Verstrickungen und der große Fang:
Knüpfen am zapatistischen Netz
Bericht vom 2.Interkontinentalen Treffen gegen den Neoliberalismus und für die Menschlichkeit, 25.Juli bis 3.August 1997 im Spanischen Staat
Der Auftakt
An einer Schule hing das große bunte Bienvenidos-Transparent, Freitag abend kamen wir in San Sebastian de Los Reyes bei Madrid an und schliefen auf der Wiese neben dem Fußballplatz voller Zelte. Die umstrittene Akkreditierung konnte komischerweise erst am Samstag nachmittag stattfinden, Karten wurden selbstverständlich mit Namen, Foto, Stempel versehen, was eigentlich anders beschlossen war. Bis zum Abend hatten sich dann einige tausend Menschen eingefunden und mit Einbruch der Dunkelheit ging dann auch endlich die Begrüßungveranstaltung los, im kulturgemäßen Ambiente der örtlichen Stierkampfarena. "Keine Welt mehr ohne unsere Welt" war einer der ergreifendsten Sätze, die die eingeflogene Zapatistin Daria vorlas und der das Motto des Treffens irgendwie angemessen umriß. Ansonsten viel Pathos und für europäische Augen & Ohren viel revolutionäre Romantik. Und die Sinnesorgane waren meist europäisch, mit denen da aufgenommen wurde, etwa 6% der angemeldeten TeilnehmerInnen waren aus Lateinamerika, Afrika, Asien. Der afrikanische Vertreter wurde jubelnd begrüßt, der schlechte Schnitt für ein interkontinentales Treffen blieb unerwähnt, wie überhaupt auf trübende Einflüsse oder Widersprüche offensichtlich verzichtet werden sollte. Nicht sprechen durfte z.B. der europäische MRTA-Sprecher Velazquez, obwohl T-Shirts und Sprechchören zufolge ein großes Interesse an der peruanischen Guerilla Tupac Amaru nicht wegzuleugnen war, von der politischen Brisanz mal ganz abgesehen.
Am nächsten Tag demonstrierten etwa 5000 Menschen bei 35°C im Schatten (den es nicht gab) durch Madrid. Hier fanden russische AnarchistInnen neben brasilianischen Umweltverbänden und italienischen Autonomen ungeniert pluralistisch nebeneinander Platz, dominiert wurde das Bild jedoch zuerst leider von Cuba-Solidaritätsgruppen. Leider, weil Che nicht Marcos ist, auch wenn beide sich als Popikonen eignen, und weil das Neue des zapatistischen Aufstands im Verbund mit traditionellen, staatsfixierten und autoritären Revolutionskonzepten eben nicht zur Geltung kommt. Mit der guten Stimmung von der Euro-Marsch-Demo in Amsterdam konnte aber auch dieser transnationale Aufmarsch allemal mithalten. Abends gings dann im extra gecharterten Sonderzug zu den sechs verschiedenen, thematischen Arbeitsgruppen, mesas genannt (mesa=Tisch), die im ganzen Spanischen Staat verteilt stattfanden.
Die Arbeitsgruppe
Priorat, zwei Zugstunden von Barcelona entfernt, ist ein traumhafter Ort. In den katalanischen Bergen, umgeben von Weinbergen und Olivenhainen, auf dem liebevoll gestalteten Gelände eines ehemaligen Weinguts, fand der mesa 3, "Die Kämpfe um Kultur", statt. Eigentlich sollte hier die Landfrage behandelt werden, aber die OrganisatorInnen in Spanien waren sich nicht wohlgesonnener als deutsche Fraktionen Linksradikaler sich sind, und so war der Unmut aus Barcelona & Umgebung über die Themenzuteilung aus Zaragoza nicht zu überhören. Verbittert schien jedoch niemand, die OrganisatorInnen waren ja wir alle und Selbstorganisation, gerade in dieser Größenordnung, läuft eben selten ohne Kämpfe und Widersprüche ab.
Etwa 80 Leute aus zehn verschiedenen Nationen, viele aus Italien und Spanien, ungefähr gleich viele Männer und Frauen, sponnen hier am von den Zapatistas vorgeschlagenen Netz der Widerstände. Unsere Diskussionen kamen ohne kadermäßige Leitung aus, wie es sie in anderen mesas immer wieder gegeben hat, im Vordergrund stand der Prozeß des Austauschs, nicht das politische Effektivität behauptende Ergebnis. Erstaunlich, wie so unterschiedlich motivierte und vor allem so vielsprachige Menschen so gut miteinander reden konnten. Alle Beiträge wurden mindestens ins Englische und Spanische übersetzt, und es wurde über den Umgang mit Massenmedien im Kampf um Selbstbestimmung und über kulturelle Identität gesprochen.
*Was tun mit den Erfahrungen, daß Ereignisse, die nicht massenmedial verbreitet werden, quasi nicht stattfinden? Überholt geglaubte Bemühungen um Gegenöffentlichkeit und Versuche, irgendwie subversiv mit großen Medien zusammenzuarbeiten, wurden gleichermaßen an Beispielen diskutiert, ohne daß sich jemand der Illusion hingab, "wir" könnten "die Medien" wirklich benutzen oder gar manipulieren. Klar ist, daß Diskussionen wie diese in Gruppen von über dreißig Leuten platter verlaufen, als die in Büchern. Dafür aber unheimlich lebendig.
*Auf welche Kultur berufen oder beziehen wir uns im Kampf gegen neoliberalistische Homogenisierungen? Ist Identität Stärke zur Einforderung von Rechten oder die Falle der Ausgrenzungsideologie, wann und wie ist Identität Waffe oder Käfig? Die Ausgangspunkte können da ja unterschiedlicher kaum sein, indianische Widerstandstraditionen in Chiapas oder den USA stehen bekanntermaßen deutscher Volkskultur immer diametral entgegen, eine prinzipielle Ablehnung jedes geschlossenen, dominanten oder zur Dominanz drängenden Kulturkonzeptes schien aber in dieser Arbeitsgruppe konsensfähig.
Aus Italien wurde das Konzept autoproduzioni vorgestellt, das nichts mit Autos aber viel mit postfordistischen Produktionsbedingungen zu tun hat, den wirtschaftlichen Verhältnissen in denen wir leben und den Möglichkeiten von Selbstbestimmung, Selbstverwaltung und eigener Lebensgestaltung darin oder daneben. Zur Vertiefung oder gemeinsamen Strategien konnte es leider schon aufgrund der knappen Zeit nicht kommen. Aber wir werden voneinander hören. Nach vier Tagen fuhr wieder der Sonderzug mit den meisten der 4500 TeilnehmerInnen zum nächsten Großereignis, diesmal von Madrid über Barcelona und Priorat nach Utrera, ganz im Süden Andalusiens. Eine weitere Stunde von dort entfernt ist das besetzte Land El Indiano, auf dem die Abschlußveranstaltung stattfand. Dezentralität kostet Zeit, die nie verloren ist, beim nächsten Mal aber vielleicht mit weniger Zugfahren genutzt werden könnte. Wichtig wie immer bei solchen Treffen, die Gespräche am Rande, zwischen den Gruppentreffen kiffend am Pool mit Blick über Mandelbaumfelder zum Beispiel und das starke Panorama in Grünbraun, gemeinsames Kochen und gediegene Speisen im Schatten, hartnäckiges Grillenzirpen beim Abendplenum und später mit den companer@s zur Fiesta ins nahegelene Dorf: der optimale Politurlaub. Und ebenjenes, La Serra DŽAlmos, ist seit der spanischen Revolution 1936 selbstverwaltet und seine BewohnerInnen erfreuten sich unserer Anwesenheit. Ein Vortrag in Priorat von VertreterInnen des Dorfes über deren Entscheidungsstrukturen und das gemeinsame Feiern stellten zumindest eine ungewöhnliche Verbindung von Tradition und Neuer Sozialer Bewegung her.
Der Abschluß
Im Unterschied zu anderen Guerillas luden die Zapatistas nicht zur Waffenergreifung im lakandonischen Urwald, sondern sind interessiert am globalen Austausch von Menschen, die sich lokal gegen die Unterdrückungsstrukturen des schwerdefinierbaren Neoliberalismus zur wehr setzen. In El Indiano wurden den ganzen Tag lang die Ergebnisse der Abeitsgruppen verlesen, alle Papiere sind im Internet nachzusurfen. Das anstrengende Zuhören in Hitze und zustimmender Harmonie wurde unterbrochen, als ein Mann im Rolli vom Podium aus darum bittet, den Stand der französischen TierrechtlerInnen abzuräumen, weil diese Bücher und Plakate von Peter Singer auslegten und verkauften. Jener australische Anthropologe hält das Töten "behinderter" Kinder für legitim und die australischen Ureinwohner Aborigines für "minderwertig". Das erklärte eine Singer-Gegnerin dem Plenum, nachdem schon Plastikflaschen geworfen worden waren, weil nach aufgebrachtem Hin & Her beide Parteien zu Wort kommen sollten. Als danach einer der Tierrechtler die ihm bekannten Vorwürfe entkräften wollte, hinderten ihn in autonomer Manier Pfiffe und Lauteres daran, und: er gab, wie ebenfalls üblich in solchen Situationen, den Faschismusvorwurf zurück an die, die ihn nicht zu Wort kommen ließen. Es wäre auch verdächtig gewesen, hätte es gar keine Reibereien gegeben, denn der programmatische Pluralismus der Zapatistas zeigt sich ersteinmal allen antikapitalistischen Strömungen und Sekten offen. Offene Widersprüche sind also notwendig, um zum Beispiel Gedankengut der Neuen Rechten wie in diesem Fall weder salon- noch barrikadenfähig werden zu lassen. Ein Einlenken unter dem Banner der Toleranz, wie dann von einer integrierenden alten Dame des Zapatismus beschworen, bringt in Wirklichkeit niemanden weiter (zusammen). Im Unterschied zum ersten "Intergalaktischen" im vergangenen Jahr in Chiapas, trafen Feministinnen sich diesmal nicht als Untergruppe der "Zivilgesellschaft", sondern waren in eigenständigen Frauen-mesas organisiert - wegen des berechtigten Protests. Inwieweit die TeilnehmerInnen aus 47 Nationen - was gut klingt aber die eurozentrische Besetzung doch verschleiert - sich und ihre Hoffnungen effektiv vernetzen konnten, bleibt abzuwarten. Mit einigen aufgefüllten Seiten im Adressbüchlein und mit intensiven Begegnungen mit Zapatsimusbegesiterten aus anderen Kämpfen im Kopf und anderswo sind vermutlich alle aus Südspanien abgefahren. Von politischer Außenwirkung in der Tradition des Vietnam-Kongresses von 1968 in Berlin, wie der SOZ-Redakteur und parteilose PDS-Abgeordnete Winfried Wolf im Hinblick auf ein solches Treffen im Erdteil der Eroberer zu hoffen wagte, kann vermutlich nicht die Rede sein.
subcompanero petz
(gruppe B.A.S.T.A./ Münster)
erschienen in: graswurzelrevolution Nr.221, September 1997.
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