9.10.2004 * junge Welt - Wochenendbeilage

Harald Neuber

Gotteskrieger recycelt

Über achtzig Jahre waren Staat und Kirche in Mexiko getrennt. Nun soll die Geschichte umgekehrt werden. Trotz Protest ehrt der Vatikan katholische Gewalttäter

Es war die zweite große Revolution im Jahr 1917. Als die Bolschewiki in Rußland endgültig die Macht des zaristischen Regimes brachen, fand auch im entfernten Mexiko ein historischer Umbruch statt. Sieben Jahre nach Beginn der dortigen sozialen Revolution verabschiedete Präsident Venustiano Carranza im Nationaltheater Querétaro die neue Verfassung – eine der fortschrittlichsten jener Zeit. Neben der Verankerung von Bürger- und Menschenrechten wurde die Macht der Zentralregierung auf die Bundesstaaten verlagert und die Justiz als unabhängige Gewalt gestärkt. Über ein Jahrhundert, nachdem mit Miguel Hidalgo ausgerechnet ein katholischer Priester den Unabhängigkeitskampf gegen die spanischen Kolonialherren ausrief und damit den Weg Mexikos zur Moderne ebnete, brachen die Revolutionäre endgültig mit den alten Herrn. Dem Großgrundbesitz wurde das Modell der »Ejidos«, genossenschaftlicher Verwaltung des Bodens, gegenübergestellt. Die Macht der Kirche, von jeher Nutznießerin der kolonialen Gewaltherrschaft, wurde radikal beschnitten. Bis heute bildete Mexiko in dieser Hinsicht eine Ausnahme auf dem lateinamerikanischen Kontinent. Doch seit der Präsidentschaft des Neoliberalen Carlos Salinas Anfang der neunziger Jahre droht diese Geschichte umgekehrt zu werden. Über sieben Jahrzehnte nach der Verabschiedung der revolutionären Verfassung gab Salinas 1992 nicht nur die bis dahin staatlich geschützten Ejidos zur Privatisierung frei. Zugleich nahm er die seit der Revolution ruhenden diplomatischen Beziehungen zum Vatikan wieder auf.

Der Terror der Kirche

Die Kirchenoberen witterten Morgenluft. Viermal hat Papst Johannes Paul II seither Mexiko besucht. Heute findet sich kaum mehr eine Kirche in Mexiko, in der nicht eine Tafel an den Papstbesuch erinnert. So auch in der Kathedrale von Mexiko-Stadt, die nach der brutalen Auslöschung der Ureinwohner ab 1521 aus den Steinen des großen Tempels von Tenochtitlán errichtet wurde. Im indigen geprägten Mexiko war diese Gewalterfahrung seit der Unabhängigkeit fester Bestandteil der Nationalgeschichte. Nicht ohne Grund richtete sich der antikoloniale Befreiungskampf von Beginn an auch gegen die Macht der spanischen Kirche. Mit der Verabschiedung der Verfassung 1917 brach der Dissens offen aus. Nach Jahren massiver und gewalttätiger Auseinandersetzungen erreichte der letzte große Konflikt zwischen dem mexikanischen Staat und der katholischen Kirche 1926 seinen Höhepunkt. Unter der Leitung christlicher Fundamentalisten kämpfte die kleine, gewalttätige Guerillatruppe der sogenannten Cristeros gegen die damalige Regierung unter Elías Calles. »Im Namen Jesus Christus« verübten die Cristeros bis zu ihrer raschen Zerschlagung 1929 Terroranschläge vornehmlich auf Funktionäre der revolutionären Regierung. Bei der Auswahl ihrer Ziele gingen die Gotteskrieger wenig wählerisch vor. Mitunter wurden auch Lehrer in den neuen laizistischen Landschulen gelyncht, weil sie mit ihrer Arbeit »gegen die Gebote Gottes« verstoßen hätten.

Während des »Eucharistischen Weltkongresses« im zentralmexikanischen Guadalajara sollen nun 13 Cristeros selig gesprochen werden. Der Antrag dazu, so heißt es aus der örtlichen Erzdiözese, sei dem Vatikan bereits 1994 – zwei Jahre nach Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen – zugegangen. Die Ehrung der Kirchenkämpfer stößt auf massive Kritik. So steht der mexikanische Philosophieprofessor und Buchautor Edgar González Ruiz mit der Meinung nicht allein, daß die Seligsprechung der Cristeros »vor allem politischen und ideologischen Gründen geschuldet ist«. Während der größte Befürworter der Ehrung, Monseñor Ramiro Valdéz Sánchez, den damaligen Anführer der Guerilleros, Anacleto González Flores, zum »mexikanischen Gandhi« stilisiert, spricht González Ruiz’ Geschichte eine andere Sprache. Nach seiner Recherche »haben die Cristeros ihren Krieg gegen die Regierung schon lange vor der Aufnahme der Kampfhandlungen Ende 1926 vorbereitet«. Die 13 »Märtyrer« seien nicht wegen ihres katholischen Glaubens verfolgt und getötet worden, »sondern weil sie den Staat durch Terrorangriffe destabilisieren wollten«.

Katholische Würdenträger verschließen vor dieser Realität ihre Augen. Zwar gibt Monseñor Valdéz als Promotor der Ehrung zu, daß der Cristero-Chef González Flores an Gewalttaten teilgenommen hat. Allerdings habe dieser sich »dem Willen des Volkes, den bewaffneten Kampf aufzunehmen«, beugen müssen. Geflissentlich übergangen wird, daß sich die Mehrheit der Kämpfer aus Jugendlichen rekrutierte, die nie zuvor eine Waffe in der Hand gehalten hatten und »im Namen Jesus Christus« in den Tod geschickt wurden.

Hilfe des Präsidenten

Diese historischen Tatsachen können nur übergangen werden, weil die christlichen Revisionisten die Unterstützung der amtierenden mexikanischen Regierung genießen. Immerhin gehört Präsident Vicente Fox mit der »Partei der Nationalen Aktion« (PAN) einer politischen Gruppierung an, die zehn Jahre nach dem gewaltsamen Ende der Cristiada unter dem starken ideologischen Einfluß der christlichen Fundamentalisten gegründet wurde. Heute gibt Fox offen zu, daß der Kampf der Gotteskrieger »für mich einen tiefen Wert hat« und »als Beispiel für alle Mexikaner dienen sollte«. Daß dieser Kampf, wie Fox erklärt, »bis heute andauert«, hat man auch im Vatikan erkannt. Beim Antritt des ersten mexikanischen Botschafters im Vatikan drängte Papst Johannes Paul II. umgehend auf die »Einhaltung der Versprechen von Fox«. Gemeint war die Aufhebung des bestehenden Verbots von christlichen Schulen und Massenmedien in Mexiko.

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