18.10.2004 junge Welt
Interview
»Ohne befehlende Autorität«
Zapatistische Bewegung hat weltweiten Einfluß. Kampf für eine Welt, in der
viele Welten Platz haben. Ein Gespräch mit Gloria Muñoz Ramírez
* Gloria Muñoz Ramírez aus Mexiko-Stadt ist Journalistin und Autorin des
Buches »EZLN: 20 und 10« (Unrast Verlag) über die Geschichte und Entwicklung
der zapatistischen Bewegung. Zur Zeit stellt sie ihr Buch auf einer
Rundreise in europäischen Ländern vor.
F: Seit ihren Anfängen hat die zapatistische Bewegung eine enorme
Ausstrahlungskraft auf viele Bewegungen der Welt. Wie läßt sich das
erklären, und was sind die wichtigsten Aspekte dieser Einflüsse?
Der Aspekt, der am meisten Einfluß auf andere Bewegungen hat, ist die
Organisation von unten. Die Zapatistas praktizieren das Prinzip des
»gehorchenden Befehlens« und schlagen es für die gesamte Gesellschaft vor.
Konkret bedeutet das, daß die Macht von der Basis ausgeht, ohne eine
vertikale Autorität, wobei sie ihre Funktionsträger immer überwacht und
jederzeit ersetzen kann, wenn sie ihre Aufgaben nicht zufriedenstellend
lösen.
Die Zapatistas haben außerdem immer klargestellt, daß man niemals absolute
Gewißheit hat. Sie spielen sich eben nicht als Avantgarde welcher Strömung
auch immer auf, sondern kämpfen für eine horizontale Organisierung, die
Toleranz für alle Denkweisen und Formen des Kampfes einschließt. Ich denke,
dieser Kampf »für eine Welt, in der viele Welten Platz haben«, ist ein
weiterer relevanter Aspekt.
F: Zur Präsentation Ihres Buches sind Sie in verschiedenen europäischen
Ländern gewesen. Sie wollten dabei auch einen Dialog zwischen der
zapatistischen Bewegung und den sozialen Bewegungen in Europa führen. Welche
Erfahrungen haben Sie gemacht?
Ich kann mich noch nicht auf Deutschland beziehen, denn ich beginne gerade
mit einer Rundreise durch 15 Städte des Landes. Aber ich kann über Italien,
Spanien oder Frankreich reden. Die zapatistische Erfahrung lebt dort nicht
nur durch die solidarische Unterstützung der Sache und in den zahlreichen
Projekten, die den Widerstand vor Ort in Mexiko begleiten. Es geht vielmehr
darum, daß die sozialen Bewegungen versuchen, Verbindungen zwischen den
Kämpfen zu knüpfen und einige Vorschläge der Zapatistas zur Diskussion
stellen. Konkrete Beispiele für den Einfluß des zapatistischen Denkens sind
die Bewegung der »disobedienti« (dt.: die Ungehorsamen) in Italien, die
sozialen Zentren sowie die Organisation von Initiativen, die Häuser für
Flüchtlinge oder prekär Beschäftigte besetzen.
F: Angesichts der enormen globalen Probleme: Wofür sollten wir gemeinsam mit
der zapatistischen Bewegung kämpfen?
Die Zapatistas haben vielen von uns beigebracht zu sagen: »Ich weiß nicht«.
Und in vielen Fällen ist es die angemessene Antwort. Wir müssen immer weiter
fragen.
Aber natürlich gibt es grundlegende Linien in ihrem Denken, wie die
generelle Besorgnis wegen des Krieges, den die Mächtigen auf dem gesamten
Planeten führen. Dabei beziehe ich mich nicht nur auf den Krieg mit Waffen
und Armeen, sondern auf den alltäglichen Krieg, den der Neoliberalismus
gegen die Menschheit führt. Es ist ein Krieg, in dem die Indigenen von ihren
angestammten Ländereien vertrieben werden, um den multinationalen Konzernen
Zutritt zu verschaffen. In diesem Krieg werden den Arbeitern ihre Rechte
entzogen und Stück für Stück alle sozialen Errungenschaften vernichtet.
Damit werden die Renten, die Arbeitslosenhilfe und die Unterstützung für die
Kultur verschwinden, in einem Krieg aller gegen alle. Und ich glaube, das
ist Motiv genug, um gemeinsam mit den Zapatistas zu sagen: »Ya basta!« – Es
reicht!
Interview: Luz Kerkeling
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