befreiungsarmee EZLN. Die Streitkräfte marschieren in einige von den indigenen Rebellen kontrollierte Gebiete ein, Tausende von Menschen müssen flüchten. Es ist der erste große Angriff, seit die Regierung mit den Guerilleros im Januar 1994 einen Waffenstillstand vereinbart hat. Den Einsatz befiehlt der oberste Kommandant der Streitkräfte: Mexikos Präsident, Ernesto Zedillo.
Etwa gleichzeitig macht sich in dem südmexikanischen Bundesstaat eine neue Form der Gewalt breit. In zahlreichen Gemeinden greifen bewaffnete Gruppen von Einheimischen die Sympathisanten der zapatistischen Rebellen an. Menschen werden überfallen, vertrieben, ermordet, ihre Häuser werden verbrannt, ihr Hab und Gut wird gestohlen. Meist verfügen die Angreifer über Waffen, die ansonsten nur Soldaten besitzen. Schon damals sei man deshalb davon ausgegangen, dass die paramilitärischen Banden mit einflussreicher Unterstützung rechnen konnten, erklärt Michael Chamberlain vom Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas der Jungle World. "Die Opfer dieser Angriffe haben immer wieder erklärt, dass die Paramilitärs in Komplizenschaft mit der Armee agiert haben."
Dieser Verdacht wurde nun endgültig bestätigt. Mitte Februar veröffentlichten die Menschenrechtler aus der Provinzhauptstadt San Cristóbal de las Casas die Aussagen eines Gesprächs, das die Gruppe mit einem ehemaligen Kommandanten der Organisation Paz y Justicia (Frieden und Gerechtigkeit) geführt hat. Paz y Justicia wird für den Tod von 85 Menschen und das "Verschwinden" von 37 weiteren Personen in den Jahren 1995 bis 2000 im Norden von Chiapas verantwortlich gemacht.
Nach Angaben des Zeugen war der damalige Befehlshaber der Armee in diesem Bundesstaat, General Mario Renán Castillo, sehr eng mit Paz y Justicia verbunden. Er sei maßgeblich am Aufbau der Gruppe beteiligt gewesen, erklärte der Zeuge, dessen Identität aus Sicherheitsgründen geheim gehalten wird. Paz y Justicia war demnach auch für ein Attentat auf den damaligen Bischof der Diözese San Cristobal de las Casas, Samuel Ruíz, und seinen Vikar Raul Vega verantwortlich, das im November 1997 in der Zona Norte stattfand. Die beiden Geistlichen, die für ihren Einsatz für die Rechte der indigenen Bevölkerung bekannt sind, kamen mit dem Schrecken davon.
Auch bei dieser Aktion konnten sich die Paramilitärs auf die tatkräftige Hilfe ranghoher Militärs verlassen. General Juan Bautista sei bereits vor dem Attentat über Ort und Zeitpunkt informiert gewesen, sagte der Zeuge, der selbst an der Aktion beteiligt war. Bautista habe dafür gesorgt, dass die Gruppe trotz ihrer Waffen an der Militärkontrolle durchgewinkt wurde.
Doch Paz y Justicia hat nicht nur im Dunkeln agiert. Die Gruppe war eng an die damals fast in ganz Mexiko regierende Partei der Institutionellen Revolution (Pri) angebunden. Mit Hilfe von Regierungsgeld setzte sie in den Kommunen die Interessen der Partei und örtlicher Eliten durch. Mehr als eine halbe Million Dollar kassierte die Gruppe allein im Jahr 1997 vom Pri-Gouverneur in Chiapas, Julio César Ruiz Ferro. Das Geld war für die Durchführung landwirtschaftlicher Projekte bestimmt, aber ein guter Teil wurde für Waffen, Funkgeräte und Fahrzeuge ausgegeben.
Der heutige Bischof Raul Vera wirft deshalb den Regierenden vor, den Konflikt bewusst angeheizt zu haben. "Die Bundes- und die Landesregierung haben sich geweigert, die sozialen Probleme anzugehen, die den bewaffneten Konflikt erst hervorgerufen haben", kritisiert er. "Sie zogen es vor, einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung zu schüren, der bis heute gravierende Konsequenzen hat."
Auch für das Menschenrechtsbüro Fray Bartolomé de las Casas steht außer Zweifel, dass der ehemalige Präsident Zedillo mitverantwortlich für den Terror der Gruppen ist. Im Rahmen eines "Krieges niedriger Intensität" hätten die Paramilitärs das Ziel gehabt, das gute Verhältnis der Bevölkerung zu den Zapatisten zu zerstören, sagt Chamberlain. "Wir haben ein Schreiben des Verteidigungsministeriums, das dokumentiert, dass sich das Konzept zur Aufstandsbekämpfung auch gegen die Bevölkerung richten soll."
Chamberlains Organisation hat sich nun an die Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) gewandt, um dort die Beschuldigungen anzuzeigen. Der Vorwurf lautet: Verbrechen gegen die Menschheit. "An erster Stelle klagen wir den Ex-Präsidenten Zedillo an." Zudem wurden einige Generäle angezeigt, unter ihnen General Castillo Fernández, der für die Offensive zuständige Kommandant der 7. Militärlegion. Er verfügte über die entsprechende Vorbildung: Er wurde im US-amerikanischen Fort Bragg in psychologischer Kriegsführung und Counterinsurgency-Strategien ausgebildet.
Die CIDH hat den amtierenden Präsidenten Vicente Fox aufgefordert, die Vorwürfe zu verfolgen. Der Staatschef selbst hat das Chiapas-Problem, sprich die EZLN, jedoch jüngst zu einer Angelegenheit der Vergangenheit erklärt. Das aber hindert ihn nicht daran, weiterhin 60 000 Soldaten in 91 Militärlagern in dem Bundesstaat zu stationieren. "Für Fox ist es vor allem wichtig, dass im Ausland der Eindruck entsteht, es gebe hier keine Probleme mehr und Mexiko sei ein Paradies für Investoren", resümiert Bischof Ruíz.
Auch die paramilitärischen Banden sind weiterhin aktiv, allerdings in geringerem Umfang. Seit im Dezember 2000 eine große Parteienallianz gegen den Pri in Chiapas die Macht übernommen hat, setzte sich eine Art friedliche Koexistenz zwischen zapatistischen Kommunen, anderen oppositionellen indigenen Gruppen und regierungstreuen Organisationen durch. An die Stelle von Terroraktionen sind Finanzierungsprogramme der Landesregierung getreten, um den Zapatisten ihren Einfluss streitig zu machen. Es besteht nicht mehr in dem Maße die Notwendigkeit, die Guerilleros in ihrer Offensive aufzuhalten. Im Gegenteil: Die Zapatisten selbst mussten Abwanderungen ganzer Gemeinden hinnehmen und sind vor allem damit beschäftigt, eine soziale und politische Infrastruktur in den von ihnen kontrollierten Kommunen zu organisieren.
Die gewalttätigen Verhältnisse sind geblieben. Immer wieder greifen Mitglieder der alten Pri-Strukturen zapatistische oder andere emanzipatorisch orientierte indigene Kommunen an, wenn es etwa um die Kontrolle der örtlichen Wasserquellen oder die administrative Macht geht.
In der vergangenen Woche wurde nach Auseinandersetzungen um das Bürgermeisteramt in der im Norden gelegenen Region Tila der paramilitärische Führer Samuel Sánchez verhaftet. Er saß bereits im Jahr 2000 im Gefängnis, wurde aber nach sechs Monaten wieder freigelassen, obwohl außer Zweifel stand, dass er am Terror in der "Zona Norte" beteiligt war. Nun habe man neues Beweismaterial aufgetan, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft. Die Strafverfolger werfen Sánchez vor, als hoher Führer von Paz y Justicia für mindestens acht Morde an linken Aktivisten verantwortlich zu sein.
Wolf-Dieter Vogel, Junge World
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