Bericht vom Chiapas/Zapatista-Treffen auf dem BUKO 26 in Bremen
Von: pcl@nexgo.de
Wenn man von einer spontanen, aktionsbezogenen Zusammenkunft am Rande des BUKO25 im letzten
Jahr absieht, liegt das letzte bundesweite treffen der "zapatistisch Bewegten" wohl mehrere
Jahre zurück. So wurde - der Initiative von 2 Gruppen und einer Einzelperson entspringend -
der
diesjährige BUKO in Bremen (06.-09.06.2003) genutzt, um zu einer AG "Solidarität mit den
Zapatistas und Indigenas von Mexiko" einzuladen. Da nicht überschaubar war, welche
Gruppen/Personen mit welchen konkreten Interessen die Einladung annehmen würden, wurde das
Programm weitestgehend offen gehalten. Insofern lag etwas Spannung über dem Treffen - wer
würde
kommen und wie würde unsere Diskussion verlaufen ?
Die erste Überraschung bestand in einer für die Ausgangssituation unerwartet hohen
Teilnehmerzahl: über 30 Vertreter von Gruppen bzw. Einzelpersonen u.a. aus Aachen, Berlin,
Biberach, Bremen, Dortmund, Dresden, Freiburg, Gießen, Hamburg, Münster, Oldenburg und
Stockach
waren anwesend. Die zweite Überraschung waren unvorhergesehene Bereicherungen des
Programms:
Neben einem Dia-Vortrag frisch zurückgekehrter Campamentistas, die an der
Menschenrechtsdelegation in die Montes Azules im April teilgenommen hatten, waren auf dem
Treffen Compaņeras aus Chiapas, Oaxaca und von der Ya-Basta-Gruppe Lausanne zu begrüßen.
Nachdem diese Compaņeras zuvor am Barrio latino zapatista anlässlich der Proteste gegen den
G8-
Gipfel teilgenommen und eine Veranstaltung in Freiburg bestritten hatten, machten sie einen
"Abstecher" zum BUKO nach Bremen. Der Samstagvormittag bot Raum für ihre platicas und eine
ausgiebige Diskussion (siehe unten).
Der ursprünglich als "Reservezeit" vorgehaltene Samstagnachmittag wurde durch die
Diskussion
"aktionsbezogener Formen und Inhalte" voll in Anspruch genommen, ohne dass die Diskussion
zu
einem Abschluss kommen konnte. Im Ergebnis dessen entstand das dringende Bedürfnis, das
Gespräch auf einem Strategie-Seminar im Oktober fortzuführen und mit einem Aktionsplan zu
vertiefen. Von den diskutierten Punkten sind die Absichten hervorzuheben, eine "Infothek"
aufzubauen und eine Frauendelegation nach Mexiko-Stadt, Oaxaca, Guerrero und Chiapas zu
organisieren. Ferner wurde über die europaweite Ley-Indigena-Initiative gesprochen, bei der
bis
zum 15.08.2003 Unterschriften für eine Petition gesammelt werden, mit der anschließend der
neu
gewählte mexikanische Kongress zur Novellierung des im April 2001 in verstümmelter Form
verabschiedeten Gesetzes aufgefordert werden wird (zwecks Beteiligung an der
Unterschriftensammlung bitte an die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko wenden -
MexMRKoordination@gmx.de). Mit der "Infothek" ist eine Liste an Videos, Powerpoint-
Präsentationen, gedruckten Materialien und ggf. Referenten gemeint, die für Veranstaltungen
ausgeliehen, abgerufen bzw. angefragt werden können. Diese Übersicht soll auf der Homepage
der
Gruppe B.A.S.T.A. aus Münster (http://www.gruppe-basta.de/) postiert und laufend
aktualisiert
werden, so dass sie für jedermensch zugänglich ist.
Auch wenn nicht alle Ziele erreicht wurden, teils aus Zeitmangel, teils wegen der bewusst
offen
gehaltenen Tagesordnung, wurde das Treffen in einer Abschlussrunde als sehr erfolgreich
bewertet. Die Fortsetzung folgt im Oktober !!
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Die indigenen Gäste waren zwei Tojolabal-Frauen von der Sociedad Civil en Resistencia
(Zivilgesellschaft im Widerstand) aus Chiapas und eine Vertreterin der Coordinadora
Nacional
de Mujeres Indígenas (Nationale Koordination indigener Frauen) innerhalb des Nationalen
Indigenen Kongresses (CNI) aus Oaxaca. Eine der Compaņeras aus Chiapas stellte die
Wichtigkeit
der Verzahnung zwischen Zapatistas und der Zivilgesellschaft heraus und fasste diese
nunmehr
seit über 9 jahren existierende Beziehung mit den treffenden Worten zusammen: Ohne
Zivilgesellschaft gäbe es heute keine EZLN (die zapatistische Befreiungsarmee) und ohne
EZLN
gäbe es keine Zivilgesellschaft (in der heutigen Form).
Die andere Compaņera berichtete über eine seit 9 Jahren bestehende Kooperative, zu der
neben
ökonomischen Projekten ein Frauenzentrum gehört, das Frauen in 5 Tojolabal-Gemeinden bei
ihrem
Kampf gegen die sehr unmittelbare Unterdrückung durch die männlichen Mitglieder der
Gemeinden
und durch ihre eigenen Ehemänner unterstützt. Diese Unterdrückung reicht vom Ausschluss aus
dem
politischen Leben des Dorfes über Einschränkung der Bewegungsfreiheit (Verbote zu reisen
bzw.
im Dunkeln das Haus zu verlassen) bis hin zu physischer Gewalt. Am dem Kampf gegen diese
Unterdrückung beteiligt sich das Frauenzentrum in Form von von talleres (Workshops), in
denen
die Frauen über ihre Rechte aufgeklärt und zu deren Beanspruchung ermutigt werden. Ein
weiterer
Schwerpunkt der Arbeit des Frauenzentrums besteht in der Dokumentation von Missbräuchen,
die im
Zusammenhang mit den als Sozialmaßnahmen kaschierten Kontrollmaßnahmen der Regierung
betrieben
werden. Unter der Bedingung, dass sie in "medizinische Betreuung" einwilligen, werden ihnen
150,- Pesos pro Monat überlassen (die dann häufig von ihren Männern vertrunken werden). Zur
"medizinischen Behandlung" gehört nach Recherchen des Frauenzentrums neben respektloser
Behandlung durch das medizinische Personal die Verabreichung längst verfallener
Medikamente,
Impfungen ohne Information darüber welcher Art dies Impfung ist und chirurgische Eingriffe
ohne
Einwilligung, die sich z.T. als Zwangssterilisation herausstellen. Ein Boykott von solchen
staatlichen Programme, wie er von den zapatistischen Gemeinden praktiziert wird, führt
regelmäßig zu Drohungen bis hin zu Morddrohungen, was ein bezeichnendes Licht auf den
"Hilfscharakter" derartiger Programme wirft.
Die Compaņera vom CNI forderte eine Entmystifizierung des Bildes der Indigenas und
erinnerte
daran, dass die Indigenas nicht auf Chiapas beschränkt sind. Gleichwohl wurde im Jahr 1996
mit
dem (von der Regierung zwar unterschriebenen, aber nicht umgesetzten) Abkommen von San
Andrés
eine neue Qualität bei den Forderungen der Indigenas erreicht worden, denn sie seien
erstmals
in der Geschichte Mexikos als gemeinsame Forderung aller 46 Ethnien formuliert worden. In
bewegenden Worten wies sie u.a. darauf hin, dass ein "Atlas des Widerstandes" ein sehr
vielfältiges Bild wiedergeben würde, und das die Entwicklung in Mexiko als ein Kampf zu
verstehen sei, bei dem im Voranschreiten auch immer wieder interne Widersprüche gelöst
werden
müssen.
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