"Die Lage ist schwierig, aber nicht alles ist grau."
Im Juni 2002 besuchte die mexikanische Frauenaktivistin Guadalupe
Cárdenas mehrere Städte in der BRD, um über die Lage der Frauen im
Süden Mexikos zu berichten. Auf Einladung der Gruppe B.A.S.T.A. machte sie auch Station in Münster.
Frauen als mehrfache Opfer
Die indigenen Frauen in Chiapas sind Opfer mehrfacher Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts, ihrer ethnischen Herkunft und ihrer sozialen Klasse. Die Ungleichheiten manifestieren sich in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Wohnverhältnisse, Nahrungsversorgung, Rassismus und Sexismus. Ihr Leben ist von Armut und Marginalisierung geprägt.
Bis heute sterben die Menschen an einfachsten Krankheiten (z.B. Husten, Fieber, Darmerkrankungen) und wenn sie sich nicht durch traditionelle Medizin helfen würden, gäbe es wesentlich mehr Tote. Die Krankheiten, die direkt an die Strukturen der Ungleichheit gebunden sind, gab es immer, aber nachdem sich seit dem Aufstand der EZLN 1994 die Militärpräsenz in Chiapas extrem erhöht hat (ca. 60.000 Soldaten in rund 250 Camps), hat sich die Lage drastisch verschlechtert, Männer und Frauen wurden Opfer von (z.T. sexueller) Gewalt.
Durch die Militärpräsenz herrscht täglich Angst und Unsicherheit, was psychische Probleme verursacht und anfälliger für physische Krankheiten macht. Die Indígenas haben ein intensives Verhältnis zu ihren Ländereien und den Flüssen, können sich dort aber nur eingeschränkt bewegen. Das Militär respektiert die Umwelt nicht, kontaminiert die Flüsse und verursacht dadurch nicht nur indirekt mehr Krankheiten. Frauen finden z.B. auch Präservative in den Flüssen, was für sie sehr delikat ist und sexuell aggressiv wirkt. Die Soldaten lassen auch Prostituierte in den Urwald karren, was die ethischen Vorstellungen der Gemeinden und vor allem der Frauen stark verletzt. Es wird vermutet, dass auf Dauer auch indigene Frauen als Prostituierte arbeiten werden.
Die Schulbildung der Frauen endet meistens nach 3 bis 4 Jahren und wird währenddessen oft unterbrochen, weil die Lehrer in vielen Gemeinden von weit anreisen oder die Mädchen im Haus helfen müssen. In vielen Schulen wird zudem nur in Spanisch unterrichtet, eigene Sprachen werden selten gelehrt.
Viele Indígenas müssen in ärmlichen Hütten mit Erdboden und durchlässigen Wänden leben, die nicht vor Nässe und Kälte schützen. Die Frauen, die ihren Arbeitsplatz im Haushalt haben, sind zudem ein Leben lang dem Rauch ausgesetzt, der beim Kochen mit Holz auf der Feuerstelle entsteht. Dadurch, dass das Land noch immer ungleich verteilt ist, ist die Ernährung der Menschen sehr unausgewogen und einseitig. Strom- und Wasserversorgung existieren häufig nicht, was eine ungeheure Mehrarbeit vor allem für die Frauen bedeutet.
Als besonders gravierende Menschenrechtsverletzungen - einige Indígenas sprechen von Tendenzen versuchten Genozids - können die Zwangssterilisierungen bezeichnet werden, die immer wieder an indigenen Frauen in Regierungsambulanzen gegen ihr Wissen durchgeführt werden. Allein die Organisation COLEM konnte bisher 13 Zwangssterilisierungen in den letzten Jahren in Chiapas nachweisen. Diese juristischen Nachweise gestalten sich äußerst schwierig, da die betroffenen Frauen sich meist nicht trauen, jene extremen Eingriffe in ihr Leben öffentlich zu machen. In Südmexiko insgesamt wurden über 300 Fälle dokumentiert, die nun internationalen Menschenrechtsorganisationen und verschiedenen Staatsanwälten vorgelegt werden sollen.
Ein großes Problem stellt auch die Beschäftigung der jungen Indígenas als Dienstmädchen in den Städten dar. Die Familien schicken ihre Töchter in die Häuser der ökonomisch und sozial besser gestellten Mestizen (Nachkommen der Eroberer, die sich mit der mexikanischen ursprünglichen Bevölkerung gemischt haben), die den Mädchen Lohn und Bildung versprechen. Häufig werden diese Versprechungen überhaupt nicht eingehalten und die Mädchen in eine Rolle als unbezahlte Arbeitskraft und Sex-Objekt für die Hausherren gedrängt. Es handelt sich hier um fundamentale Menschenrechtsverletzungen, die aber nur selten ans Licht kommen geschweige denn geahndet werden - es herrscht eine quasi systematische Straflosigkeit gegenüber Vergewaltigern.
Neben der Herrenmenschenmentalität, der die Indígena-Frauen durch Weiße und Mestizen ausgesetzt sind, müssen sie auch die häufig konservativen Vorstellungen der indigenen Männer ertragen. So wurden früher die Frauen meist durch Absprachen und Bestechung innerhalb der Gemeinden an ihre zukünftigen Ehemänner "verkauft", ohne dass sie ein Mitspracherecht hatten - in einigen Gemeinden ist dies bis heute so. Ein anderes großes Problem stellt die Verhütung da, die auch von vielen indigenen Männern nicht gerne gesehen und der nicht selten mit häuslicher Gewalt begegnet wird. Gravierend ist zudem der Ausschluss vieler indigener Frauen aus politischen und gesellschaftlichen Prozessen in ihren Gemeinden.
Im Zusammenhang mit den neoliberalen Wirtschaftsplänen der Regierung, vor allem dem Plan Puebla-Panamá (PPP) werden zahlreiche Weltmarktfabriken (Maquiladoras) in Chiapas entstehen, die auf billige und rechtlose Arbeitskräfte angewiesen sind, um international konkurrenzfähig zu sein. Meist sind 80 Prozent der Beschäftigen dieser Fabriken, häufig als "moderne Sklaverei" bezeichnet, junge Frauen, die Opfer von Erniedrigung, Sexismus und Gewalt werden. In einigen Maquilas müssen die Frauen z.B. monatlich in einer entwürdigenden Prozedur (Vorzeigen der Unterwäsche) ihre Regelblutung nachweisen, da Schwangere sofort entlassen werden. Toilettengänge sind stark eingeschränkt, Sprechen verboten und Übergriffe der Vorarbeiter an der Tagesordnung.
Frauen als Protagonistinnen der Verbesserung ihrer Situation
Verbesserungen ihrer Situation erreichten die Frauen vor allem durch selbstorganisiertes Engagement in verschiedenen Organisationen und Gruppen. Innerhalb der EZLN, die für Land und Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie, Würde, Anerkennung der indigenen Kultur und gegen autoritäre und neoliberale Politik kämpft, organisierten sich die Frauen und stellten das "Revolutionäre Frauengesetz" auf. Dieses garantiert den Frauen Grundrechte wie die freie Wahl des Ehemannes, die Entscheidung über Familienplanung und ihr Recht auf politische und militärische Partizipation in ihrer Befreiungsbewegung. Immer wieder wird berichtet, dass es für die Frauen auch gegenüber ihren progressiven Compaņeros nicht einfach war, diese minimalen Verbesserungen zu erreichen und eine konsequente Umsetzung ist auch in den zapatistischen Gemeinden noch nicht erreicht.
Einen weiteren Flügel der Frauenbewegung in Südmexiko bilden die feministischen Nichtregierungsorganisationen wie z.B. die COLEM (Colectivo de Encuentro de Mujeres, dt.: Kollektives Frauentreffen) aus San Cristóbal in Chiapas: Sie existiert seit 13 Jahren und arbeitet zu den Themen physische und psychische Gesundheit, sexuelle und familiäre Gewalt, Bildung, Information und Beratung. Sie arbeitet mit Indígenas und Mestizen, verfügen über ein kleines Zentrum, wo sie sich um Frauen kümmert, die Opfer von Gewalt geworden sind - ohne Rücksicht auf Herkunft, politische Einstellung oder Religion. Sie machen Radioprogramme über frauenspezifische Themen, aber auch Programme, die an Männer gerichtet sind wie Verhütungsberatung oder sozio-ökonomische Themen wie die bevormundenden Modernisierungspläne der Regierung.
Zur Stärkung der Basis bilden sie weibliche Führungskräfte aus, die ihre Rechte kennen und denen methodische, soziale und politische Kompetenzen und Selbstbewusstsein vermittelt wird. Diese indigenen Frauen tragen dann ihre Erfahrungen in ihre Basisgruppen weiter und setzen so den in den Städten begonnenen profeministischen Kampf - transformiert durch ihre Sicht der Dinge - auf dem Land fort.
Das Verhältnis von Frauenbewegung und EZLN
Die oft städtisch geprägten Frauenorganisation begrüßen den anti-sexistischen Anspruch der EZLN, sind jedoch mit seiner unvollständigen Umsetzung unzufrieden. Einerseits ist dieses in der verschiedenen Weltanschauung von mestizisch-akademischen Aktivistinnen und indigener Landbevölkerung begründet (vereinfacht dargestellt: der Feminismus der Landfrauen geht den Intellektuellen nicht weit genug), andererseits sehen die Frauenorganisationen durchaus die Schwierigkeiten, dass sich die Zapatistas durch den "Krieg der niederen Intensität", den die Regierung durch Militarisierung, Korruption und soziale Marginalisierung gegen sie führt, vorrangig um Sicherheit, Aufrechterhaltung der Organisation und die nötige Selbstversorgung kümmern müssen und so - wieder einmal - die Frauenfrage vernachlässigt wird.
Es wird auch bemängelt, dass einige hohe männliche Verantwortliche der EZLN das Thema "Frauen" hinten an stellen, gleichzeitig wird aber auch das Engagement anderer zapatistischer Kommandanten gewürdigt, die trotz aller Bedrängung auf der Umsetzung des "Revolutionären Frauengesetzes" beharren.
Den fortdauernden Reflektions- und Entwicklungsprozess der Frauenfrage innerhalb der zapatistischen Bewegung veranschaulicht die Erweiterung des Revolutionären Frauengesetzes von 10 (1993) auf 31 Punkte (1996) und die berühmte Rede der EZLN-Kommandantin Esther im mexikanischen Parlament im Jahre 2001, in der sie neben einem Aufruf zur Akzeptanz der indigenen Autonomie völlig öffentlich auch ihre indigenen Mitkämpfer zu einer frauenfreundlicheren Praxis ermahnte.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich viele progressive Frauenorganisation trotz berechtigter Kritik sehr solidarisch zur EZLN stellen und anerkennen, dass ohne diese Bewegung die Lage der Frauen weitaus schlechter wäre und hoffen, durch weitere Zusammenarbeit in einem langen und vermutlich schwierigen Prozess weiter zur Verbesserung der Lage der Frauen beitragen zu können. So schloss auch Guadalupe Cárdenas ihre Veranstaltung in Münster mit dem Satz: "Die Lage ist schwierig, aber nicht alles ist grau."
Luz, Gruppe B.A.S.T.A.
aus: Land und Freiheit Nr. 51 -> Bezug über ZAPAPRES
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