Subcomandante Insurgente Marcos
Die Zapatistas und die Andere Kampagne: Die Fußgänger der Geschichte
Teil IV: Zwei Fußgänger auf verschiedenen Wegen . . . und mit verschiedenen Zielen.
1. - Die "Wesensart" eines Anführers.
Die Abneigung des "Präsidentengespanns" gegen López Obrador wurde
größer je
weiter die Kandidatur des Politikers aus Tabasco voranschritt. Mit
seinen
frühmorgendlichen Konferenzen (und die ausführliche
Berichterstattung, die
ihm die Massenmedien offerierten - heute erklärte Feinde des
PRD-Politikers), setzte der Regierungschef von Mexiko-Stadt sein
Zeichen auf
die Tagesordnung von Los Pinos . . . und die übrige politische
Klasse. Auch
in der abgelegensten Ecke des Landes, war man darüber informiert was
Fox
gesagt hatte (also schön, wenn er es schaffte etwas verständlich
auszudrücken), was AMLO gesagt hatte, und später am Tag, was das
übrige
Ensemble der mexikanischen Politik zu den Äußerungen des Regierenden
von
D.F. zu sagen hatte. Fox schien damit kein allzu großes Problem zu
haben ...
Anfangs. In einer Fernsehsendung zeigte sich López Obrador bestürzt
über die
plötzliche Feindseligkeit des "seņor presidente" (man erinnern
sich an
das: "wir müssen das Präsidentenamt bewahren"). "Wir waren doch
Freunde, ich
weiß nicht was mit ihm passiert ist", sagte AMLO darauf. Gut, was
passiert
war, ist dass das "Präsidentenamt" bereits einem Gespann gehörte:
dem von
Vicente Fox und Martha Sahagún. Und "seņora Martha", wie ihr
Ehegatte sie
nennt, wollte und will nicht die Frau des Präsidenten sein, sondern
die
"Frau Präsidentin".
Wenn das an ein gewisses Theaterstück erinnert, so ist das kein
Zufall. In
der Komödie, die tagtäglich in Los Pinos aufgeführt wurde, spielte
seņora
Sahagún stets die Hauptrolle (wenn auch nicht immer die
erfolgreichste, man
darf ja nicht zu anspruchsvoll sein). Doņa Martha hatte ihre lange
und jetzt
nunmehr abgesägte Laufbahn zum Präsidentenstuhl schon sehr früh
begonnen. Um
genau zu sein, seitdem López Obrador als stärkster Anwärter auf die
Bühne
trat. Aber, während sie dabei war die (für sie) unbequemen
Persönlichkeiten
des Kabinetts und des Kreises um Vicente Fox aus dem Weg zu räumen,
sah
Martha mit Verzweiflung, dass AMLO sich hielt. Man brauchte nicht
viel
Verstand (was sie sowieso nicht haben) um zu erkennen wer seņora
Marthas
Rivale sein würde, wenn sie die Kandidatin der Nationalen
Aktionspartei
(PAN) wäre.
Das Manöver mit den "Videoskandalen" war das erste Anzeichen eines
ernsthaften Gefechts, um AMLO aus der Präsidentenlaufbahn zu
drängen. Das
Gefecht wurde zur Schlacht mit dem Versuch des Desafuero. Wenn in
der Sache
mit den Videos die Hand der Fox-Regierung zu erkennen war, so hatte
man beim
Desafuero bereits jegliche Hemmung verloren. Eine wachsende
Bürgermobilisierung (die von López Obrador deaktiviert wurde)
versetzte Fox
eine überwältigende Niederlage. Aber in der Politik gibt es keine
entscheidenden Schlachten.
Währenddessen war López Obrador dabei eine Kandidatur aufzubauen,
das heißt,
ein Image. Natürlich reichte der privilegierte Balkon der Regierung
von
Mexiko Stadt dazu nicht aus, dafür hatte in der PRD die Figur von
Cuauhtémoc
Cárdenas Solórzano immer noch zu viel Gewicht. Aber die Regierung
von D.F.
bot nicht nur die Möglichkeit ins Scheinwerferlicht der Medien zu
treten,
sie bedeutete auch Geld, viel Geld. Und dieses Lied klingt sehr
verlockend
für die gesamte politische Klasse, nicht nur für die Parteispitze
der PRD.
Mit diskreter Geschicklichkeit machte sich AMLO daran die Sympathien
(und
die Kontrolle) des Apparats der Demokratischen Revolutionspartei
(PRD) für
sich zu gewinnen . . . und die eines wichtigen Sektors von
Intellektuellen,
Künstlern und Wissenschaftlern. Im ersten Fall durch Geld. Im
letzteren,
durch Gespräche und besondere Aufmerksamkeiten.
Kurzum, alles lief prima.
Es war zur gleichen Zeit, dass einige Informationsmedien einen Köder
auswarfen, den der Lopezobradorismus mit ganz besonderer Begeisterung
schluckte: die ersten Meinungsumfragen. Da er darin mit einem
skandalösen
Vorsprung vor allen anderen Aspiranten abschnitt, schenkte ihnen AMLO
Glaubwürdigkeit und verbürgte sich für sie.
Von der Presse darin bestärkt und geschmeichelt, vergaß López
Obrador ein
Grundgesetz des sumpfigen Terrains der Medien: das Flüchtige und das
Augenblickliche. Die Medien erschaffen Helden ("und Heldinnen", fügt
Martita
begeistert hinzu - ob das Diminutiv ein "h" enthält oder nicht,
überlasse
ich Ihnen.) und Schurken ("und Schurkinnen", vervollständigt Elba
Esther
Gordillo) nicht nur in den Telenovelas, sondern auch auf der
politischen
Bühne. Aber so wie sie sie erschaffen, zerstören sie sie auch. Der
anfangs
"reife", "umsichtige" und "verantwortungsbewusste" Regierungschef,
verwandelt sich später in einen "verantwortungslosen",
"messianischen" und
"provokanten" Politiker; und die Umfragen, die ihn oben zeigten,
können ihn
später auch nach unten ziehen.
Bei der Mobilisierung gegen das Desafuero, zeigte sich ein erster
Hinweis
auf die "Wesensart" von Lopéz Obrador. Obwohl es offensichtlich war,
dass
viele der Menschen, die sich mobilisierten, dies gegen die
Ungerechtigkeit
taten und nicht weil sie ihn persönlich unterstützten, benutzte AMLO
diese
Bewegung, um seine Laufbahn zur mexikanischen Präsidentschaft
offiziell zu
beginnen. Als die Mobilisierung dann anfing eine Bewegung zu werden
(in
einigen Gruppen wurde das Interesse wach, tiefgehende Probleme
aufzuwerfen,
wie den Stellenwert der Wissenschaften, der Kunst, der Kultur, und
vor allem
der politischen Arbeit), und die Fox Regierung zurückwich, befahl
López
Obrador den Leuten nach Hause zu gehen.
Das Ziel das Desafuero aufzuhalten und AMLO auf den höchsten Gipfel
der
Welle zu tragen war erreicht worden, und er hatte sich verpflichtet,
die
Mobilisierungen aufzuhalten. Also tat er es.
Die Botschaft von López Obrador an die übrige politische Klasse (der
er,
nicht zu vergessen, angehörte) und an die Herren (und Damen) des
Geldes war
klar gewesen: "Ich bin nicht nur in der Lage eine große Mobilisierung
einzuberufen, ich kann sie auch leiten, kontrollieren, dosieren . .
. und
anhalten."
2. - AMLO's Intellektuelle
Seit dieser Zeit begann sich in einem Teil des progressiven
intellektuellen
Milieus das heranzubilden, was wir als den gebildeten
Lopezobradorismus
kennen. Diese Tendenz würde die Einführung einer neuen
Klassifizierung
initiieren, um festzustellen wer zum politischen Mexiko gehörte und
wer
nicht; oder anders ausgedrückt, um zwischen zwei Kategorien zu
unterscheiden: die Guten (jene, die AMLO unterstützen - das heißt,
die
"Sympathischen" und "Beliebten"), und die Schlechten (jene, die AMLO
nicht
unterstützen - also laut Elenita*, die "Neidischen"). Jegliche
Kritik oder
Hinterfragung von López Obrador, also das über mehr hinausging als
Gleichgültigkeit und Schweigen, wurde als ein Komplott der
Reaktionären, von
Carlos Salinas de Gortari, der finsteren Kräfte der Ultrarechten,
des El
Yunque oder des verhüllten Konservativismus gewertet. Wenn sie heute
ein
wenig "toleranter" sind, werden die Kritiken an den
Lopezobradorismus" als
"sektiererisch", "marginal", "extremistisch", und "infantil" beiseite
gefegt.
Mit einem Hartnäckigkeit, die eines besseren Anliegens würdig
gewesen wäre,
etablierte dieser Sektor ein sektiererisches, intolerantes,
despotisches und
kleinliches Denken. Und das taten sie so wirkungsvoll, dass es zum
führenden
Denken der intellektuellen "Spiegel" von López Obrador im Wahlkampf
wurde,
sowie später in der Widerstandsbewegung gegen den Wahlbetrug und,
jetzt, in
AMLOs CND.
Als die mexikanische Tageszeitung La Jornada, eine ihrer Ausgaben in
August
2005 (anlässlich des ersten Vorbereitungstreffen der Anderen
Kampagne) unter
der Schlagzeile: "Sie sind entweder mit uns oder gegen uns" (oder so
ähnlich) veröffentlichte, lag sie zugleich richtig als auch falsch.
Dieser
Satz wurde nicht von Marcos ausgesprochen. Aber er wurde und wird
seitdem
ausgesprochen, und zwar vom gebildeten Lopezobradorismus.
Dieses Denken (das begann sich zu konsolidieren, als die
Unterstützung der
PRD für die indigene Gegenreform in Vergessenheit geriet) hatte dazu
ermutigt die Augen und Ohren zu verschließen, als die PRD-Anhänger
von
Zinacantán im Hochland von Chiapas, zapatistische Unterstützungsbasen
angriffen; und hat zugelassen, dass die Ermordungen der
Menschenrechtsverteidigerin Digna Ochoa y Plácida, sowie des jungen
Studenten Pável Gonzáles, von der PRD-Regierung von D.F. mit einer
Schäbigkeit gehandhabt wurden, die später zu Routine werden sollte.
In den
Fällen von Digna und Pável, als sich zum Verbrechen auch noch die
Herabwürdigung des Todes der sozialer KämpferInnen hinzugesellte,
bewahrten
ehrliche Stimmen das Schweigen . . . "um nicht der Rechten in die
Hand zu
spielen". Der gebildete Lopezobradorismus feierte damit seinen ersten
Triumph, illegitim wie alle weiteren, die er seitdem errungen hat.
Wenn die Sympathisanten, Militanten und Vorstandsmitglieder des PRD,
dieser
ganze intellektuelle Sektor und AMLO selbst damals schwiegen, stand
zu
erwarten, dass sie auch nichts sagen würden, wenn die Mörder von
PRD-Militanten Kandidaturen unter der gelb-schwarzen Fahne antraten.
So war es auch.
Wer zu so etwas schweigt, schweigt zu allem. Das Gespenst des
"Unnennbaren",
Carlos Salinas de Gortari, lauerte überall und alle Mittel waren
recht um
sich ihm entgegenzusetzen. Alle Mittel, sogar die Wiederaufbereitung
ehemaliger Salinistas . . . in der PRD und im Kreis der Vertrauten
von López
Obrador.
Mit dieser autochthonen Modalität des "einzig möglichen Denkens" kam
ein
neues Bewertungssystem, eine neue Waagschale: die gleiche Sache
konnte
unterschiedlich bewertet werden, je nachdem wer sie machte oder
vorschlug.
Wenn AMLO oder einer seiner Sympathisanten sie machte oder
vorschlug, wurde
der Handlung oder dem Projekt jede erdenkliche Tugend beigemessen;
aber wenn
es jemand war, der López Obrador kritisierte, wurde es zu einem
Projekt der
"dunklen Mächte" der Ultrarechten.
Als wir darauf hinwiesen (in "Die Unmögliche Geometrie der Macht"),
dass das
Projekt von AMLO salinistisch war, schrieen die Intellektuellen zum
Himmel
auf (da oben sind sie jetzt noch, völlig aufgebracht). Aber als der
Beauftragte des lopezobradorischen Wirtschaftsplans (Seņor Ramírez
de la O,
Berater für Politwirtschaft - und laut einigen, der nächste
Finanzminister,
wenn AMLO die Präsidentschaft gewonnen hätte) einige Tagen vor den
Wahlen
erklärte, sein Vorhaben sei der "soziale Liberalismus", ähnlich wie
der von
Carlos Salinas de Gortari, blickten die Intellektuellen in die andere
Richtung.
Die wirkliche Rechte konnte mit all dem recht zufrieden sein. Einige
ihrer
Überlegungen und Vorhaben wurden bereits in das Umfeld der PRD
übernommen:
der "schändliche" (und gescheiterte) Plan Puebla Panamá von Vicente
Fox
sollte seine Läuterung in AMLO's Trans-Isthmus Projekt finden; die
Bewilligung des so genannten "Televisa Gesetzes" durch die PRD
Fraktion der
Abgeordnetenkammer war ein weiterer "taktische Fehler"; die kleineren
Gesetze und Reglementierungen, ebenfalls von dieser Partei
bewilligt, welche
die Enteignung von indigenem Boden legalisierten, waren "nicht so
schwerwiegend"; die zweideutige Beziehung zwischen López Obrador und
dem
Unternehmer Carlos Slim war "hohe Politik"; die Privatisierung des
Historischen Zentrums von Mexiko Stadt war "Modernisierung"; die
gigantische
Investition in einer zweiten Umgehungsstrasse, die zu einer der
reichsten
Zonen von D.F. führt, während gleichzeitig die Investitionen in die
öffentlichen Verkehrsmittel sanken, waren ein Beispiel von "guter
Regierung"
(und nicht etwa eine Unterlassung des "die Armen zuerst"); der
Schlag gegen
die urbane Volksbewegung war "Ordnung durchsetzen" . . . und der
Caudillismo, der gehegt und kultiviert wurde, war . . . die
"Heranbildung
einer neuen Führung".
Ohne auch nur irgendeinen Hinweis darauf zu finden, dass er das
wäre, wurde
verkündet, dass López Obrador ein Linker sei, weil . . . weil . . .
na gut,
weil er das selbst so sagte (schön, manchmal sagte er es, manchmal
nicht, je
davon abhängig mit wem er gerade sprach)
Der Kalender erreichte den 3. und 4. Mai, und der Tod und der Schmerz
erreichten San Salvador Atenco und Texcoco, im Bundesstaat México.
Die
Umfragen sagten, dass man die Unterdrückung unterstützen oder
schweigen
musste. Fecal sagte, wie gut, wie großartig, genau was getan werden
muss.
Desgleichen Madrazo, der immer schwächer wurde. Auf der "linken"
Seite,
applaudierte die PRD Fraktion im mexikanischen Kongress das Vorgehen
der
Polizei und unterstützte Peņa Nieto. Was López Obrador betrifft . .
. er
bewahrte das Schweigen. Atenco wäre nützlich gewesen, wenn damit die
Wahlen
zu beeinflussen wären, aber die "Messsäulen" in den Medien zeigten
an, dass
dies nicht der Fall war. Der gebildete Lopezobradorismus beschwerte
sich ein
wenig, ohne irgendeine Überzeugung und nur über das Nachspiel.
Es wurde auch vergessen, dass AMLO sich während seiner gesamten
Kandidatur
darum bemüht hatte, dem Unternehmersektor angenehm zu erscheinen.
Wenn man
die Reden und Erklärungen seiner Vor- und Wahlkampagne durchgeht,
haben sie
nichts mit dem zu tun, was er nach dem 2. Juli von sich gegeben hat.
Immer
wieder beharrte er den Politikern gegenüber: "es wird keine Rache
geben".
Und dem Unternehmersektor sagte er wörtlich: "haben Sie keine Angst
vor
mir". Das heißt: "ich werde weder ihr Eigentum, noch ihre
Profitlage, noch
die Sitten und Gebräuche der politischen Klasse anrühren".
Um dies nicht zu sehen, bedurfte es schon einer sehr schweren
Kurzsichtigkeit. Aber um dies zu sehen und dazu zu schweigen,
bedurfte es
eines Zynismus, der nie aufhören wird uns in Erstaunen zu versetzen.
Einige Zeit später, bereits während der Mobilisierung gegen den
Wahlbetrug,
erklärte López Obrador auf dem Zócalo von Mexiko Stadt, der Wahlsieg
von
Juan Sabines in Chiapas, habe dem Vormarsch der Rechten Einhalt
geboten.
Dass AMLO diese "läuternde" (und nach links befördernde) Waagschale
seinen
Unterstützern gegenüber ausspielen würde, kann man noch durchgehen
lassen,
schließlich hat er sie ja erschaffen. Aber dass der gebildete
Lopezobradorismus einem Schwachsinn solcher Tragweite mit
Begeisterung
applaudieren konnte, ist schlicht unbegreiflich . . . oder eine
Kostprobe
davon, wie weit der Kretinismus bereits fortgeschritten war. Dem
"rechten
Vormarsches Einhalt zu gebieten" hatte die Wiederaufbereitung von
Croquetas
Albores bedeutet, und die jenes Finqueros, der einst den berühmten
Ausspruch
prägte, dass "in Chiapas ein Huhn mehr wert ist als ein Indio"
(Constantino
Kanter). Wer das schluckt, schluckt alles. Und, wenn es im gebildeten
Lopezbradorismo etwas in Überfluss gibt, dann sind es Mühlräder
dieser
Größenordnung.
In dieser "gesunden" Atmosphäre von Diskussion und hochwertige
Analyse, war
der gebildete Lopezobradorismus beim Anbruch des 1.Juli nicht etwa
dabei ein
progressives Programm für bürgerliche Partizipation aufzuziehen (was
ja den
Parteien das Feld der politischen Arbeit streitig gemacht hätte),
oder ein
innovativer Vorschlag für Kunst, Kultur und Wissenschaften, sondern
ein
Slogan voller Hochmut und Überheblichkeit: "Lächeln, wir werden
gewinnen".
Nein, sie riefen uns nicht dazu auf der Rechten Einhalt zu gebieten
(klar,
das hatten sie ja jetzt bereits schon erledigt). Sie riefen dazu
auf, sich
auf die Siegesfeier vorzubereiten (und das mit Mäßigung und Reife).
Ah! Es würde alles so einfach sein, so ganz ohne Mobilisierungen,
ganz ohne
Unterdrückung, ganz ohne Zusammenstöße, ganz ohne politische und
ideologische Konfrontationen, ganz ohne Debatten, ganz ohne interne
Kämpfe,
ganz friedlich, ganz ruhig, ganz stabil, ganz ausgeglichen, ganz ohne
Radikalismus, ganz ohne Kapitalflucht, ganz ohne Börsenkrach, ganz
ohne
internationalem Druck, ganz ohne irgendetwas wahrzunehmen, ganz ohne
Klassenkampf, ganz - ganz.
Die Unterdrückung? Na gut, um die zu erdulden gab es ja die Andere
Kampagne,
Atenco, die "Indios" und den "vulgären Pöbel". Und man würde keine
Blockaden
der Hauptstrassen dulden, wie für die legitime Forderung nach
Freiheit und
Gerechtigkeit für die Gefangenen von Atenco, Als die Otra in
Solidarität mit
unseren Compaņer@s Strassen blockierte, griff die Polizei von D.F.
ein um
"den ungehinderten Verkehr zu garantieren". Dutzende Jugendliche,
größtenteils Studenten der ENAH und der CCH Sur, wurden auf dem
südlichen
Ring verprügelt und mit Tränengas besprüht, und bis in das Gebäude
der
Landesschule für Anthropologie und Geschichte (ENAH) hinein verfolgt.
Der gebildete Lopezobradorismus sagte, dass gut, dass bravo, dass die
Straßen, dass die Autos, dass Erlass Nr. 13 (erlassen von AMLO als
er noch
Regierungschef war), dass der ungehinderte Verkehr, dass die
"Ultras", dass
die Ordnung, dass die Stabilität. Schließlich waren das ja nur ein
paar
Chamac@s (und wahrscheinlich würden sie sowieso nicht wählen oder
hatten
nicht einmal ein Wahlschein). Also, wie es Alaska und Thalía mal
sagten,
"wen juckt es?".
Einige Zeit später, blockierte die Mobilisierung gegen den
Wahlbetrug, in
Ausübung des legitimen Rechts auf Ausdrucksfreiheit, die Reforma
Zufahrt
(ich glaube, so heißt sie). Als die Unternehmer und die "gut
gestellten
Menschen" protestierten (trotz finanziellen Zuwendungen) und den
Kopf des
Regierungschefs von D.F. forderten, interviewte Elenita Poniatowska
den
belagerten Alejandro Encinas. Dieser erklärte, er müsse die
Demonstrationsfreiheit respektieren und beschützen.
Vielleicht aus lauter Rührung über Encinas' Leiden, "vergass"
Elenita ihn zu
fragen, weshalb diese Freiheiten galten und respektiert wurden wenn
es um
AMLO Sympathisanten ging, und nicht wenn es sich um die Andere
Kampagne
handelte, oder die Bewegung der abgewiesenen Studenten, oder alle
anderen
Bewegungen, die auf solche Aktionen zurückgreifen mussten um gesehen
und
gehört zu werden. In dem "Vergessen" des Interviewtem und der
Interviewerin
schwang deutlich mit: "es gibt ein Gesetz für die einen (die auf
meine Seite
sind), und ein anderes für die Anderen (die mich nicht unterstützen,
mir
nicht folgen oder gehorchen)
Aber in der Nacht vom 1. Juli träumte der gebildete
Lopezobradorismus, dass
das Land sich nur durch die Abgabe einer Stimme ändern würde. Und
sie würden
mit Bescheidenheit die Dankbarkeitsbezeugungen der Armen ("Sieh nur,
Töchterchen, da geht der Doktor spazieren, er hat den Herrn
Präsidenten und
seinen Sohn unterrichtet; und weiter drüben gehen die Leute, die wir
auf der
Tribüne gesehen haben. Lass sie uns grüßen, denn sie haben unsere
Befreiung
angeführt"), der Indios (aber nicht der ZapatistInnen, weil die ja
bekanntlich undankbar sind), der Arbeiter, der Campesinos, der
Frauen, der
Jugendlichen, der Senioren, also, von ganz Mexiko über sich ergehen
lassen.
Und im Ausland würde es Konferenzen und Gesprächsrunden geben. Und
der
gebildete Lopezobradorismus würde zurückhaltend und bescheiden
erzählen, was
sie alles für Mexiko getan hatten . . . dazu mussten sie nur noch
das Podium
besteigen.
Aber der 2. Juli kam und mit ihm, die Gordillo. Und mit ihr . der
Wahlbetrug.
3. - Die Mobilisierung gegen den Wahlbetrug.
Aber nach der anfänglichen Verwirrung und Forderungen nach dem
Schafott um
Marcos, die EZLN, die Andere Kampagne und alle die sich ihrer
"Läuterung"
widersetzten auszutilgen, fingen diese Intellektuellen an zu merken
was
passiert war. AMLO bewies ein weiteres Mal, dass er intuitiver und
intelligenter ist als der gebildete Lopezobradorismus. Er konnte gut
abschätzen, dass eine Mobilisierung gegen den Wahlbetrug davon
abhängig sein
würde, was er sagte und tat . und er sagte und tat es. Daraufhin
bildete
sich eine authentische, legitime und gerechte Volksbewegung: die
Mobilisierung gegen den Wahlbetrug, und folglich, gegen die
Einsetzung von
Felipe Calderón.
Es wurde behauptet, die Mobilisierung sei nicht das was sie vorgab
und
vorgibt zu sein. Es ist von Anfahrtskosten die Rede, von der
dreisten und
unverschämten Einmischung der Regierung von D.F. und der
PRD-Struktur,
davon, dass sie nie so viele gewesen wären wie behauptet wird. Das
kann
schon sein. Was nicht bezweifelt werden kann, jedenfalls nicht für
uns
Zapatisten, ist, dass es in dieser Mobilisierung ehrliche Menschen
gegeben
hat und gibt, die dort aus Überzeugung und Prinzipien gestanden
haben und
stehen. Sie verdienen und haben unseren Respekt, aber ihr Weg führt
in eine
Richtung, die wir nicht einschlagen möchten.
Wir teilen mit ihnen weder den Weg noch das Ziel.
Und unsere Art sie zu respektieren besteht darin, uns nicht in ihre
Mobilisierung einzumischen, weder um AMLO seine unbestreitbare
Führung
streitig zu machen, noch um zu sabotieren, noch aus Opportunismus,
noch um
die Massen zu "ernüchtern" (was einige der Argumente und Gründe
mancher
Organisationen sind, die sich daran beteiligen, obwohl sie mit der
Leitung
der Mobilisierung nicht einverstanden sind).
Die ehrlichen Menschen, die es dort wie wir wissen gibt, glauben es
sei
möglich die Mobilisierung in eine Bewegung zu verwandeln (mit dem
Nationalen
Demokratischen Konvent - CND), die nicht von einem Führer oder von
der
Kontrollstruktur abhängig ist, die den Konventteilnehmer aufgedrängt
wurde.
Das kann sein. Wie glauben es nicht, und außerdem denken wir, dass
es nicht
ethisch wäre auf eine Mobilisierung "aufzuspringen" oder sie
"auszunutzen",
für die wir nichts geleistet haben, und es wäre auch nicht mit einem
kritischen Skeptizismus vereinbar.
Nun gut, über die Mobilisierung gegen den Wahlbetrug und den
Versuch, sie
mit dem CND in eine Bewegung zu verwandeln, sagen wir folgendes:
1. - AMLO's "Gewissenhaftigkeit" in Hinblick auf die
Unrechtmäßigkeit der
Institutionen tritt nur auf, weil sein Wahlsieg durch ein Betrug
aberkannt
wurde. Es wäre etwas anderes, wenn ihm der Sieg zum Präsidenten
zuerkannt
worden wäre.
2. - Das Nationale Demokratische Konvent (CND) lag dem
lopezobradoristischen
Denken nicht von Anfang der Mobilisierung an im Sinn. Andernfalls
wäre die
Protestbesetzung dazu genutzt worden, die verschiedenen Vorschläge zu
analysieren, zu diskutieren und zu debattieren, die später am 16.
September
2006 durch Zuruf abgestimmt worden sind. Das CND war und ist ein Weg
die
Protestbesetzung zu beenden und auf legitime Art den Aufbau einer
Bewegung
zu beginnen, um die Präsidentschaft in 2012 zu gewinnen . . . oder
früher,
wenn es gelingt Fecal zu stürzen.
3. - Dem CND wurde eine Direktion aufgedrängt, die beabsichtigt die
Bewegung
nicht nur zu führen, sondern sie zu kontrollieren. Es gibt darin
nicht den
mindesten Ansatz einer demokratischen Partizipation an Diskussionen
und
Beschlüssen, ganz zu schweigen von Selbstorganisation. Diese
Direktion hat
ihre eigenen Interessen und Kompromisse (obwohl das CND vereinbarte
einige
Firmen und Produkte zu boykottieren, erklärten einige Leiter, dass
sie sich
nicht daran halten würden - siehe dazu die Worte von Federico
Arreola in der
Tageszeitung Milenio am Tag nach dem CND.
4. - Die im Entstehen begriffene Bewegung des Lopezobradorismus
zielt nicht
auf eine Krise der Institutionen hin (die den Wahlbetrug geschmiedet
und
ausgeführt haben). Andernfalls hätten man beschlossen, alle bei
diesen
Wahlen gewonnenen Ämter auszuschlagen, was einen schwer zu
bewältigenden
Bruch herbeiführen würde. Das CND zielt auch nicht auf Autonomie und
Unabhängigkeit hin. Im Gegenteil, ist es weiterhin der alten
politischen
Klasse verhaftet (jetzt umkonvertiert zur "Linken")
5. - Die meisten, nicht alle, derjenigen, die zur Direktion des CND
gehören,
glänzen durch ihre Korruption, ihren Opportunismus und ihre Neigung
zu
Intrigen. Während sie einerseits die betrügerischen Institutionen
"zum
Teufel" schicken, nehmen sie andererseits an ihnen teil (Gelder
inklusive).
Die Verhandlungen stehen an der Tagesordnung und es fehlt nur noch
etwas
wichtiges: das Bundesbudget und das Budget von Mexiko Stadt.
6. - Der gebildete Lopezobradorismus richtet jetzt seine Angriffe
gegen sich
selbst, gegen jene, die AMLO zwar unterstützten, ihn jetzt aber
kritisieren.
Die internen Disqualifizierungen und Säuberungsaktionen werden
zunehmen.
7. - Die Mobilisierung hatte und hat zweifellos Licht- und
Glanzmomente: zum
Beispiel, die Kreativität und Erfindungsgeist in den Aktionen zu
Denunzierung einiger der Konzerne, die in den Wahlbetrug impliziert
sind
(Banken, Wall Mart etcétera); die entschlossene Teilnehme von
Menschen von
unten; die gerechte und legitime Wut gegen die Anmaßung der PAN und
der
Fox-Regierung, sowie gegen den beleidigende Geringschätzung die
einige
Massenmedien (Televisa, TV Azteca und die großen Senderketten),
jenen zuteil
werden lassen, die an der Mobilisierung teilnehmen.
4. - Unten . . . Und währenddessen, im unteren Mexiko . . . Die
ehrlichen
Menschen.
Unten befindet sich der größte Teil derjenigen, die sich gegen den
Wahlbetrug mobilisiert haben. Jene, die wollten, dass AMLO Präsident
wird,
weil sie ihn gewählt und gewonnen haben. Jene, die das Recht
verteidigen,
demokratisch die Regierung zu wählen. Jene, die nicht wollen, dass
sich 1988
wiederholt. Jene, die, ein gesundes Misstrauen gegen die
Koalitionsgehörigen
Apparate hatten und haben. Jene, die die bestehende Macht
herausfordern, und
das neoliberale System verändern wollen, das das soziale Gewebe
zersetzt und
das Land zugrunde richtet.
Oaxaca.- Das unten brach auch in Oaxaca hervor, und nahm Form und
Weg in der
Volksversammlung der Bevölkerung von Oaxaca (APPO) an. Die Veto
Kapazität
dieser Bewegung ist anerkennungswürdig gewesen. Es ist unerheblich,
ob ihre
Teilnehmer gewählt haben oder nicht (oder ob sie sich für die
Koalition oder
irgendeine andere parteiische Macht ausgesprochen haben). Das ist
nicht
wichtig, wichtig ist nur, dass sie ein Vertrauen in ihre eigenen
Kräfte
haben, die weit über ihre Anführer und Konjunkturen hinausgeht.
Dieses
Vertrauen hat es ihnen bis heute ermöglicht ihre Taktiken selbst zu
bestimmen, ohne dem Druck von außen und den Ratschlägen der
"Wohlüberlegten"
nachzugeben.
Als EZLN unterstützen wir diese Bewegung und versuchen durch die
Compaņer@s
der Otra, die in ihr kämpfen, zu sehen und zu lernen. Unsere
Unterstützung
muss sich aus zwei Gründen darauf beschränken: Zum einen, weil es
sich um
eine Bewegung handelt, die in sich sehr komplex ist, und eine
direktere
Unterstützung könnte "Aufruhr", Verwirrung und Argwohn hervorrufen.
Zum
anderen, weil die Bewegung der Bevölkerung von Oaxaca schon mehrmals
beschuldigt worden ist, Verbindungen zu bewaffneten Gruppen zu
unterhalten,
und unsere direkte Präsenz könnte die Medienkampagne, die sie
bereits schon
gegen sich haben noch verstärken.
Die Otr@s. - Und abseits des hin und her der Politik von oben, wird
eine
andere Rebellion in den tiefsten Schichten der Gesellschaft
errichtet: in
den indigenen Völkern, unter den Jugendlichen, die von der Macht
misshandelt
werden (einschließlich der PRD), unter den Arbeitern in den
Maquilas, unter
den SexarbeiterInnen, unter den ungehorsamen Frauen, die mit der
Furcht
leben, dass ihre Ehemänner in den Norden emigrieren müssen, in den
linken
politischen Organisationen, die davon überzeugt sind, dass es noch
etwas
jenseits des Kapitals und der repräsentativen Demokratie existiert,
unter
all jenen, aus denen sich die Andere Kampagne zusammensetzt, die im
ganzen
Land leben, und eine andere Form der Politik der Beziehung zu ihren
Gleichartigen-Verschiedenen organisieren und erfinden.
Die Andere Kampagne ist nicht das, was in den Medien über sie gesagt
wurde,
auch nicht das, was einige ihrer Teilnehmer von ihr behaupten, im
Grunde,
ist sie nicht einmal das, was die Sechste Kommission der EZLN über
ihren
Hergang erklärt hat. Sie ist viel mehr als das alles. Sie ist eine
Sturzflut, die nach unten fließt, die noch nicht vollständig zum
Ausdruck
gekommen ist, die im Keller Mexikos existiert sich reproduziert.
Aber unten existieren auch Millionen von Menschen, die Mehrheit, die
nicht
gewählt hat. Die nicht an den Wahlen glauben (viele von ihnen, so
wie wir
Zapatisten, haben noch niemals aus Überzeugung gestimmt). Jene, die
zum
verachteten und erniedrigten Mexiko gehören (und die jetzt der
gebildete
Lopezobradorismus noch mehr verachten und erniedrigen will, indem er
ihnen
eine vermeintliche Niederlage zuschreibt). Viele von ihnen gehören
zum
Mexiko der indigenen Völker, die noch vor wenigen Jahren für ihren
Kampfwillen und ihren Widerstand gepriesen wurden.
Mit diesen letzteren, mit jenen, die nicht nach oben blicken, sind
wir
Zapatisten. Und wir denken, dass sie diejenigen sind, mit denen die
Andere
Kampagne sein sollte.
Einige von unten, die sich in der Anderen Kampagne organisieren,
haben
nämlich unseren Schmerz und den Feind der ihn verursacht bereits
identifiziert: der Kapitalismus.
Und wir wissen bereits zwei wesentliche Dinge: Zum einen, dass um
diesen
Kampf zu liefern, die Konstruktion einer autonomen und unabhängigen
sozial-politischen Bewegung nötig ist. Und zum anderen, dass es da
oben
keine grundlegende Lösung gibt, weder für die wirtschaftlichen und
sozialen
Probleme, die das mexikanische Volk quälen, noch für die
Beschlagnahmung der
Partizipation und Organisation der Bevölkerung durch die politische
Klasse.
Wir, die Zapatisten der EZLN, haben uns vor einem Jahr dafür
entschieden,
eine antikapitalistische landesweite Bewegung voranzutreiben, von
unten und
nach links, die über der elektoralen Konjunktur steht - insofern als
dass
sie unabhängig davon bleiben konnte, wie sich jeder zu den Wahlen
positionierte. Bis heute konnten wir vieles sehen und lernen. Von
denen da
oben, von der Otra, von uns selbst.
Wir denken dass, ob man sich über die Legitimität oder Popularität
der
Bewegung von Andrés Manuel López Obrador einig ist oder nicht, sie
nicht der
Weg der Anderen Kampagne ist, und vor allem, nicht das gleiche Ziel
verfolgt
wie wir Compaņer@s in der Otra.
Wir, die Otra, sucht weder von jemanden geführt zu werden, noch
jemanden zu
führen. Und wir suchen nicht von oben zu erreichen was von unten
aufgebaut
wird.
Und Ihnen, unseren Compaņeras und Compaņeros der Anderen Kampagne,
möchten
wir ein Vorschlag unterbreiten . . .
(Fortsetzung folgt ...)
Für das Geheime Revolutionäre Indigene Komitee - Generalkommandantur
der
Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung
Sechste Kommission
Subcomandante Insurgente Marcos
Mexiko, September 2006.
* * * * *
(übs. von Dana)
* Elenita: Elena Poniatowska. Die berühmte mexikanische
Schriftstellerin und
AMLO Unterstützerin verkündete vor kurzem in der La Jornada
(12.Sept.),
Cuauhtémoc Cárdenas, Subcomandante Marcos und die unabhängige
Kandidatin
Patricia Mercado würden AMLO ihre Unterstützung nur aus Neid
verweigern.
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