Bericht vom Friedensmarsch der EZLN, März 2001

„La Marcha Zapatista“ ...eine Karawane für einen würdigen und gerechten Frieden in Chiapas, ein historisches Ereignis mit Höhen und Tiefen, eine gigantische Dauerdemonstration mit mexikanischer und internationaler Beteiligung, ein prominentenfixiertes Medienspektakel und ...zahlreiche Geschichten mit offenen Enden.

„Y La Selva Se Movió - Und der Dschungel bewegte sich“ (1)

Seit dem vergangenen Dezember mobilisierte die EZLN für ihren Plan, den chiapanekischen Urwald sieben Jahre nach Beginn ihres Aufstandes zu verlassen und sich auf den Weg durch 12 mexikanische Bundesstaaten bis in die Hauptstadt zu machen, um für ihre Forderungen und Vorschläge zu werben, die neue Friedensverhandlungen zwischen Regierung und Guerilla ermöglichen sollen: Rückzug der Armee aus 7 von 259 Militärbasen in Chiapas, Freilassung aller zapatistischen Gefangenen sowie Umsetzung der Abkommen von San Andrés über indigene Rechte, Kultur und Autonomie. Bisher sind nur 4 Stützpunkte geräumt und noch immer sind über 60.000 Soldaten, ein Drittel der gesamten Armee, in Chiapas stationiert. In den Gefängnissen vegetieren noch Dutzende Zapatistas und das bereits 1996 ausgehandelte Vertragswerk ist medienwirksam von Präsident Vicente Fox dem Parlament vorgelegt worden, die Umsetzung lässt jedoch weiter auf sich warten, wobei zahlreiche Abgeordnete Widerstand angekündigt haben. Die EZLN betrachtet diese drei Punkte als leicht umsetzbare „Signale“, deren Erfüllung sie von der Regierung verlangt, bevor sie zu Friedensverhandlungen bereit ist. Der Friedensmarsch, an dem die 24-köpfige Comandancia der EZLN unbewaffnet teilnahm, richtet sich vor allem an die Zivilgesellschaft, die so in den politischen Prozess eingebunden werden soll, um die mexikanische Linke und die Indígena-Bewegung zu stärken.

An zweiter Stelle sollen die verantwortlichen Parlamentsabgeordneten dazu bewegt werden, eine Änderung der mexikanischen Gesetzgebung zugunsten der noch immer stark benachteiligten Indígenas umzusetzen. Um diesen Forderungen politisch Nachdruck zu verleihen und die Sicherheit der zapatistischen Delegation zu gewährleisten, wurde die mexikanische und internationale Zivilgesellschaft aufgerufen, sich an der zweiwöchigen Karawane zu beteiligen.

Die Karawane

Wir brechen relativ kurzentschlossen am 22. März hier auf, um zwei Tage später an der großen Auftaktkundgebung in San Cristóbal De Las Casas, der zweitgrößten chiapanekischen Stadt, nahe des Lakandonischen Urwaldes, teilnehmen zu können. Bei der Einreise am Flughafen Cancun, einer hässlichen touristischen Stadt aus der Retorte, werden wir im Gegensatz zu einigen KubanerInnen, die auch in unserer Schlange beim Zoll stehen, nicht kontrolliert und überfreundlich mit „Alles gut!“ auf deutsch angesprochen, nachdem wir unseren „Erste-Welt“-Reisepass gezeigt hatten. Regierung und Unternehmer wollen den Tourismus in Mexiko weiter ausbauen und auch die deutsche Reiseindustrie beteiligt sich daran mit aufwendigen Werbekampagnen und Artikeln in „Reisemagazinen“ wie z.B. „Geosaison“, die vor inszenierten Fotos, enormen Verharmlosungen der politischen Situation („Mexiko. Ein Land, das einfach gute Laune macht.“ Geosaison 2/2001), kolonialistischer Sprache und rassistischen Stereotypen nur wimmeln.

Vom Flughafen reisen wir mit dem Bus weiter durch die Bundesstaaten Yucatán, Quintana Roo und Tabasco und können im Vorbeifahren sowohl „attraktive“ touristische Städte und große Fincas(2) als auch starke Armut beobachten, denn in Mexiko müssen etwa 50 % der Bevölkerung in Armut leben.

In Chiapas angekommen akkreditieren wir uns in San Cristóbal beim Koordinationskomitee des „Marsches der Würde“, welches von regionalen AktivistInnen und Internacionalistas - sprich Zivilgesellschaft - organisiert wird und bezahlen etwa 250 DM für unsere Busplätze nach Mexiko-Stadt und zurück (ca. 6000 km). Zunächst gilt es jedoch, mit einer begeisterten Menge von über 10.000 Einheimischen, hunderten TouristInnen und einem riesigen Presseaufgebot die 24-köpfige Comandancia der EZLN in San Cristóbal zu begrüßen, ihren Worten zuzuhören und sie für ihren weiteren Weg zu verabschieden. Mit der sehr verspäteten zapatistischen Delegation treffen gegen 22 Uhr über 5.000 vermummte Indígenas aus den zapatistischen Unterstützungsbasen ein, woraufhin der Versammlungsplatz völlig überfüllt ist und die Menschen in die Nebenstraßen ausweichen müssen. Es ist für uns etwas seltsam und sehr angenehm, dass während der gesamten Veranstaltung keinerlei Aggressivität zu spüren ist und staatliche „Sicherheitskräfte“ kaum zu sehen sind - unvorstellbar in Europa. Die Veranstaltung dieser Nacht wird deutlich länger als die der folgenden Tage dauern, denn neben den solidarischen Reden von VertreterInnen der regionalen Zivilgesellschaft und den Erklärungen der Delegation werden hier zudem Rituale zelebriert, mit denen die EZLN-Delegation von ihrer Basis verabschiedet wird: Der Comandancia werden die mexikanische Staatsflagge und die schwarz-rote „Fahne des Kampfes“ der Zapatistas überreicht, die sie im weiteren Verlauf der Karawane stets während jeder gesamten Kundgebung halten werden. Zum Abschluss des Abends werden dementsprechend auch die mexikanische Nationalhymne und die „Himno Zapatista“ gesungen, was uns als Libertären unangenehm ist. Im Hinblick auf Geschichte und Gegenwart Mexikos sollten derartige Gesten jedoch differenziert betrachtet werden, denn ein wichtiges Ziele der Zapatistas ist die Gleichberechtigung der Indígenas in Mexiko, sie wollen Teil der Gesellschaft sein, ohne dass sie dabei ihre Einzigartigkeiten aufgeben müssen. Es geht den Zapatistas nicht um eine indigenistische - und somit ethnisierende - Reconquista, sondern um eine Welt, in der alle Welten Platz finden, wie Subcomandante Marcos, Sprecher der EZLN, es einmal ausdrückte.“(3)

Die folgende Nacht wird wie alle Nächte während der Karawane sehr kurz und nach 4 Stunden Schlaf klingelt der Wecker und es geht los. Wir benötigen etwa eine Stunde Fußmarsch (übrigens der Einzige während des ‚Marsches’), um den Treffpunkt am Rande der Stadt zu erreichen. Im Morgengrauen bietet sich eine wunderschöne Szene, denn links und rechts unseres Weges, der gesperrten Hauptstraße, verweilen die companer@s der zapatistischen Unterstützungsbasen und wir grüßen uns solidarisch und bewegt. Der Aufbruch eine Stunde später durch das „Spalier“ der GenossInnen gibt uns ein nahezu euphorisches Gefühl und erweckt bei uns den Eindruck, dass die Bewegung sehr lebendig ist.

Die erste Station ist Tuxtla Gutiérrez, die Hauptstadt von Chiapas mit über 300.000 EinwohnerInnen, wo bereits ab den ersten Behausungen der Stadt viele Menschen am Straßenrand die über ein Dutzend Busse und etwa 2.000 TeilnehmerInnen der Karawane begrüßen. Der überwiegende Teil wirkt sehr freundlich und einige erheben ihre Faust und senden uns zustimmende und aufmunternde Blicke zu. Nach einigem Zögern winken wir zurück und es lohnt sich, den ein oder anderen Blickkontakt zu halten, bei einigen Menschen ist sofort ein Lächeln und somit eine solidarische „Verbindung“ für ein bis zwei Sekunden da. Viele eilen den Bussen hinterher, zum zentralen Platz der Stadt. Es gibt auch distanzierte Menschen am Straßenrand und es sind auch ein oder zwei „Fuck off!“-Rufe auszumachen. In den Zeitungen ist zu lesen, dass es mehrere Todesdrohungen gegen Subcomandante Marcos sowie die gesamte Comandancia gibt, woraufhin die Überwachung durch die Bundespolizei (aus einem gewissen Abstand) vom Präsidenten erhöht wird. Nachdem wir unseren Bus verlassen haben und auf dem mit mindestens 10.000 Menschen gefüllten Platz angekommen sind, hat die Comandancia schon die Bühne erklommen und die Veranstaltung beginnt. Die längste und sehr flammende Rede hält eine Vertreterin der regionalen Zivilgesellschaft, die in einer Art Rundumschlag das Ende der Unterdrückung der Indígenas und der Armen und die Abkehr von der neoliberalen Wirtschaftspolitik generell fordert und sich positiv auf die EZLN, die internationale kritische Zivilgesellschaft und die Aktionen gegen die rücksichtslose ökonomische Globalisierung bezieht. Dieser Bezug konkretisiert sich in den folgenden Tagen, denn in Cancun/Mexiko, wo das Weltwirtschaftsforum (WEF) am selben Wochenende tagt, kommt es im Rahmen friedlicher Demonstration zu erheblichen Brutalitäten der Polizei von Yucatán, die sogar Präsident Vicente Fox kritisiert, der sich seit seinem Amtsantritt stets als Heilsbringer für alle MexikanerInnen - Reiche wie Arme, sogar für die Indígenas - aufführt.

Eben jenen Fox, Ex-Chef von Coca-Cola-Lateinamerika, bezeichnen die Delegierten der Zapatistas in ihren Reden als einen Lügner, der einen unwürdigen Schein-Frieden erschleichen wolle, um das lästige Zapatista-Problem loszuwerden, damit internationale InvestorInnen keine Scheu mehr vor dem ‚schmuddeligen’ Mexiko haben müssen. Fox ist tatsächlich geschickt, vor allem im Umgang mit Medien, und seitdem er den Marsch auf die Hauptstadt, die fulminante zivile Offensive der EZLN, nicht mehr verhindern konnte, da ein Verbot gewiß zu Spannungen geführt hätte, begrüßt er die „indigenen Brüder“ und heisst die Zapatistas in der Hauptstadt willkommen, um so den Eindruck zu erwecken, die Friedensinitiative ginge von ihm aus und ein etwaiges Scheitern von Verhandlungen liege an der Starrköpfigkeit der EZLN.

Das zentrale Thema der zapatistschen Reden während dieser und der folgenden Veranstaltungen sind immer wieder die Ungerechtigkeiten, die der indigenen Bevölkerung in den letzten Jahrhunderten aufgezwungen wurden und die es zu beenden gilt. Nach einer guten Stunde Aufenthalt in Tuxtla setzt sich die Bus-Demonstration, die während ihrer gesamten Reise von Hubschraubern beobachtet wird, wieder in Bewegung und passiert einen Gefängnis-Neubau sowie einige Dörfer, in denen sich eindrucksvolle Szenen abspielen: Obwohl die Karawane diese Dörfer nur durchquert ohne anzuhalten, haben die Menschen Bühnen mit Lautsprecheranlagen und aufwendigen Transparenten gestaltet, welche die „Zapatour“ willkommen heißen und hochleben lassen. Oft werden uns auch Wasserflaschen, Obst u.ä. in die Busse gereicht. Durch einige TeilnehmerInnen, die einfach kurz aussteigen, entstehen Lücken im Konvoi, was von den für die Busse Verantwortlichen nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen stark kritisiert wird und sich danach auch schnell bessert. Am Abend erreichen wir schließlich die Stadt Juchitán im Bundesstaat Oaxaca, wo unter großer Anteilnahme der Bevölkerung die zentrale Kundgebung des Tages abgehalten wird und die durchaus als ein typisches Beispiel für eine Veranstaltung gelten kann. Der Platz ist mit vielen Transparenten geschmückt, es werden linke Zeitungen, Souvenirs wie T-Shirts und Anstecker, nichtalkoholische Getränke und kleine Snacks verkauft, es herrscht so etwas wie „Volksfeststimmung“, nur dass uns keine aggressiven und betrunkenen Menschen auffallen. Die außerparlamentarische Bewegung lebt und ermöglicht durch ihre Solidarität diesen fast absurden Marsch einer unbewaffneten linken Guerilla durch ein Land, in dem die Regierung und die Reichen über die Hälfte der Bevölkerung bevormunden und unterdrücken. Beeindruckend. Neben vermummten Zapatistas, den Gesichtern von Emiliano Zapata, Subcomandante Marcos, Che Guevara und dem nicaraguanischen Revolutionär Sandino sind auf den Transparenten Grußbotschaften von Indígenagruppen, Gewerkschaften, Frauengruppen und linken und libertären Organisationen zu erkennen. Nach der Veranstaltung gibt es auch meistens Essen und Getränke für alle. Hier in Juchitán verteilen sich die Karawane-TeilnehmerInnen in der Stadt, wir übernachten auf einem Platz in der Innenstadt. Bei den folgenden Übernachtungen haben wir mehrmals aber richtig gut organisierte Unterkünfte mit der Möglichkeit zu Duschen u.ä..

Die Nächte bleiben kurz, die zwei bis vier Stunden Schlaf werden durch Dösen im Bus, in dem wir täglich etwa 10 Stunden verbringen, etwas aufgefangen. An den folgenden Tagen nehmen wir jeweils an zwei bis drei Tagesveranstaltungen und einer Hauptkundgebung am Abend teil, die ,grob betrachtet, recht ähnlich verlaufen, sich jedoch gerade im Hinblick auf Stimmung und Größe unterscheiden. Ein Höhepunkt ist sicherlich unser Aufenthalt in Puebla, die bis dato größte Veranstaltung, wo die Sympathien der Bevölkerung schlicht euphorisch sind und eine unglaublich gute Stimmung herrscht. Zwischendurch diskutieren wir mit Menschen aus der „ersten Welt“ unsere Rolle als Internacionalistas während dieses Marsches und unser Verhältnis zur Delegation und den Basis-Zapatistas. Das Meinungsspektrum schwankt zwischen der Einschätzung, wir seien lediglich StatistInnen und die EZLN konzentriere sich „nur noch“ auf die indigene Frage sowie andererseits der Feststellung, dass wir uns als Karawane auch artikulieren könnten und darüberhinaus freiwillig hier seien, um Menschenrechtsarbeit zu leisten und später kritisch darüber zu berichten. Die anfangs eher spärlichen internationalen Kontakte zwischen den TeilnehmerInnen nehmen unserer Einschätzung nach während der Karawane deutlich zu und allein die spontane Aktion eines Menschen, der frühmorgens auf einem Dudelsack die „Himno Zapatista“ spielt, nachdem wir mit über 2.000 Menschen in der riesigen Sporthalle der sehr solidarischen Universität von Puebla genächtigt hatten, sorgt für großen Jubel, einen Stimmungsschub trotz der Frühe und gute Laune!

Die Comandancia übernachtet übrigens stets etwas abgeschottet, von einem zivilen Schutzgürtel ihrer Sicherheitsleute und z.T. weiterer Internacionalistas umgeben, ein direkter Kontakt findet nicht statt.

Ab dem dritten Tag besteht die Karawane aus mehr als 40 Fahrzeugen und 2.500 Personen und in unserem Bus, der international gut gemischt ist und in dem auch MexikanerInnen mitfahren, findet beispielsweise eine kleine „Singstunde“ statt. Immer wieder gibt es Gespräche über die Lage im eigenen Land und es wird viel gelacht. Ein Mann aus Nordamerika sorgt allerdings für Irritationen, als er nach Tagen fragt, was die Buchstaben e-z-l-n denn symbolisierten. Die übrigen MitfahrerInnen wissen jedoch sehr wohl, warum sie hier sind.

Es gibt aber auch sehr unerfreuliche Ereignisse im Rahmen der Karawane: Im Bundesstaat Oaxaca gibt es Drohungen und Sachbeschädigungen von Menschen, die gegen den Marsch sind, woraufhin ein Busunternehmen seine Busse zurückzieht und neue organisiert werden müssen, vom Staat angebotene Busse werden nicht angenommen. Auf einigen Fincas machen Menschen eifrig Notizen, welche Busse passieren, und die Busunternehmen fürchten, dass weitere Racheaktionen folgen könnten. Ein Bus mit ca. 40 Menschen aus Chiapas verlässt bereits nach einigen Tagen die Karawane und kehrt zurück, wobei es Gerüchte gibt, die besagen, dass die Leute nicht mehr wussten, was sie bei der Karawane sollten und einige sich fragten, ob sie sich von der starken Präsenz aus dem Ausland eingeschüchtert fühlen oder unzufrieden mit ihrer Delegation waren. In der Stadt Ixmiquilpan werden wir am Rande der Kundgebung nach unserer Meinung über Subcomandante Marcos ausgefragt uns geben uns neutral (dazu wurden wir für solche Situationen von den OrganisatorInnen aufgefordert), was sich als nicht völlig ungerechtfertigt erweist, denn diese Männer sind knallharte EZLN-Hasser, die uns dann aber in Ruhe lassen. Besonders schockierend ist aber der „Bus-Vorfall“, von dem bis heute nicht sicher bekannt ist, ob es ein Unfall oder ein Attentatsversuch gegen den Bus der EZLN-Delegation war. Ein Bus der Karawane war scheinbar außer Kontrolle geraten, hatte einen Motoradpolizisten getötet und war kurz vor dem EZLN-Bus zum Stehen gekommen, nachdem er mehrere Fahrzeuge und er einen PKW des Zapatistischen Informationszentrums gerammt und schwer beschädigt hatte und darin wie durch ein Wunder kein Mensch umkam. Der Busfahrer war jedoch sofort verschwunden und auch die Bremsen waren intakt.

Nach dem Zusammenstoß bildeten die TeilnehmerInnen der Karawane stundenlang einen Sicherheitsgürtel, bis sich die Lage beruhigt hatte. Die EZLN bedauerte den Tod des Polizisten und forderte die Aufklärung des Falles.

Nach einer Woche, in der unsere Kontakte mit den TeilnehmerInnen des Marsches durchaus zugenommen haben und wir vielschichtige Eindrücke und Einschätzungen erfahren haben, verlassen wir die Karawane, um nach Oaxaca zurückzufahren, um dort eine Freundin zu besuchen, unsere Eindrücke durch eine Auswertung der Presse und Diskussionen zu komplettieren.

Im örtlichen Menschenrechtsbüro werden wir zudem noch einmal mit den Geschehnissen von Cancun konfrontiert, als ein Student seine schweren Verletzungen am Kopf und auf der Innenseite seiner Oberschenkel dokumentieren lässt.

Mexiko ist ein Land der Gegensätze, schöne Landschaften, schöne (Innen-)Städte und im nächsten Moment Armut und brutale Repression. Aus der Distanz erfahren wird dann, dass der Marsch mit einem triumphalen Einzug in

Mexiko-Stadt endet, doch uns stört die Fixierung der Medien auf Subcomandante Marcos, der aber in der Tat von Teilen der Bevölkerung in einem Personenkult verehrt wird, und seinen Gegenspieler Fox. Die Zukunft ist unsicher, es scheint eher unwahrscheinlich, dass die Regierung die drei Signale, die die EZLN fordert, umsetzt. Mitte März berichtet die mexikanische Zeitung La Jornada über die Wiederaufnahme von Luftpatroullien in Chiapas und über Aktivitäten der dortigen Oligarchie, die den Zapatistas die Umverteilung des Landes nie verziehen hat, und die Rückreise der Delegation verhindern und ihr Land zurückhaben will.

Fazit

Die Karawane der Würde war im Sinne ihrer mobilisierenden Kraft und des Austausches ein Erfolg für die außerparlamentarische Bewegung, es bleibt aber fraglich, wie dieses Kapitel der Geschichte weitergehen wird. Wir haben nicht daran teilgenommen, um die Zapatistas „revolutionsromantisch“ abzufeiern. Wir waren aus Solidarität mit einer Bewegung von Marginalisierten, die sich organisieren und gegen ihre Situation wehren, dort. Es war uns wichtig, dass der Marsch ein Großereignis wird und Druck auf die Regierung ausübt. Wir wollten dazu beitragen, der Öffentlichkeit zu vermitteln, dass der internationale Widerstand gegen den Neoliberalismus präsent ist. Des weiteren könnte eine Umsetzung der Verträge von San Andrés dazu beitragen, dass der indígenen Bevölkerung, die seit Jahrhunderten ausgebeutet und dezimiert wird, etwas weniger Ungerechtigkeit wiederfährt.

Dies könnte zudem als Präzedenzfall für andere Staaten mit indigener Bevölkerung wirken. Wir wollen aus erster Hand berichten, um den Lügen der Regierung und der Prominentenfixierung der Medien etwas entgegenzusetzen.

Und schließlich waren wir auf Einladung der Bewegungen dort, um zur Sicherheit dieses Großereignisses beizutragen. Auf die in Deutschland in kleinen Teilen der radikalen Linken geführte Diskussion, ob die Zapatistas neuerdings eine ethnizistische Politik verfolgen, reagierten die GenossInnen in Mexiko mit großem Unverständnis, da die EZLN und ihre Basis ihrer Meinung nach die größte antirassistische Bewegung Mexikos darstellen. Die Flagge würde benutzt, um gleiche gesellschaftliche Rechte für Indígenas und explizit alle Marginalisierten einzufordern und nicht, um alle „völkisch“ gleichzumachen oder rassistisch die Grenzen Mexikos abzudichten. Wir beharren in unserem Austausch auf unserer Kritik am Patriotismus, was vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte von den Compas sehr gut verstanden wird, können aber trotzdem ein kritisch-solidarisches, gutes Verhältnis zur pro-zapatistischen Linken in Mexiko beibehalten.

Die zapatistische Karawane war eine Ansammlung von vielen Geschichten und nicht nur eine Geschichte von Fox und Marcos. Es wurden Kontakte geknüpft, vor allem an der Basis, was sicherlich für viele Menschen wichtig war und sie auch in ihrem politischen Engagement weiter voranbringen wird.

Es lebe der Austausch und die Solidarität aller um Emanzipation kämpfenden Menschen!

Gruppe B.A.S.T.A. März 2001

1 Slogan auf einem in Chiapas weitverbreiteten Plakat, das zum Friedensmarsch mobilisierte.

2 Finca: größerer Landbesitz in privater Hand, besonders im Süden Mexikos ein Sinnbild für die krasse Ungleichverteilung des gesellschaftlichen Reichtums.

3 „Nein zur kulturellen Hegemonie, nein zur kulturellen Homogenität, und nein zu allen Arten von Hegemonie und Homogenität“. Subcomandante Marcos beim interkulturellen Treffen „Wege der Würde: Indigene Rechte, Erinnerung und Kulturerbe“ am 12. März 2001.