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Ureinwohner bleiben ohne Rechte
 
 Gestern war der Tag der Ureinwohner - und zwar zum zehnten und  letzten Mal.
 Doch obwohl ihnen mehr Schutz versprochen wurde,  passierte wenig.
 Auch Deutschland sieht untätig zu, wie hiesige  Firmen an der Ausbeutung der Bodenschätze verdienen
 
 VON MATTHIAS URBACH
 
 Gestern beging die UN in der Lobby ihres Hauptquartiers in New York  zum zehnten und letzten Mal den "Tag der indigenen Völker". Doch  viel wird Generalsekretär Kofi Annan nach dieser Dekade der  Ureinwohner, die im Dezember enden wird, nicht vorweisen können. Von  der geplanten Menschenrechtserklärung sind bisher bloß 2 der 47  geplanten Artikel verabschiedet. Das bislang wichtigste Dokument der UN zum Schutz der Interessen von  Ureinwohnern ist die Konvention 169 der Internationalen  Arbeitsorganisation (ILO). Doch obgleich vor 15 Jahren  verabschiedet, ist sie bislang gerade mal von 17 Staaten ratifiziert  worden. Auch Deutschland spielt eine unrühmliche Rolle: Seit Jahren  spielen die Regierungen unter Helmut Kohl und nun unter Gerhard  Schröder auf Zeit. Dabei könnten die indigenen Völker Schutz gebrauchen. Nach  Einschätzung des Dachverbandes der entwicklungspolitischen  Organisationen, Venro, "gehören Ureinwohner zu den wirtschaftlich  und sozial am meisten benachteiligten Bevölkerungsgruppen". Vor  allem Landrechte werden oft nicht anerkannt, Jagdgründe zerstört,  traditionelles Wissen um Heilpflanzen "ohne Einverständnis oder  Gewinnbeteiligung" ausgebeutet. Beispiele für unterdrückte Ureinwohner gibt es viele, und nicht nur  in der Dritten Welt. So befinden sich etwa die weltgrößten Uranminen  in den Indianerreservaten der Cree und Dene im Norden der  kanadischen Provinz Saskatchewan. Allein 12 neue Minen wurden Anfang  der Neunziger genehmigt, gegen den Willen der Ureinwohner, denen  nicht einmal ihr Recht auf "gemeinsame Landnutzung" gewährt wurde.  Dabei wurde dies in historischen Verträgen zugesichert. Ähnlich  ergeht es den Chanty und Mansi in Westsibirien, deren traditionelles  Leben von Jagd und Fischfang dominiert wird. Doch ihr Land bildet  das Gravitationszentrum der russischen Öl- und Gasförderungen - und  die verpestet Flüsse und Seen. In beiden Fällen ist auch Deutschland beteiligt.
 So gräbt laut  Günter Wippel von "Menschenrecht 3000" die Bonner Uranerzbergbau  GmbH in Kanada und Thyssen ist Lieferant für schweres Gerät. Und die  Ruhrgas AG (eine Eon-Tochter) ist beteiligt an der russischen  Gasprom.
 Besondere Aufmerksamkeit errang hierzulande der Bau einer Ölleitung  durch das Gebiet der Quichua in den ecuadorianischen Regenwäldern,  da die Führerin des kreditgebenden Bankenkonsortiums ausgerechnet  die nordrhein-westfälische Landesbank WestLB war. Der letztes Jahr  abgeschlossene Bau wurde nicht nur gegen die Proteste der  Ureinwohner durchgeführt. Er durchquert auch sieben  Naturschutzgebiete und führt entlang vulkanisch aktiver und  erdrutschgefährdeter Zonen - weshalb viele Leckagen zu erwarten  sind. Allein im Mindo-Naturreservat kam es beim Bau zu fünf  Erdrutschen. Zudem zieht die Pipeline bereits Ölerkundungen in den  Regenwäldern benachbarter Volksgruppen nach sich. In Ecuador, wie in Russland und Kanada, stehen hohe und sichere  staatliche Einnahmen durch die Rohstoffförderung meist ihren  Traditionen verhafteten Ureinwohnern gegenüber. Sie können sich kaum  gegen die Übergriffe wehren.
 Nun bieten auch die ILO-Konventionen  keinen völligen Schutz gegen solche Übergriffe. Doch sie verlangen,  dass "eingeborene und in Stämmen lebende Völker in den vollen Genuss  der Menschenrechte und Grundfreiheiten" kommen. Zudem soll der Staat  Maßnahmen zum Schutz von Eigentum, Kultur und Umwelt ergreifen.
 
 In Deutschland selbst gibt es zwar keine Ureinwohner. Würden  Regierung und Bundestag aber der Konvention beitreten, entstünde ein  verbindlicher Rechtsstandard für die Außenwirtschaftsbeziehungen.  Insbesondere Hermes-Bürgschaften für Projekte, die den Lebensraum  von indigenen Völkern zerstören, wären dann ausgeschlossen. Infos zur NGO-Kampagne zur Ratifizierung: www.ilo169.de
 
 taz vom 10.8.2004, Seite 9
 
 
 Clement verschleppt Rechte für Ureinwohner
 
 Grüne und SPD-Entwicklungspolitiker wollen UN-Konvention zur Not  auch gegen den Minister ratifizieren
 
 Die Grünen sowie Entwicklungspolitiker der SPD drängen  auf eine Ratifizierung der Konvention 169 der UN-Arbeitsorganisation  ILO. Doch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement verzögert die  Initiative auf dem Wege der Ressortabstimmung: Seit April prüft sein  Ministerium, wie es sich zum entsprechenden Antragsentwurf der  Abgeordneten Thilo Hoppe (Grüne) und Siegmund Ehrmann (SPD)  verhalten soll. Die Konvention 169 sichert Ureinwohnern Rechte gegen  die Ausbeutung ihrer Lebensräume zu.  Schon vor zwei Jahren hatte der Bundestag die Regierung  aufgefordert, das "Jahrzehnt der indigenen Völker" der UN zu nutzen  und auf eine Ratifizierung hinzuwirken. Weil seit dem nichts  passiert ist, wollen Hoppe und Ehrmann im September einen zweiten  Antrag verabschieden, der "deutlicher" ausfalle. Während Außenamt  und das Entwicklungsministerium ihr Okay gaben, ist Clements Haus  noch immer am Prüfen. Bereits seit 10 Jahren führt sein Ministerium  einen Briefwechsel mit der ILO über Details der Konvention. Hoppe,  der die Briefe eingesehen hat, klagt über "immer wieder neue   Anfragen, die konstruiert erscheinen". Er habe den Eindruck, "da  wird auf Zeit gespielt". Clements Sprecherin selbst antwortete  gestern bis Redaktionsschluss nicht auf eine Anfrage der taz nach  den Gründen. Eine Ratifizierung hätte Auswirkungen auf den Außenhandel: So war  der Bau einer Pipeline durch Ecuadors Regenwälder nach Einschätzung  Hoppes nicht mit der Konvention vereinbar. Er wurde finanziert durch  die NRW-Landesbank WestLB." URB
 
 taz vom 10.8.2004
 
 
 
 
 
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