Angriffe auf die Autonomie
junge Welt 28.07.2004 - Ausland
Mexiko: Staat und örtliche Machthaber bekämpfen die Selbstverwaltung der indigenen Bevölkerung
Trotz vollmundiger Versprechen von Präsident Vicente Fox, zur Beilegung der sozialen Konflikte im Süden Mexikos beizutragen, breitet sich die Gewalt im Land weiter aus. Mindestens fünf indigene Aktivisten sind seit Beginn des Jahres in den südmexikanischen Bundesstaaten Chiapas und Oaxaca nach jüngsten Angaben der mexikanischen Tageszeitung La Jornada aus politischen Gründen ermordet worden. Viele Fälle würden erst gar nicht bekannt.
"Schluß mit der Repression der Regierung", fordern nun die Einwohner des Landkreises Xochistlahuaca im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero. Bereits vor zwei Jahren hatten die Landarbeiter ihre Region aus Protest gegen die andauernde Repression der lokalen Kaziken (indigene Machthaber) und der Bundesregierung für politisch autonom erklärt. Die Bewohner - mehrheitlich gehören sie der Volksgruppe der Amuzgo an - orientierten sich damit an dem Modell der selbstverwalteten Gemeinden der zapatistischen Bewegung in Chiapas. Sie setzten eigene politische Autoritäten ein, die in Vollversammlungen ernannt wurden. Die Unterstützung für die Selbstverwaltung wuchs in Xochistlahuaca in den vergangenen zwei Jahren so stark an, daß die "traditionellen Autoritäten" - so nennen die Aktivisten ihre Funktionsträger - nach kurzer Zeit die bisherige Verwaltung ablöste.
Seit Beginn der De-facto-Autonomie versucht die lokale Oberschicht mit verschiedensten Mitteln, das Heft des Handelns wieder in die Hand zu bekommen. Hauptakteur ist ein Familienclan, der eng mit der ehemaligen Staatspartei der institutionellen Revolution (PRI) verbunden ist. Neben gewalttätiger Repression durch Polizei und paramilitärische Banden werden auch juristische Tricks angewandt: Unter dem konstruierten Vorwurf der "schweren Freiheitsberaubung" gegenüber dem Einwohner Narciso García wurde am 15. Juli Genaro Cruz Apóstol, ein Angehöriger der autonomen Verwaltung, festgenommen. Die Polizei drohte dem Aktivisten gar damit, daß er "verschwinden" würde. Diese Praxis erinnert stark an die Methoden der Guerillabekämpfung während des Widerstandes der Bewegung "Partei der Armen" in Guerrero in den 70er Jahren. Jahre nach der gewaltsamen Niederschlagung dieser Guerilla ist der Bundesstaat nach Angaben des lokalen Menschenrechtszentrums Tlachinollan bekannt dafür, daß das Militär den Drogenhandel mitorganisiert.
So ist letztlich auch die Repression gegen die Autonomiebestrebungen zu erklären. Im Fall des autonomen Landkreises Xochistlahuaca wurden weitere zwölf Haftbefehle gegen Angehörige der autonomen Verwaltung erlassen. Die Hinwendung der Bevölkerung zu den "traditionellen Autoritäten", die inzwischen die Gemeindeländereien, den Friedhof, die Bibliothek, den Markt und die kommunalen Immobilien verwalten, scheint den Staat enorm herauszufordern. Mit ihrem massiver werdenden Vorgehen gegen sie bricht die Regierung nicht nur ihre Versprechen, sondern auch die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation über indigene Selbstverwaltung. Mexiko hatte das Dokument bereits 1990 unterzeichnet.
Trotz der zugespitzten Lage verweigern Vertreter der regionalen und bundesstaatlichen Regierung weiterhin den Dialog mit den Landarbeitern. David Valtierra, Berater der autonomen Verwaltung, setzte im jW-Gespräch auf die internationale Aufmerksamkeit. Sie könne in starkem Maße dazu beitragen, erneute Übergriffe zu verhindern: "Wir rufen zur Solidarität mit unserem Kampf auf", sagte Valtierra, "denn der würdige Widerstand der Ärmsten verfolgt keine Eigeninteressen". Ihr Kampf trage zur Befreiung der unterdrückten Männer und Frauen Mexikos bei. "Wir fordern, daß die Existenz des autonomen Landkreises respektiert wird und die Haftbefehle aufgehoben werden", so Valtierra. Inzwischen haben sich zahlreiche Organisationen aus den Bundesstaaten Oaxaca, Michoacán, Chiapas, Guerrero und Mexiko-Stadt den Protesten angeschlossen.
Luz Kerkeling
|