Palmen und Protest

WTO-Gipfel in Cancún: Der mexikanische Badeort in Aufregung

Anne Huffschmid

Cancún, das Nizza der Karibik, erwartet Anfang September die Konferenz der Welthandelsorganisation. Prominente Gipfelkritiker sollen rund um die Uhr überwacht werden.

Schlangennest soll Cancún in einer der alten Maya-Sprachen bedeuten, also ein eher ungemütlicher Ort. Vor dreissig Jahren war es ein wenig beachteter Streifen Sand am Nordostzipfel der Halbinsel Yucatán. Findige InvestorInnen hatten es zum künftigen Ferienparadies erkoren und binnen weniger Jahre in eine glitzernde Bettenburg zwischen Karibikgrün und blauer Lagune verwandelt. Heute lebt eine halbe Million Menschen mehr schlecht als recht von den jährlich rund drei Millionen TouristInnen, die meisten von ihnen fern von der Hotelzone im "wahren Cancún". Mehr als die Hälfte von ihnen gilt in Mexiko statistisch gesehen als arm.

Aus dem Ferienparadies wird dieser Tage eine Art temporäre Festung. Der Badeort bereitet sich auf die Ministertagung der Welthandelsorganisation (WTO) vor, die vom 10. bis zum 14. September stattfinden wird. Neben den geladenen FreihandelsfreundInnen erwarten die InitiatorInnen des alternativen "Forums der Völker" rund 15 000 GlobalisierungskritikerInnen aus aller Welt. Das Gespenst von Seattle - grosse Proteste hatten zeitweilig den WTO-Gipfel 1999 blockiert - geht auch in der Karibik um. Konferenzzentrum und Hotelmeile auf der kilometerlangen Sandzunge sind schon im Vorfeld weiträumig abgesperrt. Hunderte von ZivilpolizistInnen können leicht die einzige Zufahrtsstrasse kontrollieren. "Links die Hotels, rechts die Krokodile", wie ein Reporter notiert, ist die wenig ermutigende Aussicht für wagemutige DemonstrantInnen. Die gesamte Polizei der Stadt ist im Einsatz, zudem werden 1500 zusätzliche BereitschaftspolizistInnen in und um Cancún in Stellung gebracht, inklusive Wasserwerfer, Bombenexperten und Scharfschützen. Sogar die Einreisebestimmungen wurden letzte Woche, pünktlich zum Karibik-Gipfel, verschärft. Mit einem Mal brauchen die akkreditierten TeilnehmerInnen der fast tausend Organisationen ein Arbeitsvisum für Mexiko. Zeitgleich verlangen die US-Behörden von Transferreisenden nach Cancún zusätzlich ein Transitvisum.

Zwar beteuert der neue Bürgermeister Juan Ignacio García Zalvidea, ein konservativer Grüner, dass von der Polizei "keine Repression ausgehen" werde. Fünf kommunale Plätze stehen für die Gegenveranstaltungen zur Verfügung. Doch die Erinnerung an den Februar 2001 ist noch frisch, als bei einem regionalen WTO-Treffen in Cancún hunderte von DemonstrantInnen von Polizeitrupps verprügelt und festgenommen wurden. Ein Teil der GipfelgegnerInnen - wie die Bauern vom transkontinentalen Bündnis Via Campesina - hat bereits angekündigt, sich nicht an die verfügte Bannmeile um das Konferenzzentrum halten zu wollen. Anders als das Netzwerk "Our World is not for sale" wollen sie zum Auftakt am 10. September direkt vor die Tore der WeltunterhändlerInnen marschieren.

Mobilisiert ist offensichtlich auch der mexikanische Geheimdienst. Wie die Tageszeitung "Reforma" berichtete, sollen auch prominente GlobalisierungskritikerInnen wie Naomi Klein, Noam Chomsky, Ignacio Ramonet, Vandana Shiva, José Bové oder Toni Negri in Cancún rund um die Uhr überwacht werden. Säuberlich unterscheidet der Geheimdienst auf seiner Most-wanted-Liste der GlobalisierungskritikerInnen auch nach dem Grad der Radikalität: Während Chomsky oder dem US-amerikanischen Grünen-Politiker Ralph Nader und dem früheren kubanischen Wirtschaftsminister Osvaldo Martinez eine "moderate" Haltung bescheinigt wird, firmieren andere wie die ecuadorianische Indioführerin Blanca Chancaso oder Federico Mariani aus Italien als "ZapatistenunterstützerInnen" und "Ultras". Auch die den Grünen nahe stehende Heinrich-Böll-Stiftung aus Deutschland will der mexikanische Geheimdienst offenbar ins Visier nehmen. Als einzige Deutsche soll Stiftungsmitarbeiterin Silke Helfrich auf der ominösen Liste stehen.

Und wenn die WTO-UnterhändlerInnen Mitte September weiterziehen, bleibt Cancún, das Schlangennest, sich wieder selbst überlassen. Was fehlende Regulierung privater Investitionen bedeutet - eines der umstrittenen Themen des Gipfels - liesse sich hier am Karibikstrand nur unschwer erkennen. An die 150 Hotels, vier Fünftel davon von internationalen Firmen betrieben, erwirtschaften mit ihren 26 000 Betten heute ein Drittel sämtlicher aus dem Tourismus erzielten Devisen Mexikos. Kein anderer Küstenstreifen ist derart zugebaut, verseuchtes Abwasser sickert ins Grundwasser. Die Behörden reagieren hilflos, Baugenehmigungen werden weiterhin erteilt. Und aus dem Umland drängen Arbeitssuchende in die Ferienfabrik, die jedoch ohne Englisch- oder Computerkenntnisse kaum einen Job ergattern können. So wachsen Armutsgürtel und Schattenwirtschaft nicht nur in Yucatán, während jemand wie der ehemalige Regierungschef des Bundesstaates Quintana Roo, Mario Villanueva, heute wegen Drogengeschäften im Hochsicherheitstrakt von Mexiko-Stadt sitzt.

Quelle: http://www.woz.ch/wozhomepage/oekon/cancun35j02.htm

Anmerkungen der Direkten Solidarität /Schweiz:

- Das regionale Treffen in Cancún im Februar 2001 war kein WTO- sondern ein lateinamerikanisches WEF-Treffen.

- Die Anfahrtswege nach Cancún werden wohl ebenfalls stark überwacht werden. Die Willkür der mexikanischen Behörden zeigte sich letzte Woche, als eine Buskarawane mit LehrerInnen nach Chiapas einreisen wollte, um die dort für ihre Stellen kämpfenden LandschullehrerInnen zu unterstützen. Polizei und Aufstandsbekämpfungseinheiten blockierten die Karawane und zwangen sie zur Umkehr.



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