junge Welt - 27.09.2004 - Ausland

Krieg niederer Intensität gegen die Zapatistas

Neue Studie über Chiapas vorgelegt: Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit baut Mexikos Militär einen Ring von Stützpunkten um die von der EZLN beherrschten Gebiete auf

Über die genaue Anzahl von in Chiapas stationierten Soldaten wolle er sich nicht äußern. Jede der 91 Militärstationen aber hat Oliver Ninero mit eigenen Augen gesehen. Unter dem Titel »Das Gefangenendilemma« veröffentlichte das »Zentrum für politische Analyse und soziale und ökonomische Forschung« (CAPISE) kürzlich die Ergebnisse der dreizehnmonatigen Forschungsarbeit von Ninero und drei Kollegen.

Seit Beginn des zapatistischen Aufstandes 1994 gehört der südlichste Bundesstaat Mexikos zu den Regionen mit der höchsten Militärdichte in ganz Lateinamerika. Nach der letzten großen Militäroffensive gegen die zapatistische Befreiungsarmee (EZLN) und die sie unterstützenden Dörfer 1998 ist es relativ ruhig geworden in Chiapas. Zumindest, was die offizielle Kriegsführung betrifft. Daß die Rede vom »Krieg niederer Intensität« aber nicht nur von den Lippen linker Menschenrechtsbeobachter kommt, belegt die akribische Studie.

Das Aufstandsbekämpfungsprogramm der mexikanischen Regierung trägt das interne Kürzel DN-2. Zur Anwendung gelangt es in allen drei Regionen innerhalb des Bundesstaates - Nordzone, Hochland und Urwaldzone –, in denen die »Guerilla der Worte« ihre Unterstützungsbasen hat. Die Zapatistas sind vollkommen umzingelt. Während alle fünf Regierungszentren (Caracoles) der zapatistischen Basis von Spezialeinsatzkräften umringt sind, untersteht die gesamte Krisenregion der sogenannten Hammer-und-Amboß-Strategie. Im Falle neuer, von der Guerilla ausgehender Kampfhandlungen könnte diese dabei durch die geballte, von Westen kommende Streitmacht gleichsam zerquetscht werden. Erst im letzten Jahr, kurz nach der Umstrukturierung der prozapatistischen Verwaltungsgremien und ihrer feierlichen Umbenennung in Caracoles am 8. und 9. August 2003, fand die taktische Neugruppierung des Militärs statt. Während das staatliche Informationsinstitut (IFAI) die Umgruppierung des Heeres zur Aufstandsbekämpfung leugnet, können die in San Cristobal de las Casas ansässigen Forscher diese Strategie anhand von Fotos beweisen. Die per Internet an die Regierung gesandten Bilder blieben allerdings bislang ohne Antwort.

In vier Schritten untersuchte die 2001 gegründete Forschungsgruppe die Militarisierung. Bevor allerdings Schlüsse über deren soziale, politische und ökologische Konsequenzen gezogen werden konnten, wurde gezählt und kategorisiert. Die Standorte wurden ausgemacht und die Identifizierung der Heeres- oder Marineabteilungen betrieben sowie deren Operationen beobachtet. »Militärs gibt es überall dort«, resümierte Ninero bei der Vorstellung der Studie und klickt die Powerpoint-Präsentation zum nächsten Schaubild, »wo es Armut und Indígenas gibt«. Mit der Bewertung der militärischen Besetzung, die der örtlichen Bevölkerung vor allem Drogen, Alkohol und Prostitution bescheren, hält sich der Sozialforscher zurück. »In den indigenen Sprachen der betroffenen Gebiete gibt es nicht einmal ein Wort für Prostitution«, sagt Ninero. Im zentralen militärischen Operationsgebiet, auch das ein wichtiges Ergebnis der Forscher, gibt es kaum paramilitärische Gruppen.

In anderen Regionen, vor allem im Norden und um das am weitesten vom lakandonischen Urwald entfernte Caracol Oventic, gab es in den letzten Jahren immer wieder Übergriffe bewaffneter Kommandos auf die Rebellen. Kein Zufall dürfte es sein, daß die allein vom staatlichen Militär kontrollierte Zone die am besten mit Ressourcen ausgestattete ist.

Jens Kastner


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