Trotz Repression hat die Autonomie Wurzeln geschlagen

Eine Spurensuche des langen Weges vom zapatistischen Aufstand in Chiapas

Nur etwa eine gute Stunde im klapprigen Kleinbus dauert die Fahrt vom Touristenmekka San Cristóbal de las Casas, im zentralen Hochtal von Chiapas gelegen, um den kleinen Bergort Oventíc im Gebiet der "Los Altos" zu erreichen. Hier im südöstlichen Teil Mexikos schauen die aufständischen Zapatistas bereits auf gut ein Jahr "Gute Regierung" zurück. 10 Jahre nach Beginn des zapatistischen Aufstandes am 1. Januar 1994 hat sich mittlerweile eine autonome Selbstverwaltung etabliert, die nach dem Motto "Fragend schreiten wir voran", versucht für ein besseres Morgen zu arbeiten, ohne zu Wissen wie dieses Morgen genau aussehen mag.

In Oventíc, sowie an vier weiteren Orten im rebellischen Chiapas, wurde am 9. August 2003 eine neue Stufe der autonomen Selbstverwaltung der indigenen zapatistischen Gemeinden erreicht, wobei im Rahmen eines großen Festes mit 10.000 Gästen aus aller Welt die sogenannten "Caracoles" (Schneckenhäuser) eröffnet wurden. Das Bild der Schnecke verdeutlicht die neuen zapatistischen Bemühungen, eine autonome Selbstverwaltung "des gehorchenden Regierens" zu verwirklichen. So sollen durch den Eingang in das Schneckenhaus, der die Tür zu einer kollektiven Entscheidungsfindung darstellt, und in der Spirale des politischen Diskurses alle Stimmen gehört werden, um schließlich im Zentrum zu einem Konsens zusammenzukommen. Umgekehrt werden getroffenen Beschlüsse durch die Spirale des Schneckenhauses wieder in die Welt getragen. In einer Erklärung heißt es dazu:

"So werden die Caracoles wie Eingangspforten in die Gemeinden und Ausgangspforten sein; wie Fenster, damit man uns drinnen sieht und wir nach draußen sehen; wie ein Sprachrohr, um unser Wort weit verbreiten zu können und um das Wort dessen, der fern ist, zu hören. Aber vor allem, um uns selbst daran zu erinnern, dass wir wachsam sein müssen und abhängig sind von allen Welten, die diese Welt bevölkern."

Comandante David unterstrich, dass die "Caracoles" für alle Menschen der Welt zugänglich sind, wobei er hervorhob, dass nichtzapatistische Indígenas, die im rebellischen Gebiet leben, nicht von ihnen ausgeschlossen werden.

Diese an 5 Orten errichteten Holzhäuser stellen seitdem die Sitze der "Guten Regierung" dar. Die "Räte der Guten Regierung", in Abgrenzung zur schlechten Regierung des Staates, setzen sich aus den gewählten Mitgliedern der jeweiligen autonomen, insgesamt 34 Landkreisregierungen zusammen und routieren ein- bis zweiwöchentlich. Die jeweilgen Ratsmitglieder arbeiten ehrenamtlich und werden von ihrer Heimatgemeinde unterstützt, die sich derweil die dort anfallenden Arbeiten aufteilt. Die "Räte der Guten Regierung", ins Leben gerufen, "um dafür Sorge zu tragen, dass auf zapatistischem Territorium in Rebellion derjenige, der befiehlt, gehorchend befiehlt", sind mittlerweile als verwaltende und rechtssprechende Instanz soweit angesehen, dass sich beispielsweise in Rechtsstreitigkeiten auch nichtzapatistische Bauern an sie wenden, um den korrumpierten offiziellen Justizapparat zu umgehen.

Mit der neuen basisdemokratischen Regierungsform, der "Juntas der Guten Regierung", die im politikwissenschaftlichen Sinne am ehesten mit "Räteregierung" zu bezeichnen ist, legt die EZLN (Zapatistische Armee zur nationalen Befreiung) wesentliche Entscheidungsbefugnisse in die Hände der zivilen Selbstverwaltung. In den "Caracoles" wird über Recht, Gesundheit in den Gemeinden, Bildung, Wohnung, Land, Arbeit, Ernährung, Handel, Information und Kultur, sowie den lokalen Verkehr entschieden.

Ausserdem befindet sich in Oventíc eine autonome Schule mit Grund- und Mittelstufe, eine autonome Klinik, sowie verschiedene selbstverwaltete Kooperativeläden und eine Schufabrik. Zum Rückzug der EZLN aus den zivilen Bereichen der Selbstverwaltung kam das Aufheben der Kontrollposten an den Strassen hinzu, an denen bisher die EZLN u.a. auch die Einhaltung des strengen Alkoholverbotes in den zapatistischen Gebieten kontrollierte. Dieses kam auf Initiative der befragten indigenen Frauen und ihren Erfahrungen mit gewalttätigen, alkoholisierten Männern in den zapatistischen Gemeinden zustande.

Doch während die EZLN und die indigenen Gemeinden in Rebellion die Juntas der Guten Regierung einsetzten, und einen weiteren Schritt zum Frieden unternahmen, hat das Militär einen neuen Kreis der Kontrolle und Überwachung geschlossen.

In seinen Informationsbriefen beschreibt SIPAZ (Internationaler Friedensdienst) eine zunehmende Truppenbewegung des Militärs in Chiapas während des vergangenen Jahres, aber auch gleichzeitig ein verstärkter Widerstand gegen die militärische Präsenz.


Die zapatistische Café-Kooperative "Mut Vitz", ein Versuch die Geschichte in die eigenen Hände zu nehmen

Zusammen mit deutschen und schweizer ImporteurInnen des genossenschaftlichen Kleinbauernkaffees der Kooperative Mut Vitz, sowie einem weiteren Wiederverkäufer aus Frankfurt, nahm ich die Einladung der Kooperative an, einer Delegierten-Vollversammlung beizuwohnen und reiste dafür in den Ort "La Estación". Hier , etwa 2 Busstunden westlich von San Cristóbal in den Bergen gelegen, befindet sich das Büro, das Lager und der zentrale Versammlungsort der Kooperative, sowie ein selbstverwalteter Laden einer Frauenkooperative, wo diese ihr Kunsthandwerk verkauft.

Roman Gonzales, der Präsident der Kaffeekooperative Mut Vitz hatte uns eingeladen, an diesem Wochenende an einer Versammlung mit Delegierten aus allen in der Kooperative zusammengeschlossenen Kaffeegemeinden teilzunehmen.(1)

Insgesamt sind KaffeeproduzentInnen aus 32 (teil)zapatistischen Gemeinden beteiligt, die bis zu 48 km vom logistischen Zentrum "Estación" entfernt liegen. Dort wird die Kaffeeernte aller Kleinbauernfamilien gesammelt und anschließend in eigenen, mit dem Mut Vitz-Logo versehenen Kaffeesäcken zur Weiterverarbeitung gebracht. Da auf weiterverarbeitete Produkte sehr hohe EU-Zölle zu zahlen sind, wird der importierte Rohkaffee erst in den Verbraucherländern in kleinen Röstereien geröstet.

Dieses Jahr gehen nach Deutschland 2 Container (= 2 mal 250 Säcke), in die Schweiz und nach Italien ebenfalls 2 Container, nach Spanien und Frankreich jeweils ein Container des biologisch produzierten Mut Vitz-Cafés auf die Reise über den Atlantik.

Für die Kleinbauernfamilien der Kooperative Mut Vitz bedeutet dies, ihren von CERTIMEX als Biocafé zertifizierten Kaffee zu Preisen verkaufen zu können, die über dem Doppelten des seit mehr als 10 Jahren von einer tiefen Preiskrise getroffenen Weltmarktes für Kaffee liegen.

Außerdem gewähren ihnen die Abnehmer, wie z.B. die deutsche Importkooperative Café-Libertad, durch längerfristige Verträge mehr Planungssicherheit. Die Kooperative Mut Vitz steht nach 5 Jahren erst am Anfang, hat sich aber bereits von 26 teilnehmenden Gemeinden auf 32 ausweiten können, in denen 510 Kleinbauernfamilien zu den Produzenten gehören. Diese sind zapatistische Campesinos, die teilweise in gespaltenen Dörfern leben und jegliche Unterstützung seitens der Regierungsbehörden ablehnen, da dies zu Abhängigkeit und weiterer Spaltung führt. Dadurch, dass in den Gemeinden zum Teil auch regierungsnahe PRI-Familien leben, die Regierungsgelder annehmen, ist für die in der Kooperative zusammengeschlossenen Familien dies eine Möglichkeit die sozioökonomische Benachteiligung abzufedern. Doch auch eine andere Bedeutung kommt der Kooperative zu:
"Stärker als angenommen ist die Verkaufskooperative das organisatorische Rückgrat der Familien im Widerstand. Für die Bauern und Bäuerinnen ist die Organisierung in Mut Vitz der praktische Ausdruck ihrer politischen Affiliation und sie definieren darüber ihre rebellische Identität."(2)

Zu Beginn der Delegiertenversammlung in "Estación" wurden wir eingeladen uns vorzustellen und bekamen die Gelegenheit, Fragen zu stellen und zu beantworten.

Dann folgte der organisatorische Teil der Versammlung und später nach Ende des offiziellen Teiles setzten sich einige der gewählten Hauptverantwortlichen mit uns bis spät in die Nacht zum Austausch zusammen, während sich die Delegierten bereits auf dem teils mehrstündigen Fußmarsch zurück in ihre Dörfer befanden.

Die Nacht verbrachten wir mit Bewachung im Versammlungsraum auf druckfrischen Kaffeesäcken aus Jute.

Am nächsten Morgen wurden wir noch vor Tagesanbruch abgeholt und in eines der Kaffeedörfer gebracht. Dort wurden wir, begleitet von einer 15-köpfigen Delegation, ausgestattet mit Macheten und Gummistiefeln, in drei der umliegenden Kaffeepflanzungen geführt. An den Sträuchern hingen noch die Kaffeekirschen für den dritten und letzten Erntedurchgang. Extra für uns wurden ein paar Zweige geerntet. Auch wir durften es mal probieren, gaben uns aber lieber damit zufrieden, die verschiedenen Kaffeesorten voneinander unterscheiden und namentlich zu bestimmen zu können.

Auf dem Rückweg kamen wir zu einem weiß gestrichenem Holzkreuz. An dieser Stelle, unweit des Dorfes, wurde ein Kaffeebauer der Kooperative in Dunkeln auf dem Rückweg von seiner Kaffeepflanzung erschossen. Der Täter, ein Bewohner des gleichen Dorfes, lebt weiterhin als freier Mann in der Gemeinde. Auch hier handelt es sich um eine gespaltene Gemeinde, in der wie so oft in Chiapas, VertreterInnen der unterschiedlichsten Gruppen nebeneinander leben. Der von der Regierung seit mehr als 10 Jahren geführte "Krieg niederer Intensität" gegen die aufständischen Gemeinde (-teile) bringt erhebliche sozio-ökonomische Spannung in die gewachsenen Dorfgemeinschaften, die nicht selten in Gewalttätigkeiten münden.

-----
(1) Bericht zum Besuch auch auf der Homepage der Café Libertad Kooperative GbR, Hamburg: http://www.cafe-libertad.de/besuch04.html

(2) Philip Gerber / Café Rebeldía, Zürich: Preguntando caminamos - Lizenziatsarbeit der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich über die Kaffeekooperative Mut Vitz. 2004. Als PDF: http://www.cafe-libertad.de/preguntando


Hausaufgaben im "Guten Regieren"

Zapatisten: Von den Schwierigkeiten des selbstständigen Gehens

Das gut eine Jahr, in dem die Zapatisten auf ihre selbstgewählte neue Form der autonomen Regierung zurückblicken, reicht sicherlich nicht aus, um an Schreibtischen in Europa oder den USA umfassende Analysen zu Effizienz, Fortschritten und Nachteilen zu erstellen. Was aber getan werden kann, ist die Erfahrungen der Zapatisten wieder zugeben.

Kurz zur Erinnerung: Anfang August 2003 wurden an fünf Orten im rebellischen Chiapas/Mexiko die "Räte der Guten Regierung" ausgerufen. Es handelte sich dabei um Orte, die auch schon vorher als Zentren der Kommunikation und Zusammenkunft, sowie als Schnittstellen der zapatistischen Bewegung mit der Internationalen Zivilgesellschaft gedient hatten. Hier befinden sich Versammlungsräume, autonome Kliniken und Schulen, kollektiv betriebene Handwerksbetriebe und Geschäfte. Was an diesem 10. August im Jahr 2003 neu hinzukam, war an den fünf Orten jeweils ein aus Holz gezimmertes Haus: Der fortan "Caracol" (Schneckenmuschel) genannte Regierungssitz des unermüdlich arbeitenden Rates der Guten Regierung. Diese setzen sich aus einer Delegation gewählter Mitglieder der autonomen Landkreisregierungen zusammen. Alle autonomen zapatistischen Dörfer sind in 34 autonomen Landkreisen zusammengefasst und entsenden jeweils Delegierte in ihren zuständigen Landkreissitz. Jede der fünf Räte ist für eine Großregion des aufständischen Chiapas zuständig und lernt dabei nach dem zapatistischen Motto "fragend schreiten wir voran" alltägliche Kommunalaufgaben in eigener Regie zu betreiben um "sich selbst zu regieren und selbstständig zu gehen, ohne irgendeiner Beteiligung der (offiziellen) Regierung." Die Ausrufung der "Caracoles" und der damit erweiterten Autonomiebefugnisse für die zivile Selbstverwaltung der Zapatisten, war eine de facto Umsetzung derjenigen Zusicherungen, die seitens der Regierung mit den sogenannten Abkommen von San Andrés zwar unterzeichnet, aber nie eingelöst wurden. Autonomie ist bei den Zapatisten nicht als Separationsbestrebung im Sinne eines eigenen unabhängigen (Indigena-) Staates Chiapas miss zu verstehen, sondern eine in der Umsetzung befindliche Einforderung der allgemeinen Menschenrechte ("nie wieder ein Mexiko ohne uns") einerseits, sowie der spezifischen Kollektivrechte für indigene Ethnien andererseits.

Viele Tausende nationale und internationale Gäste aus 43 Ländern haben nun schon diese neue Form der zivilen Selbstverwaltung der Zapatisten in den vergangenen 15 Monaten kennen gelernt. Nicht wenige von ihnen kehren nach Hause mit einer Mischung aus Respekt und Verwunderung. In den Herkunftsländer der solidarischen und interessierten BesucherInnen wird das in Chiapas Erlebte dann in Solidaritätsgruppen und politischen oder kirchlichen Kreisen weitergetragen, diskutiert, bestaunt und oftmals nicht verstanden: "Warum wechseln die Mitglieder der Räte im ein- bis zweiwöchentlichen Turnus, da kann doch keine Kontinuität entstehen", werden sich viele fragen, die mit den Räten Kontakt hatten oder auch nur von ihnen hörten. In seiner neuesten Veröffentlichung, "Ein gelesenes Video", antwortet Subcomandante Marcos auf genau solche Einwände dahingehend, dass es geplant sei, die Arbeit der Räte unter den Mitgliedern aller autonomen Landkreisregierungen rotieren zu lassen. Neben dem Vorteil, dadurch die Korruption zu erschweren, sei es der Zweck, "dass die Aufgabe des Regierens nicht ausschließlich einer Gruppe vorbehalten ist, und es keine ´professionellen´ Anführer gibt, damit so viele Menschen wie möglich sie erlernen, und die Idee, dass das Regieren nur von ´besonderen Menschen´ ausgeführt werden kann, zurückgewiesen wird." Er räumt ein, dass es dadurch schwieriger sei, bestimmte längerfristige Projekte zu realisieren, als Gewinn jedoch ganze Dörfer lernten zu Regieren, es so eine "Schule des Regierens" gebe, "die auf lange Sicht gesehen, in eine neue Art Politik zu betreiben münden wird." Vielleicht steht hier wirklich noch vor einem westlichen Effektivitätsdenkens die Chance, als Regierender noch vor einer Woche in den Lebensverhältnissen gelebt zu haben, um die es bei der Kommunalpolitik geht. Und auch die Gewissheit, nach einer Woche Ratsregierungsarbeit wieder zur Heimatgemeinde und ihren Problemen zurückzukehren. So sagte auch die Gute Regierung der Großregion des Hochlands ("Los Altos") von Chiapas in der Jubiläumsansprache anlässlich des 1. Jahrestages zu 3000 Indigenas und Angehörigen der nationalen und internationalen Zivilgesellschaft, dass sie es sehr gut wisse, in welcher Situation zapatistische Gemeinden sich befinden: "Weil wir in der Form von Widerstand und Rebellion leben und kämpfen, weil wir alle Schläge der schlechten Regierenden unseres Landes aushalten müssen, die mehr Hunger und Elend in unsere Dörfer gebracht haben, mehr Krankheiten und Tod für unsere Kinder, mehr Unsicherheit und Angst für unsere Gemeinden."

Sollten doch eigentlich durch das Rotationsprinzip möglichst viele Menschen "die Aufgabe des Regierens lernen", so ist auch nach einem Jahr "Caracoles" eine Gruppe der zapatistischen Gemeinden daran kaum beteiligt: Die Frauen. Zu der Beteiligung der Frauen, so schreibt der Sub in seinem "gelesenen Video", können die Räte der Guten Regierung "immer noch keinen guten Bericht vorsetzen, betreffs der Schaffung von Voraussetzungen für eine Entwicklung in einer neuen Kultur, die ihre Fähigkeiten und Begabungen würdigt, welche bisher nur Männern zugeschrieben wurden." Die Zahlen sprechen für sich: In den autonomen Räten auf Landkreis- und Gemeindeebene sind durchschnittlich weniger als 1% Frauen beteiligt. Liegt der Prozentsatz in den Geheimen Revolutionären Indigenen Komitees, der militärischen Befehlsstruktur der EZLN, immerhin zwischen 33% und 40%, so werden Frauen jedoch in den zivilen Strukturen, also "bei der Ernennung zu Gemeindebeauftragten und Landkreisdelegierten weiterhin ignoriert". Das liegt oftmals an einem traditionellen Frauenbild, welches verhindert, Frauen solche Posten einzuräumen, die es notwendig machten, das Dorf zu verlassen. Denn "die Frau, die ohne Ehemann oder Kinder reist, wird in ein schlechtes Licht gestellt". Außerdörfliche Aktivitäten können zum Beispiel auch Weiterbildungskurse und Treffen, organisiert von den Ratsregierungen oder Frauenkooperativen, sein.

Entscheidet sich eine Frau dagegen für eine längere Zeit sich der Zapatistischen Armee anzuschließen, dann fällt sie sowieso meist aus dem dörflichen Sozialgefüge heraus und hinterher kommt es zu entsprechenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung. Trotzdem ist der Prozentsatz zapatistischer Kämpferinnen in der EZLN erstaunlich hoch. Dies mag daran liegen, dass ihre Position bei einem Eintritt in die zapatistische Armee für den Zeitraum klarer abgesteckt ist, bei der Übernahme eines politischen Amtes jedoch ein Hin- und Herpendeln zwischen traditioneller Rolle in den Gemeinden und Organisations- , sowie Repräsentativaufgaben außerhalb des Dorfes notwendig wird. Zwar gibt es bereits seit 1993 (!) das "Revolutionäre Frauengesetz", in dem Frauen der Zugang zu "allen die Gemeindeaufgaben betreffenden Ämtern und Posten" zugesichert wird, jedoch fällt die Umsetzung gerade dieses Anspruches in einer hochgradig patriarchalischen Gesellschaftsstruktur - wie in Mexiko allgemein zu beobachten - enorm schwer. Einzig erfreulich in diesem Zusammenhang ist, dass die Gewalt gegen Frauen in den zapatistischen Gemeinden abgenommen habe, was aber auf das, auch im "Revolutionären Frauengesetz" verankerte Alkoholverbot zurückzuführen sei.Eine weitere Zielsetzung wurde laut dem sehr ehrlich gehaltenen Resümee im "gelesenen Video" ebenfalls nur ungenügend erreicht: Die klare Unabhängigkeit der zivilen Selbstverwaltung in den Räten der Guten Regierung von Entscheidungen der EZLN. Waren die Räte eigens dafür ins Leben gerufen worden, um die militärisch-hierarchisch angelegten Entscheidungsprozesse der EZLN auf wirklich nur strategisch relevante Anforderungen zu beschränken und alle Fragen zur Selbstverwaltung zivilen Entscheidungsträgern zu überantworten, "entstand in einigen Caracoles das Phänomen, dass Kommandanten Entscheidungen trafen, die ihnen nicht zustanden und sich in Probleme der Ratsregierungen einmischten."

Die Schaffung der Ratsregierungen hat aber auch "Erfolge" zu verzeichnen, wie im folgenden kurz umrissen werden soll. So findet durch die Räte der Guten Regierungen auch Rechtssprechung statt, die mittlerweile sogar von nicht-zapatistischen Bauern in Anspruch genommen wird, um den korrumpierten offiziellen Justizapparat zu umgehen. Durch eine Kanalisierung der eingehenden Spendengelder kann nun von den Ratsregierungen die gerechte Verteilung dieser Gelder auf möglichst viele verschiedene Projekte und Gemeinden eher sichergestellt werden. So soll es nicht mehr vorkommen, dass bestimmte "Lieblingsgemeinden" der Internationalen Zivilgesellschaft gegenüber anderen bevorzugt werden. Auch fällt einer zentraleren Stelle, wie den Ratsregierungen leichter zu entscheiden, was überhaupt an Hilfe von außen benötigt wird, damit zukünftig völlig deplazierte "Hilfslieferungen", wie beispielsweise ein einzelner hochhackiger Damenschuh der Größe 6 für eine Gemeinde nur mit schlammigen Trampelpfaden nicht mehr Erstaunen und Beschämen bei den Begünstigten hervorrufen muß.

In einem weiteren Punkt sind die Räte der Guten Regierung besonders wichtig: Als praktiziertes Gegenmodell zur offiziellen Regierung und ihren Versuchen den Widerstand auch mit ökonomischen Anreizen zu brechen. In äußerst schwierigen Lebensumständen, wie denen im strukturschwachen Chiapas, fällt es den aufständischen Kleinbauernfamilien leichter den Regierungsprogrammen zu widerstehen, wenn sie sich im Gegenzug an eine eigene, handlungsfähige Regierung wenden können. Ein Mitglied der Guten Regierung des Hochlandes bestätigte, die Bundesregierung wolle "uns mit ihren Programmen und ihrer Politik der Aufstandsbekämpfung schwächen, aber wir haben beschlossen weiterhin Widerstand zu leisten, denn wenn wir schwach werden und die Ressourcen der schlechten Regierung annehmen, werden wir alle eingehen". Deshalb "schärfen wir weiterhin das Bewusstsein, um die schwierigen Situationen anzugehen und weiterhin Widerstand zu leisten, denn der Aufbau unserer Autonomie geht vorwärts, nicht rückwärts."

Die indigene Bevölkerung Mexikos hat über 500 Jahre für Würde, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung gekämpft, und sie wird es notfalls noch einmal so lange tun. Was sind da schon 10 Jahre? Denn "für jene, die wie die Zapatisten auf Jahrzehnte hinaus planen, sind ein paar Jahre nicht viel".


Johannes Plotzki

Erschienen in Contraste, Zeitschrift für Selbstverwaltung, Oktober und November 2004

Johannes Plotzki, studierte Geographie und Politikwissenschaften in Trier, ist zur Zeit bei der Informationsstelle Militarisierung e.V. (IMI) in Tübingen.




-> Startseite Gruppe B.A.S.T.A.