Kommunique von Subcomandante Marcos u.a. zu den Vertreibungen in Montes Azules

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ZAPATISTISCHE ARMEE DER NATIONALEN BEFREIUNG

México, 29 Dezember 2002.

An diejenigen, die es angeht:

Grüße. Ja, Kälte und Regen umfassen uns hier mit ihrer Umarmung, und nicht einmal ein Lagerfeuer aus all den Kritikschreiben, die an mich (uns) gerichtet worden sind, reicht aus um uns auch nur halbwegs zu wärmen. Das muss an der Mittelmäßigkeit der meisten liegen.

Natürlich gibt es solche und solche. Einige wollen angestrengt, dass wir uns entschuldigen. Und nicht für die angebliche Sympathie zur ETA (die, wie jeder, der auch nur ein wenig Weitsicht und Schamgefühl besitzt weiß, weder in der Theorie, noch in der Praxis besteht). Nein, wofür wir uns entschuldigen sollen ist, das wir das Thema verlassen haben, in das SIE uns klassifiziert haben, soll heißen: die Zapatisten können und dürfen nur über die indigene Frage reden. Jedes andere Thema, national oder international, ist uns untersagt. Und da wir in den letzten sieben Briefen die indigene Frage verlassen haben (haben wir das?) folgt daraus, dass wir die Neo-Kommissare der "guten Manieren" um Verzeihung bitten müssen. Fehlt nur noch, dass sie uns im gleichen arroganten und griesgrämigen Tonfall anweisen, die Ellbogen vom Tisch zu nehmen, und im Beisein seiner Majestät nicht zu rülpsen.

Und schließlich müssen wir uns ja auch entschuldigen. Aber nicht bei ihnen, nicht bei dem kleinen König, auch nicht bei Aznar oder Felipillo (bei Garzon, nur wenn er die Debatte gewinnt). Wenn wir uns bei jemanden entschuldigen müssen, dann bei der edlen Bevölkerung von Navarra, und das, weil sie aufgrund eines Fehlers beim Schreiben des Briefes, der in den Kreisen der mexikanischen und spanischen Intellektuellen soviel Enthusiasmus hervorgerufen hat, vom baskischen Volk abgesondert worden sind. Also, an die Bevölkerung von Navarra, unsere aufrichtige Entschuldigung: Navarra ist baskisch. Gora Nafarroa! Gora Euzkera! Gora Iparralde! Gora Hegoalde!

Nicht alle Kritiken sind so, noch waren das alle. Denn man muss gerechterweise sagen: nicht alle mexikanische Intellektuellen sind damit beschäftigt sich selbst auf die Schulter zu klopfen und sich gegenseitig zu gratulieren ("Ich habe eine Kopie meiner Kolumne sogar Felipe geschickt. Er wird mich sicher auf die Liste der Kandidaten für den Preis des Prinzes von Asturien setzen. Ja? Sicher, aber meine Etceteras gegen den Maskierten schienen mir völlig überragend...") Nein, einige verstehen durchaus, was um sie herum geschieht, und sie wissen genau, dass Bitterkeit und Verzweiflung steigen. Sie wissen, dass sich der Terror (von oben und von unten) von dieser Kombination ernährt. Sie wissen, dass wenn das passiert, es keine Kriegserklärung oder Kommuniques, noch kitschige und/oder dramatische Briefe geben wird, und auch niemanden, den man für schlechte Manieren oder Erziehung beschimpfen kann.

Ah, die Intellektuellen der Macht! Ständig bemüht jene von oben zu verstehen und freizusprechen, und jene von unten zu richten und zu verurteilen.

Aber es gibt Intellektuelle in Mexiko und auf der Iberischen Halbinsel, die den Fallen der Macht ausweichen. Genau wie die Intellektuellen in den Vereinigten Staaten, die mutig Bushs irrsinnige Kriegstreiberei denunzieren, obwohl man sie beschuldigt mit Bin Laden zu sympathisieren. Oder die Israelis, die sich weigern die Massaker zu unterstützen, die von ihrer Armee verübt werden, ohne dadurch zwangsläufig die Handlungen der Palästinenser zu unterstützen.

Natürlich hat sich in der Unruhe des Augenblicks (wie viele Comandantes haben mich verlassen!), zwischen den Beschimpfungen und Ermahnungen zum guten Benehmen (alle vergeblich) von Intellektuellen und Kolumnisten, die mexikanische Regierung dazwischengedrängt, und versucht nun mehrere Dörfer zu räumen, die sich, getrieben von Krieg und Armut, gezwungen sahen, sich in den sogenannten Montes Azules niederzulassen. Und das waren nicht alle, noch sind es die einzigen.

Zum Beispiel leben etwa 160 Zapatisten in dem neuen Dorf namens 12 de Diciembre (ein eindeutig subversiver Name). Ihre Geschichte war keine Briefe zur Unterstützung der guten Manieren wert. Sie stammen aus dem Dorf Salina Cruz. Am 2. November 2002, ermordeten Militante der MOCRI Organisation, Manuel Méndez Sánchez und Gloria Méndez Sánchez. Sie lauerten ihnen auf erschossen sie, und nachdem sie tot waren, zerhackten sie sie mit den Macheten.

Das Motiv? Zu jener Zeit unterhielten die MOCRI-Anführer eine leidenschaftliche Romanze mit El Croquetas Albores, und sie waren Teil der gescheiterten Strategie Zedillos, Gewissen zu kaufen. Manuel und Gloria waren und sind Zapatistas, und als solche förderten sie den Widerstand. Durch das Argument der Worte überzeugten Gloria und Manuel die Gemeinde Widerstand zu leisten, und keine Regierungsalmosen anzunehmen. Das ging gegen die wirtschaftlichen Prämissen der MOCRI-Anführer, und sie unterstützten den Mord. Die MOCRI-Leute bedrohten auch die übrigen Zapatistas, auf die gleiche Art, die auch von der Regierung bei den letzten "friedlichen Räumungen" eingesetzt wurde, die sich in der mexikanischen Presse einer so breiten Berichterstattung erfreut haben: entweder ihr hört auf Zapatistas zu sein, oder euch trifft das gleiche Schicksal wie Manuel und Gloria.

Die Compaņeros and Compaņeras zogen es vor, vertrieben zu werden, statt sich von der MOCRI erschießen zu lassen und somit zu eine der vielen Geschichten von Konfrontationen zwischen Indigenas beizutragen. Das Verbrechen wird nicht ungestraft bleiben. Und das wird nicht durch das Gesetz der Vergeltung geschehen, noch durch die Anwendung der "humanitären" Methoden der Chiapas Regierung. Der Gerechtigkeit wird Genüge geleistet werden, aber mit Weisheit und Ruhe. Vielleicht wird es helfen, Garzón beizubringen, dass Terror nicht durch einen anderen Terror bekämpft werden kann, der sich hinter Gesetzen und Richtern versteckt, Gefangene foltert und Ideen illegal macht.

12 de Diciembre ist nicht das einzige zapatistische Dorf, das von der Räumung bedroht wird (ich werde nicht die Namen jener nennen, die Zapatistas sind, um nicht jene zu entlarven, die keine sind), aber alle Zapatistas, die sich dort in diese Lage befinden, sind nicht dort, weil sie kein Land hätten, oder morbide Freude daran hätten die Selva zu zerstören, sondern weil sie gezwungen wurden, alles aufzugeben, um nicht die Reihen des Schweigens zu stärken, mit dem die Macht und die Intellektuellen, das Elend und den Tod der mexikanischen Indigenas begraben.

Wir haben mit den Vertretern dieser zapatistischen Dörfer gesprochen, und mit den Autoritäten der Autonomen Bezirke, denen sie angehören. Sie haben uns ihre Entscheidung übermittelt, dort zu bleiben, auch wenn es ihre Leben kostet, so lange die zapatistischen Forderungen nicht erfüllt sind.

Wir haben ihnen geantwortet, dass wir sie vollkommen unterstützen.

Und so ist es gut, es jeden in Voraus wissen zu lassen: im Fall der zapatistischen Dörfer, wird es keine "friedliche Räumung" geben.

Um auf die plötzliche Vermehrung der baskischen Experten zurückzukommen, ich weiß nicht wieso sie sich alle so aufregen: die betroffenen Personen (außer Garzón) sind nicht im mindesten beeinflusst worden. Zum Beispiel der König, ich habe erst kürzlich ein Foto von ihm gesehen, und er hat noch immer das gleiche Gesicht. Aznar wiehert, trotz des Postskriptums von der Prestige, mit bemerkenswertem Enthusiasmus weiter. Und Felipillo... nun, er ist sauer geworden, hat die Iberische Presse geknebelt und seine Kumpel in der Mexikanischen Republik mobilisiert, die ohne einige der hiesigen Intellektuellen eine Monarchie wäre.

Dennoch, bitte ich die Intellektuellen, die Fans der spanischen Krone (und deren Literaturpreise) sind, um Entschuldigung. Ich wollte nicht vor seiner Majestät respektlos erscheinen, oder so etwas. Was ich auf gut Spanisch vor allem sagen wollte ist, dass mir die Monarchie absolut Wurst ist.

Denn für uns gibt es keine anderen Könige auf Erden, als die in einem Kartenspiel (spanische Karten um genau zu sein), noch andere Königinnen als die, die uns hin und wieder mit einem Seitenblick den Schlaf rauben und uns dann sitzen lassen.

Aber gut, nachdem ihnen erlaubt worden ist über die unwahrscheinliche Sympathie der EZLN für den Terrorismus herzuziehen, sind hier einige Themen für sie (bequem als Fragen getarnt):

Wieso will die EZLN ihren sogenannten Marsch durch das soziale Europa (Ah! Also handelt es sich um eine europäische Marcha?) in Spanien beginnen, und nicht zum Beispiel in Italien, wo es so viele gefangene und freie Zapatistas gibt (von beidem fast so viele wie in Mexiko)? Wieso wählten die Zapatistas ein so schwieriges und komplizierte Thema aus wie das Baskische, über das so komplizenhaft und weithin geschwiegen wurde, um die Beschuldigung zu vermeiden, ein Terrorist zu sein?

Wird die EZLN versuchen, Fox' Aussagen im Europäischen Parlament, denen zufolge in Mexiko Frieden herrscht, zu wiederlegen?

Weiß die EZLN denn nicht, dass in Europa und der ganzen Welt, die Rechte regiert, und kriegerischer den je ist?

Wieso versucht die EZLN den friedlichen Weg zur Lösung des Krieges auszuschöpfen, anstatt auf den World Trade Center hoch zu Ross mit einer Ladung Sprengstoff zuzustürmen (wir haben nur Papierflugzeuge), und die Kolumnisten so mit einem Artikel über die zapatistische "Sympathie" für die Methoden der Al Qaeda zu versorgen?

Wird die EZLN auf ihrem Besuch in Frankreich auch eine Vorstellung von Zorró, el Zapató besuchen, die von den Kindern in den Armenvierteln unter heldenhaften Bedingungen präsentiert werden? Wird die EZLN mit Chirac und Le Pen sprechen, oder mit den Sans Papiers? Werden sie das Latinoviertel wieder besuchen? Werden sie auf dem Place Pigalle gehen?

Wird die EZLN auch richtig gekleidet sein, um dem strengen Wetter der nordischen Länder zu trotzen, in der Schweiz, der Niederlande, in Belgien und Deutschland? Werden sie das rebellische Griechenland besuchen? Werden sie Gesten der eleganten Verachtung vor den Monarchen von Schweden machen, und sich so die Chance auf den Nobelpreis verscherzen?

Glaubt die EZLN, dass ihre Cayucos den Englischen Kanal heil überqueren und in Großbritannien landen können, und so den "D-Day" nachzuahmen, nur umgekehrt? Werden sie nach Irland gehen, um dem San Patricio Bataillon ihren Respekt zu erweisen?

Kurzum, es sind alles Themen, die in der Kategorie des Hypothetischen fallen.

Es gibt noch mehr, aber dieser Brief wird auch so schon ziemlich lang, und die Postskripte kommen erst noch.

Gut, last but not least soll dieser Brief Ihnen ein glückliches Neues Jahr wünschen.

Und wie alle wissen, ist man glücklich, wenn man nicht aufhört für das, woran man glaubt, zu kämpfen.

Vale. Salud und, wie Sie nun sehen können, gibt es Globalisierungen und Globalisierungen.



Aus den Bergen des mexikanischen Südostens.

Subcomandante Insurgente Marcos

Mexico, Dezember 2002.

PS ALS GESCHENK VERPACKT: Den Brauch befolgend seinen geschätzten Kunden zu Dienste zu sein, empfiehlt das periodische Postskriptum seinen Lesern die folgenden Geschenke für - um sich dem intellektuellen Enthusiasmus für die Krone anzuschließen - das kommende Drei Königs-Fest am 6. Januar: für den kleinen König Juan Carlos, ein Abführmittel (erhältlich in verschiedene Darreichungsformen); für Pepillo Aznar, eine Flöte; für Felipillo (dieses dunkle Objekt der Begierde, das so heiß umkämpft wird von (a) Nexos und Letras Vencidas), ein Schutzbrief (für den unwahrscheinlichen Tag, an dem die spanische Gerichtsbarkeit ihn für das Sponsoring der terroristischen Gruppe GAL zur Verantwortung ziehen wird).

PSS MIT HERUNTERGEZOGENER KAPPE UND EINER ZIGARETTE ZWISCHEN DEN LIPPEN: Es lebe die Republik! Runter mit der Monarchie! Hoch leben die Arbeiterkomitees! Runter mit den zurückgekehrten Francos! Es lebe die spanische Republik! Es lebe die Internationale Brigade! Viva Spanien! Gora Euskera! Gora Zapata! Es lebe das Leben! Tod dem Tod! Hoch leben die Geister die wieder durch Europa schreiten werden!

PS FÜR BERLUSCONI: Lachen Sie nicht, Sie sind als nächster dran. Denken Sie daran, "alle Wege führen nach Rom."

ILLEGALES PS: Es hat ganz den Anschein als ob wir uns darauf versteifen, die Gesetze des guten Benehmens nicht zu respektieren. Das einzige Gesetz (Ley), das unser Respekt verdient, ist die Musikgruppe gleichen Namens (ich denke sie ist Chilenisch), und das auch nur, wenn sie von dem Mexikaner Ely Guerra in dem Lied El Duelo begleitet werden, und wenn nicht, dann nicht einmal dieses Gesetz.

PS, DAS DARAUF BESTEHT VOM THEMA ABZUKOMMEN: Argentinien ist weiterhin großzügig. Zuerst gaben sie der Welt Che, nun einen ganzen Weltaktionsplan. Denn "Alle raus!" ist nicht nur ein Slogan. Es lebe die argentinische Rebellion!

LATEINAMERIKANISCHES PS: Respekt für die Souveränität von Venezuela!

MASOCHISTISCHES PS: Prügelt uns weiter! Mehr journalistische Schläge! Genau so! Mehr! Oh! Yes! More! More! Oh my god! Ahhh! (Mmh, ich liebe es wenn sie wütend werden).

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(übs. von Dana)