Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung

23. Juli 2005

Ein Pinguin im Lakandonischen Urwald Teil II/II

Ich sprach zu Ihnen über die Kritiken an den Anmerkungen der Sechsten Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald über Mexiko, Lateinamerika und die Welt. Nun gut, angesichts dessen erlauben Sie mir einige Fragen zu stellen:

Zum Thema: ihr passt nicht in diese Welt.

Was passiert zum Beispiel, wenn vor mehr als einem Jahrzehnt, ein Mädchen (sagen wir von etwa vier oder sechs Jahren), indigen und mexikanisch, sieht, wie sein Vater, seine Brüder, seine Onkel, seine Vettern oder seine Nachbarn, eine Waffe, ein Behälter mit Pozol [Maisgeträml] und ein paar Tostadas schultern und "in den Krieg ziehen"? Was passiert, wenn einige von ihnen nicht zurückkehren?

Was passiert, wenn dieses Mädchen aufwächst und, anstatt Feuerholz zu schleppen, in die Schule geht und anhand der Geschichte des Kampfes ihres Volkes lernt, wie man liest und schreibt?

Was passiert, wenn dieses Mädchen zur Jugendlichen herangewachsen ist, nach 12 Jahre des Sehens, Hörens und Sprechens mit Mexikanern, Basken, Nordamerikanern, Italienern, Spaniern, Katalanen, Franzosen, Holländern, Deutschen, Schweizern, Briten, Finnen, Dänen, Schweden, Griechen, Russen, Japanern, Australiern, Philippin@s, Koreanern, Argentiniern, Chilenen, Kanadiern, Venezolanern, Kolumbianern, Ecuadorianern, Guatemalteken, Puertoricanern, Dominikanern, Uruguayern, Brasilianern, Kubanern, Haitianern, Nikaraguanern, Honduranern, Bolivianern, und etceteras, und ihre Länder, ihre Kämpfe und ihre Welten kennt?

Was passiert, wenn sie sieht, wie diese Männer und Frauen mit ihrer Gemeinde die Entbehrungen, Arbeiten, Leid und Freude teilt?

Was passiert mit diesem Mädchen-dann-Teenager-dann-Jugendliche, nachdem sie 12 Jahre lang die "ZivilgesellschaftlerInnen" gesehen und ihnen zugehört hat, die nicht nur Projekte brachten, sondern auch Geschichten und Erfahrungen aus verschiedenen Teilen Mexikos und der Welt? Was passiert, wenn sie die ElektrikerInnen sieht und hört, die mit ItalienerInnen und MexikanerInnen an der Installation einer Turbine arbeiten, um eine Gemeinde mit Strom auszustatten? Was passiert, wenn sie junge UniversitätsstudentInnen trifft, die sich im Streik von 1999-2000 befinden ? Was passiert, wenn sie herausfindet, dass es auf der Welt nicht nur Männer und Frauen gibt, sondern dass die Anziehung und die Liebe viele Wege und Arten kennt? Was passiert, wenn sie junge StudentInnen im Sitzstreik von Amador Hernández sieht? Was passiert, wenn sie zuhört was die Campesinos aus anderen teilen Mexikos zu erzählen haben? Was passiert, wenn sie von Acteal erzählen, und von den Vertriebenen im Hochland von Chiapas? Was passiert, wenn sie die Vereinbarungen und die Fortschritte der Völker und Organisationen des Nationalen Indigenen Kongresses kennenlernt? Was passiert, wenn sie herausfindet, dass die politischen Parteien den Tod ihrer Leute ignorieren, und beschließen, die Verträge von San Andrés nicht anzuerkennen? Was passiert, wenn man ihr erzählt, dass die Paramilitärs der PRD eine friedliche zapatistische Demonstration angegriffen haben, die versuchte, anderen Indígenas Wasser zu bringen, und mehrere Compaņeros angeschossen haben, und zwar genau am 10. April? Was passiert, wenn sie sieht, wie Bundessoldaten jeden Tag mit ihren Kriegspanzern und ihren Artilleriefahrzeugen vorbeifahren, deren Gewehrmündungen auf ihr Haus zielen? Was passiert, wenn sie zu hören bekommt, dass an einem Ort namens Ciudad Juárez junge Mädchen wie sie entführt, vergewaltigt und ermordet werden, und die Autoritäten nicht für Gerechtigkeit sorgen?

Was passiert, wenn sie zuhört, wie ihre Brüder und Schwestern, ihr Vater, ihre Verwandten davon erzählen, wie sie am Marsch der 1111 im Jahr 1997 teilgenommen haben, an der Consulta [Volksbefragung] der 5.000 im Jahre 1999, wenn sie darüber reden, was sie gesehen und gehört haben, von den Familien, die sie aufgenommen haben, darüber wie die StadtbewohnerInnen leben, darüber, dass auch sie kämpfen, dass auch sie sich nicht ergeben?

Was passiert, wenn sie zum Beispiel, Eduardo Galeano, Pablo González Casanova, Adolfo Gilly, Alain Touraine, und Neil Harvey sieht, die mit Schlamm bis zu den Knien zusammen in einer Champa in La Realidad beieinandersitzen, und sich über den Neoliberalismus unterhalten? Was passiert, wenn sie Daniel Viglietti in eine Gemeinde "A desalambrar?" singen hört? Was passiert, wenn sie das Theaterstück "Zorro el zapato" sieht, das französische Kindern aus Tameratong auf zapatistischem Gebiet aufgeführt haben? Was passiert, wenn sie José Saramago sehen und sprechen, zu ihr sprechen hört? Was passiert, wenn sie Oscar Chávez auf Tzotzil singen hört? Was passiert, wenn sie einem Mapuche-Indígena zuhört, der über seine Erfahrungen im Kampf und Widerstand in einem Land namens Chile erzählt? Was passiert, wenn sie bei einem Treffen jemanden trifft, der sich "Piquetero" nennt, und davon erzählt, wie man sich in seinem Land, das Argentinien heißt, organisiert und Widerstand leistet? Was passiert, wenn sie einem Indígena aus Kolumbien zuhört, der erzählt, wie seine Compaņeros, inmitten der Guerilla, den Paramilitärs, den Soldaten und der nordamerikanischen Militärberater, versuchen, ihr Leben als Indígenas aufzubauen, als das, was sie sind? Was passiert, wenn sie die "Musik-MitbürgerInnen" hört, die diese sehr andere Musik namens "Rock" in einem Vertriebenenlager spielen? Was passiert, wenn sie weiß, dass eine italienische Fußballmannschaft namens Inter Mailand die Verwundeten und Vertriebenen von Zinacantán finanziell unterstützt? Was passiert, wenn sie eine Gruppe von nordamerikanischen, deutschen und britischen Männern und Frauen mit elektronischen Geräten ankommen sieht, und ihnen zuhört, wenn sie darüber erzählen, was sie in ihren Ländern tun, um mit den Ungerechtigkeiten fertigzuwerden, während sie ihr gleichzeitig beibringen, wie man diese Geräte einsetzt und bedient, und kurz darauf sitzt sie schon vor dem Mikrofon und sagt "Sie hören Radio Insurgente, die Stimme der Stimmlosen, wir senden aus den Bergen des mexikanischen Südostens, und beginnen wollen wir mit einer schönen Cumbia mit dem Titel "La suegra" [Die Schwiegermutter]. Sie ist den Gesundheitspromotoren gewidmet, die gerade das Caracol besucht haben um den Impfstoff zu holen"? Was passiert, wenn sie in der Junta der guten Regierung hört, dass dieser Katalaner von ganz weit herkommt, um persönlich zu überbringen, was ein Solidaritätskomitee gesammelt hat, um den Widerstand zu unterstützen? Was passiert, wenn sie sieht, wie ein Nordamerikaner mit dem Kaffee, dem Honig und den Kunsterzeugnissen, die in den zapatistischen Kooperativen produziert werden, geht, (und mit den Einkünften aus deren Verkauf zurückkommt), und man sieht, dass er keine besondere Aufmerksamkeit fordert, obwohl er das schon jahrelang gemacht hat, ohne dass es jemand, und wir schon gar nicht, bemerkt hätten? Was passiert, wenn sie die Griechen sieht, die das Geld für die Schulsachen bringen, und dann gemeinsam mit den zapatistischen Indígenas an der Errichtung der Schule arbeiten. Was passiert, wenn sie sieht wie eine Frentista [eine Angehörige der FZLN] im Caracol ankommt, und einen Lastwagen voller Medikamente, medizinischer Geräte, Krankenbetten und sogar Uniformen und Schuhe für die GesundheitspromotorInnen bringt, während andere Jugendliche von der FZLN sich aufteilen, um in den Gemeindekliniken auszuhelfen? Was passiert, wenn sie sieht, wie die Leute von "Eine Schule für Chiapas" ankommen, gehen, und praktisch eine Schule zurücklassen, mit Schulbus, Stiften, Heften und Schreibtafeln? Was passiert wenn sie sieht, wie an der Sprachschule in Oventik (die unter heldenhaften Anstrengungen von einem Compaņero "Städter" in Funktion gehalten wird), Hindus, Koreaner, Japaner, Australier, Slovenen und Iraner ankommen? Was passiert, wenn eine Person kommt, die der Aufsichtskommission ein Buch mit Übersetzungen der EZLN-Kommuniques auf Arabisch, Japanisch oder Kurdisch überreicht, zusammen mit den Einnahmen aus dessen Verkauf?

Was passiert zum Beispiel, wenn ein Mädchen im zapatistischen Widerstand aufwächst und zur Jugendlichen heranreift, 12 Jahre lang in den Bergen des mexikanischen Südostens?

Ich frage Sie das, weil, zum Beispiel, hier im Hauptquartier der EZLN, während des Roten Alarms zwei Insurgentas Posten stehen. Die zwei sind, wie die Compas das sagen, "100% indigen und 100% Mexikanerinnen". Eine von ihnen ist 18 Jahre alt, die andere 16. Das heißt, 1994 war die eine sechs Jahre alt, und die andere vier. In unseren Stellungen in den Bergen, gibt es Dutzende wie sie, Hunderte in den Milizen, Tausende bei den Organisations- und Gemeindeaufgaben, Zehntausende in den zapatistischen Dörfern. Der unmittelbare Vorgesetzte der zwei Wachen ist ein aufständischer indigener Leutnant von 22 Jahren, das heißt er war 1994 zehn Jahre alt. Er steht unter dem Kommando eines aufständischen Hauptmanns, ebenfalls indigen, der - wie es sich gehört - große Liebe für die Literatur hegt, und 24 Jahre alt ist, das heißt, er war 12 Jahre alt, als der Aufstand begann. Und überall auf diesem Land gibt es Männer und Frauen, die im zapatistischen Widerstand von der Kindheit zur Jugend, und von der Jugend zum Erwachsenenalter heranreiften.

Und deshalb frage ich Sie : Was soll ich ihnen sagen? Dass die Welt groß ist und weit weg? Dass nur wichtig ist, was uns passiert? Dass alles, was in anderen Teilen Mexikos, Lateinamerikas und der Welt vorgeht, uns nicht interessiert, dass wir uns weder im Nationalen noch im Internationalen einmischen sollten, und dass wir uns einschließen (und uns selbst etwas vormachen) müssten, und glauben, dass wir alleine das erreichen können, wofür ihre Verwandten gestorben sind? Dass wir alle Zeichen ignorieren sollen, die uns sagen, dass wir nur, indem wir das tun, was wir tun, überleben können? Dass wir denen Zuhören und Wort verweigern sollen, die uns weder das eine noch das andere vorenthalten haben? Dass wir die gleichen Politiker respektieren und unterstützen sollten, die uns eine würdige Lösung dieses Krieges verweigern? Dass wir, bevor wir von hier aufbrechen, erst mal vor einer Jury bestehen müssten, um zu sehen, ob das, was wir hier in 12 Jahren des Krieges aufgebaut haben verdienstvoll genug ist?

In der Sechsten Erklärung haben wir gesagt, dass neue Generationen in den Kampf eingetreten sind. Und sie sind nicht nur neu, sondern sie haben auch andere Erfahrungen, andere Geschichten. Wir haben es Ihnen nicht in der Sechsten Erklärung gesagt, aber ich sage es Ihnen jetzt: sie sind besser als wir, die die EZLN gegründet und den Aufstand begonnen haben. Sie sehen weiter, sie schreiten fester, sie sind offener, besser vorbereitet, intelligenter, entschlossener, bewusster.

Was die Sechste darlegt, ist kein "importiertes" Produkt, ausgearbeitet von einer Gruppe Gelehrter in einem sterilen Labor, und dann in einer sozialen Gruppe implantiert. Die Sechste kommt von dem, was wir sind und wo wir jetzt stehen. Deshalb sind auch die vorangegangenen Teile erschienen, weil man das, was wir vorschlagen nicht verstehen kann, ohne unsere Erfahrung und Organisation zu verstehen, das heißt unsere Geschichte. Und wenn ich sage "unsere Geschichte", spreche ich nicht nur von der Geschichte der EZLN, sondern auch von der aller Männer und Frauen aus Mexiko, Lateinamerika und der Welt, die zu uns gestanden haben . . . auch wenn wir sie nicht gesehen haben, und die in ihren Welten, ihren Kämpfen, ihren Erfahrungen und ihren Geschichten stehen.

Der zapatistische Kampf ist eine kleine Hütte, ein weiteres Häuschen, vielleicht das bescheidenste und einfachste unter denen, die gebaut werden, unter gleich großen oder noch größerer Mühsal und Anstrengungen, in dieser Straße namens "Mexiko". Wir, die dieses kleine Haus bewohnen, identifizieren uns mit der Bande, die das ganze untere Viertel bewohnt, das "Lateinamerika" heißt, und hoffen, etwas dazu beitragen zu können, diese große Stadt namens "Welt" bewohnbar zu machen. Wenn das etwas schlechtes ist, dann schieben Sie das auf all die Männer und Frauen, die in ihren Häusern, Vierteln und Städten kämpfen - das heißt, in ihren Welten mit uns einen Platz eingenommen haben. Nicht über, nicht unter, sondern mit uns.

Ein Pinguin im Lakandonischen Urwald

Na gut, versprochen ist versprochen. Am Anfang dieses Textes sagte ich, dass ich Ihnen etwas über den Pinguin erzählen würde, der hier in den Bergen des mexikanischen Südostens lebt, also hier ist sie.

Dies geschah in eins der aufständischen Quartiere, vor etwas mehr als einem Monat, kurz vor dem Roten Alarm. Ich war auf dem Weg zu der Stellung, die das Hauptquartier der EZLN-Generalkommandantur werden sollte. Dort sollte ich die Insurgenten und Insurgentinnen abholen, die während des Roten Alarms zu meiner Einheit gehören sollten. Der Befehlshaber der Quartiere, ein Aufständischer Oberstleutnant, beendete gerade den Abbau des Lagers und traf Vorbereitungen, um die Immobilien zu bewegen. Um die Last der Unterstützungsbasen zu erleichtern, die die aufständischen Truppen mit Vorräten versorgten, hatten die Soldaten ein paar eigene Versorgungsmaßnahmen aufgebaut: einen Gemüsegarten und eine Farm. Sie beschlossen, so viel von dem Gemüse mitzunehmen, wie sie konnten, und den Rest dem lieben Gott zu überlassen. Was die Hühnchen, Hühner und Hähne anging, hatte man die Alternative sie zu essen oder zurückzulassen. "Besser wir essen sie als die Bundessoldaten", beschlossen nicht ohne Grund die Männer und Frauen (die meisten von ihnen junge Menschen unter 20), die diese Stellung hielten. Eins nach dem anderen landeten die Hühner im Kochtopf, und von dort in den Suppenschüsseln der Soldaten. Es waren nicht gerade viele Hühner, also hatte sich die Anzahl der Geflügel in wenigen Tagen auf zwei bis drei Exemplare reduziert.

Als nur noch eins übrig war, genau am Tag des Abmarsches, passierte was passierte . . .

Das letzte Huhn fing an aufrecht zu gehen, vielleicht, um als einer von uns durchzugehen und mit dieser Haltung unbemerkt davonzukommen. Ich kenne mich nicht gut mit Zoologie aus, aber der anatomische Aufbau von Hühnern scheint nicht dazu geschaffen zu sein, aufrecht zu gehen, und so, mit dem Schwanken aufgrund der Anstrengung sich selbst aufrecht zu halten, wackelte das Huhn vor und zurück, ohne einen genauen Kurs halten zu können. Da sagte jemand "es sieht aus wie ein Pinguin". Der Vorfall provozierte Lachen, das seinerseits Sympathie hervorrief. Das Huhn sah wirklich wie ein Pinguin aus, es fehlte ihm nur noch der weiße Brustlatz. Letztendlich bewahrten die Witze den "Pinguin" davor, das Schicksal seiner Compaņeros auf der Farm zu teilen.

Die Stunde des Aufbruches kam, und während sie nachprüften um sicherzugehen, dass nichts zurückgelassen wurde, fiel ihnen auf, dass der "Pinguin" immer noch da war, und hin und her wackelte, ohne zu seiner natürlichen Haltung zurückzukehren. "Nehmen wir ihn mit," sagte ich, und alle sahen mich an, um zu sehen, ob ich Witze machte oder es ernst meinte. Schließlich bot Insurgenta Toņita an ihn zu tragen. Es fing an zu regnen und sie nahm ihn auf dem Arm unter der schweren Plastikplane, die Toņita trug, um ihre Waffe und ihren Rucksack vor dem Regen zu schützen. Wir begannen den Marsch durch den Regen.

Der Pinguin erreichte das EZLN-Hauptquartier und passte sich den Routinen des aufständischen Roten Alarms schnell an. Es schloss sich oft (ohne jemals die Pinguinhaltung aufzugeben) den Insurgenten und Insurgentas bei der Stunde für politische Studien an. Das Thema in diesen Tagen waren die 13 zapatistische Forderungen und die Compaņeros fassten es zusammen unter dem Titel "Wofür wir kämpfen". Nun, Sie werden es nicht glauben, aber als ich das Treffen besuchte, unter dem Vorwand mir heißen Kaffee holen zu wollen, sah ich dass der Pinguin am aufmerksamsten von allen war. Und hin wieder pickte er auch nach jemandem, der während des politischen Gesprächs eingeschlafen war, als ob er ihn ermahnen würde aufzupassen.

Es gibt keine andere Tiere in den Quartieren . . . ich meine, außer den Schlangen, Taranteln, den zwei Feldratten, den Grillen, Ameisen, und einer unbestimmten (aber sehr großen) Anzahl von Moskitos, sowie ein kleiner Kojote, der kam um zu singen, wahrscheinlich, weil er sich von der Musik angezogen fühlte - Cumbias, Rancheras, Corridos, Lieder von Liebe und Verachtung - die aus dem kleinen Radio kommen, mit dem wir die Morgennachrichten von Pascal Beltrán auf Antena Radio hören und danach "Plaza Pública" von Miguel Ángel Granados Chapa auf Radio UNAM.

Gut, wie ich Ihnen sagte, gab es keine andere Tiere, und so schien es normal, dass "Pinguin" glaubte, wir seien seine Artgenossen und dazu neigte sich zu benehmen, als ob er zu uns gehören würde. Wir hatten nicht begriffen, wie weit das schon fortgeschritten war, bis eines Nachmittags, als er sich weigerte in der Ecke zu essen, die man ihm zugeteilt hatte, und zum Tisch hinüberlief. Pinguin machte einen Heidenlärm, mehr nach Hühner- als nach Pinguinart, bis wir verstanden hatten, dass er mit uns essen wollte. Sie müssen verstehen, dass Pinguins neue Identität das ehemalige Huhn daran hinderte, die Mindeststrecke zu fliegen, die nötig war, um auf die Sitzbank zu gelangen, also musste Insurgenta Erika ihn hochheben und ließ ihn dann von ihrem Teller essen.

Der leitende aufständische Hauptmann hatte mir mitgeteilt, dass das Huhn, ich meine der Pinguin, nachts nicht gerne alleine war, vielleicht weil er fürchtete, die Opossums könnten ihn mit einem Huhn verwechseln, und protestiert hatte, bis jemand ihn in sein Zelt holte. Es dauerte nicht lange bis Erike und Toņita, ihm einen weißen Brustlatz aus Stoff machten (ursprünglich wollten sie ihn [Pinguin] mit weißer Wandfarbe anstreichen, aber ich konnte sie davon abbringen. . . denke ich), damit kein Zweifel mehr darüber herrschen sollte, dass er ein Pinguin war, und niemand ihn mit einem Huhn verwechseln konnte.

Sie werden wahrscheinlich denken, dass ich oder wir spinnen, aber ich erzähle die Wahrheit. In der Zwischenzeit ist Pinguin Teil der EZLN Generalkommandantur geworden, und vielleicht werden es jene von Ihnen, die zu den Vorbereitungstreffen für die "Andere Kampagne" kommen, ihn ja mit eigenen Augen sehen. Es ist auch damit zu rechnen, dass Pinguin zum Maskottchen der EZLN-Fußballmannschaft werden könnte, wenn sie bald gegen Inter Mailand antritt. Vielleicht wird dann jemand ein Erinnerungsfoto als Souvenir schießen. Vielleicht wird dann später mal ein Mädchen oder ein Junge auf das Foto sehen und fragen: "Mama, und wer sind die Leute neben dem Pinguin?" (seufz).

Wissen Sie was? Es fällt mir gerade auf, dass wir genau wie Pinguin sind, wir versuchen sehr hart, aufrecht zu stehen und uns selbst einen Platz in Mexiko zu schaffen, in Lateinamerika, in der Welt. Genau wie die Reise, die wir bald antreten werden, nicht in unserer Anatomie vorgesehen war, werden wir sicher schwankend vorwärtsgehen, unsicher und ungeschickt, und Lachen und Witze hervorrufen. Aber vielleicht, genau wie Pinguin, werden wir auch etwas Sympathie hervorrufen, und jemand könnte uns großzügigerweise beschützen und helfen, mit uns gehen, um das zu tun, was jeder Mann, Frau oder Pinguin tun sollte, das heißt immer zu versuchen, besser zu sein, auf die einzig mögliche Art: nämlich kämpfend.

Vale. Saludos und eine Umarmung von Pinguin (?).

Aus den Bergen des mexikanischen Südostens

Subcomandante Insurgente Marcos Mexiko, Juli 2005

* * *
(übs. von Dana)
(leicht überarbeitet von Gruppe B.A.S.T.A.)






-> Startseite Gruppe B.A.S.T.A.