Junge Welt vom 19.06.2003
Billiger Kaffee
Mexiko: Konzerne drücken Erzeugerpreise und entziehen Zehntausenden Bauern die Lebensgrundlage
Von Jan Braunholz
Wie jedes Jahr ernteten die Mitglieder der seit 1997 bestehenden Kooperative "Mut Vitz" (Berg der Vögel) im mexikanischen Bundesstaat Chiapas von Dezember bis März ihren Kaffee. Doch in diesem Jahr bekommen sie einen noch schlechteren Preis für die Bohnen als in den vergangenen Jahren. Die Zwischenhändler, genannt Coyotes, zahlen den Kooperativbauern lediglich sechs bis acht Pesos für das Kilogramm Pergamino (geschälter Kaffee). Elf Pesos waren im Januar etwa ein US-Dollar. An den Kaffeebörsen in New York und London pendelte der Preis in den vergangenen zwei Jahren um die 50 bis 60 US-Dollar pro 100 Pfund.
Grund für das niedrige Preisniveau ist ein Überangebot an Kaffee aus Vietnam. Das Land konnte durch Fördermittel aus den USA und von der Weltbank seinen Ernteertrag erheblich steigern und auf den Weltmarkt werfen. Um das dadurch entstandene Überangebot aufzufangen, wurde auf Treffen der kaffeeproduzierenden Länder (APPC) eine freiwillige Exportminderung um 20 Prozent beschlossen.
Mexiko, das nicht Mitglied dieser Assoziation ist, schloß sich dennoch dieser Vereinbarung an. Das Land war außerdem von einer Strafmaßnahme wegen angeblich schlechter Kaffeequalität betroffen. Dies bedeutete einen zusätzlichen Preisabschlag von 20 US-Dollar pro 100 Pfund. Verantwortlich dafür sind, so Fernando Celis von der Nationalen Vereinigung der Kaffeeorganisationen Mexikos, die Konzerne Amsa, Expogranos, Café California/Neumann, Becafisa, Altria und Nestlé, die den weltweiten Kaffeehandel bestimmen. Sie führten sogar billigen Robusta-Kaffee (aus den zwei Hauptsorten Robusta und Arabica wird weltweit der meiste Röstkaffee gemischt, d.R.) aus anderen Ländern nach Mexiko ein, um den Preis niedrig zu halten. Allein der schweizerische Nahrungsmulti Nestlé soll etwa 110000 Sack importiert haben.
In Tapachula, einem Zentrum des Kaffeeanbaus in Chiapas, demonstrierten bereits vor zwei Jahren Mitglieder der Kooperative ISMAM gegen die Preispolitik, insbesonders von Nestlé. Doch die Krise ist nicht neu. Nach der Auflösung des Inmecafé, des nationalen mexikanischen Kaffeeinstituts im Jahre 1989, gerieten die Kaffeebauern, zu 80 Prozent Indigenas, völlig in die Abhängigkeit der großen Kaffeehändler und Konzerne. Bis dahin hatte Inmecafé den Aufkauf und die Vermarktung geregelt.
Wegen ihrer katastrophalern Lebensbedingungen erhob sich 1994 in Chiapas unter Führung der Zapatisten die indigene Bevölkerung. Aber auch die neue Regierung von Vincente Fox machte keine Zugeständnisse. Sie präsentierte im Gegenzug einen Investitionsplan für die südöstlichen Regionen, genannt Plan-Puebla-Panama, der den Ausbau einer "Ersatzverbindung" für den Panamakanal und die Schaffung weitere Freihandelszonen mit Maquilas, den berüchtigten Billiglohnfabriken, die für den Weltmarkt produzieren. Doch das wird den Bauern und Tagelöhnern der Kaffeefincas kaum helfen. Etwa 20000 haben bereits 2001 Chiapas verlassen, so Luis Herrera Solis von der Staatlichen Kaffeevereinigung COSCAFE, um in den USA zu arbeiten. Inzwischen gibt es Schätzungen, wonach bis zu 500000 Menschen, die im Kaffeeanbau Geld verdienten, und insgesamt 1,5 Millionen Menschen in ganz Mittelamerika aufgrund der Agrarkrise migrierten.
Doch auch die Lage in den Billiglohnfabriken verschärft sich. Seitdem China Teilmitglied in der WTO ist, produzieren dortige Arbeiter zu einem Fünftel des mexikanischen Lohnniveaus (zirka drei US-Dollar am Tag). Viele der im sogenannten Maquila-Belt ansässigen Textil- und Elektronikbetriebe sind bereits nach China abgewandert.
Ein wenig Hoffnung machen den etwa 600 Mitgliedern der Kooperative "Mut Vitz" die Erfolge, die Sie mit fairen und alternativen Handelsorganisationen in den USA, Deutschland und der Schweiz erzielen. Diese zahlen zur Zeit etwa doppelt soviel pro 100 Pfund, wie auf dem Weltmarkt zu erlösen sind. Hinzu kommt ein Bio-Aufschlag. In diesem Jahr gelang es, die gesamte Ernte zu exportieren. In Deutschland wird der Kaffee von der Hamburger Kooperative Café Libertad unter Anderen in Weltläden vertrieben. Dort gibt es auch Kooperativenkaffee von anderen indigenen Produzenten aus Oaxaca und Chiapas, der von Gepa und Mitka importiert wird.
Den Großteil der Ernte müssen die Produzenten jedoch weiterhin über die Coyotes an die großen Kaffeehandelshäuser verkaufen. Und da zahlt nach Aussagen der Bauern beispielsweise Nestlé nur sechs Pesos für den Pergamino-Kaffee. Doch selbst dies ist dem Konzern zu teuer. Ein Skandal ist auch, daß Nestlé seit kurzem ein eigenes Anbauprojekt bei Veracruz durchzieht. 2019 will das Unternehmen bis zu einer Million Sack Robusta ernten, was mehr als die derzeitige mexikanische Arabica-Kaffeeproduktion ist. In Lateinamerika dominiert der Konzern schon bis zu 80 Prozent vom Kaffeemarkt, und die Lage für die Produzenen verschärft sich zunehmend. Dies war auch Thema bei den Agrarverhandlungen zwischen Bauernorganisationen und mexikanischem Staat. Ende Januar gingen über 100 000 Agrarproduzentinnen und- Produzenten in Mexiko-City für ihr wirtschaftliches und reales Überleben auf die Straße.
* www.dwhffm.de
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